Wohin mit dem Reichtum? —Wie die Schweizer ihre Brocken wieder los werden
März 31st, 2008(reload vom 14.12.05)
In unserer letzten Wohnung in Deutschland besassen wir eine Küche, also Hängeschränke (keine Kästen), Kühlschrank, Herd und Spülmaschine, sowie Unterbauschränke. Eine Küche legt man sich entweder komplett zu, wenn man genug Kohle hat, und lässt sie von einem professionellen Schreiner einbauen, oder man kauft sich Stück für Stück bei Media Markt und Ikea zusammen und versucht selbst sein Glück.
Mit einer eigenen Küche umzuziehen ist ein grosser Spass und eine besondere Herausforderung für jeden Deutschen. Die fein eingepasste Arbeitsplatte muss demontiert, zersägt und am Zielort mit viel Heisskleber und Spachtelmasse wieder ansehnlich verbaut werden. Raten sie mal, warum soviel Deutsche eine Stichsäge besitzen: Genau, um die Arbeitsplatte zusägen zu können. Nach 2 bis 3 Umzügen besteht sie praktisch nur noch aus Einzelstücken. Beim Umzug sind 2 Tage allein für den Küchenab- und -aufbau zu veranschlagen.
Unsere letzte Küche wollten wir unseren Nachmietern überlassen, doch leider hatten die schon eine eigene, mit hellem Holz und roten Herzchenmustern, die sie natürlich gleich einbauen wollten. Also wohin mit der Küche?
Früher gab es dafür zwei Mal pro Jahr den „Sperrmüll-Tag„. Einen Tag, an dem man alles auf die Strasse zur Abholung durch die Müllabfuhr stellen konnte. Böse Zungen behaupten, „Sperrmüll“ sei nach Ramadan und Winterschlussverkauf der drittwichtigste Feiertag für die Türken in Freiburg. Aber das stimmt nicht: Sperrmüll war auch für die Deutschen immer so etwas wie ein Volksfest, denn die Leute stellten ihre Sachen schon am Abend zuvor auf die Strasse, man konnte sich mit etwas Glück eine ganze Einrichtung zusammenstellen, oder kultige Fundstücke für den nächsten Flohmarkt entdecken. Professionelle Trödelhändler aus dem benachbarten Elsass kamen an diesen Abenden mit Lieferwagen ins Breisgau zur Schatzsuche.
Dann wurde die Sperrmüllabfuhr per Postkarte eingeführt, also nur noch „on demand“. Für eilige Fälle gibt es nun den „Recyclinghof„, eine städtische Einrichtung für gebrauchte Möbel. Dorthin kann man auf eigene Kosten seine alten Sachen transportieren, und schon am Eingang lauern wie die Geier „Interessierte„, die ihnen alte Radios und TV-Geräte gleich von der Ladefläche entsorgen helfen, um sie später weiter zu verkaufen.
Auf dem Recyclinghof werden Arbeitslose beschäftigt, die Sachen zu ordnen oder sie auch bei Ihnen zu Hause abzuholen, natürlich kostenlos. So wurden wir unsere Küche los. Bis auf die gute Miele-Waschmaschinen, die war teuer, also nahmen wir sie — dummer Weise — mit in die Schweiz.
Da diese Maschine nicht ins Schweizer Norm-Badezimmer passte (mit der 59 cm breiten Tür), kam sie in den Keller.
So dreist, sie einfach in die Gemeinschaftswaschküche zu stellen, waren wir dann doch nicht, ausserdem war auch dort kein Platz mehr. Fünf Jahre moderte sie vor sich hin, dann sollte sie fort, um Platz zu schaffen. Doch wohin mit einer Waschmaschine in der Schweiz?
Die Schweizer hatten lange keine „Recyclinghof„, jedenfalls konnten wir damals keinen finden. Wozu auch, denn hier gibt es ja die „Brockenstuben„.
Brockenstube (auch Brockenhaus oder Brocki) ist die Schweizer Bezeichnung für einen Gebrauchtwarenladen, Secondhand-Laden oder auch Ramschladen, in welchen man (für einige Menschen) wertlose, ausgediente Gegenstände finden und für wenig Geld erwerben kann.
Brockenstuben werden meistens von gemeinnützigen Organisationen (Blaues Kreuz, Heilsarmee, Frauenverein, Kinderkrippe etc.) betrieben, welche mit den erwirtschafteten Einnahmen karitative Projekte unterstützen oder ihre Auslagen decken. Professionelle Antiquitätenhändler verwenden zur Abgrenzung von den normalen Brockenstuben häufig die Bezeichnung Brocante. (Quelle Wiki)
Das klingt gemütlich, so eine „Stube„, und auch irgendwie wild romantisch, womöglich mit „Felsbrocken“ darin?
Wir können „alle Brocken hinschmeissen„, wenn wir keine Lust mehr haben. Mitunter essen wir zu viele, dann wird es uns übel, und was wir dann unfreiwillig von uns geben müssen, wird auch „Kotz-Brocken“ genannt. Übrigens auch ein gängiges Kosewort für nette Bekannte in Deutschland.
Der Brocken ist für die „Mitteldeutschen“ der höchste Berg im Harz. Wer sind denn die „Mitteldeutschen„? Nun, das sind nicht etwa mittellose Deutsche, sondern die Deutschen, die den „Mitteldeutschen Rundfunk“ hören können. Es gibt nämlich für jede Himmelsrichtung in Deutschland eine eigene Sendeanstalt: Norddeutscher Rundfunk, Westdeutscher Rundfunk, Südwestdeutscher Rundfunk und… nein, einen Ostdeutschen-Rundfunk wurde nach Wegfall der DDR-Sendeanstalten aus geheimnisvollen geo-politischen Gründen nicht gegründet. Das ist heute der „Mitteldeutsche Rundfunk„, kurz MDR.
Bei Wikipedia fanden wir die Herkunft die Geschichte der Brockenhaus-Idee erzählt:
Der Name Brockenhaus geht auf ein Bibelzitat zurück, gemäss dem Jesus nach der wunderbaren Speisung der 5000 seinen Jüngern befiehlt: „Sammelt die übrig gebliebenen Brocken, damit nichts verloren gehe!“ (Johannes 6.12.). Der deutsche evangelische Theologen Friedrich von Bodelschwingh (1831–1910), Gründer der Bethelmission, schuf 1872 eine „Anstalt für Fallsüchtige“ (Epileptiker) und eröffnete eine Sammel- und Verkaufsstelle für gebrauchte Waren, deren Ertrag zur Finanzierung seines sozialen Werkes diente. Bei der Suche nach einem geeigneten Namen für seine Sammelstelle erinnerte er sich an die oben zitierte Bibelstelle und nannte sie „Brockenhaus“. Der Philanthrop J. Müller setzte diese Idee in Berlin in den 1890er Jahren auch zur Arbeitsbeschaffung um. In der Schweiz wurden Brockenhäuser ab ca. 1895 (andere Angabe: 1906), zunächst von der Heilsarmee, später auch von anderen Organisationen gegründet. Während die zahlreichen „Brockis“ in der Schweiz landestypische und populäre Einrichtungen darstellen, ist der Begriff in Deutschland heute praktisch unbekannt.
(Quelle: Wikipedia)
Friedrich von Bodelschwingh hatte die Idee, aber bekannt ist das Wort heute nur in der Schweiz.
Die Brockenstube in Bülach hat die Waschmaschine nicht abgeholt, die hätten wir schon selbst hintragen müssen. Doch es gab kommerzielle „second hand“ Händler, die mehr als zwei Hände haben und die Waschmaschine im Keller begucken kamen. „Keine Chance, die ist zu alt und unverkäuflich“, nur gegen Gebühr hätten wir sie entsorgen lassen können.
Doch dann kam uns die rettende Idee. Eine Kleinanzeige in der Zeitung „Zypresse„, ein kostenlos verteiltes Kleinanzeigenblatt in der Studentenstadt Freiburg im Breisgau, lässt sich rasch und billig online über das Web schalten: „Miele Waschmaschine zu verschenken an Selbstabholer„. Zwei Tage und zwei Nächte stand das Telefon nicht still. Selbst die Mitteilung „Sie müssen aber 2 Stunden bis in die Schweiz fahren“ konnte nur wenige abschrecken. Nach nicht einmal 24 Stunden waren wir die Maschine los.
Nie haben wir so deutlich das Wohlstandsgefälle an der Schweiz-EU Grenze gespürt wie bei dieser Aktion: Unsere Waschmaschine, die wir in der Schweiz nur mit Kosten entsorgt bekommen hätten, wurde uns von bedürftigen Freiburgern quasi aus den Händen gerissen.
Was lernen wir daraus: Einfach eine „Zu Verschenken“ Annonce bei der Zypresse schalten, und schon sind Sie Ihren Kram los. Aber wer hat in der Schweiz schon eine Waschmaschine zu verschenken?