Wohin mit dem Reichtum? —Wie die Schweizer ihre Brocken wieder los werden

März 31st, 2008

(reload vom 14.12.05)

  • Wohin mit der Waschmaschine?
  • In unserer letzten Wohnung in Deutschland besassen wir eine Küche, also Hängeschränke (keine Kästen), Kühlschrank, Herd und Spülmaschine, sowie Unterbauschränke. Eine Küche legt man sich entweder komplett zu, wenn man genug Kohle hat, und lässt sie von einem professionellen Schreiner einbauen, oder man kauft sich Stück für Stück bei Media Markt und Ikea zusammen und versucht selbst sein Glück.

    Mit einer eigenen Küche umzuziehen ist ein grosser Spass und eine besondere Herausforderung für jeden Deutschen. Die fein eingepasste Arbeitsplatte muss demontiert, zersägt und am Zielort mit viel Heisskleber und Spachtelmasse wieder ansehnlich verbaut werden. Raten sie mal, warum soviel Deutsche eine Stichsäge besitzen: Genau, um die Arbeitsplatte zusägen zu können. Nach 2 bis 3 Umzügen besteht sie praktisch nur noch aus Einzelstücken. Beim Umzug sind 2 Tage allein für den Küchenab- und -aufbau zu veranschlagen.

    Unsere letzte Küche wollten wir unseren Nachmietern überlassen, doch leider hatten die schon eine eigene, mit hellem Holz und roten Herzchenmustern, die sie natürlich gleich einbauen wollten. Also wohin mit der Küche?

  • Wohin mit alten Möbeln und Elektrogeräten in Deutschland?
  • Früher gab es dafür zwei Mal pro Jahr den „Sperrmüll-Tag„. Einen Tag, an dem man alles auf die Strasse zur Abholung durch die Müllabfuhr stellen konnte. Böse Zungen behaupten, „Sperrmüll“ sei nach Ramadan und Winterschlussverkauf der drittwichtigste Feiertag für die Türken in Freiburg. Aber das stimmt nicht: Sperrmüll war auch für die Deutschen immer so etwas wie ein Volksfest, denn die Leute stellten ihre Sachen schon am Abend zuvor auf die Strasse, man konnte sich mit etwas Glück eine ganze Einrichtung zusammenstellen, oder kultige Fundstücke für den nächsten Flohmarkt entdecken. Professionelle Trödelhändler aus dem benachbarten Elsass kamen an diesen Abenden mit Lieferwagen ins Breisgau zur Schatzsuche.

    Dann wurde die Sperrmüllabfuhr per Postkarte eingeführt, also nur noch „on demand“. Für eilige Fälle gibt es nun den „Recyclinghof„, eine städtische Einrichtung für gebrauchte Möbel. Dorthin kann man auf eigene Kosten seine alten Sachen transportieren, und schon am Eingang lauern wie die Geier „Interessierte„, die ihnen alte Radios und TV-Geräte gleich von der Ladefläche entsorgen helfen, um sie später weiter zu verkaufen.

    Auf dem Recyclinghof werden Arbeitslose beschäftigt, die Sachen zu ordnen oder sie auch bei Ihnen zu Hause abzuholen, natürlich kostenlos. So wurden wir unsere Küche los. Bis auf die gute Miele-Waschmaschinen, die war teuer, also nahmen wir sie — dummer Weise — mit in die Schweiz.

  • Die Waschmaschine passt nicht ins Bad
  • Da diese Maschine nicht ins Schweizer Norm-Badezimmer passte (mit der 59 cm breiten Tür), kam sie in den Keller.
    Badezimmertür nur 59 cm breit
    So dreist, sie einfach in die Gemeinschaftswaschküche zu stellen, waren wir dann doch nicht, ausserdem war auch dort kein Platz mehr. Fünf Jahre moderte sie vor sich hin, dann sollte sie fort, um Platz zu schaffen. Doch wohin mit einer Waschmaschine in der Schweiz?

  • Wohin mit dem alten Wohlstand? In die Brockenstube!
  • Die Schweizer hatten lange keine „Recyclinghof„, jedenfalls konnten wir damals keinen finden. Wozu auch, denn hier gibt es ja die „Brockenstuben„.

    Brockenstube (auch Brockenhaus oder Brocki) ist die Schweizer Bezeichnung für einen Gebrauchtwarenladen, Secondhand-Laden oder auch Ramschladen, in welchen man (für einige Menschen) wertlose, ausgediente Gegenstände finden und für wenig Geld erwerben kann.

    Brockenstuben werden meistens von gemeinnützigen Organisationen (Blaues Kreuz, Heilsarmee, Frauenverein, Kinderkrippe etc.) betrieben, welche mit den erwirtschafteten Einnahmen karitative Projekte unterstützen oder ihre Auslagen decken. Professionelle Antiquitätenhändler verwenden zur Abgrenzung von den normalen Brockenstuben häufig die Bezeichnung Brocante. (Quelle Wiki)

    Das klingt gemütlich, so eine „Stube„, und auch irgendwie wild romantisch, womöglich mit „Felsbrocken“ darin?
    Wir können „alle Brocken hinschmeissen„, wenn wir keine Lust mehr haben. Mitunter essen wir zu viele, dann wird es uns übel, und was wir dann unfreiwillig von uns geben müssen, wird auch „Kotz-Brocken“ genannt. Übrigens auch ein gängiges Kosewort für nette Bekannte in Deutschland.

  • Der Brocken ist ein Berg in Mitteldeutschland
  • Der Brocken ist für die „Mitteldeutschen“ der höchste Berg im Harz. Wer sind denn die „Mitteldeutschen„? Nun, das sind nicht etwa mittellose Deutsche, sondern die Deutschen, die den „Mitteldeutschen Rundfunk“ hören können. Es gibt nämlich für jede Himmelsrichtung in Deutschland eine eigene Sendeanstalt: Norddeutscher Rundfunk, Westdeutscher Rundfunk, Südwestdeutscher Rundfunk und… nein, einen Ostdeutschen-Rundfunk wurde nach Wegfall der DDR-Sendeanstalten aus geheimnisvollen geo-politischen Gründen nicht gegründet. Das ist heute der „Mitteldeutsche Rundfunk„, kurz MDR.

  • Die Brockenstube erfand ein Deutscher
  • Bei Wikipedia fanden wir die Herkunft die Geschichte der Brockenhaus-Idee erzählt:

    Der Name Brockenhaus geht auf ein Bibelzitat zurück, gemäss dem Jesus nach der wunderbaren Speisung der 5000 seinen Jüngern befiehlt: „Sammelt die übrig gebliebenen Brocken, damit nichts verloren gehe!“ (Johannes 6.12.). Der deutsche evangelische Theologen Friedrich von Bodelschwingh (1831–1910), Gründer der Bethelmission, schuf 1872 eine „Anstalt für Fallsüchtige“ (Epileptiker) und eröffnete eine Sammel- und Verkaufsstelle für gebrauchte Waren, deren Ertrag zur Finanzierung seines sozialen Werkes diente. Bei der Suche nach einem geeigneten Namen für seine Sammelstelle erinnerte er sich an die oben zitierte Bibelstelle und nannte sie „Brockenhaus“. Der Philanthrop J. Müller setzte diese Idee in Berlin in den 1890er Jahren auch zur Arbeitsbeschaffung um. In der Schweiz wurden Brockenhäuser ab ca. 1895 (andere Angabe: 1906), zunächst von der Heilsarmee, später auch von anderen Organisationen gegründet. Während die zahlreichen „Brockis“ in der Schweiz landestypische und populäre Einrichtungen darstellen, ist der Begriff in Deutschland heute praktisch unbekannt.
    (Quelle: Wikipedia)

    Friedrich von Bodelschwingh hatte die Idee, aber bekannt ist das Wort heute nur in der Schweiz.

  • Wir schenken sie einem armen Studenten aus Freiburg
  • Die Brockenstube in Bülach hat die Waschmaschine nicht abgeholt, die hätten wir schon selbst hintragen müssen. Doch es gab kommerzielle „second hand“ Händler, die mehr als zwei Hände haben und die Waschmaschine im Keller begucken kamen. „Keine Chance, die ist zu alt und unverkäuflich“, nur gegen Gebühr hätten wir sie entsorgen lassen können.

    Doch dann kam uns die rettende Idee. Eine Kleinanzeige in der Zeitung „Zypresse„, ein kostenlos verteiltes Kleinanzeigenblatt in der Studentenstadt Freiburg im Breisgau, lässt sich rasch und billig online über das Web schalten: „Miele Waschmaschine zu verschenken an Selbstabholer„. Zwei Tage und zwei Nächte stand das Telefon nicht still. Selbst die Mitteilung „Sie müssen aber 2 Stunden bis in die Schweiz fahren“ konnte nur wenige abschrecken. Nach nicht einmal 24 Stunden waren wir die Maschine los.

    Nie haben wir so deutlich das Wohlstandsgefälle an der Schweiz-EU Grenze gespürt wie bei dieser Aktion: Unsere Waschmaschine, die wir in der Schweiz nur mit Kosten entsorgt bekommen hätten, wurde uns von bedürftigen Freiburgern quasi aus den Händen gerissen.

    Was lernen wir daraus: Einfach eine „Zu Verschenken“ Annonce bei der Zypresse schalten, und schon sind Sie Ihren Kram los. Aber wer hat in der Schweiz schon eine Waschmaschine zu verschenken?

    Schweizerdeutsch für Fortgeschrittene (Teil 10) — Von Werwölfen und Werweissen

    März 28th, 2008

    (Reload vom 12.12.05)
    Wir lasen im November 2005 im Tages-Anzeigers:

    „Das Werweissen um die Reaktion der Swisscom auf die abrupte Strategieänderung des Bundes gefällt den Anlegern gar nicht“

    Schon früher lasen wir an gleicher Stelle:

    „Werweissen um abgestürztes Flugzeug“

    Nur wie das so ist: Einmal gelesen und schon wieder vergessen, was das mag heissen, das „Werweissen„? Hat es vielleicht was mit „Werwölfen“ zu tun? Oder mit der Pflanze „Wermut„, die man auch lecker trinken kann, dann natürlich als „Wermutstropfen„.
    Wermut wird auch Absinth genannt
    Wermut wird auch Absinth genannt und wurde als Alkohol verboten:

    Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde Absinth jedoch in fast allen europäischen Ländern verboten. Es wurde behauptet, Absinth verursache Absinthepilepsie und bei Absinthtrinkern sei ein verstärkter Hang zu Selbstmord und Wahnsinn zu beobachten. Konkreter Anlass für dieses Verbot war der sogenannte Absinthmord des Schweizers Jean Lanfray, der im Jahre 1905 nach dem Konsum einiger Flaschen Absinth in Kombination mit Wein, Creme de Menthe und Weinbrand seine Familie erschoss.
    Durch das Verbot wurde Absinth fast den Rauschdrogen gleichgestellt, wobei das im Wermutkraut enthaltene Neurotoxin „Thujon“ durchaus Drogencharakter haben kann, wie übrigens fast alle (Arznei-) Pflanzen. Deswegen sind heute nach der Aromenverordnung maximal 10 mg Thujon pro Liter Alkohol bei einem Alkoholgehalt über 25% erlaubt. Damals war teilweise die bis zu fünffache Menge in handelsüblichem Absinth enthalten. (Quelle)

    Ja, die Schweizer, wenn die mal zu viel trinken, erfolgt sofort ein Europa weites Alkoholverbot deswegen. Doch jetzt wissen wir immer noch nicht wer es weiss, also zurück zu unserem „Werweissen„:
    Ist ziemlich beliebt, dieses Wort, in der Schweiz, denn Google verzeichnet knapp 836 Fundstellen

    Wer weiss was „werweissen“ heisst? Der Duden, unser Standardwerk zu allen Fragen der Rechtschreibung, hilft wie immer weiter:

    werweissen“ = hin und her raten.

  • Ich werweisse, Du werweisst, er hat gewerweisst
  • Warum habe ich das nicht gewusst? Wollen wir zusammen werweissen, bis wann ich das wieder vergessen habe? Wer weiss …

    So ist das mit diesen total Deutsch klingenden Schweizer Ausdrücken: Man mag als Deutscher beim Hören oder Lesen einfach nicht zugeben, das man absolut keine Ahnung hat, wovon hier mal wieder die Rede ist. Schliesslich ist das doch auch Deutsch, also unsere Muttersprache. Warum verstehen wir es dann nicht?

    Train spotting via Internet — Schweizer Züge in Echtzeit beobachten

    März 27th, 2008
  • Sind Sie auch ein Spotter?
  • Wissen Sie, was man unter „train spotting“ versteht? Das hobbymässige Beobachten von Eisenbahnen, bekannt geworden durch den Roman „Trainspotting“ von Irvine Welsh (1993) und der Verfilmung von 1996 . Echte Spotter hocken den ganzen Tag am Gleis und streichen in dicken Büchern die Züge an, die sie mit eigenen Augen gesehen haben. Das kannten wir vom Flughafen Kloten, wo sich am Zaun der Landbahn bei guten Wetter die Kollegen zum „plane spotting“ treffen.

  • Ein Dienst für Terroristen?
  • Im Januar ging eine Website online , mit der man den Flugverkehr rund um Kloten online und in Echtzeit beobachten kann. Es dauerte einige Wochen, bis beim Schweizer Bundesamt für Zivilluftfahrt, knackig als „BAZL“ abgekürzt, die Erkenntnis heranreifte, dass diese Informationen eine prima Planungsgrundlage für terroristische Angriffe auf den Schweizer Flugverkehr bieten. In Folge wurden die Daten durch eine 15 Minuten Zeitschleife geschickt, wir sehen also heute nur noch, was vor 15 Minuten in der Luft geschah. Da kann der ambitionierte Terrorist im öffentlich zugängigen Wald nördlich des Klotener Flughafens seine frisch installierte transportable Flugabwehrrakete gleich wieder einpacken. Jetzt da er nur mit 15 Minuten Verspätung erfährt, wie das Flugzeug heisst, das er abschiessen wollte, ist sein Terroranschlag ja völlig unsinnig weil planlos und damit quasi undurchführbar geworden. Da hat das BAZL zum Glück mitgedacht.

  • Züge in Echtzeit
  • Nun gibt es was Neues, denn findige Informatiker haben das Konzept auf den Schweizer Zugverkehr übertragen. Hier wird aber nicht mit echten GPS-Postitionen gearbeitet, sondern die Positionen der Züge werden aus dem SBB Fahrplan errechnet. Da grundsätzlich alle Züge stets und immer pünktlich fahren in der Schweiz, gibt es so ein exaktes Abbild aller Zugbewegungen aus der Vogelperspektive. Hier ein Bild vom Gotthard bei Wassen. Die berühmten Kehrtunnel sind gut zu erkennen, der IR von Basel nach Locarno schnauft mit 69 KM/h den Gotthard bergan:

    Kehrtunnel von Wassen
    (Quelle: Swisstrains.ch)

    Klickt man einen Zug an, kann man ihm „folgen“ (Schweizerdeutsch „follow“) und so eine Luftreise per Google-Maps durch die Schweiz antreten. Macht grossen Spass, dieses „Züge Gucken“. Und aus dem Haus gehen braucht man dafür nun auch nicht mehr. Wenn Sie also demnächst mal im Zug reisen und aus dem Fenster nach oben gucken, vergessen Sie nicht kräftig zu winken. Big Brother is watching!

    Denkt an Frankfurt 1956 !!! — Schweiz vs. Deutschland heute Abend

    März 26th, 2008
  • Hauptsache Deutschland verliert
  • Heute Abend ist es mal wieder soweit: Die Deutsche Nationalelf spielt gegen eine ausländische Mannschaft. Die Schweizer Zuschauer drücken dann, wie immer bei solchen Anlässen, beide Daumen für die gegnerische Mannschaft des „grossen Bruders“. Diesmal lohnt es sich besonders, genau hinzugucken, denn egal wie es ausgeht, der Verdienst ist schweizerisch. Der deutsche Trainer Joachim Löw hat schliesslich 1989 bis 1992 in der Schweiz beim FC Schaffhausen und danach zwei Jahre beim FC Winterthur gespielt. Später trainierte er die D-Jugend beim FC Winterthur. Es ist also kaum vermessen zu behaupten, dass alles was dieser Mann kann und weiss, er garantiert in der Schweiz gelernt hat.

  • Der Spiegel sieht das anders
  • Heute Abend wird sich das zeigen, egal was passiert, die Schweiz wird daran Schuld sein Anteil haben. Der Spiegel schreibt:

    Wie im Alltag, so auf dem Spielfeld: Die Schweizer ergeben sich den heranpolternden Deutschen – und genießen gerade deshalb ihre zivilisatorische Überlegenheit. Auch im Länderspiel am Mittwoch ist eine Niederlage eingeplant. Für den Sommer allerdings wird eine Sensation herbeigerechnet.
    (Quelle: Spiegel-Online 25.03.08)

    Welche „heranpoltenden Deutschen“ können da gemeint sein? Die kommen ganz sittsam mit dem UmzugsZügelwagen bei Tageslicht über die Grenze, bzw. sind schon da. Aber eins stimmt: Rechnen können die Schweizer wirklich gut. Besonders in Wahrscheinlichkeitsrechnung sind sie stark, wahrscheinlich.

  • Remember Frankfurt!
  • In Amerika pflegt man mit dem Ruf „Remember the Alamo!“ an ein bedeutendes historisches Geschehen erinnern, nämlich der Schlacht von Alamo 1836. Wir möchten in gleicher Weise den Schweizer zurufen: „Remember Frankfurtm 1956!„. Doch wer weiss noch etwas über den historischen 1:3 Sieg der Schweizer Nati im November 1956 in Frankfurt am Main? Diese Partie fand zwei Jahre nach dem „Wunder von Bern“ statt, als Deutschland in der Schweiz gegen Ungarn den Weltmeistertitel holte. An das Wunder von Bern erinnert ein Spielfilm, an das Wunder von Frankfurt erinnert sich niemand. Zwei Jahre sind jetzt nach der letzten WM wieder ins Land gegangen, die Schweizer werden an diese Gesetzmässigkeit anzuknüpfen wissen. Es ist Zeit für einen Sieg der Schweizer! Heidis negative Erinnerungen an Frankfurt sind dann als zusätzliches nationales Trauma entgültig überwunden.

    Doch der Spiegel ist skeptisch. Er teilt unsere optimistische Zuversicht nicht, sondern schreibt:

    Niederlagen gegen Deutschland erzeugen in der Schweiz jedoch nicht nur Missvergnügen. Im Gegenteil, etwas an ihnen erscheint produktiv, geradezu notwendig, um das über Jahrzehnte geformte Deutschen-Bild abzurunden: Im Fußball gewinnen Deutsche gegen Schweizer, genauso wie sie sich als Touristen durch Lautstärke und in der Arbeitswelt durch Ellenbogenmentalität hervortun. (…)

    Tief im Inneren eint viele Eidgenossen das Gefühl, gerade im Vergleich zu Deutschland die beste aller möglichen Welten zu bewohnen, und gerade die massenhafte Einwanderung aus dem Norden scheint jene Betrachtungsweise zu bestätigen. Die periodischen Niederlagen gegen deutsche Mannschaften haben in diesem Zusammenhang einen zweischneidigen, für die Schweizer Psyche insgesamt aber positiven Effekt. Zwar ärgert man sich zunächst über abermals erfolgreiche Deutsche, doch bereits im nächsten Moment weiß man sich mit der Gewissheit zu trösten, dass Fußball eben gerade in wirtschaftlich und zivilisatorisch unterentwickelten Gegenden gedeiht – und zu denen zählt man sich selbst gewiss nicht.
    (Quelle: Spiegel-Online 25.03.08)

    Das Schlimmste was also heute Abend passieren kann, ist ein Sieg der Schweizer:

    Ein Sieg der Schweizer gegen Deutschland würde beide Länder in tiefe Verwirrung und möglicherweise eine Identitätskrise stürzen. Allerdings – und das mag letztlich nördlich und südlich des Rheins beruhigen – ist die Wahrscheinlichkeit gering.

    Damit das nicht passiert denken wir alle fest an Frankfurt 1956 und freuen uns auf ein freundschaftliches Spiel. Und wenn die Deutschen am Abend zurück in ihre „wirtschaftlich und zivilisatorisch unterentwickelten Gegenden“ fahren, dann werden die Schweizer in Basel am Strassenrand stehen und winken. Man sieht sich ja im Sommer wieder, laut Berechnung der UBS im Viertelfinale:

    Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft, so berechneten Analysten der Großbank UBS auf Grundlage der bisherigen Europameisterschaftsergebnisse sowie des Marktwertes der Spieler, werde bei der EM schon im Viertelfinale die Segel streichen. Und zwar, wie man genüsslich hinzufügte, nach einer Niederlage gegen die Schweizer „Nati“!
    (Quelle: Spiegel-Online 25.03.08)

    Feiern nur wenn die Schweiz gewinnt — Die Schweiz im EURO 08 Fieber

    März 25th, 2008
  • Die Sperrungen für die Fanmeile in Zürich
  • In weniger als 74 Tagen startet in Österreich die Euro 08. Das ist eine Fussballmeisterschaft, für die Fans aus ganz Europa anreisen werden, um ihre Mannschaften zu unterstützen. Ach ja, in der Schweiz findet sie übrigens auch statt. Auch wenn manche Schweizer das noch nicht so recht einsehen bzw. die damit verbundenen Bewegungseinschränkungen gerichtlich verhindern möchten. So lasen wir im Tagi vom 22.03.08:

    Wir befinden uns am Tag 77 vor der Euro. Ganz Zürich ist von den Fussballfans besetzt. Ganz Zürich? Nein! Ein von unbeugsamen Gewerblern bevölkertes Quartier hört nicht auf, der Fanzone Widerstand zu leisten. Nicht mit Fäusten und Zaubertrank wie Asterix und Obelix, sondern mit juristischen Mitteln kämpfen der Gewerbeverein Seefeld und seine 18 Verbündeten. Und nicht gegen die Euro streiten sie, sondern nur gegen die Sperrung der Verkehrsachsen rund ums Seebecken an allen 20 Spieltagen der Europameisterschaft.
    (Quelle: Tagesanzeiger 22.03.08)

    Schliesslich interessiert sich ja nicht jeder für Fussball, und während draussen in der Fanzone gegrölt und gefeiert wird, will vielleicht auch eine Kundin ihren Coiffeur-Termin wahrnehmen wie immer direkt vor dem Geschäft parken, bzw. parkieren. Man merkt, die Zürcher freuen sich schon wie narrisch auf dieses sportliche Grossereignis. Noch unklar ist, ob auch die Polizeistunde aufgehoben werden soll. Dazu gab es zwei Meinungen von Ruth Genner (Grüne) und Mauro Tuena (SVP) im Tagi-Talk zu lesen:

    Frau Genner, im Fragebogen des «Tages-Anzeigers» haben Sie sich letzte Woche für eine Aufhebung der Polizeistunde während der Euro 08 ausgesprochen. Glauben Sie, die Einwohnerinnen und Einwohner der Stadt Zürich würden das goutieren?
    Genner: Ich gehe nicht davon aus, dass die Polizeistunde während der ganzen Euro 08 aufgehoben sein wird, wohl aber an Tagen, an denen in Zürich gespielt wird. Das wird die Bevölkerung verstehen.
    Moderator: Herr Tuena, Sie wollen die Polizeistunde nur bei einem Schweizer Sieg aufheben. Warum diese Lustfeindlichkeit?
    Tuena: Auch während der Euro 08 muss gewährleistet sein, dass das «normale» Leben in Zürich stattfinden kann. Es gibt viele Leute, die auch während dieser Euro 08 arbeiten. Man darf all diese Menschen nicht vergessen.
    (Quelle: Tages-Anzeiger vom 20.03.08, S. 17)

  • Verliert die Schweiz, dann gilt die Nachtruhe ab Mitternacht
  • So muss man sich das, was Herr Tuena von der SVP da vorschlägt, praktisch vorstellen? Wenn die Schweizer gewinnen, dann darf man in Zürich feiern bis in die Puppen, also auch nach Mitternacht noch. Verlieren sie hingegen, dann werden die Fans der gegnerischen Mannschaft höflich aufgefordert, doch bitte um 23:59 Uhr ihre Quartiere aufzusuchen und die Nachtruhe einzuhalten. Es gibt schliesslich auch viele Leute, die während dieser Euro 08 arbeiten. Falls also die Tschechen, Türken oder Portugiesen gewinnen sollten, dann bitte „liislig“ sein auf der Strasse, Autokorso nur mit Lichthupe wenn möglich.

  • Wenn die Nacht frei hat
  • In Zürich gilt laut Webseite der Stadtpolizei:

    Durch das Kantonale Gastgewerbegesetz wird vorgeschrieben, dass Gastwirtschaftbetriebe in der Zeit von 2400 bis 0500 Uhr geschlossen sein müssen. Den Gemeinden wird eingeräumt, dass sie Ausnahmen bewilligen können. In der Stadt Zürich sind die öffentlichen Freinächte pro Betrieb und Jahr auf 12 Anlässe beschränkt. Für geschlossene Veranstaltungen besteht kein Kontingent. Öffentliche Freinächte und geschlossene Veranstaltungen sind bewilligungspflichtig. Das Gesuch ist grundsätzlich vor dem Anlass zu stellen.
    (Quelle: stadt-zuerich.ch)

    Ob die Uhrzeit, so wie aus amerikanischen Armeefilmen bekannt, in Zürich auch als „Null-Fünfhundert“ gelesen werden muss? Dass Nächte manchmal frei haben in der Schweiz, noch dazu ganz öffentlich hatten wir bereits hier erläutert. Maximal 12 Nächte können bewilligt werden? Sollte doch reichen bis zum Halbfinale, oder nicht?