Wohin mit dem Reichtum? —Wie die Schweizer ihre Brocken wieder los werden
(reload vom 14.12.05)
In unserer letzten Wohnung in Deutschland besassen wir eine Küche, also Hängeschränke (keine Kästen), Kühlschrank, Herd und Spülmaschine, sowie Unterbauschränke. Eine Küche legt man sich entweder komplett zu, wenn man genug Kohle hat, und lässt sie von einem professionellen Schreiner einbauen, oder man kauft sich Stück für Stück bei Media Markt und Ikea zusammen und versucht selbst sein Glück.
Mit einer eigenen Küche umzuziehen ist ein grosser Spass und eine besondere Herausforderung für jeden Deutschen. Die fein eingepasste Arbeitsplatte muss demontiert, zersägt und am Zielort mit viel Heisskleber und Spachtelmasse wieder ansehnlich verbaut werden. Raten sie mal, warum soviel Deutsche eine Stichsäge besitzen: Genau, um die Arbeitsplatte zusägen zu können. Nach 2 bis 3 Umzügen besteht sie praktisch nur noch aus Einzelstücken. Beim Umzug sind 2 Tage allein für den Küchenab- und -aufbau zu veranschlagen.
Unsere letzte Küche wollten wir unseren Nachmietern überlassen, doch leider hatten die schon eine eigene, mit hellem Holz und roten Herzchenmustern, die sie natürlich gleich einbauen wollten. Also wohin mit der Küche?
Früher gab es dafür zwei Mal pro Jahr den „Sperrmüll-Tag„. Einen Tag, an dem man alles auf die Strasse zur Abholung durch die Müllabfuhr stellen konnte. Böse Zungen behaupten, „Sperrmüll“ sei nach Ramadan und Winterschlussverkauf der drittwichtigste Feiertag für die Türken in Freiburg. Aber das stimmt nicht: Sperrmüll war auch für die Deutschen immer so etwas wie ein Volksfest, denn die Leute stellten ihre Sachen schon am Abend zuvor auf die Strasse, man konnte sich mit etwas Glück eine ganze Einrichtung zusammenstellen, oder kultige Fundstücke für den nächsten Flohmarkt entdecken. Professionelle Trödelhändler aus dem benachbarten Elsass kamen an diesen Abenden mit Lieferwagen ins Breisgau zur Schatzsuche.
Dann wurde die Sperrmüllabfuhr per Postkarte eingeführt, also nur noch „on demand“. Für eilige Fälle gibt es nun den „Recyclinghof„, eine städtische Einrichtung für gebrauchte Möbel. Dorthin kann man auf eigene Kosten seine alten Sachen transportieren, und schon am Eingang lauern wie die Geier „Interessierte„, die ihnen alte Radios und TV-Geräte gleich von der Ladefläche entsorgen helfen, um sie später weiter zu verkaufen.
Auf dem Recyclinghof werden Arbeitslose beschäftigt, die Sachen zu ordnen oder sie auch bei Ihnen zu Hause abzuholen, natürlich kostenlos. So wurden wir unsere Küche los. Bis auf die gute Miele-Waschmaschinen, die war teuer, also nahmen wir sie — dummer Weise — mit in die Schweiz.
Da diese Maschine nicht ins Schweizer Norm-Badezimmer passte (mit der 59 cm breiten Tür), kam sie in den Keller.
So dreist, sie einfach in die Gemeinschaftswaschküche zu stellen, waren wir dann doch nicht, ausserdem war auch dort kein Platz mehr. Fünf Jahre moderte sie vor sich hin, dann sollte sie fort, um Platz zu schaffen. Doch wohin mit einer Waschmaschine in der Schweiz?
Die Schweizer hatten lange keine „Recyclinghof„, jedenfalls konnten wir damals keinen finden. Wozu auch, denn hier gibt es ja die „Brockenstuben„.
Brockenstube (auch Brockenhaus oder Brocki) ist die Schweizer Bezeichnung für einen Gebrauchtwarenladen, Secondhand-Laden oder auch Ramschladen, in welchen man (für einige Menschen) wertlose, ausgediente Gegenstände finden und für wenig Geld erwerben kann.
Brockenstuben werden meistens von gemeinnützigen Organisationen (Blaues Kreuz, Heilsarmee, Frauenverein, Kinderkrippe etc.) betrieben, welche mit den erwirtschafteten Einnahmen karitative Projekte unterstützen oder ihre Auslagen decken. Professionelle Antiquitätenhändler verwenden zur Abgrenzung von den normalen Brockenstuben häufig die Bezeichnung Brocante. (Quelle Wiki)
Das klingt gemütlich, so eine „Stube„, und auch irgendwie wild romantisch, womöglich mit „Felsbrocken“ darin?
Wir können „alle Brocken hinschmeissen„, wenn wir keine Lust mehr haben. Mitunter essen wir zu viele, dann wird es uns übel, und was wir dann unfreiwillig von uns geben müssen, wird auch „Kotz-Brocken“ genannt. Übrigens auch ein gängiges Kosewort für nette Bekannte in Deutschland.
Der Brocken ist für die „Mitteldeutschen“ der höchste Berg im Harz. Wer sind denn die „Mitteldeutschen„? Nun, das sind nicht etwa mittellose Deutsche, sondern die Deutschen, die den „Mitteldeutschen Rundfunk“ hören können. Es gibt nämlich für jede Himmelsrichtung in Deutschland eine eigene Sendeanstalt: Norddeutscher Rundfunk, Westdeutscher Rundfunk, Südwestdeutscher Rundfunk und… nein, einen Ostdeutschen-Rundfunk wurde nach Wegfall der DDR-Sendeanstalten aus geheimnisvollen geo-politischen Gründen nicht gegründet. Das ist heute der „Mitteldeutsche Rundfunk„, kurz MDR.
Bei Wikipedia fanden wir die Herkunft die Geschichte der Brockenhaus-Idee erzählt:
Der Name Brockenhaus geht auf ein Bibelzitat zurück, gemäss dem Jesus nach der wunderbaren Speisung der 5000 seinen Jüngern befiehlt: „Sammelt die übrig gebliebenen Brocken, damit nichts verloren gehe!“ (Johannes 6.12.). Der deutsche evangelische Theologen Friedrich von Bodelschwingh (1831–1910), Gründer der Bethelmission, schuf 1872 eine „Anstalt für Fallsüchtige“ (Epileptiker) und eröffnete eine Sammel- und Verkaufsstelle für gebrauchte Waren, deren Ertrag zur Finanzierung seines sozialen Werkes diente. Bei der Suche nach einem geeigneten Namen für seine Sammelstelle erinnerte er sich an die oben zitierte Bibelstelle und nannte sie „Brockenhaus“. Der Philanthrop J. Müller setzte diese Idee in Berlin in den 1890er Jahren auch zur Arbeitsbeschaffung um. In der Schweiz wurden Brockenhäuser ab ca. 1895 (andere Angabe: 1906), zunächst von der Heilsarmee, später auch von anderen Organisationen gegründet. Während die zahlreichen „Brockis“ in der Schweiz landestypische und populäre Einrichtungen darstellen, ist der Begriff in Deutschland heute praktisch unbekannt.
(Quelle: Wikipedia)
Friedrich von Bodelschwingh hatte die Idee, aber bekannt ist das Wort heute nur in der Schweiz.
Die Brockenstube in Bülach hat die Waschmaschine nicht abgeholt, die hätten wir schon selbst hintragen müssen. Doch es gab kommerzielle „second hand“ Händler, die mehr als zwei Hände haben und die Waschmaschine im Keller begucken kamen. „Keine Chance, die ist zu alt und unverkäuflich“, nur gegen Gebühr hätten wir sie entsorgen lassen können.
Doch dann kam uns die rettende Idee. Eine Kleinanzeige in der Zeitung „Zypresse„, ein kostenlos verteiltes Kleinanzeigenblatt in der Studentenstadt Freiburg im Breisgau, lässt sich rasch und billig online über das Web schalten: „Miele Waschmaschine zu verschenken an Selbstabholer„. Zwei Tage und zwei Nächte stand das Telefon nicht still. Selbst die Mitteilung „Sie müssen aber 2 Stunden bis in die Schweiz fahren“ konnte nur wenige abschrecken. Nach nicht einmal 24 Stunden waren wir die Maschine los.
Nie haben wir so deutlich das Wohlstandsgefälle an der Schweiz-EU Grenze gespürt wie bei dieser Aktion: Unsere Waschmaschine, die wir in der Schweiz nur mit Kosten entsorgt bekommen hätten, wurde uns von bedürftigen Freiburgern quasi aus den Händen gerissen.
Was lernen wir daraus: Einfach eine „Zu Verschenken“ Annonce bei der Zypresse schalten, und schon sind Sie Ihren Kram los. Aber wer hat in der Schweiz schon eine Waschmaschine zu verschenken?
März 31st, 2008 at 2:19
Oh mein Gott. Die Schweiz soll keinen Recyclinghof haben? Was ist den bei euch bei der Immigration schief gelaufen? So schlimm kann es mit dem Deutsch der Schweizer nicht sein, dass man als Deutsche nicht herausbekommt wo man mit dem Sperrgut hin soll. Und das Anschlagbrett bei jedem Migros habt ihr wohl leider auch noch nie beachtet?
[Anmerkung Admin: Es ging nicht um „Recycling“, sondern um die Frage: „Wer möchte eine noch gut funktionierende Waschmaschine haben und ist bereit sie selbst abzuholen?“. Dieser Bedarf existiert in der Schweiz quasi nicht, weil es in allen Wohnungen die gemeinsame Waschküche gibt bzw. die alten Häuser so gebaut sind, dass keine in das Bad passt, ausser eine besonders schmale. Wir haben sie dem Brocki angeboten, und einem Profi-Abholer, und beide wollten sie nicht. ]
März 31st, 2008 at 6:35
Tatsächlich, beim zweiten mal lesen liesst sich das mit dem Recyclinghof etwas anders. Aber eben, das Anschlagbrett bei jeder Migros (und zB auch im Glattzentrum) war vor dem Internet und eBay der Tauschplatz. Dann gab es noch die gelbe Zeitung mit den Gratis Inseraten von der ich aber den Titel nun nicht mehr weiss.
Wie auch immer, ihr seit ja nun die Maschine los geworden.
[Anmerkung Admin: Wir hätte die Maschine seit 2005 kostenlos entsorgen können, einfach zum nächsten FUST tragen. Doch die war ja noch tipp-topp in Ordnung und funktionsfähig. ]
März 31st, 2008 at 8:46
En Suisse, dans un appartement en location, il n’est pas permis d’installer une machine à laver le linge sans l’autorisation préalable du propriétaire ou du gérant de l’immeuble.
[Anmerkung Admin: Auch glaube aber kaum, dass die Besitzer von „Mini-Maschinen“, die in der Schweiz verkauft und im Badezimmer betrieben werden, sich dafür eine Genehmigung einholen müssen. ]
März 31st, 2008 at 10:11
Salve
Aber meines Wissens vom Vermieter, je nachdem wie das Wasser abgerechnet wird.
März 31st, 2008 at 10:11
@ Adrian
Die gelbe Zeitung heisst Fundgrube und ist gratis an jedem Kiosk.
Da wird man alles los. Selbst Haustiere.
März 31st, 2008 at 12:10
Meine Stichsäge habe ich mir auch zum Sägen einer Arbeitsplatte gekauft. Aber warum muss die Platte beim Auszug zersägt werden? Schließlich ist sie ja auch in einem Stück ins Haus gekommen, oder nicht? Im Eckbereich habe ich meine Platte(n) übrigens nicht geklebt, sondern nur lose aufgelegt und mit dafür konstruierten Schienen miteinander fixiert. Es hält und sieht auch recht ordentlich aus.
Die Brockensammlung ist im Bielefelder Raum auch heute noch eine Institution, weshalb dieser Begriff dort nach wie vor völlig üblich und gebräuchlich ist. Dass er im übrigen Deutschland nahezu unbekannt ist hat mich erstaunt.
März 31st, 2008 at 12:23
@admin: Wenn du einen Mietvertrag unterschrieben hast, in dem das Betreiben von Waschmaschinen in der Wohnung verboten wird, so kannst du zwar trotzdem eine anschaffen und verwenden, nur lass dich nicht erwischen. Die Genehmigung des Vermieters einholen ist der sicherere Weg. Insbesondere bei Wasserschäden kann das sonst teuer werden.
März 31st, 2008 at 15:56
Brocken, sind ja eigentlich etwas Abgebrochenes, da sie in Verwandtschaft zu brechen (Brot – Brocken) stehen. Da gehört dann eine Tipp-Topp Waschmaschine ja auch eigentlich nicht in das Brockenhaus.
Mal ehrlich: Ewig dieses Küchen-, Waschmaschinen- und Tumbler- Gekaufe und Verkaufe ist ja schon nervig. Bei den Elektrogeräten hat man jedoch keinen Einfluss auf die „Umweltverträglichkeit“, das heisst heute glaube ich Energieeffizienz.
@ Ostwestfale
Dass die Brockensammlung im Bielefelder Raum noch eine „Instution“ ist, dürfte an der Instution der Friedrich von Bodelschwinghschen Anstalten liegen, der Klinik Bethel.
Mit einer Stichsäge? nur lose aufgelegt? Was sollen die Schweizer hier von uns denken. Die Ecke wurde bei uns immer schön mit der Tauchsäge auf Gehrung gesägt. Alles wurde fein sauber verleimt. Das schafft dann einen gewissen Anspruch an die Ausführung des Handwerks, den hier schon mancher etwas entnervt entgegen nehmen durfte. 😉
März 31st, 2008 at 19:54
@neuromat
wg. Brocksensammlung in Bodelschwinghschen Anstalten
Ja, genau so ist es.
>Mit einer Stichsäge? nur lose aufgelegt?
He, he. Wie gesagt, von oben sieht es mit den Schienen tiptop aus. Da die Platten exakt passen und auch unter seitlichem Druck stehen wackelt da auch nix. Und die Demontage geht dann auch wieder ruck, zuck.
Und letztendlich, Du weißt ja:
Nur was geleimt ist geht aus dem Leim! 😉
März 31st, 2008 at 23:36
Neben der „Fundgrube“ scheint auch die „Tierwelt“ eine Allerwelts-Inseriermöglichkeit zu sein (beide am Kiosk erhältlich. In der „Tierwelt“ wurden ursprünglich nur Kleintiere und Zubehör feilgeboten, unterdessen aber ziemlich alles. Das machte das Heft zu einem der auflagestärksten Titel der Schweiz!
April 1st, 2008 at 0:15
@Brun(o)egg: Bingo, die Fundgruebe. Ich meinte aber es ist umgekehrt, die Inserate sind gratis und das Heft kostet etwas am Kiosk. Zumindestens ist das wirtschaftlicher fuer die Kioskbetreiber.
April 1st, 2008 at 2:26
Der Brocken ist in Deutschland ein Berg..wie ich feststellte vom wetter her sehr unberechenbar..aber es ist der deutschste Berg schliesslich war ja auch der Autor unseres Wilhelm Tells schon dort oben!!
ist aber trotzdem schön auf dem „Brocken“
April 2nd, 2008 at 12:35
Auch im südniedersächsischen Göttingen gibt es eine Brockensammlung. Ich dachte immer, der Name rührt irgendwie von dem Berg her, schliesslich ist es von Göttingen in den Harz nur ein Katzensprung. Als ich dan in die Schweiz kam, war ich erstaunt, dass die Schweizer auch alle ihre Gebrauchtwarenhäuser nach dem mitteldeutschen Berg benannten… 😉
April 3rd, 2008 at 23:02
Ich hatte dummerweise auch meine Waschmaschine mitgenommen und kann die Erfahrungen bestätigen. Hier wollte die niemand haben, bis sie mir von Bekannten aus Deutschland begeistert abgenommen wurde.
April 7th, 2008 at 21:05
ich würde mal unter dem franz. Wort „brocante“ nachschauen. Woher dieses wiederum herkommt, weiss ich nicht.
April 7th, 2008 at 21:08
kommt davon, wenn man nicht alles von Anfang an liest, gäu
April 10th, 2008 at 15:29
Aber natürlich gab es nach der Wende den Ostdeutschen Rundfunk, genauer den Ostdeutschen Rundfunk Brandenburg (ORB), der inzwischen mit dem SFB zum Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) zusammengelegt wurde.
Siehe auch http://de.wikipedia.org/wiki/Ostdeutscher_Rundfunk_Brandenburg