Charles Linsmayer und Franz Hohler zur Schweizer Diglossie

Dezember 6th, 2007
  • Franz Hohler bringt es auf den Punkt
  • Charles Linsmayer erhielt am 21.09.07 den „Deutschen Sprachpreis“ und zitierte in seiner Dankesrede ein wunderbares Gedicht von Franz Hohler, unserem Schweizer Lieblings-Sprach-Virtuosen, bekannt durch den Roman „Der neue Berg“ und das auf Berndeutsch, Rätoromanisch und Französisch geschriebene „Totenmügerli“ (vgl. Blogwiese)

    Oh Deutsch
    das du gleichermassen
    Dichtung, Bürokratie und Wahnsinn
    Auszudrücken imstande bist
    ich gehöre zu deinen Bewunderern
    und Benutzern
    und erfreue mich immer wieder an dir
    deinem Wohlklang
    der weisse Nebel wunderbar
    und deiner Schärfe
    Erkenntnis beginnt mit Erfahrung
    und der unbeschränkten
    Paarungsfähigkeit deiner Wörter
    Häusermeer und Ölbaumzweig
    doch manchmal
    vermisse ich einfach
    ein paar Ausdrücke
    manchmal
    hock i lieber ab
    als dass ich mich setze
    und kaue lieber am Rauft
    statt an der Rinde
    und ziehe Cervelats brötle
    dem Grillen von Würsten vor
    und prägleti Nüdeli dunke mi besser
    als gebrannte Nudeln
    und pfludrig und pflotsch
    ist nasser als matschig und Matsch
    und e Göiss
    sticht schärfer ins Ohr
    als ein Schrei
    und wäni chüschele
    musst du genauer hinhören
    als wenn ich flüstere… »
    (Quelle: Franz Hohler, Teilwiedergabe von «An die deutsche Sprache», aus «Vom richtigen Gebrauch der Zeit», Sammlung Luchterhand 62083, Luchterhand-Verlag, München 2006 )

    Er führt dann in seiner Rede aus:

    So selbstverständlich wie Franz Hohler, beim eben Gehörten handelt es sich um sein Gedicht “An die deutsche Sprache”, für den das Hochdeutsche oben im Palast unbestritten seine Position wahrt, während im Parterre der Dialekt für Nähe und Geborgenheit sorgt – so souverän, gelassen und humorvoll stehen der spezifischen Deutschschweizer Sprachsituation nicht alle Betroffenen gegenüber.

    Wie wahr! Dialekt ist fürs Gefühl, und im kalten Hochdeutsch herrscht die Ratio, der Befehlston, aber niemals die Gemütlichkeit, sagen viele Schweizer.

    Der in den elektronischen Medien und in der SMS-und Mail Kommunikation von Jugendlichen immer weiter um sich greifende Dialekt isoliere die Schweiz zunehmend von den anderen deutschsprachigen Ländern, kann man hören. Er schwäche den Zusammenhalt mit den romanischen Landesteilen und erschwere den weiteren Spracherwerb. Was sich nicht bestreiten lässt: bei der letzten Volkszählung im Jahre 2000 gaben 66 Prozent der befragten deutschsprachigen Schweizer zu Protokoll, kein Hochdeutsch sprechen zu können: eine Amts–und Schriftsprache, zu der ihnen die persönliche Beziehung fehlt, in der sie sich unsicher und gehemmt fühlen und in der sie eine von Schule und Staat verordnete Fremdsprache sehen, die zu beherrschen angesichts des um sich greifenden, international kompatiblen Englisch scheinbar sinnlos ist.

  • Verwechselten die vielleicht Hochdeutsch mit Schriftdeutsch?
  • Bereits vor sieben Jahren soll diese Umfrage durchgeführt worden sein? So alt ist die These von der „Hollandisierung“, der schleichenden sprachlichen Isolierung der Schweiz von den anderen deutschsprachigen Ländern. Aber haben tatsächlich 66 Prozent aller deutschprachigen Schweizer von sich gesagt, sie könnten kein Hochdeutsch sprechen? Ist das nun typisch schweizerisches „understatement“, auch als „Bescheidenheit-Topos“ bekannt, oder war es nur ein Missverständnis, und der Antwortsatz eines befragten Schweizers ging so weiter: „… ich spreche kein Hochdeutsch, aber Schriftdeutsch!“.

    Das Totemügerli — Die Schweizer Aufnahmeprüfung

    Dezember 5th, 2007
  • Eine 40 Jahre alte berndeutsche Geschichte
  • Jetzt läuft die Blogwiese schon im dritten Jahr, und ich habe es bis jetzt tatsächlich versäumt, das wichtigste Hörstück Schweizer Dialekt-Akrobatik zu besprechen. Die Rede ist vom „Totemügerli“, dem klassischen Prüfungstest für jedes Swissness-Abitur jede Swissness-Matura.

  • Per Klick bezahlen
  • Wenn Sie es anhören möchten, dann klicken Sie auf die kleine (1.4 MB) oder grosse (5.5 MB) Version auf dieser Seite. Damit Franz Hohler für sein geniales Stück bezahlt werden kann, dürfen sie auch kurz die AdSense Werbung dort betrachten oder anklicken. Dafür bekommt der Site-Betreiber dann ein paar Rappen, mit denen er wiederum die Tantieme an Herrn Hohler bezahlt.

  • Das gehört in die Standortbestimmung!
  • Falls Sie das Stück noch nie gehört haben, dann sind Sie entweder noch nicht lange in der Schweiz, oder man hat sie noch nicht vor diese schwierige „Berndütsch“ Hörprobe gestellt. Wer den ganze Text Fehler- und Akzentfrei aufsagen kann, dem winkt in der Schweiz eine beschleunigte Einbürgerung! Dem wird auch die „Standortbestimmung“ erlassen, jenem 250 Franken teuren Test zum Beweis der Schweizerdeutschen Sprachkompetenz (vgl. Flup ist Schweizer). Wir erlauben uns aus dem bei hucky.org abgedruckten Text, den Anfang zu zitieren:

    Der Schöppelimunggi u der Houderebäseler si einischt schpät am Abe, wo scho der Schibützu durs Gochlimoos pfoderet het, über s Batzmättere Heigisch im Erpfetli zueglüffe u hei nang na gschtigelet u gschigöggelet, das me z Gotts Bäri hätt chönne meine, si sige nanger scheich. „Na ei so schlöözige Blotzbänggu am Fläre, u i verminggle der s Bätzi, dass d Oschterpföteler ghörsch zawanggle!“
    „Drby wärsch froh, hättsch en einzige nuesige Schiggeler uf em Lugipfupf!“ U so isch das hin u härgange wie nes Färegschäderli amene Milchgröözi, da seit plözlech Houderebäseler zu Schöppelimunggi: „Schtill! Was ziberlet dert näbem Tobelöhli z grachtige n uuf u aab?“ Schöppelimunggi het gschläfzet wie ne Gitzeler u hets du o gseh. Es Totemüggerli! U nid numen eis, nei, zwöi, drü, vier, füüf, es ganzes Schoossingong voll si da desumegschläberlet u hei zängpinggerlet u globofzgerlet u gschanghangizigerlifisionööggelet, das es eim richtig agschnäggelet het. Schöppelimunggi u Houderebäseler hei nang nume zuegmutzet u hei ganz hingerbyggelig wöllen abschöberle. Aber chuum hei si der Awang ytröölet, gröözet es Totemüggerli: „Heee, dir zweee!“ (…)
    (Quelle: Hucky.org)

    Franz Hohler schrieb mit diesem Text, den er übrigens in ähnlicher Form auch in fantasievollem Französisch (absolut unverständlich) und auf Rätoromanisch veröffentlichte, Schweizer Literaturgeschichte. Sie haben nichts oder fast nichts verstanden, wissen aber trotzdem so ungefähr, um was es geht? Sie können beruhigt sein, da sind sie nicht allein auf der Welt. Das vermeintliche Berndeutsch, was sie hier hören, ist erfunden. Wir lesen über die Geschichte bei Wikipedia:

    Sie besteht zum grössten Teil aus erfundenen Wörtern, die alle sehr berndeutsch klingen. Deshalb kann man sich beim Anhören eine komplette Geschichte vorstellen. Es handelt sich um ein Beispiel eines Gromolo, einer Erzählung in einer Kunst- oder Phantasiesprache. Die Geschichte entstand 1967, als Teil von Hohlers Programm „Die Sparharfe“.
    (Quelle: Wikipedia)

    Darum erstaunt es mich um so mehr, wie überhaupt genaue Übersetzungen dieses Textes möglich sein sollen. Hier ein Versuch aus dem Jahr 2002 von Cordula Schuwey: Seelenaussauger.

  • Erst die Glocke, dann das Totenmügerli
  • Üben Sie fleissig weiter diesen Text auswendig, in Bern und anderswo wird man Sie in geselliger Runde hochleben lassen, wenn Sie den Text, gleich nach Schillers Glocke oder Goethes Mailied, lässig vorgetragen haben.

    Wer glaubt schon, dass Deutschland Europameister wird?

    Dezember 4th, 2007
  • Auslosung der Gruppen-Gegner für die EM 2008
  • Am vergangenen Sonntag war die Auslosung für die Gruppenspiele bei der EM 2008 in Österreich und in der Schweiz. Deutschland muss gegen Österreich, Polen und Kroatien antreten. Ganz klarer Fall von „Losglück“, aber das sind wir ja von der letzten WM in Deutschland gewohnt. Wenn irgendwas gut klappt, ist das bei der Deutschen Mannschaft stets und ausschliesslich auf „Glück“ zurückzuführen. Spiegel-Online startete sofort eine Umfrage:

    Spiegel Umfrage

    Wer daran teilnahm, konnte unmittelbar nach der Abstimmung das Ergebnis dieser absolut nicht repräsentativen Umfrage ablesen. Und jetzt raten Sie mal, wer für 45% aller Stimmenden gute Chancen auf den EM-Titel 2008 hat? So jedenfalls sah das Ergebnis um 17:43 Uhr am Sonntag:

    45% glauben an den Meister

  • Nur 45 Prozent glauben an den Titel?
  • Wie nennt man dieses Phänomen? „Völlige Selbstüberschätzung“? „Typisch Deutsche Überheblichkeit“? Ich nenne es eine gehörige Portion Selbstvertrauen und Spass am Spiel. Immerhin sind es nur 45 %, die an einen EM-Sieg der Deutschen schon am letzten Sonntagnachmittag glaubten. War ja auch der 1. Advent, da ging bei manchen ein Licht an. Die Umfrage lief bis zum 3.12.07 und sank schliesslich auf 43 Prozent. Siehe hier . Doch ein Volk von Pessimisten und Miesepetern, diese Deutschen?

    Was dabei heraus kommen würde, wenn der BLICK eine ähnliche Umfrage zu den Chancen der Schweizer „Nati“ starten würde?

  • Schweiz-Türkei in Basel
  • Mit dem Schlägerspiel Schlagerspiel Schweiz-Türkei hat die Schweiz jedenfalls einen genialen Touristik-Coup für Basel gelandet. Was passiert, wenn sich nur ein Bruchteil der 1.8 Millionen Türken, die in Deutschland leben, zu diesem Spiel auf der Rheintalautobahn in Richtung Schweiz aufmachen? Am besten die Grenze bei Weil dichtmachen und gleich auf der Fahrbahn ein grosses „Public Viewing“ organisieren.

    Der Nagel ist raus — LondonBlog.ch geht online

    Dezember 3rd, 2007
  • Der Nagel ist raus
  • Erinnern Sie sich noch an mein Missgeschick im Januar, als sich beim „Turnschuhanschluss“ auf dem Weg zum Zug unter mir das Kickboard zusammenklappte? Es war danach wunderbar Gelegenheit, Milieustudien unter den „Gestrandeten der Nacht“ im Zürcher Universitätsspital zu machen und den angeblich typisch deutschen „Kasernenton“ der Mediziner dort mit eigenen Ohren zu erleben. War alles halb so schlimm.

    Nun, die Geschichte ist jetzt quasi zu einem glücklichen Abschluss gekommen. Der Nagel ist wieder draussen. Drei Tage perfekter Rundumbetreuung im USZ, dem „Uni-Spital-Zürich“, liegen hinter mir und der Nagel vor mir auf dem Tisch.

    Nagel raus

    Im Spital hatte ich Musse und Zeit. Anbei, so ohne „ß“ sieht die Schweizer „Musse“ neben der Deutschen „Muße“ aus wie Mousse au Chocolat. Was macht ein Blogger, wenn er Zeit hat? Er bloggt. Da auf der Blogwiese alle Geschichten erzählt wurden, habe ich was Neues begonnen: Den LondonBlog.ch

  • Geschichten und Fotos aus London und Grossbritannien
  • Die Adresse lautet http://www.LondonBlog.ch
    LondonBlog.ch

    Erzählt werden Geschichten und Erlebnisse, die ich im letzten und vorletzten Sommer auf einer Rundreise durch Mittelengland, Wales und Nordengland gesammelt habe. Die ersten vier Geschichten sind schon aufgeschaltet, wie bei der Blogwiese werden nun täglich von Montags bis Freitags um 00:05 Uhr weitere Geschichten folgen. Oft sind es nur einzelne Fotos von skurrilen Schildern oder Aufschriften, oder es sind Geschichten, die wir unterwegs erzählt bekamen. Das Material wird auch nicht ewig vorhalten, aber für ein paar Wochen sollte es schon langen.

    Viel Spass beim Lesen! Keine Angst, die Blogwiese läuft dennoch weiter. Für Zuschriften und Anregungen bin ich dankbar, denn etwas Neues zu schreiben macht immer mehr Spass als Reloads aufzuschalten.