Warum wir gern Filterkaffee trinken — Markiert Kaffee eine kulturelle Grenze?

Mai 31st, 2007
  • Es lebe der Handfilter
  • Wir trinken gern Filterkaffee. In grossen Mengen aus grossen französischen Bols, allerdings mit Henkeln. Nicht zu stark und am liebsten aus nicht zu stark gebrannten Sorten zubereitet. Am besten gelingt Filterkaffee, wenn die Kaffeebohnen frisch gemahlen sind, und zwar nicht zu fein. „Für den Handfilter“, so lautet die Einstellung an der elektrischen Kaffeemühle und das Wasser muss sprudelnd kochend auf das Pulver im Handfilter gegossen wird. In mehreren Portionen. Die erste Ladung ist die wichtigste, denn sie „öffnet die Poren“. Dann ein bisschen warten bis das Wasser durch den Filter gelaufen ist, bevor nun in Abständen die zweite und dritte Ladung über aufgebrühte Kaffeepulver geschüttet wird. Auf den richtigen „Schwall“ kommt es an, dann wird der Kaffee prima. Nicht lecker, das passt nicht.

    Handfilter
    (Quelle Foto: ingridgrote.de)

    Natürlich mögen wir auch den Kaffee aus einer Expressomaschine, nur sind uns diese Dinge nicht ganz geheuer, sie könnten ja in die Luft gehen, ausserdem welche Maschine produziert schon auf Knopfdruck einen halben bis dreiviertel Liter Kaffee?

  • Filterpapier für Handfilter nicht beim Kaffeepulver
  • Dass die Schweizer weniger auf Filterkaffee stehen als die Deutschen merkt man untrüglich daran, dass in der Migros das dafür benötigte Filterpapier nicht in der Nähe des Kaffeepulvers (oder der ungemahlenen Kaffeebohnen) zu finden ist, wie in Deutschland, sondern bei den Kaffeemaschinen, Abteilung „Hardware für Deutsche“.

  • Ist Filterkaffee typisch für Deutsche?
  • Offensichtlich ist das eine typisch deutschen Angewohnheit, „Filterkaffee“ zu trinken. Wir lasen im Magazin des Tages-Anzeigers in einer klassen Reportage mit dem Titel „Wir gegen uns“, geschrieben von Christoph Fellmann, über die Süddeutschen und ihr Verhältnis zur Schweiz:

    Das Ehepaar Moser lebt seit 1971 an einer Wohnstrasse in Konstanz am Bodensee. Im Garten blühen die Forsythien. Serviert wird Filterkaffee und «Kaffeeglück», das ist eine Blechdose mit Kondensmilch – Kaffeegewohnheiten markieren kulturelle Grenzen.
    (Quelle: dasmagazin.ch vom26.05.07 )

  • Wer mag überhaupt Kondensmilch?
  • Nun, warum überhaupt Kondensmilch erfunden wurde, war uns auch immer ein Rätsel. Wahrscheinlich stammt die Idee aus der Zeit, als noch nicht jeder Haushalt mit einem Kühlschrank ausgestattet war, und man einen Weg suchte, Milch leicht und ungekühlt aufbewahren zu können. In meiner Kindheit galt es als besonders fiese Bestrafung, jemanden zum Trinken einer kleinen Tasse voll mit Kondensmilch zu zwingen. Ekelhaft. Heutzutage wird überall in Deutschland neben Kondensmilch auch Frischmilch zum Kaffee angeboten, einfach weil es viel besser schmeckt.

  • Trinken ältere Schweizer denn keine Kondensmilch?
  • Wir lernen bei Wikipedia:

    Kondensmilch (evaporierte Milch), auch Dosen- oder Büchsenmilch genannt, wird aus Milch unter teilweisem Wasserentzug hergestellt. Die Milch wird zur Keimabtötung und Albuminabscheidung für 10–25 Minuten auf 85–100 °C erhitzt und anschließend bei Unterdruck und 40–80 °C eingedickt. Danach hat sie einen Fettgehalt von 4–10 % und eine fettfreie Trockenmasse von etwa 23 %. Nach der Homogenisierung wird sie meist in Dosen oder Tuben abgefüllt und noch einmal sterilisiert, danach ist sie für lange Zeit haltbar.
    (Quelle: Wikipedia )

    Gibt es diese Generation in der Schweiz nicht, die gern Kondensmilch zum Kaffee trinkt?

  • Milch aus der Dose und Möhren aus dem Glas
  • Für die Generation unserer Eltern bedeutete es Fortschritt, Büchsenmilch stets zur Verfügung zuhaben. Erbsen aus der Dose und Karotten aus dem Glas haben die Arbeitsvorgänge beim Kochen enorm beschleunigten, genauso wie die Erfindung des tiefgefrorenen Blattspinats mit Rahm bzw. der Kartoffelbrei zum Anrühren. Sie wissen nicht, was „Kartoffelbrei“ ist? Kein Wunder, es gehört zu den beliebten Variantenwörtern, die überall anders heissen:

    Kartoffelpüree, Kartoffelbrei oder Kartoffelmus (österreichisch: Erdäpfelpüree, schweizerisch: Kartoffelstock, bairisch/fränkisch: Stampf oder Stopfer) ist ein Brei aus gekochten, zerdrückten und cremig gerührten Kartoffeln sowie anderen Zutaten.
    (Quelle: Wikipedia)

    Ob das auf Bairisch „Stopfer“ heisst, weil man danach nicht aufs Klo kann? Oder weil man damit die hungristen Mäulen gestopft kriegt?

    Wir nannten den Kartoffelbrei als Kinder „Astronautencreme“, weil er sich auch als Tubennahrung eignet, ähnlich wie Kondensmilch aus der Tube.

    Wenn Deutsche nur Filterkaffee trinken würden, gäbe es nicht den hohen Absatz von Espresso-Maschinen oder Kapsel-Systemen bei Media-Markt und anderen grossen Ketten. Aber in den meisten Büros in Deutschland gibt es nach wie vor Filterkaffeemaschinen, mit Wärmeplatte und der Garantie, dass auch nach 6 Stunden der Kaffee noch heiss und garantiert ohne Aroma bleibt.

  • Espresso ist billig
  • Stichwort Espressokaffee: Merkwürdiger Weise ist das einer der wenigen Artikel, der in der Schweiz billiger zu haben ist als in Deutschland. Wahrscheinlich weil er hier zu den Grundnahrungsmitteln gehört und in Deutschland als Luxus gilt, oder weil er anders besteuert wird.

    Gern schreiben wir ihn auch mit „x“: „Expressokaffee“, denn dann ist die Herkunft expressis verbi ersichtlich:

    Espresso, der; -[s], -s od. …ssi (aber: drei Espresso) [ital. (caffè) espresso, urspr. = auf ausdrücklichen Wunsch eigens (d. h. schnell) zubereiteter Kaffee, zu: espresso = ausgedrückt (lat. expressus, express]: a) (o. pl.) sehr dunkel gerösteter Kaffee; b) in einer Spezialmaschine aus Espresso zubereiteter, sehr starker Kaffee. (o. pl.)
    (Quelle: duden.de)

    Mann hab ich jetzt Lust auf nen Kaffee…

    Verlocht werden nicht nur Hunde – Neue Schweizer Lieblingstätigkeiten

    Mai 30th, 2007
  • Am Wochenende Hunde verscharren
  • In der Anfangszeit der Blogwiese im Herbst 2005 schrieben wir über die Schweizer Freizeitbeschäftigung, sich mit Hacken und Spaten bewaffnet zu treffen, um gemeinsam Hunde zu verscharren. Dieses Hobby wird hierzulande als „Hundsverlochete“ regelmässig angekündigt, besprochen und gewürdigt. Details zu diesen Events finden sich auf spezialisierten Webseiten wie www.hundsverlochete.ch detailliert beschrieben.

  • Immer ein Loch in der Nähe
  • Mit Erstaunen mussten wir bei der Lektüre des Tages-Anzeiger feststellen, dass in der Schweiz nicht nur Hunde verlocht werden. Wir kannten „einlochen“ nur vom Minigolf-Spielen oder aus billigen Kriminalerzählungen, bei denen böse Verbrecher am Ende „ins Loch“ wandern und „eingelocht“ werden. Während bei Google-CH an 1‘330 Stellen „verlocht“ wird, finden sich bei Google-DE nur 387 Stellen, zumeist aus Grenznähe (z. B. Badische Zeitung in Freiburg Brsg.)

    So verlocht der Kantonsrat 67 Millionen. Muss schon ein ziemlich grosses Loch gewesen sein.
    Was alles verlocht wird
    (Quelle: Tages-Anzeiger)
    Den „Stichentscheid“ als pieksende Schweizer Tätigkeit hatten wir hier besprochen.

    Oder es wird Dreck verlocht:

    IG DRB. Engler muss immer dann an die Front, wenn der vergiftete Dreck hochkommt, den die Basler Chemie im Dreiländereck verlocht hat.
    (Quelle: Facts.ch)

    Was allerdings „Figuranten“ sind, die auf dieser Seite als „verlocht“ bezeichnet werden, war uns auch nicht gleich klar. Immerhin war bei dieser Aktion wirklich eine Schaufel im Einsatz. Die Lösung des Rätsels: „REDOG“ ist der Name des Schweizerischen Vereins für Katastrophenhunde , die trainiert werden, um Menschen unter Trümmern oder als „Flächensuchhunde“ in der freien Natur zu finden. Der „Figurant“ war die Person, die der Hund nun im Gelände finden muss, auch wenn sie „verlocht“ ist.
    Ein vielseitiges Wort, und absolut schweizerisch, wie uns unser Duden verrät:

    verlọchen (schweiz.):
    1. vergraben, verscharren: Unrat, einen Kadaver verlochen

    Diese Bedeutung war uns von der „Hundsverlochete“ bekannt. Aber da steht noch was:

    2. a) unter etw. begraben: er ist unter einem Berg von Akten verlocht;
    b) (Geld oder Ähnliches) verschwenden: Steuergelder verlochen.

    Ach so ist das. Die Schweizer bewahren ihr Geld nicht nur auf gut gehüteten Bankkonten auf, sondern „verlochen“ es auch gern einmal.

    Mit dem Kopftuch in Zürich unterwegs — Nicole antwortet

    Mai 29th, 2007
  • Keine Langfassung aber eine Stellungnahme
  • Ich hatte Nicole gefragt, ob sie aus dem Material, das sie bei der Recherche zum Kopftuch-Artikel gesammelt hatte, nicht eine Langfassung für die Blogwiese erstellen könnte. Für diejenigen, die den Artikel im Tagesanzeiger verpasst haben, hier eine PDF-Version. Da Nicole die Geschichte des Versuchs nicht noch einmal erzählen wollte, nimmt sie stattdessen die Gelegenheit war, zu den vielen Leserbriefen im Tagi und Reaktionen auf der Blogwiese Stellung zu beziehen:

  • Nicole antwortet
  • Liebe Blogwiese- und Tagi-Leser!

    Ich möchte die Gelegenheit, die Jens Wiese mir freundlicherweise bietet, nützen, zu Euren kritischen Anmerkungen Stellung zu nehmen. Folgende Punkte sind am heftigsten und am häufigsten kritisiert worden:

  • Punkt 1:
  • Der Artikel sei generalisierend – vom Verhalten einiger weniger Leute würde auf die Einstellung einer ganzen Bevölkerungsgruppe geschlossen.
    Am häufigsten war der Vorwurf, ich würde alle Schweizer pauschal der Fremdenfeindlichkeit bezichtigen (Jonas Ruf, TA-Leserbrief; Christian Coradi, TA-Leserbrief u.a.), es wurde aber auch spezifisch darauf hingewiesen, dass nun alle Uni-Beamten (Brun(o)egg, Blogwiese) und alle Migros-Kassiererinnen als Rassisten gelten würden. Es wurde in diesem Zusammenhang auch angemerkt, dass das Experiment wegen der zu kleinen Stichprobenmenge nicht repräsentativ und deshalb sozialwissenschaftlich unbrauchbar sei (Christian Coradi, TA-Leserbrief). Wenn ich ein solches Experient ernsthaft durchführen wolle, müsse ich das Ganze statistisch aufbauen und Zahlen liefern (Walter Kaufmann, TA-Leserbrief).

  • Punkt 2
  • Ich wurde wiederholt darauf hingewiesen, dass nicht die Schweizer sich den Ausländern gegenüber falsch oder unhöflich oder überheblich oder sogar bösartig verhielten, sondern dass umgekehrt den Ausländer genau dies vorzuwerfen sei – sowohl Schweizern als auch anderen Ausländern gegenüber. Somit seien sie die eigentlich Fremdenfeindlichen (Nica Plüss, TA-Leserbrief).

  • Punkt 3
  • Eigentlich keine Kritik, sondern eine Unterstellung: Die ganze Geschichte sei in sich nicht stimmig und wohl gar nicht wahr, sondern „getürkt“ (neuromat, Blogwiese; Tellerrand, Blogwiese) – das Wortspiel ist immerhin gelungen!

  • Zuerst zu Punkt 1:
  • Die Implikation, von den drei beschriebenen Erlebnisse auf die ganze Schweizer Bevölkerung oder zumindest auf alle Beamten und Kassiererinnen zu schliessen, stammt nicht von mir und geht meiner Meinung nach auch in keinster Weise aus meinem Artikel hervor. Sollte dieser dies wirklich implizieren, möchte ich mich dafür in aller Form entschuldigen.

    Natürlich habe ich dieses Experiment nicht nur eine halbe Stunde lang durchgeführt, sondern über anderthalb Jahre hinweg immer wieder. Natürlich habe ich für diesen Artikel aus unzähligen Beispielen drei ausgewählt. Natürlich haben sich die meisten Leute, die ich angetroffen habe, neutral verhalten. Wie interessant und aufschlussreich wäre aber ein Artikel, der so beginnen würde: Ich ging in die Migros. Im Eingangsfoyer waren etwa fünfzig Menschen. Fünf davon schauten mich ganz normal an, als ich an ihnen vorüber ging. Die anderen fünfundvierzig reagierten nicht. Als ich mich an der Kasse anstellte, sagte sowohl der Kunde vor mir als auch der Kunde hinter mir nichts. Dann müsste man ja, wenn man beispielsweise über einen Ausländer berichtet, der irgend etwas verbrochen hat, auch mit dazu schreiben: Die restlichen 110’959 Einwohner der Stadt Zürich ohne Schweizer Pass haben sich gestern nichts zu Schulden kommen lassen. Das ist nun einmal nicht üblich. Über das Nicht-Ereignis, über neutrales Verhalten wird nicht berichtet.

    Und natürlich war die Prozentzahl der Menschen, die sich mir gegenüber neutral verhalten haben, sehr hoch. Aber, und das ist mein zentrales Anliegen, es gab eben auch immer (und das heisst wirklich: jedes Mal, wenn ich das Experiment gemacht habe) Reaktionen, wie ich sie im Artikel beschrieben habe – an dieser Stelle kurz zu Punkt 3: Ich kann es niemandem beweisen, aber getürkt ist nichts. Und die Tatsache, dass diese Reaktionen vorkommen, ob nun ein Mal pro Tag, ein Mal pro Woche oder ein Mal pro Monat, finde ich doch immerhin erwähnens- und beschreibenswert. Ich weiss, Günter Wallraff hat das alles schon vor 20 Jahren beschrieben und bewiesen (Hat man ihm eigentlich geglaubt? Hat er ein sozialwissenschaftlich-statistisch korrektes Experiment durchgeführt, hat er Zahlen geliefert? Hat ihn niemand verdächtigt, dass alles nur getürkt war?), ich weiss, es ist bekannt, dass es „in keinem Land der Erde lustig [ist], Ausländer zu sein“ (Tellerrand, Blogwiese), aber ist es deshalb wirklich berechtigt, zu sagen: Wir wissen das alles doch schon längst, also ist es sinnlos und redundant, darüber noch weiter zu sprechen?

    Ich finde ganz entschieden, es ist von grösster Wichtigkeit, gerade mit diesem Wissen nicht aufzuhören, darüber zu sprechen. Und mal ganz ehrlich: Wenn man einen sozialwissenschaftlich korrekten Weg fände, ein Experiment wie dieses zu verarbeiten, und als Ergebnis präsentieren würde: xx% der Schweizer verhalten sich Ausländern gegenüber anders als Schweizern gegenüber, schön illustriert mit einem zweifarbigem Kuchendiagramm, wer hätte dafür mehr als ein resignierendes Schulterzucken übrig? Würde diese Statistik viele Leute zum Nachdenken anregen? –

    Und um nun alle Fragen nach dem Sinn meines Artikels zu beantworten: Genau darum ging es mir, und nur darum – zum Nachdenken anzuregen, zu einer gewissen Selbstreflexion. Und um dieses Ziel zu erreichen, sind Beispielgeschichten meiner Meinung nach weitaus illustrativer als das schönste, korrekteste Kuchendiagramm. Statt illustrativ, wie ich es nenne, wurde der Artikel selbstverständlich auch als plakativ und provokant, als „Stimmungsmache“ und „Benzin ins Feuer“ (Johann Schällibaum, TA-Leserbrief) bezeichnet, aber das ist eigentlich nur ein Streit um Worte. Tatsache ist, dass ich mein Ziel erreicht habe – was verheissen denn die vielen Reaktionen anderes als dass sich die Leserschaft Gedanken über das angesprochene Thema gemacht hat? Viele Vorwürfe und Lobsprüche (ja, die hat es auch gegeben!) lassen sich auf Fragen wie diese zurückführen: Verhalte ich mich Ausländern gegenüber ähnlich wie die Protagonisten in den Beispielgeschichten? Verhält sich die Mehrheit der Schweizer (die Mehrheit der Beamten, die Mehrheit der Kassiererinnen) so? Hat dieses Verhalten eine gewisse Berechtigung? etc.

  • Ergo: Vielen Dank für Eure Reflexionen!
  • Bei manchen haben diese sogar noch ein wenig Selbstkritik bzw. Selbsterforschung beinhaltet – ist es denn so verkehrt und so abwägig, sich einmal zu überlegen, wie man sich in bestimmten Situationen verhält und sich darüber bewusst zu werden, warum man sich so verhält? Ist es denn gar nicht erschreckend, dass man sich manchmal von unbewussten Schlussfolgerungen beeinflussen lässt, die, wenn man einmal gezwungen würde, sie explizit auszuformulieren, gar nicht dem entsprächen, was man spontan als seine Meinung bezeichnen würde? – Ich möchte niemandem unterstellen, dass ich seine unbewussten Schlussfolgerungen durchschaue – ich habe, ganz geisteswissenschaftlich, eine These formuliert (kommen die Sozialwissenschaften ohne aus?).

    Nun noch etwas zu den Begrifflichkeiten: Ich habe weder den Begriff „Rassismus“ noch den Begriff „Political Correctness“ verwendet, wurde aber in der Kritik ständig mit ihnen konfrontiert. Wenn man noch einmal ganz ehrlich darüber nachdenkt, sind Kommentare wie

    * „N.M. spricht es zwar nicht explizit aus, doch impliziert sie es: Die Schweizer sind fremdenfeindlich.“ (Christian Coradi, TA-Leserbrief),

    * „Auch der Begriff Rassismus geht mir hier zu weit.“ (neuromat, Blogwiese),

    * „ […] dann kann sie es dann doch wieder nicht lassen, den Vorwurf der bewussten Diskriminierung oder gar Rassismus in den Raum zu stellen.“ (giacometti, Blogwiese),

    * „Ich kanns nicht mehr hören die PC und Rassismussprüche bei allem was nicht gerade comme il faut läuft!“ (Brun(o)egg, Blogwiese) in Bezug auf meinen Artikel nicht doch etwas übertrieben?

    Ich unterstelle niemanden, und schon gar nicht der gesamten Schweizer Bevölkerung, rassistisches Verhalten, nur weitgehend unbewusste Mechanismen, die dazu führen, dass man sich manchmal anders verhält. (Und dies ist doch sehr vorsichtig ausgedrückt: Schlimmer wäre es, wenn ich diese Mechanismen als bewusst betrachten würde!) – „Anders“ heisst übrigens nicht immer bösartig – ich habe eigentlich geglaubt, gerade am Beispiel der Kassiererin gezeigt zu haben, wie sich Leute manchmal bereitwilliger, zuvorkommender, bemühter verhalten als normal und als nötig wäre. Es stellt sich natürlich die Frage, ob das überhaupt zu kritisieren ist, aber meiner Meinung nach kritisiere ich nicht einmal, sondern stelle nur fest – und stelle fest aus einer ungewöhnlichen Perspektive, aus der man erst begreift, dass manchmal eben auch ein solches übertrieben zuvorkommendes Verhalten verletzend sein kann, weil man dadurch immer wieder an seine Andersartigkeit erinnert wird.

    Nicht über Extrembeispiele wie das geforderte Minarettverbot oder eine abgebrannte Synagoge wollte ich berichten, sondern ganz im Gegenteil über die kleinen, subtilen Erlebnisse im Alltag einer Fremden, die diese nämlich in ihrem kulturellen Selbstverständnis und in ihrem Integrationsprozess mindestens so beeinträchtigen wie gross angelegte politische Initiativen und Gesetzesänderungen.

  • Zu Punkt 2:
  • Mein Artikel war der Versuch, in dieser ganzen Ausländer-Debatte (gut, dieses Wort ist nun wirklich undiffernziert) ein Mal eine andere Perspektive einzunehmen. Es wird so viel über das missliche Verhalten von Ausländern geschrieben, und ich möchte den Grad der Pauschalisierung, den mein Artikel gegen meine Absicht zu enthalten scheint, nicht mit der expliziten Pauschalisierung vergleichen, der von gewissen Parteien und von gewissen Medien in diesem Zusammenhang praktisch tagtäglich praktiziert wird. Es ist schon interessant, was für ein Aufschrei durch die Leserschaft geht, wenn ein Thema, zu dem alle eine Meinung zu haben scheinen, einmal von einer etwas anderen Seite beleuchtet wird. Auch in diesem Punkt scheint mein Artikel etwas zu implizieren, was ich nicht im Geringsten beabsichtigt habe: Ich habe doch mit keinem Wort bestritten, dass es durchaus auch Ausländer gibt, die sich ganz eindeutig unangemessen bis vermessen verhalten. Aber darüber wird so viel und so häufig berichtet, dass, mit Verlaub, ein weiterer Artikel mit dieser Aussage schon eher redundant wäre als ein Artikel, der mit einem anderen Blickwinkel offensichtlich etwas Schwung in die einseitig gewordene Debatte bringt.

    Mir ist im Übrigen klar, dass ich gemessen an der Subtilität der Ereignisse, die ich beschreibe, eine sehr starke, durchaus auch provokante Sprache gewählt habe. Auch dies soll gewissermassen die Tatsache repräsentieren, wie grosse Auswirkungen kleine Bemerkungen bei den Betroffenen haben können – auch wenn ein blöder Spruch vielleicht nur achtlos hingeworfen wird, nimmt ihn der oder die Angesprochene oft doch sehr ernst. Auch darüber sollte man meiner Meinung nach nachdenken.

  • Zu Punkt 3:
  • Es ist schon erstaunlich, dass sogar bei diesen relativ harmlosen Geschichten Zweifel an deren Wahrheit aufkommen. Ich bin von mehreren Lesern darauf aufmerksam gemacht worden, dass sie – als Ausländer – oft viel Schlimmeres erleben und deshalb meine Erlebnisse den Sachverhalt im Grunde fast verharmlosen. Ich habe aber ganz bewusst nicht über Extrembeispiele berichtet, weil ich eben gerade keine „Stimmungsmache“ zelebrieren, sondern eher auf gewisse subtilere alltägliche Situationen hinweisen wollte. Wenn mir nun sogar auf Grund dieser vergleichsweise harmlosen Beispiele genau dieser Wille zur Stimmungsmache und Provokation vorgeworfen und bereits diese Geschichten offensichtlich als unglaubwürdig betrachtet werden, frage ich mich schon, ob der Vorwurf, ich hätte alles nur „getürkt“, nicht einem radikalen Augenverschliessen vor Tatsachen gleichkommt.

    Die kritische Beurteilung von Medienberichten in allen Ehren – aber findet diese auch statt, wenn über das Fehlverhalten von Ausländern berichtet wird, oder zweifelt man den Wahrheitsgehalt eines Berichts nur dann an, wenn man die Meinung des Autors nicht teilt, wenn man an den Inhalt seines Berichts nicht glauben will, wenn er nicht dem Weltbild entspricht, das man gerne hätte, wenn man sich auf irgend eine Weise selbst angegriffen fühlt?

    Nun möchte ich noch auf zwei Einzelkommentare aus der Blogwiese eingehen:

    @ giacometti, Blogwiese: Ist interessant, aber ein wenig widersprüchlich. Zuerst erklärt sie das Verhalten der Frau mit unbewussten, kulturellen Kodizes – dann kann sie es dann doch wieder nicht lassen, den Vorwurf der bewussten Diskriminierung oder gar Rassismus in den Raum zu stellen. Ja, was denn nun?
    Erstens, wie gesagt, spreche ich weder von Diskriminierung noch von Rassismus, vor allem nicht von bewusstem. Ausserdem sehe ich keinen Widerspruch: Meine These lautet: Die Frau empfindet den kurdischen Studenten durch unbewusste Schlussfolgerungen als unhöflich, weil er sprachliche Codices aus Unkenntnis nicht einhält und verhält sich deshalb (sachlich!) ablehnend. Möglicherweise stellen ähnliche Schlussfolgerungen auch die Grundlage für wirklichen Rassismus dar – ich bin überzeugt, dass dieser oft gerade nicht bewusst-rational begründet (und deshalb vermeidbar) ist.

    @ Brun(o)egg: Wieso hat die Dame nicht gleich von Anfang an selbst für ihren Begleiter gefragt? Sie kennt ja die Codizes und wusste um seine Sprachschwäche!? Gings einfach wieder einmal um Provokation, um den Beweis wie rasisstisch wir doch alle sind.
    In diesem Zusammenhang hat bereits Lieschen Müller (Blogwiese) eine Antwort geliefert:
    Es hilft in vielen Situationen des Lebens ungemein, sich in die Lage des anderen zu versetzen. Mal ganz abgesehen von dem unterschiedlichen Rollenverständnis von Mann und Frau, das dieser Mann aufgrund seiner Herkunft vermutlich haben wird, er würde sicher ganz gerne alles selber hinbekommen und es gar nicht schätzen, wenn ihm ständig jemand anbietet, es für ihn zu erledigen, bevor er es versucht hat. Mir ginge es jedenfalls genauso.

    Ich möchte hinzufügen: Es geht hier nicht einmal um Männer- und Frauen-Rollen (auch ein kleines unbewusstes Vorurteil?). Brun(o)egg schlägt genau das Verhalten vor, dass ich in meinem Artikel kritisiere. Wenn ein Ausländer so gut Deutsch kann, dass die Verständigung normalerweise reibungslos abläuft, wäre es doch unerhört, wenn ich ihn derart bevormunden und einfach für ihn sprechen würde. Es würde doch genau wieder implizieren, dass ich seinen sprachlichen oder intellektuellen Fähigkeiten nicht traue. „Ich mach das schon.“ heisst manchmal eben auch „Du kannst das nicht.“

    Ich hoffe, ich konnte mit dieser Stellungnahme meinen Standpunkt noch einmal besser erklären, als das vielleicht im Artikel gelungen ist. Nicht, dass ich das Gefühl hätte, irgend jemand würde nun seine Meinung ändern, sondern mehr um zu zeigen: Die Autorin ist nicht tot, sie liest Eure Kommentare und macht sich weiterhin Ihre Gedanken. Die Illusion von neuromat (Blogwiese) („Und Nicole, die läuft morgen den ganzen Tag im Top und im Minirock durch Diyabakir und wir werden sie nie wieder sehen.“) bewahrheitet sich also nicht ganz.

    Es grüsst herzlich
    Nicole

    Ein 24-Stunden-Ticket reicht in der Nacht nicht — Der Nachtzuschlag des ZVVs

    Mai 28th, 2007
  • Mit den Zug in den Ausgang
  • Eine Schweizer Freundin von uns schaffte es nach vielen Jahren, in denen sie Abend für Abend ihre kleinen Kinder hüten musste, einen guten Babysitter zu finden und beschloss das zu tun, was sonst alle jungen Agglobewohner am Samstagabend zu tun pflegen: In „den Ausgang zu gehen“, wie man auch Jahrzehnte nach der Abschaffung des Dienstbotenwesens in der Schweiz zu sagen pflegt, wenn man sich ins Nightlife der „Little Big City“ stürzen möchte.

  • Hin- und Rückfahrt mit dem 24-Stunden-Ticket
  • Ökologisch vorbildlich, und um auch ein bisschen was trinken zu dürfen, fuhr sie mit ihrem Mann am Abend um 19:00 Uhr mit dem Zug vom Zürcher Unterland in die Limmat-Metropole. Gekauft hatten Sie sich ein praktisches 24-Stunden-Ticket für die benötigten Zonen, das bis zum Sonntagabend 19:00 Uhr günstiges Zugfahren versprach. Auf den Heimweg machten sie sich, nach gelungenem Abend und durchtanzter Nacht, gegen 2:00 Uhr in der Frühe, nichts ahnend dass sie gerade dabei waren, etwas ziemlich Illegales zu begehen. Es kam ein Kontrolleur, sie zeigten naiv ihr Billet, welches in der Schweiz zwar „Fahrschein“ am Automat heisst, so aber nie ausgesprochen wird, und wurden aufgefordert, den „Nachtzugschlag“ ebenfalls vorzuzeigen. Von einem solchen hatten sie, als selten mit dem Zug fahrende Autofahrer, bisher nie etwas gehört. Und ein „24-Stunden-Ticket“ hielten sie für ein Ticket, mit dem man 24 Stunden lang fahren kann, egal ob am Tag oder in der Nacht. Als sie den fehlenden „Nachtzuschlag“ nachlösen wollten, wurden sie plötzlich mit 2 x 80 Franken wegen Schwarzfahrens „gebüsst“. Nach langen Verhandlungen liess sich der Kontrolleur dann auf einmal 80 Franken runterhandeln. Besonders beschämend und erniedrigend fanden sie, dass sie vom Kontrolleur durch den ganzen Zug geleitet wurden wie zwei Schwerverbrecher, die beim Schwarzfahren ertappt wurden, obwohl sie doch in Besitz von vermeintlich gültigen Tickets waren.

  • Das Kleingedruckte am Automaten
  • Unsere Schweizer Freundin war natürlich entsetzt und fühlte sich ohne Schuld. Sie hatte schlicht den Versprechungen der SBB geglaubt, dass ein 24-Stunden-Ticket auch 24 Stunden lang gilt. Später las sie an einem Automaten den Aufdruck, dass man sich in der Agglo von Zürich speziell für die Nachtzüge diesen Zuschlag kaufen muss.

    Für das System von Nachtbussen, die im Stundentakt die Innenstadt in Richtung Vorortsgemeinden bedient, um müde Diskogänger heil nach Hause zu bringen, scheinen uns diese Zuschläge gerechtfertigt, denn schliesslich ist normaler Weise eine Nachtruhe auf dem Streckennetz von 00:30 Uhr bis 5:00 Uhr. Aber die Benutzung von Zügen in der Nacht mit einem 24-Stunden-Ticket als Schwarzfahren geahndet wird, dass können wir nicht verstehen.

  • 80 Franken sind „eine Gebühr“
  • Auf der Website des Züricher Verkehrsverbunds ZVV lesen wir:

    Für die Benützung des ZVV-Nachtnetzes sind zwei Tickets erforderlich.
    • Ein im ZVV gültiger Fahrausweis für die Fahrt vom Start zum Zielort (ZVV-Ticket, GA, usw.)
    • Ein Nachtzuschlag.
    Einzelzuschlag Fr. 5.– (Automat: *162) oder als Zuschlags-Multikarte zu Fr. 27.– (6 Zuschläge, erhältlich an den Verkaufsstellen oder beim Ticket-Shop). Halbtaxabos und andere Ermässigungskarten können für den Zuschlag nicht geltend gemacht werden.
    • Achtung: Fahrgäste ohne die beiden Tickets gelten als „Fahrgast ohne gültigen Fahrausweis“ und bezahlen eine Gebühr.
    (Quelle: www.zvv.ch)

    Unsere Freundin hatte war nicht „ohne die beiden Tickets“, sondern nur ohne Zuschlag, und musste denn 80 Franken bezahlen. Für das Geld hätte sie auch mit dem Taxi heim fahren können.

  • Ein „kostendeckendes“ System
  • Nachtzüge fahren nur Fr/Sa und Sa/So, und vor bestimmten Feiertagen. Auf der ZVV Seite lesen wir:

    Letztes Jahr (2006) nutzten rund 870’000 Fahrgäste das ZVV-Nachtangebot. Das sind 85 % mehr als im ersten Betriebsjahr (2003). Dank dieser grossen Nachfrage konnte das Nachtnetz zum dritten Mal hintereinander kostendeckend betrieben werden. Spitzenreiter unter den Nacht-S-Bahnen ist weiterhin die SN5 ins Zürcher Oberland.
    Seit vier Jahren bringen die Nacht-S-Bahnen und -Busse im Kanton Zürich Fahrgäste an den Wochenenden und vor den meisten Feiertagen rund um die Uhr in den Ausgang und wieder nach Hause. Das ZVV-Nachtangebot erfreut sich grosser Beliebtheit, 2006 nutzten knapp 8300 Fahrgäste pro Nacht den öffentlichen Verkehr. Dies sind 17 % mehr als im Vorjahr.
    (Quelle: zvv.ch)

    Jetzt haben wir auch verstanden, mit welchen Mitteln diese „Kostendeckung“ erreicht wird. Ob das mit der „grossen Beliebtheit“ in Zukunft noch auf unsere Freundin zutrifft, wagen wir zu bezweifeln.

    Zu Gast bei DRS1 — Stream der Treffpunkt Sendung vom 21.05.07

    Mai 27th, 2007

    Die Blogwiese macht Pfingstpause, darum etwas „auf die Ohren“, damit die Zeit nicht so lang wird.

  • Zu Gast bei Diana Joerg
  • Am Montag den 21.05.07 war ich zu Gast bei Diana Joerg in der Sendung Treffpunkt auf DRS1. Es war sehr nett und unkompliziert. Hätte ich vorher gewusst, dass die Studios von DRS1 rund um die Uhr per Webcam beobachtet werden können, hätte ich vielleicht ein bisschen öfters in die Kamera gewunken.

    Für die Musikauswahl konnten weder Diana Joerg noch ich etwas, dafür gibt es beim DRS professionelle Musikredakteure, die hier natürlich „Redaktore“ heissen.

    Das Studio ist ein heller Glaskasten, draussen zogen Besuchergruppen vorbei, die gerade auf einer geführten Tour durch das Sendegebäude unterwegs waren.

  • Bündernisch als Kündigungsgrund
  • Diana Joerg, mit ohne Umlaut im Namen, hat es übrigens vor Jahren als erste Bündnerin geschafft, wegen ihres heimischen Dialekts quasi „diskriminiert“ zu werden. Sie wurde einst bei Tele-Züri entlassen, mit der Begründung, ihr Dialekt passe nicht zum Sender aus Zürich. Sonst gelten doch das Wallis und Graubünden immer als die Dialektregionen mit dem höchsten Beliebtheitsgrad bei den Schweizerinnen und Schweizern, weil jeder bei dieser Sprachmeldie automatisch an Ferien, Klassenfahrten und an die netten braungebrannte Skilehrer aus Chur denkt.

    Im Internet findet sich hierzu:

    „[Sie] arbeitete ab 1991 als Moderatorin und Redaktorin bei einem Regionalradio und von 1999 bis 2001 als Videojournalistin und News-Moderatorin bei Tele 24. Tele Züri wollte sie damals wegen ihres Bündner Dialekts nicht übernehmen, so dass sie zu SF DRS wechselte, wo sie das «Mittagsmagazin» moderierte.“
    (Quelle: KleinReport vom 2.5.2003)

    Sie erzählte mir, dass diese Begründung natürlich nur vorgeschoben war. Die Sendung Treffpunkt moderierte sie in der vergangenen Woche auch zum letzten Mal. Danach wechselt Sie intern bei DRS zu den Radio-Reportagen.

    Hier der Stream auf die Sendung „Eine Stange ist ein Bier
    Es hat Spass gemacht, endlich einmal richtig Zeit zum Erzählen zu haben, und sich nicht später in einem gekürzten 3 Minuten-Beitrag wiederzufinden. Zum Schweizerdeutschsprechen hat die Zeit dann doch nicht mehr gelangt, das hole ich dann bei Kurt Aeschbacher nach, falls es da je zu einer Einladung kommen sollte.

    Durch die Sendung kamen ca. 700 Besucher mehr als sonst an diesem Tag auf die Blowiese, davon 67 über den Link auf der DRS1-Homepage.