Das tönt gut – oder – Über den schleichenden Prozess, ein Schweizer zu werden

September 16th, 2005

Das Leben „in einem anderen Kulturkreis“ (Originalaussage eines Primarschullehrers über die Schweiz!) führt unweigerlich dazu, dass man nach und nach immer mehr Helvetismen übernimmt, ohne es zu merken.

Dazu ein paar Beispiele:

  • „Es rentiert nicht“, darüber nachzudenken (statt: Es rentiert sich nicht)
  • „Das Wetter ändert morgen“ (statt: Das Wetter ändert sich morgen)
  • Dazumal haben wir in Bern gewohnt“ (statt: damals haben wir in Bern gewohnt)
  • „Ich gehe heute in die Badi“ (statt: ich gehe in die Badeanstalt)
  • „Das können sie kehren“ (statt: Das können sie auch anders herum verwenden, das können sie umdrehen
  • Ich mache noch ein Telefon“ (statt: ich erledige noch einen Telefonanruf)
  • oder

  • Mach mir doch s’Telefon“ (statt: ruf mich doch einfach an).
  • Ich mach‘ Dir gern den Hengst, aber wie mach ich dir’s Telefon?

  • „Sprich mir auf meinen Beantworter“ (statt: … auf meinen Anrufbeantworter)
  • Der „Anrufbeantworter“ wird in Deutschland übrigens gern als „AB“ abgekürzt, was für das Leben in der Schweiz fatale Folgen haben kann, denn hier ist ein „AB“ die Abkürzung für den Abort, das Klo also.
    Sprich mir doch einfach auf’s Klo“ klingt das also in Schweizer Ohren, wenn sie sagen: „Sprich mir auf den AB„.

  • Es „klingt“ nicht in der Schweiz, sondern es „tönt„:

  • Noch so ein häufig verwendetes Verb, dass einem am Anfang sehr lustig vorkommt, bevor man unweigerlich dazu übergeht, es selbst zu verwenden. „Es tönt“ wird von den Deutschen als lustig empfunden, denn sie verwenden dieses Verb nur im Zusammenhang mit dem Volkslied „Es tönen die Lieder, der Frühling kehrt wieder“. In Deutschland tönt es nicht, da „klingt“ es, als ob wir Deutsche ständig mit Klingen aufeinanderdreschen würden. Es ist mit Sicherheit für Schweizer in Deutschland die gefährlichste sprachliche Falle, in die sie unachtsam tappen können. Einmal „es tönt“ gesagt, und sie sind von einem kundigen Deutschen als Schweizer entlarvt. Besonders leicht passiert dies bei der Bestätigungsfloskelt: „Das tönt gut.

    Die Schweizer bevorzugen die direkte, kurze Art der Ausdruckweise. Und weil das so schön praktisch ist und viel schneller geht, werden Sie, werter deutscher Leser in der Schweiz, über kurz oder lang auch anfangen, so zu sprechen! Das garantiere ich Ihnen.

    Dadazu sage ich jetzt nix“ ist hingegen die Variante, etwas auf Schweizerdeutsch länger und komplizierter auszudrücken.

    Und in eigener Sache:
    Ich stelle mich grundsätzlich nur noch wie folgt vor:
    Mein Name ist Wiese, wie die grüne Wiese, ohne Ypsilon und ohne R“.
    Würde ich das nicht betonen, käme automatisch ein „Wyser“ beim Schweizer dabei heraus. In Basel kann ich noch die Erklärung „Wiese wie der Fluss: Die Wiese“ beifügen. Dennoch bin ich schon X-Mal als Herr „Wyser“ angesprochen worden. Warum? Das „R“ am Ende rollt so schön, und das allemanische Ypsilon als I-Ersatz steckt halt in den Genen der Schweizer.

  • Es gab einen Unterbruch (statt: es gab eine Unterbrechung)
  • Obwohl das Wort im Duden als Variante für „Unterbrechung“ aufgeführt wird, würde es ein Deutscher nie im selben Kontext verwenden. Mit „Unterbruch“ assoziiert der Deutsche höchstens Dinge wie den „Schwangerschafts-unterbruch“ oder den „Leisten-bruch„. Doch hier zeigt sich sehr deutlich, dass fast jeder irgendwann der Faszination und Eleganz des knapperen „Unterbruchs“ unterliegt, und anfängt, es selbst zu verwenden. Das tönt halt einfach besser.

    wird fortgesetzt…

    Geh mal in die Migros Wein kaufen

    September 15th, 2005

    Einkaufen in der Migros
    Immer wenn wir Besuch aus Deutschland haben, erlaube ich mir den Spass und schicke ihn zum Einkaufen in die Migros: „Geh mal zur Migros Wein kaufen„… nach 20 Minuten kommt der Besuch wieder und sagt: „Du, ich finde den nicht?“. Dann beruhige ich ihn und sage: „Egal, dann nimmt halt Bier„, und das Spielchen geht von vorne los.

    Die Deutschen müssen erst lernen, dass es in der Migros keine Alkoholika zu kaufen gibt, auch keine Zigaretten. Dafür geht man in den Denner oder zu Pick Pay gleich nebendran. In der Migros einzukaufen ist am Anfang sowieso eine absolut merkwürdige Erfahrung: Stellt Euch vor, ihr seit in einem offensichtlich deutschsprachigen Geschäft und kennt absolut keinen einzigen Hersteller!

    Es gibt kein Persil Waschpulver, keinen Bauerjogurt, keine Tempo-Papiertaschentuch, kein Pril-Spülmittel, kein Mars-Schokoriegel etc. etc. Bei jedem Artikel muss man genau schauen, ob es das ist, was man sucht. Sonst will man süsse Schlagsahne kaufen, und hat plötzlich Sauerrahm in der Tasche. Sahne ist Rahm, aber was ist dann Sauerrahm? Claro: Creme freche. Wir lernen als Konsumenten plötzlich, wie markenfixiert wir eigentlich einkaufen.

    Schnell gewöhnt man sich daran, nur noch nach einer Marke Ausschau zu halten: Budget . Das ist die Migros-No-Name Marke für besonders wenig Geld. Diese Marke avanciert zum Kultobjekt in der Schweiz. Längst gibt es Budget-Parties,
    Budget Party

    Budget-Autos
    Budget Auto

    und seit neustem auch Budget-Handies (Schweizerdeutsch „Natel“)
    Budget Handy

    Das mit dem „wenig Geld“ ist natürlich äusserst relativ zu sehen. Für Schweizer Verhältnisse ist die Migros spottbillig, denk ich da jedoch an einen Deutschen Supermarkt kurz hinter der Grenze, kommen mir bei jedem Migros-Einkauf die Tränen. Als wir im Sommer mit den Rädern in der Schweiz unterwegs waren, kaufte ich jeweils zur Mittagszeit schnell etwas zu essen für 4 Leute in der Migros: Ein paar Früchte, Brot, Butter, Salami und noch Getränke. Der Einkaufswagen war höchstens zu einem Drittel gefüllt, dennoch hiess es an der Kasse: „60 Franken bitte“. Ich war jedesmal fassungslos.

    Wie überlebt eine „normale Familie in der Innerschweiz“, ohne doppeltes Einkommen oder Einkaufsmöglichkeit in Deutschland? Für Menschen mit geringem Einkommen muss dies extrem schwierig sein. Nicht umsonst steht auf der Liste der Supermärkte mit den grössten Umsatz auf Platz 1 die Migros, dann Coop und Denner, und schon gleich darauf folgt der Gesamtumsatz, den alle Supermärkte jenseits der Grenze mit den Schweizern machen. „Jenseits“ heisst auf Schweizerdeutsch übrigens „ennet„, auch ein wichtiges Verb, das ein Deutscher wahrscheinlich „eh net“ versteht, steht aber im Duden.

    Müllbeutel an der Migros-Kasse
    Das Endungs-S von Migro-s wird übrigens nicht gesprochen, damit outet man sich gleich als Deutscher, wenn man nicht „mii-groo“ sagt. Müllbeutel gibt es nur an der Kasse zu kaufen und die heissen hier „Kehrricht-Sack„. Warum die nur an der Kasse verkauft werden? Keine Ahnung, vielleicht klauen die Leute gern Müllbeutel, und darum müssen die besonders gesichert behandelt werden, so wie Zigaretten und Präservative.

    Sie kosten auch eine Stange Geld, denn man zahlt im Kanton Zürich nach dem „Verursacherprinzip“ für seinen Müll: Hast Du viel Müll, brauchst Du viele Müllbeutel, bezahlst Du viel Geld dafür. Hast Du wenig Müll, wirfst ihn in den Wald oder kompostierst ihn selbst, zahlst Du wenig. So einfach ist das. Wenn ich dann daran zurückdenke, wie in Deutschland die Müllgebühren in fast allen Gemeinde pro Kopf und Jahr pauschal eingetrieben werden, egal wie müllvermeidend der einzelne lebt, lob ich mir die Schweizer!
    Aber wehe, jemand versucht zu schummeln und kauft einen billigen, nicht offiziellen Müllsack und stellt ihn zwischen die anderen! Das „goot gaga nööt“.

    Haufenwolken an der Kasse: Haben Sie auch Ihre Cumulus-Karte dabei?
    In der Schweiz hat jeder Einwohner zwei Nummer, ohne die sein Leben einfach undenkbar wäre. Das sind
    1. Die AHV-Nummer
    Schweizer Alters- und Hinterlassenen-Versicherungsnummer, sowas wie die Sozialversicherungsnummer in Deutschland.
    2. Die Cumulus-Karten-Nummer
    Spätestens beim Bezahlen an der Kasse werden Sie gefragt: „Haben Sie ihre Cumulus-Karte dabei?“. Falls Sie so ein Ding nicht besitzen, dann verschweigen Sie das lieber und stammeln verschämt: „Äh, nein, leider vergessen….“ Ohne Cumulus-Karte der Migros sind sie kein waschechter Schweizer. Die Schweizer lieben es, Rabatt-Punkte beim Einkaufen zu sammeln. Wenn sie dann ca. für 2.000 CHF bei der Migros eingekauft haben, dann kommt nach Wochen ein Heftchen mit Coupons der Migros zu ihnen. Damit kriegen sie dann zwar nichts geschenkt, aber vieles viel billiger. Immer nach dem Motto: „Wer nie was ausgibt, kann auch nie was sparen“.

    Und so ziehen sie dann los mit ihren Coupons, um beim Kauf von 10 KG Weintrauben 5 CHF zu sparen, oder beim Kauf eines neuen Rasieres im Wert von 200 CHF ihren 10 CHF Coupon einlösen zu können, der selbstverständlich weder übertragbar, noch auszahlbar, und schon gar nicht „cumulierbar“ ist.

    Die Schweizer sind süchtig nach Preisermässigungen. Gibt es irgendwo etwas für 3% oder 5% billiger, sie sind sofort dabei!
    Unser Fitnesscenter in Deutschland hat beim zweiten Familienmitglied sofort den Mitgliedsbeitrag auf 50% reduziert. In der Schweiz kriegen Sie von ihrem Fitnesscenter vielleicht 10% Verbilligung auf den Ehepartner, wenn der auch ein Jahr im voraus bezahlt natürlich. Sensationel!

    Echte Cumulus:
    Cumulus Wolke

    Für Hunde verboten

    September 15th, 2005

    Zwischen Bülach und Kloten gibt es eine ca. 6 Km Militärstrasse aus Betonplatten, genannt „die Panzerpiste„, die für den öffentlichen Verkehr gesperrt ist. Selbst auf den offiziellen Velo-Radweg-Karten der Schweiz ist sie nicht aufgeführt, obwohl sie äusserst beliebt ist bei Joggern, Inline-Skatern und natürlich Radfahrern.

    Panzerpiste aus Betonplatten

    Nebendran sieht man diverse Panzerübungsstrecken mit Hügeln, Gräben und Eisenbahnschienen mitten in der Landschaft, an denen die Soldaten „Schienen sprengen“ üben, wie mir ein Kollege erzählt.

    Eisenbahnschienen ohne Anfang und Ende:
    Eisenbahnschienen als Panzerhindernis

    Am Ende der Piste, in unmittelbarer Nähe zum Beginn der Landebahn des Flughafens, gibt es eine grosse Wiese mit auffallenden Schildern, die ich so noch nie gesehen habe: Hier dürfen keine Hunde hinmachen.

    Hundewiese: Hier robbt der Schweizer!

    Warum bloss? Ganz einfach: Hier robbt der Schweizer!

    Auch andere Dinge werden in der Umgebung trainiert: Häuserkampf (in schicken künstlichen Ruinen aus Beton, die alle gleich aussehen)
    Häuserkampf Trainingsgebiet

    und Entfernungsmessung per Laser, falls ein elektromagnetischer Impuls die gesamte Kommunikationselektronik der Schweiz ausser Kraft gesetzt haben sollte. Das Terrain für die Laser-Entfernungsmessung sieht aus wie ein Golfplatz mit lauter Clubhäusern ohne Fenstern.
    Häuser ohne Fenster für die Entfernungsmessung

    Dazwischen weiden Schafe, wahrscheinlich zur Tarnung. Wer vermutet schon Militärisches beim Anblick einer braven Schafherde?

    Militärische Schafe

    Hörverständnis-Training Schweizerdeutsch

    September 14th, 2005

    Als ich als Deutscher in die Schweiz kam, brauchte ich eine ganze Weile, um die Schweizer im Alltag zu verstehen. Eine gutes Training dafür ist tägliches Radiohören im Auto auf dem Weg zur Arbeit. Auf DRS3 oder Radio24 wird, bis auf die Nachrichten mit den Katastrophenmeldungen, nur Schweizerdeutsch gesprochen.

    Deutsche Urlauber, die auf der A2 von Basel zum Gotthard unterwegs sind, hören da auch manchmal zufällig rein und finden es zunächst putzig zu hören, wie die Schweizer so schwätzen. Nach einer Weile wechseln sie dann stillschweigend wieder den Sender, zurück zu einem Hochdeutschen Programm, denn ohne ausreichendes Training verstehen sie so gut wie nichts, und das ist frustrierend.

    Das Beispiel zeigt: Die Deutschen, die noch im „grossen Kanton“ leben (Schweizer Bezeichnung für Deutschland) haben keine Ahnung, was in der Schweiz abgeht. Sie wissen nicht, was es bedeutet, dass hier tatsächlich ein anderes Deutsch gesprochen wird. Völlig naiv und unbedarft halten Sie Emil Steinbergers Hochdeutsch-Programm für waschechtes Schweizerdeutsch. Die Erkenntnis, in einem ganz anderen Kulturkreis zu leben, kommt ihnen dann aber sehr rasch.

    Hier ein paar Beispiele:
    (sorry, wenn meine Schweizerdeutsche Schreibweise nicht regelkonform ist. Apropos Regelkonform: Welche Regel bitte schön? Jeder schreibt doch sein Schwyzerdütsch wie er will)

    I gang go poschte
    Was treiben die Schweizer nur immer auf der Post? Ständig müssen sie dort hin. Es dauert Tage, bis der Deutsche versteht, dass hier mit „posten gehen“ nichts anderes als „einkaufen gehen“ gemeint ist.

    Die Flak-Helfer in Zürich kriegen mehr Geld
    Ein Bericht im Radio über die Flak-Helfer in Zürich erzeugt Verwunderung. Der zweite Weltkrieg ist doch schon lange vorbei, und damit die Zeit, in der in Deutschland 16jährige Hitlerjungs und Mädchen auf den Dächern sassen und die Flieger-Abwehr-Kanone = FLAK bedienten? Gemeint war jedoch ein ganz ziviler und friedlicher Berufsstand: Die Pflegehelferinnen im Krankenhaus (Schweizerdeutsch: „Spital„)

    Die ISO-k-w-m ist vorbei
    Die Schweiz, ein Land der normierten Zustände, genauso wie Deutschland mit der DIN-Norm, hat für alles eine Standarisierung. Was wird nur in der ISO-k-w-m normiert? Normalerweise sind es doch Zahlen, wie bei der ISO 2001, die für die Benennung verwendet werden?
    Die Lösung: Es geht um Sport, nicht um Normen. Die ISO-k-w-m ist in Wirklichkeit die „Icehockey-WM„, von einem Deutschen falsch verstanden.

    Die Waldstadt Zürich hat Probleme
    Zürich ist für vieles bekannt, für die Streetparade, den Zürisee, die Bahnhofstrasse aber doch nicht gerade für seine Wälder, oder? Natürlich gibt es auch Wälder rund um Zürich: Zum Aussichtsturm auf den Uetliberg kann man fast vollständig nur durch Wälder wandern, aber warum wird darüber von einem Expertenteam im Radio diskutiert? Bald klärt sich die Situation. Nicht von „Wald“ ist die Rede, sondern von den Problemen der „Weltstadt Zürich“.

    Gern!
    Der Schweizer sagt gern „gern„. Zur Bestätigung einer Aussage, am Ende einer Bestellung bei einer Kellerin (die in der Schweiz „Saaltochter“ genannt wird, obwohl niemand versteht, wer dann Vater und Mutter sind).
    Der Deutsche rätselt dann, was dieses „gern“ eigentlich bedeutet:
    Vielleicht: „Ich hab Sie gern?“ Welch plumper Annäherungsversuch von Seiten des Personals!
    Oder: „Sie können mich gern haben„? Das ist genauso unverschämt.
    Wahrscheinlicher ist die Bedeutung: „Ich erledige diese Bestellung jetzt gern für sie.“

    Doch!
    Dieses kleine Wörtchen wird in der Schweiz völlig anders verwendet als in Deutschland.
    „Doch, das ist gut so“ sagt man zu Ihnen, obwohl Sie nie das Gegenteil behauptet haben. „Doch“ bedeutet für die Deutschen, gegen den Widerstand einer Person dennoch etwas durchzusetzen. Doch, das will ich wirklich, auch wenn Du es nicht willst.
    Für die Schweizer ist „Doch“ ein harmloses Wort, mit dem man einen Satz eröffnen kann, egal, was vorher gesagt wurde. Und man hört es doch ziemlich häufig.

    Schweizer Flüche
    Als Deutscher habe ich in den ersten 6 Monaten in der Schweiz ernsthaft geglaubt, dass es auf Schweizerdeutsch keine Flüche gibt. Man hört sie nicht fluchen, die Schweizer. In Frankreich lernt man nach wenigen Stunden schon, was „merde“ bedeutet, in England kann es passieren, dass man Sätze hört, in denen jede zweite Wort im Satz das f*-Wort ist.
    Nicht so in der Schweiz. Ich werde jetzt nicht anfangen, die Flüche aufzuzählen, die ich schliesslich doch noch lernen durfte. Es waren einige, die besorgten Schweizer können beruhigt sein.
    Nachtrag
    Also gut, einen Fluch muss ich erzählen, denn der ist typisch schweizerisch:
    Die Schweizer haben ja eine Milizarmee, und darum hat jeder Schweizer ein Sturmgewehr daheim. Nun kann es passieren, dass so ein Ding von allein losgeht, dass ein Schweizer plötzlich angeschossen wird. Daher kommt der wichtigste Fluch der Schweizer: „Es schiesst mich an!“ Keine Ahnung, was daran schlimm sein soll, ausser dass es wahrscheinlich weh tut oder sogar tödlich ist.
    Bei anderen beliebten Flüchen geht es immmer um „seichte Uhren„. Das verstehen auch die Deutschen, kein Wunder, denn die Schweiz ist ein grosser Hersteller und Exporteur von Uhren. Sind diese Uhren zu flach, also zu leicht und seicht, werden sie verflucht: „Uhren seich!“

    In dem Fall
    Das ist in der Schweiz eine beliebte Verabschiedung, ein Synonym für „ich wünsche Ihnen ansonsten noch ein schönes Wochenende, und machen sie es gut, falls wir uns nicht mehr sehen.“
    Kurz und knapp wird das im Fahrstuhl Freitagnachmittags um 16.00 Uhr mit „in dem Fall?“, Betonung auf „dem“, ausgedrückt.
    In jedem anderen Fall muss man eben weiterarbeiten und darf nicht ins Wochenende.

    Moll
    Hiermit ist keinesfalls das Gegenteil von Dur gemeint. Frei übersetzt: „so ist dann alles wohl geraten!“. Man kann Eindruck schinden bei den Schweizern, wenn man mitten in einem Gespräch äusserst selbstgefällig ein „moll moll“ einfliessen lässt.

    Uff-all-Fäll
    Schön auch der stets passende Klassiker „Uff-all-Fäll“, gesprochen eher „uffallfäll“, klingt ein wenig wie „Unfall“, heisst aber „auf alle Fälle“. Gehört gleichfalls zu meinen Schweizer Lieblingsfloskeln, die auch ein Ausländer gelegentlich unter das Schweizervolk bringen sollte.

    es goot gaga nöööt
    Heisst: „Es geht ganz und gar nicht“. Ausruf des Unwillens, wenn etwas nicht funktioniert und auf keinen Fall möglich ist. Unsere Tochter fuhr mit 6 Jahren mit dem Fahrrad auf dem Bürgersteig (Schweizerdeutsch „Trottoir„). Die Schweizer sagen nebenbei bemerkt nur Vélo dazu und empfinden das Deutsche Wort „Fahrrad“ geradezu lächerlich, denn was sollte man mit einem Vélo denn sonst auch tun, ausser fahren.
    Da fuhr ein Auto der Kantonspolizei vorbei, hielt an und wollte das Radfahren auf dem Gehsteig verbieten: „Das goot gaga nöööt.
    In der Schweiz müssen auch Kinder auf der Strasse fahren, wenn sie denn überhaupt schon Radfahren können. In Deutschland ist das bis zum 8. Lebensjahr verboten, die Benutzung des Bürgersteigs ist Pflicht für die Kinder.

    wird fortgesetzt…

    Verstehen Sie Hochdeutsch? Oder soll ich Schweizerdeutsch sprechen?

    September 13th, 2005

    Wie oft wird man dies als Deutscher in der Schweiz gefragt? In fast jeder Situation ist das der 2. oder 3. Satz. Sobald ein Schweizer merkt, dass man selbst nicht auf Schweizerdeutsch spricht, kommt die Frage:
    Verstehen Sie Schwyzerdütsch? Oder muss ich Hochdeutsch sprechen?

    Ich versichere dann stets, dass ich bereits seit 5 Jahren im Land lebe und leidlich gut Schwyzerdütsch verstehe. Falls mein Gesprächspartner allerdings aus St. Gallen kommt, bitte ich darum, dass wir auf eine Berndeutscher Variante ausweichen, da fällt mir das Verständnis leichter.

    Tatsächlich sind St. Gallen und das deutschsprachige Wallis die Gegenden, mit deren Mundarten ich die meisten Verständnisprobleme habe. Dann warte ich eine weitere Minute, bevor ich mein Gegenüber abrupt frage:
    „Ach Entschuldigung, verstehen Sie Hochdeutsch? Oder soll ich Schwyzerdütsch reden?“
    Meist kommt dann ein fragendes Schweigen, bis ich die Spannung auflöse mit „War nur ein Scherz, ich kann gar kein Schwyzerdütsch“. Die Schweizer sind ein absolut höfliches Volk. Die Deutschen stellen die grösste Ausländergruppe im Kanton Zürich und haben damit seit kurzem sogar die Italiener überrundet. Immer noch geht der Schweizer in seiner höflichen Art davon aus, dass ihn der Deutsche nicht oder kaum versteht, wenn er mit ihm Schwyzerdütsch redet.

    Gefragt wird man jedoch immer weniger, wenn man permanent im Land lebt. Aber es gibt Ausnahmen: So waren wir im letzen Sommer als Touristen unterwegs, mit Fahrrädern und Gepäck, auf einer Tour vom Bodensee zum Genfersee, quer durch das Mittelland, und auf einmal sprach jeder ausschliesslich Hochdeutsch mit uns! Gefragt, ob auch Schwyzerdütsch ok ist, wurde niemals. Es wurde nicht mal ein Versuch gestartet in dieser Sprache. Das sind Touristen, die sprechen Deutsch, also passt man sich an, um einen guten Eindruck zu machen. Die können es ja eh nicht anders.

    Die Schweizer sprechen äusserst ungern Hochdeutsch. Schon allein der Name! Das kling so hochtrabend, nach „hoher Qualität“. Lieber sagen sie „Schriftdeutsch“, nicht ahnend, dass das Adjektiv „hoch“ in „Hochdeutsch“ eigentlich eine geographische Komponente bezeichnet: „Neu-Hoch-Deutsch“ nennen Sprachwissenschaftler das, was wir Deutschen seit dem 17. Jahrhundert reden, wobei „Neu“ für die Zeit steht (im Gegensatz zu Mittel-Hoch-Deutsch im Mittelalter und Alt-Deutsch davor) und „hoch“ für den südlichen Süddeutschen Raum, im Unterschied zu Mitteldeutsch und Niederdeutsch, auch Plattdeutsch genannt.

    Doch Schluss mit dem Klugscheissergequatsche. Die Deutschen in der Schweiz haben ganz andere Probleme, als den Unterschied der Sprachen zu erklären. Es sind die Standard- Kommunikationssituationen, die einfach ganz anders ablaufen und am Anfang für viel Missverständnisse sorgen. Beispiel:

    Eröffnen einer Gesprächssituation:
    Ein Deutscher möchte den Weg zum Bahnhof wissen. Er sieht einen Polizisten in einer deutschen Fussgängerzone und fragt ihn: „Entschuldigen Sie, wo geht es hier zum Bahnhof“.
    Die gleiche Szene läuft in der Schweiz ganz anders ab:
    Gruezi wohl.. – warten auf die Entgegnung – Darf ich ihnen vielleicht eine Frage stellen? — warten auf die Entgegnung — Könnten Sie mir vielleicht sagen, wie ich zum Bahnhof komme? — warten auf die Entgegnung usw.
    Wir lernen daraus: Für die Gesprächseröffnungssequenz muss man sich als Deutscher einfach viel mehr Zeit nehmen. Am Ende des Gesprächs in Deutschland würde der Passant sagen: „Danke und Tschüss“, in der Schweiz wäre das absolut unmöglich und unhöflich. „Tschüss“ ist ein Gruss und eine Verabschiedung nur unter guten Freunden, mit denen man Pferde stehlen kann. Das Gesprächsende braucht einfach viel mehr Zeit in der Schweiz:

    „Dann danke ich Ihnen vielmals für die Information! Ja, ich habe alles genau verstanden. Ja, ich wünsche ihnen auch noch einen schönen Tag. Auf Wiedersehen und nochmals vielen Dank!“

    Die Schweizer pflegen ein Ritual der kontrollierten Gesprächsbeendigung. Dazu gehört auch, dass man sich mehrfach versichert, ob das „nun so gut sei“, und alles verstanden ist.

    Wenn wir als Deutsche diese Spielregeln des Rückfragens und langsam aus der Gesprächssituation Herausgehens nicht einhalten, festigen wir nur unseren Ruf, arrogant und unhöflich zu sein.

    Gespräch am Telefon:
    Das gilt natürlich auch für das Telefon. Es ist unmöglich und unhöflich gleich zu Beginn eines Gesprächs auf das eigentliche Anliegen zu sprechen zu kommen. Smalltalk über das Befinden, das Wetter und die allgemeine weltpolitische Lage müssen zuvor bewältigt werden. Zugegeben, das mit der „weltpolitischen Lage“ war ein Scherz. Die Schweiz ist schliesslich neutral, was interessiert sie da die Welt. Aber der Smalltalk muss sein, und wehe man nimmt sich nicht die nötige Zeit dazu.

    Kommt dann der Moment, an dem ihr Gesprächspartner etwas holen geht, und er nimmt nach 30 Sekunden den Hörer wieder auf, werden sie unweigerlich gefragt: „Sind sie noch da?“
    Es wäre ganz falsch, nun auf diese Frage: „Nein, ich bin geplatzt“ oder „nein, sie sprechen mit meinem Anrufbeantworter (Schweizerdeutsch ist hier kurz und knapp: „Beantworter“).
    „Ja, ich bin noch da“ lautet die korrekte Antwort. Diese Satz fällt ruhig auch mehrmals, wenn ihr Gesprächspartner das Gespräch häufig unterbrechen muss.

    Der „Jööö-Effekt“ und die Wirkung von Hochdeutsch in der Schweiz:
    Eins muss man ganz klar betonen, und die wenigsten Schweizer wissen das: Wenn sie in Deutschland mit leichtem Schweizerdeutschen Dialekteinschlag reden, können sie vom „Jööö-Effekt“ profitieren. (Erklärung für die Deutschen Leser: „Jööö“ ist ein Ausruf des freudigen Erstaunens in der Schweiz)

    Die Deutschen finden ihren Dialekt süss, sie möchten sie am liebsten in den Arm nehmen, man kann ihnen einfach nicht böse sein. Sehr praktisch für Besuche auf dem Finanzamt oder Begegnungen mit der Deutschen Polizei. Das ist eine Trumpfkarte, die man als Schweizer in Deutschland ruhig ausspielen kann. Emil Steinberger ist bekannt und beliebt in Deutschland. Sein „Hochdeutsch“ mit Luzerner Einschlag wird von den Deutschen als „Original Schweizerdeutsch“ empfunden. Auch Ursus & Nadeschkin haben einen Riesenerfolg in Deutschland mit ihrem Schweizer-Hochdeutschen Programm „HAILIGHTS“. Das Ding ist übrigens für Sprachwissenschaftler hoch interessant: Es existiert eine Aufnahme auf Hochdeutsch und eine Aufnahme auf Schwyzerdütsch. Wenn man beide anhört und vergleicht, kann man viel lernen über das Wesen der Sprache. Wer glaubt, dass sich Schweizerdeutsch einfach durch erhöhte Langsamkeit im Sprachfluss auszeichnet, muss sich diese CDs anhören. Das mit der Langsamkeit gilt vielleicht für Bern. Bei Ursus & Nadeschkin geht es in der Schweizerdeutschen Version viel schneller zur Sache. Klar, die beiden müssen sich auch nicht mehr in einer Fremdsprache ausdrücken (was sie natürlich ganz vorzüglich können).

    Besonders rasend schnelles Schwyzerdütsch kann man bei dem ausgezeichneten Kabarettisten (= Neudeutsch „Comedian“) Lorenz Keiser erleben. Der spricht Züridütsch mit einer Geschwindigkeit, da haben untrainierte Deutsche garantiert Hörverständnis- schwierigkeiten.

    Was dem Schweizer sein „Jööö-Effekt“, ist dem Deutschen sein unbewusst unterstellter Kompetenz-Vorsprung nur allein deswegen, weil er Hochdeutsch spricht. Ganz klar, wenn ein Schweizer Hochdeutsch hört, dann hört er „Lehrer-Sprech“, dann hört er „Nachrichtensprache“, dann muss das, was gesagt wird, zunächst einfach mal wahr sein.
    Das ist der Vorteil für die Deutschen: Wenn sie nur klar und deutlich Hochdeutsch reden, wird das was sie sagen ganz einfach mal als richtig und wahr aufgenommen. Hochdeutsch an sich bedeutet für den Schweizer: „Es ist was Offizielles, es kann nicht falsch sein“.

    Es ist nicht umsonst die Sprache für die Katastrophenmeldungen im Radio. Jeder Dialekt-Sender schaltet um auf Hochdeutsch, wenn es einen Stau oder eine Explosion im Gotthard-Tunnel zu berichten gibt. Die Schweizer Kinder assoziieren mit dem Klang von Hochdeutsch automatisch „Katastrophenmeldung„.

    Anders ausgedrückt: Sie könnten als Deutscher in der Schweiz im geschliffenen Hochdeutsch einfach auch den grössten Schwachsinn erzählen, jeder wird ihnen zunächst nur zuhören und Glauben schenken, einfach weil sie so gut Hochdeutsch sprechen. In dieser Sprache werden Fakten vermittelt, keine Unwahrheiten.

    Besonders heikel ist das dann mit der Ironie: Schweizer Zuhörer haben genug damit zu tun, ihren Hochdeutschen Sprachfluss in Windeseile im Kopf zu übersetzen. Da bleibt keine Zeit für Nuancen oder ironische Anspielungen. Seien sie also nicht frustriert, wenn ihre beissende Ironie nicht gleich oder gar nicht verstanden wird. Das kommt dann vielleicht später noch.