Was ist billig in der Schweiz?

September 12th, 2005

Fast nichts ist billig, denn die Schweiz ist eine Hochpreisinsel.

Das kann man überall lesen. Wenn man es hingegen täglich live erlebt, ist das ein ganz anderes Gefühl, ein ziemlich trauriges sogar, um genau zu sein.

Wenn ich bei der Ausreise nach Deutschland von einem deutschen Zöllern gefragt werde: „Haben Sie irgendwelche Waren anzumelden?“, muss ich mich jedesmal stark zusammenreissen, um nicht sarkastisch zu antworten: Nichts ausser ein paar Juwelen und paar Kilo Marihuana. Die Zöller würden keinen Spass verstehen, dass weiss ich, und sofort eine Ganzkörperkontrolle anordnen. Was sollte ich denn schon ausführen wollen, wenn fast alles billiger zu haben ist in Deutschland?

Aber was ist in der Schweiz wirklich billiger als in Deutschland?

  • Gewürze: Keine Ahnung warum, aber die sind hier billiger als in Deutschland. Vielleicht durch niedrigere Zölle?
  • Espresso-Kaffee: Gilt in Deutschland wohl als Luxusartikel, denn wer nennt schon eine feine Espressomaschine sein Eigen. Der darf dann ruhig etwas mehr bezahlen. Nicht so in der Schweiz.
  • Benzin: Ein Grund, warum es kurz hinter der Schweizer Grenze in Deutschland keine Tankstellen gibt. Der Sprit ist in der Schweiz um fast 40% billiger.
  • Telefonieren: Der Schweizer Telefonmarkt wurde frühzeitig und erfolgreich liberalisiert, wodurch ein munterer Konkurrenz- und Preiskampf zwischen der alten Tante Swisscom und den Neulingen Orange, Sunrise und diversen anderen Pre-Select Anbietern entbrannte, natürlich zu Gunsten der Kunden. Wechselt ein Kunde z. B. zu einem Anbieter wie n-tel, kann er für nur 7 Rappen pro Minute mit Deutschland telefonieren. Als dann noch der Kabelnetzbetreiber Cablecom anfing, dem Festnetzanbieter Swisscom mit Telefonie via TV-Kabel Konkurrenz zu machen, z. B. mit 5 CHF weniger Grundgebühr und ab 19.00 Uhr die ganze Nacht für umsonst telefonieren, geriet das Preisgefüge nochmals in Bewegung.
  • Swisscom macht seit dem verzweifelt Werbung bei den verlorenen Schäfchen, doch bitte zurück zum zuverlässigen „National-Anbieter“ zu kommen. Fast monatlich finde ich solche „kommen Sie doch wieder zurück zu uns“ Briefe in meinem Briefkasten. Die Kunden bleiben stur, wer einmal weniger bezahlt hat, bleibt dabei.

  • Internet-Zugang: In der Schweiz werden die TV-Kabelnetze nicht vom grössten Telefonanbieter betreut, und das ist gut so. Denn in Deutschland besitzt die Deutsche Telekom den grössten Teil des TV-Kabelnetzes und denkt überhaupt nicht daran, darüber Breitband Internetzugänge im grossen Stil anzubieten. Sie würden sich ja für die eigenen T-DSL Produkte eine Konkurrenz schaffen.
  • In der Schweiz kann man daher billig über das Kabelnetz surfen, mit Download-Raten von z. B. 2 MBit/sec. für nur 75 CHF im Monat, selbstverständlich rund um die Uhr und als Flatline. 1 Mbit/sec. gibt es auch für 49 CHF. Die Schweiz ist somit ein Traumland für Flatrate-Liebhaber. Auch das Verbinden von Firmennetzen über VPNs ist damit sehr kostengünstig realisierbar.

    Was ist noch billig? Na zum Beispiel:

  • Bücher: Wenn sie in der Schweiz wohnen, dann können sie über Amazon.de günstig Bücher bestellen. Sie werden kostenlos in die Schweiz geliefert und das dauert maximal eine Woche. Man braucht dazu nur eine gültige Kreditkarte oder ein Girokonto in Deutschland, von dem Amazon.de im Lastschriftverfahren abbuchen kann. Ein solches Konto kann sich jeder Mensch in einem grenznahen deutschen Ort kostenlos bei jeder Bank oder Sparkasse einrichten. Die Bücher werden das im Schnitt 30% billiger geliefert! Denn es fehlen die 16% Mehrwertsteuer (oder 18%, falls sie diesen Text nach der Bundestagswahl 2005 lesen und Angela Merkel als Bundeskanzlerin die MwSt erhöht hat) und Amazon.de unterläuft schlichtweg die Buchpreisbindung bei solchen Auslandsgeschäften.

    Selbst die Universitätbibliothek in Bern (in der Bundeshauptstadt!) gibt den jährlichen Bücheretat nicht mehr im Land, sondern bei Amazon.de aus, weil damit dann schliessich auch 30% mehr Bücher fürs gleiche Geld für die Studenten gekauft werden kann

  • . Natürlich liebe ich es, in einer Buchhandlung zu stöbern, natürlich lasse ich mich gern von meiner Lieblingsbuchhändlerin beraten. Wenn es aber ans Kaufen geht, dann plagt mich das schlechte Gewissen: Soll ich aktiv die Schweizer Binnenwirtschaft unterstützen oder lieber 30% Geld sparen? Auch CDs kann man via Amazon kaufen. Überschreitet der Warenwert 200 CHF, dann verlangt der Briefträger bei der Lieferung die 7% Importzoll, was die Silberscheiben immer noch saumässige 23% günstiger macht im Vergleich zu jedem Geschäft in der Schweiz.

  • Modernes Antiquariat (Second Hand Bücher): Die Schweizer haben nicht viel Platz, schon gar nicht in ihren Wohnungen. Und so kommt es, dass sie einmal gelesene Bücher bald wieder los werden wollen. Sie werden zu speziellen „Bücher-Brockenstuben“ gebracht, oder zu einem Bücher Second-Hand Laden, der als „modernes Antiquariat“ die Sachen weiterverkauft. In Bülach gibt es so einen Laden für abgelegte Bücher, und der Inhaber kann sich nicht retten vor den Plastiktüten und Bananenkisten voll mit Büchern, die man ihm vor die Tür stellt.

    Eine unglaubliche Auswahl an Second Hand Büchern

    Er musste schon ein Schild aufstellen: „Es ist bei Strafe verboten, hier einfach Bücher abzustellen.“. Leider habe ich dieses Schild damals nicht fotografiert. Es kam mir unglaublich vor, dass in diesem Land ein Second-Hand-Buchhändler sich vor gebrauchten Büchern schützen muss. In Deutschland zahlen Antiquare sogar Geld für die Kisten mit alten Büchern, die man ihnen bringt. Hier wehrt man sich mit einem Schild dagegen.

  • Die Bücher sind oft neu, und sehr billig. Freunde des modernen Antiquariats können hier jede Menge Schätze entdecken, oft wenige Monate nach Erscheinen eines Buches wird es hier schon wieder gebraucht verkauft.

  • Gebrauchtes, Kitsch, Trödelwaren : Diese Dinge heissen in der Schweiz „Brocken„, so wie Kotz-Brocken, was aber damit nichts zu tun hat. Man findet sie in einer „Brockenstube„, und das Wort kommt eigentlich aus dem Französischen von „Broquantes“, so heissen in Frankreich die Antiquitätenhändler. Brockenhäuser und Brockenstuben sind überall in der Schweiz zu finden. Sie werden meist von wohltätigen Organisationen geführt. Man kann dort billig gebrauchte Möbel, Hausrat und alle Sorten von Trödel einkaufen, auch Bücher.

    Ich habe von findigen Deutschen gehört, die regelmässig über die Grenze kommen, in Brockenstuben viel Trödel äusserst billig erwerben, und ihn anschliessend mit ordentlichem Gewinn über E-Bay wieder versteigern.

  • Im Prinzip kann man sich dort komplett einrichten. Da es in der Schweiz keinen Sperrmüll gibt (bei dem die Menschen ihre alten Möbel an den Strassenrand zur Abholung stellen), ist das der ideale Ort für die erste billige Wohnzimmergarnitur oder das erste Kinderbett.

  • Zugfahren: Die Schweizer fahren leidenschaftlich gern und häufig Zug! Es kostet nicht viel, und ein Halbtaxabo (mit dem man leider keine halb(en) Tax(is) mieten kann), der Schweizer Bahncard sozusagen, kostet nur ein Bruchteil von dem , was man in Deutschland für die 50% Ermässigung hinblättern müsste.

    Das ist noch nicht alles: Viele Pendler leisten sich gleich ein GA, keine „General-Agentur“, sondern ein Generalabonnement, der Freifahrtkarte für alle Züge der Schweiz für ein Jahr. So etwas besitzen in Deutschland nur Bundestagsabgeordnete und sehr gut verdienende Manager der Deutschen Bahn, die sich dann doch lieber mit dem Auto chauffieren lassen. Hier haben es viele, weil es so günstig ist. Zugegeben, die Schweiz ist nicht gross, und von Basel nach Chiasso braucht ein schneller Zug gerade mal 4 Stunden und 21 Minuten. Man fährt also nie lang mit dem Zug, von Zürich aus hat man alle wichtigen Orte in 2-3 Stunden erreicht.

  • Super günstig ist das für die Kinder. Für 20 CHF im Jahr(=13 Euro) kann ein Kind mit einem Elternteil, wenn das ein Halbtax hat, ganz für umsonst auf allen Strecken mitfahren, sogar ein Fahrrad kann es kostenlos mitnehmen. Fahrrad-Tageskarten für die ganze Schweiz kosten im übrigen (mit Halbtax) gerade mal 10 CHF (6.50 Euro), davon kann der Deutsche Bahnkunde nur träumen.

    Zähneputzen auf dem Herrenklo

    September 11th, 2005

    Woran erkennt Mann definitiv, dass er in der Schweiz arbeitet?
    Richtig: An den zähneputzenden Männern auf dem Herrenklo in der Mittagspause!

    Zähneputzen lohnt sich in der Schweiz

    In der Schweiz werden die Zahnarztkosten nicht von der Krankenkasse bezahlt, sondern jeder muss selbst dafür aufkommen. Dadurch ist der Krankenversicherungbeitrag im Vergleich zu Deutschland sensationell niedrig.

    Ein Rechenbeispiel: Als wir von Deutschland vor 5 Jahren fortgezogen sind, bezahlte ich für die Familie ca. 1.000 CHF (damals 1.200 DM) an Beiträgen, hier in der Schweiz komme ich auf knapp die Hälfte. Das liegt an einer Selbstbeteiligung, die in der Schweiz ausgerechnet Franchise genannt wird, was ganz und gar nichts mit dem gleichnamigen Geschäftsmodell des Konzessionskaufs zu tun hat. Sie ist wählbar, und je grösser, desto niedriger die Beiträge. Bei mir sind es 2.000 CHF im Jahr. Bis zu diesem Betrag zahle ich meine Arztrechnungen selbst, erst danach erstattet die Krankenkasse. Das gilt natürlich nicht für Kinder, bei denen wird grundsätzlich 90% der Kosten ganz ohne Franchise erstattet, und sogar eine Zahnversicherung ist möglich, wenn man sie nur frühzeitig abschliesst, bevor eventuelle Kieferorthophädierechnungen für Zahnspangen etc. anfallen. Für Unfallkosten gibt es eine eigene zusätzliche Pflichtversicherung.

    Aber vor allem ist der Beitragsatz so niedrig, weil man hier den Zahnarzt selbst bezahlt. So ähnlich wie den Tierarzt für den Hund in Deutschland. Für beides gibt es keine oder keine bezahlbare Versicherung.

    Wer für seine Zähne selbst bezahlt, weiss sehr schnell, was einmal Karies reparieren so kostet, und kommt dann auch gleich ganz schnell auf den Trichter, wie man diese Kosten enorm senken kann: Durch regelmässige Zahnpflege nach den Mahlzeiten, auch am Arbeitsplatz!

    Darüber hinaus gibt es in der Schweiz einen Berufsstand, den man in Deutschland kaum kennt: Die Dentalhygieniker.

    Dentalhygieniker bei der Arbeit

    Das sind meistens Fachfrauen fürs Zahnstein-Entfernen und Polieren der Zähne. Billiger als ein studierter Zahnarzt, und sicherlich besser ausgebildet als eine Sprechstundenhilfe, die sonst diesen Job leider nur recht leidlich in Deutschland macht. Warum auch gründlich arbeiten, man will sich doch seine Kundschaft noch erhalten, wenn man direkt für den Zahnarzt arbeiten.

    In der Schweiz ist das aufgabenmässig getrennt voneinander, wenn auch viele Dentalhygieniker die Praxisräume eines Zahnarztes nutzen.

    Stichwort Zahnarzt: Dort muss man sich einiges bieten lassen, so z. B. „aufgeboten“ zu werden. Das Aufgebot hat aber nicht zu bedeuten, dass man hier heiratet und sein Aufgebot bestellt oder in die Schlacht zieht, als letztes Aufgebot. Aufgeboten zu werden heisst lediglich: „Wir rufen Sie wieder an, wenn sie kommen sollen“. Daher die Frage am Ende des Zahnarztbesuchs: „Sollen wir Sie wieder aufbieten„? Also lasst euch das einfach bieten, es tut nicht weh, aufgeboten zu werden.

    Wir haben einen Atomschutz-Raum

    September 10th, 2005

    Die Lebensqualität in der Schweiz wird von uns Deutschen als sehr hoch angesehen. Dabei spielen zwei Faktoren eine entscheidende Rolle: Sauberkeit und Sicherheit.

    Die Schweiz ist ein sicheres Land. Sie bietet Schutz für ihre Bewohner. Ganz ohne Ironie und im Ernst: Ein jedes Wohnhaus ist mit einem Bomben- und atomsicheren Schutzraum ausgestattet. Der liegt natürlich im Keller und wird in Friedenszeiten zumeist als ein solcher genutzt. In Bülach ist sogar eine Videothek (kann man dort auch Schulranzen anschauen?) in einem Atomschutzbunker untergebracht.
    Eingang Atomschutzbunker

    Damit man im Ernstfall beim Betreten des Schutzraum auch alles richtig macht, hängt im Eingang unseres Hauses eine Anleitung, was man dorthin alles mitnehmen muss:
    Was mitnehmen in den Schutzraum?

    Jodtabletten (denn die salzige und jodhaltige Meeresluft ist ziemlich weit entfernt von der Schweiz, und einen Kropf will sich niemand holen im Ernstfall.

    Decke oder Schlafsack (die Nächte sind kalt im Atomkrieg)

    Warme Kleider, gute Schuhe (denn man möchte ja während der nächsten 3 Monate im Schutzraum die eine oder andere Wanderung unternehmen)

    Toilettenartikel und WC-Papier (die Trockenklosetts stehen bereit und müssen nur noch aufgebaut werden)
    Trockenklosett

    Kehrrichtsäcke (ob da auch die atomare Müllabfuhr vorbeikommt sie abholen?)
    u. a. mehr.

    Ja, die Schweizer meinen es ernst mit dem Schutz. Und falls das Haus zusammenbricht, gibt es immer noch einen zweiten Notausgang.

    Atomschutzbunker Notausgang in den Garten

    Er führt in den Garten, und überall sind diese runden Deckel in 3-4 Meter Entfernung der Wohnhäuser leicht als Notausstiege zu erkennen.

    Die Atemluft wird mit einer handbetriebenen Filteranlage gesäubert.
    Luftfilter

    So geschützt kann der Atomkrieg kommen, wir werden uns die lange Zeit dort unten mit Wanderungen vertreiben, oder mit munterem Kurbeln an der Luftfilter-Anlage.

    Schlange stehen in der Post am Monatsende

    September 9th, 2005

    Die Schweizer sind ein sehr geselliges Völkchen und gern beieinander. Am liebsten treffen sie sich regelmässig in der Warteschlange vor dem Postschalter am Monatsende. Es gehört zum Schweizer Lebensgefühl, dort mit Bargeld alle anfallenden (Schweizerdeutsch „allfälligen“) Rechnungen zu bezahlen und sich beim Warten die Zeit mit Diskussion darüber zu vertreiben, wie teuer wieder alles geworden ist. Der letzte Satz war glatt gelogen: Es wird niemals diskutiert oder lamentiert dort. Es wird stoisch geschwiegen und gewartet, dass man endlich dran kommt. Das allerdings mit einem gewissen Leidensgenuss. Wie sonst ist es zu erklären, dass viele Schweizer diese Qual jeden Monat wieder über sich ergehen lassen? Zur Abwechslung lässt man sich auch mal gern von einem Trickbetrüger ausrauben (siehe unten).
    Die Post hat Monitore aufgestellt mit einem Unterhaltungsprogramm, um das Warten zu versüssen. Schokoriegel und Bonbons kann man sich auch kaufen in der Halle vor den Postschaltern. Vielleicht kommen ja deswegen die Schweizer immer wieder?

    Ihre Kontonummer will niemand haben:
    Bankkunde zu sein in der Schweiz ist ein völlig anderes Gefühl als in Deutschland. Es beginnt mit der Tatsache, dass solch vertraute Daten wie Kontonummer und Bankleitzahl (über die in Deutschland jede Bank eindeutig identifiziert wird, wie Strasse, Hausnummer und Postleitzahl einer Personenanschrift) plötzlich keine Rolle mehr spielen. Man lernt schnell, dass diese Nummern nicht wichtig sind, und wenn überhaupt nur die internationale IBAN Nummer etwas zählt (falls man Zahlungsverkehr mit Deutschland abwickeln möchte).

    In der Schweiz will niemand ihre Kontonummer wissen. Sie wird geheim gehalten, sie brauchen sie nicht preis zu geben. In Deutschland bekommt man keinen Mietvertrag, keinen Telefonanschluss, keinen Stromanschluss , keine Versicherung und kein Zeitungsabonnement, wenn man nicht seine Kontonummer mit Bankleitzahl angibt, und einem automatischen Lastschriftverfahren (Abbuchung) zustimmt. Das hat zur Folge, das der typische Deutsche bei 10-20 Kontobewegungen monatlich gar nicht mehr so genau weiss, was das denn alles im Einzelnen ist, es geht automatisch von seinem Konto ab.

    Natürlich ist es auch in Deutschland möglich, Telefon und Strom per Rechnung zu bezahlen, aber niemand nimmt freiwillig diesen mühseligen Weg auf sich, wenn doch so einfach abgebucht werden kann. Ehrlich gesagt, die meisten Deutschen haben noch nie darüber nachgedacht, dass es auch anders gehen könnte als per Abbuchung. Das ist einfach so, und es funktioniert meistens prima. Bei Fehlbuchungen kann ich mir ja von meiner Bank die Kohle zurückholen lassen, was horrende Strafgebühren für den Fehlbucher zur Folge hat.

    In der Schweiz bekommt man dafür rosa Einzahlsscheine (sind die wirklich rosa? Oder doch eher rot?) zusammen mit der Rechnung vorausgefüllt zugeschickt, um diese Dinge ganz diskret über die eigene Bank oder noch besser über die Post abwickeln zu können. Und das ist für Deutsche gleich auch das grösste Paradoxon: Die grosse Schweizer Post, das wichtigste Geldinstitut für alle Zahlungsangelegenheit, ist nicht einmal ein Bank. Eine solche will sie werden, und kämpft momentan verbissen darum, von den Kreditinstituten in der Schweiz anerkannt zu werden.

    Momentan ist die Post noch der besagte beliebte Treffpunkt der Schweizer am Monatsende: Man trifft sich in der Schlange vor den Schaltern, mit einem stapel rosa Einzahlungsscheine in der Hand, um seine Miete, seinen Strom, das Telefon, Internet und alle anderen regelmässigen Kosten zu bezahlen. Natürlich in Cash, durch Einzahlung. Sonst müsste man ja seine Kontonummer preisgeben, oder doch auf eine dieser ominösen Abbuchugsanträge eingehen, die ständig ins Haus geflattert kommen.

    Der Schweizer liebt seine Anonymität in Sachen Bankangelegenheit, und sogar der Krankenversicherungsbeitrag wird per Einzahlungsschein bezahlt, obwohl die Versicherung natürlich sehr wohl weiss, wohin sie die Rückerstattungen überweisen soll. So weit geht es noch nicht, dass dafür nur Verrechnungsschecks verschickt werden. Einen solchen habe ich in der Schweiz noch nie gesehen.

    Beim Schlangestehen zu Monatsende gehen die Leute dann mit zig Tausend Franken los, um alles zu bezahlen, und sind beliebtes Opfer von Trickdieben in der Schalterhalle, die z. B. 100 CHF zu Boden fallen lassen, und wenn sich das Opfer bückt, mit dessen Geldumschlag, der schon bereitliegt, plötzlich verschwinden.

    Banking in der Schweiz ist natürlich durch die starke Verbreitung des Internets via Kabelanschluss auch „electronical banking„, und auch hier ist manches anders als in Deutschland: PIN-Nummern von Online-Konten und EC-Karten sind grundsätzlich sechsstellig, und nicht nur vierstellig wie in Deutschland. Zu Zeiten, als man in Deutschland noch mit lax verschlüsselten HTTPS Seiten online ging, gab es hier bereits verschlüsselten Java-Code für den Kontozugang, der selbstverständlich über SSL-Verschlüsselung, mit einer spezielle Zugangsnummer PLUS geheimes Passwort PLUS einer TAN-Streichlistennummer authentifiziert werden muss. Nach wenigen Minuten ohne Aktivität wird man rausgeworfen, und ordentlich abmelden muss man sich auch im Browser, sonst meckert der Server beim nächsten Mal.

    Pin-Nummern von EC-Karten kann man im übrigen an jedem Bankautomat sofort ändern, auch das habe ich in Deutschland noch nie gesehen. Leider führt dass dann dazu, das manche Leute die Nummer 123456 oder 888888 verwenden, wirklich schwierig zu merken.

    Bei der Deutschen Postbank Online (das ist wirklich eine Bank in Deutschland!) reicht die Eingabe der Kontonummer (die auf jedem Briefpapier zu finden ist) und einer nur 4stelligen Geheimzahl. Danach wird mit schlichtem SSL/HTTPS verschlüsselt. Kein Wunder, dass dieses Institut immer wieder Ziel von „Phishing„-Angriffen wird, bei solch laxen Sicherheitsvorkehrungen.

    Noch ein paar Unterschiede, an die man sich erst gewöhnen muss:

    Sie wollen also einen Dispokredit haben?
    Einen automatischen Dispo-Kredit in 2-3 facher Höhe des monatlichen Gehaltseingangs bekommt man in Deutschland grundsätzlich nach 3 Monaten von seiner Bank geschaltet. Wenn man ein bisschen bettelt, sind da schnell 10.000 Euro „Konsumenten-Dispo-Kredit“ möglich. Die hohe Anzahl von verschuldeten Privathaushalten in Deutschland ist die Folge. Versuchen Sie dies mal in der Schweiz bei ihrem Geldinstitut als Privatkunde, der nicht mit 200.000 CHF Einlage daherkommt:
    „Sie wollen einen Überziehungskredit? Wären für den Anfang 1.000 CHF ausreichend? Aber bitte immer bald zurückzahlen!“

    Lächerlich ist da, einfach lächerlich, wenn man deutsche Konditionen gewohnt ist. Aber auch sehr weise, denn so verhindert der Staat die rasche und hoffnungslose Überschuldung seiner Bürger. Hat man dann vielleicht 150 CHF Dispo-Kredit tatsächlich über 6 Wochen in Anspruch genommen, ohne das Konto aktiv aufzufüllen, so hagelt es schriftliche Ermahnungen von Seiten des Geldinstituts, immer von zwei Leuten unterschrieben. Die Schweizer Bank macht sich Sorgen, wo das Geld bleibt, anstatt sich darüber zu freuen, dass sie prima Überziehungszinsen in Rechnung stellen kann. Paradox.

    Zahlungsziel 30 Tage:
    Zahlen muss man seine normalen Rechnungen übrigens grundsätzlich erst nach 30 Tagen, das ist in der Schweiz so üblich. Wenn jemand kürzere Fristen verlangt, gilt er als misstrauisch und nicht den Schweizer Konventionen folgend.

    Nach4 Monaten Strombezug vom Stromlieferanten EKZ gibt es die erste Rechnung. Die ist dann für die ersten 3 Monate, und man braucht sie wiederum erst in 30 Tagen zu bezahlen. Alles klar? Wer eine Website anmietet, bekommt sie bei fast allen Provider binnen (Schweizerdeutsch „innert“) weniger Stunden freigeschaltet, mit vollem Zugriff, und eine Rechnung erfolgt nach 1-2 Wochen, mit aufgedrucktem Zahlungsziel von 30 Tagen, was sonst.

    Sind sie nicht grosszügig und geduldig, die Schweizer?

    Ergreift das Referendum und traktandiert es tüchtig!

    September 8th, 2005

    Ja ist das Referendum denn schon wieder auf der Flucht?

    „Die Gewerkschaften haben angekündigt (…) notfalls das Referendum zu ergreifen“
    (Tages Anzeiger vom 10.9.05).

    In Wirklichkeit ist hier niemand auf der Flucht. Es wird damit gedroht, durch eine basisdemokratische Volksabstimmung (=Referendum), es „denen da oben“ mal tüchtig zu zeigen.

    In der Schweiz gibt es ein beliebtes Synonym für „das Volk“: Es wird häufig als „der Souverän“ bezeichnet. Unter einem Souverän (von lat. „Superanus“ = über allen stehend) versteht man laut Wikipedia den Inhaber der Staatsgewalt..

    Ist das Referendum einmal vom Souverän ergriffen, wird es gleich darauf „traktandiert“. Nein, auch dies ist kein Schreibfehler. Hier sollte nicht „traktiert“ stehen. Es kommt hingegen auf die Tagesordnung und wird zu einem „Traktandum“, Neudeutsch also T.O.P oder „Tages-Ordnungs-Punkt“.

    Wir lernen daraus: Die Schweizer haben hier ein wunderschönes Wort in Gebrauch, welches uns Deutschen ganz einfach fehlt! Zumal es ausserdem noch Lateinisch ist.