Ganten auf der Gant

September 7th, 2005

Ein Ganter ist eine männliche Gans. In Freiburg heisst die grösste Lokalbrauerei Ganter. Aber was ist eigentlich „ganten“ und eine „Gant“? Laut Duden sind das schweizerdeutsche Wörter für „versteigern“ und „Versteigerung“. Eine solche findet jedes Jahr im September in Bülach statt. Gestohlene und gefundene Fahrräder werden versteigert. Die meisten wechseln für 5-20 Franken ihren Besitzer. Interessant sind die rechtlichen Grundlagen für so eine Versteigerung: Unter anderem heisst es auf einem ausgeteilten Handzettel:

  • Keinerlei Garantie oder Nachwährschaft.
    Der Versteigerer entschlägt sich jeder Verantwortung bei allfälligen Abhandenkommen oder Untergang des zugeschlagenem Steigerungsguts.

Ich möchte mir den Satz erklären lassen vom Versteigerer. Wo können den hier Fahrräder untergehen, ich sehe gar keinen Teich? Doch der entschlägt sich seiner Erklärungspflicht und ich gebe es auf, Schweizer Schriftdeutsch zu verstehen. Ein Blick ins Obligationsrecht (korrekt heisst es „Obligationenrecht„) zum Thema Ganten bringt noch zahlreiche weitere schöne Wörter zu Tage:

  • Der Gantrotel (so eine Art Quittung für ein ersteigertes Objekt)
  • Die Gantbeamtung, der Gantmeister, die Gantbedingungen.
  • Es gibt sogar eine Fahrnisgant, bei der Holz, Gras oder Obst der Gemeinde versteigert werden können.

    Mein absolutes Lieblingswort ist der Gütergantroteldoppel, von dem es im Obligationsrecht heisst:

      Das Original eines Gütergantrotels übergibt die Gantbeamtung dem Grundbuchamt, das Doppel dem Verganter. Bei einer Fahrnisgant dagegen ist das Original dem Verganter zuzustellen, während die Abschrift in der Verwahrung der Gandbeamtung verbleibt“

    Das plötzliche d im letzten Gand ist kein Schreibfehler, sondern offensichtlich historisch gewachsen.

    Soll hier ein Schwein gegrillt werden?

    September 6th, 2005

    Die Schweizer sind absolute Grill-Weltmeister. Überqueren wir die Grenze von Deutschland kommend, erkennen wir an den zahlreichen Gartengrills vor jedem Haus sofort, dass wir in der Schweiz angekommen sind. Ausserdem gibt es diesen merkwürdigen Riesengrill vor jedem Wohnblock zu bewundern:

    Wozu dieses Gitter?

    Oder ist es doch nur eine Ablagestellfläche für den Wäschekorb, bequem in Griffhöhe, wenn die geplagte Hausfrau Wäsche auf die Leine hängen möchte? Ganz falsch: In der Schweiz wird draussen keine Wäsche getrocknet, dafür gibt es in jedem Wohnhaus die gemeinsam genutzte Waschküche mit Trockenraum. Es handelt sich bei diesem pussierlichen Riesengrill um ein Gestell, auf dem kleine Teppiche und Fussabtreter bequem ausgklopft werden können oder konnten, bevor die Erfindung des Staubsaugers dies überflüssig machte. Vorteil dieser öffentlichen Teppich-Ausklopf-Stelle: Es macht tüchtig Krach und die Nachbarn können mitkriegen, das man gerade am Putzen ist.

    Schweinegrill

    Freilich würde ein Schweizer sowieso niemals grillen, schon allein aus Rücksicht auf die kleinen grünen Hüpftierchen gleichen Namens, sondern er „grilliert“. Genau wie parkieren und foutieren ein Schweizer Verb auf -ieren.

    Oder der Schweizer „brätelt“. Bei einer Einladung zum Ausflug in die Natur wird man häufig gebeten, etwas zum Bräteln für das finale Picknick mitzubringen.

    Ein jeder grilliere vor seinem Haus:
    Gartengrill

    Es gibt (fast) keine kostenlosen Parkplätze in der Schweiz

    September 4th, 2005

    Die Schweiz ist ein kleines Land, ein Land mit extrem wenig Platz. Das gilt ganz extrem für Autos, die geparkt werden müssen. Der Schweizer parkt sie nicht, er parkiert sie. Denn in einem Park gibt es Bäume und grünen Rasen, und das hat nun wirklich nix mit Autos zu tun.

    Die grössten freien Flächen der Schweiz finden sich in den Bergen, genauer gesagt an den Berghängen, doch leider sind sie ab 45% Steigung kaum nutzbar. So kommt es, das man fast in der ganzen Schweiz keinen Ort mehr finden, an dem man sein Auto am Abend kostenlos draussen parkieren kann.

    Während es in jeder Deutschen Stadt üblich ist, einfach am Strassenrand in einem Wohnviertel einen Laternenparkplatz zu benutzen,

    Wohnstrasse mit ungenutzten Laternenparklätzen:
    freier Laternenparkplatz in einer Wohnstrasse

    und dies fast überall, ausser vielleicht in den Innenstädten, gestattet ist, sind alle Strassen der Schweizer Städte am Strassenrand absolut autofrei. Geparkt werden darf nur auf privater Fläche, in Tiefgaragen und in sogenannten blauen Zonen für eine begrenzte Zeit.

    Ein Autoparkplatz ist kostbar und teuer. Er wird in der Regel mit der Wohnung angemietet und kosten im Schnitt locker um die 100 Euro im Monat. Für Besucher von Liegenschaften stehen zeitlich begrenzte Besucherparkplätze zur Verfügung. Aber wehe es kommt jemand auf die Idee, einen solchen Platz für Dauer zu nutzen! Die Rache und der Unwille der Nachbarn wird ihm sicher sein.

    Freier Besucherparkplatz, nur für Besucher!
    Besucherparkplatz

    Eine Ausnahme gibt es: Die grossen Einkaufzentren der Schweiz, so z. B. das Glattzentrum in Wallisellen bei Zürich, werben explizit mit kostenlosem Parken in der Weihnachtszeit: Es wird das Bild einer mit Geschenkpapier eingewickelten Parkuhr als Werbebotschaft verklebt. „Kommt zu uns, wir haben 4.800 kostenlose Parkplätze“… das ist ein Angebot, das zieht. Immer mehr Warenhäuser (z. B. Coop in Bülach, Ikea in Dietlikon) verlangen für ihre Parkhäuser Geld. Erst ab 50 CHF Umsatz wird manchmal die Parkgebühr erstattet.

    Auch Industriegebiete und ländliche Regionen sind vollkommen in kostenpflichtige Parkzonen aufgeteilt. Kostenloses Parken gibt es hier nur noch auf Wanderparkplätzen, und dort auf keinen Fall über Nacht.

    Reglementiertes und kostenpflichtiges Parken überall, hier in „weissen Zonen“:
    Weisse Zonen

    Rückwärts vorstellen und „Kehren“ statt „Umdrehen“

    September 3rd, 2005

    Die Schweizer stellen sich rückwärts vor, daran muss man sich als Deutscher erst einmal gewöhnen: Wenn als sich jemand mit Felix Kurt, Grüezi vorstellt, können Sie davon ausgehen, dass der Mann mit Familiennamen Felix heisst, und mit Vornamen Kurt.

    Das sorgt häufig für Verwirrung: Peter, Hansruedi ist nicht Herr Hansruedi, mit Vornamen Peter, sondern Herr Peter, mit Vornamen Hansruedi.

    Leider sieht man das Komma in der gesprochenen Sprache nicht.
    So werden auch Briefe adressiert, und bei den Deutschen, die neu ins Land kommen, gehört ein gedrehter Name zur täglichen Erfahrung.

    Apropos drehen: In der Schweiz wird nicht gedreht, sondern gekehrt.
    Nicht mit dem Besen, die Strasse zu Beispiel. Die wird gefegt, nein, es wird die Reihenfolge gekehrt, nicht gedreht.

    „Das können sie auch kehren!“ ist keine Aufforderung für eine Putzkolone, sondern die Bitte an Sie, etwas anders herum zu tun.

    Wenn man ein paar Jahre im Land lebt, übernimmt man natürlich ganz unweigerlich diese Formulierung. In der Literatur von Schweizer Autoren ist die Verwendung von kehren statt umdrehen ein eindeutiger Beweis für die Herkunft aus der Schweiz. Bei Max Frisch oder Friedrich Dürrenmatt wurde das früher immer durch die Lektoren korrigiert. Heute gilt es als schick, Helvetismen im Text zu belassen.
    Martin Suter oder Markus Werner liefern einige Beispiele dafür.

    Schweizer haben einen ausgesprochen Sinn für Sprachökonomie. Viele Schweizer Formulierung sind deutlich kürzer als das Hochdeutsche Equivalent: kehren hat 6 Buchstaben, umdrehen hingegen neun. Kleines Land und kleine Wörter. So gibt es immer genug Platz für alles.

    Wie betreibt man eine Betreibung?

    September 2nd, 2005

    Als Deutscher in der Schweiz hört man nicht auf, täglich neue Wörter der Deutschen Sprache zu erlernen. Wörter, die total Deutsch klingen, und doch zunächst völlig unverständlich sind für Deutsche:

    So ungefähr das erste Wort, was man noch vor dem Umzug in die Schweiz lernt, ist die Betreibungsauskunft. Ein solche soll man nämlich vorlegen, will man erfolgreich eine Wohnung anmieten. Wo bekommt man die? Natürlich beim Betreibungsamt

    Die Schweizer treiben es manchmal bunt, wenn es jemand ZU bunt treibt, wird er betrieben, passivisch gesehen, durch einen Betreibungsbeamten. Der heisst manchmal auch Friedensrichter, denn er soll Frieden schaffen ohne Waffen zwischen den streitenden Parteien.

    Es geht nämlich um Schulden, die nicht bezahlt werden, und darum ein-ge-trieben werden vom Betreibungsamt. Ein solches hat jede Gemeinde, und weh‘ Dir, es liegt eine Betreibung gegen Dich vor! Dann hast Du keine makelose Betreibungsauskunft uns aus isses mit dem Traum von der schicken Wohnung.

    In der Schweiz ist es theoretisch sehr einfach, jemanden einen „negativen“ Eintrag beim Betreibungsamt zu verschaffen. Man muss einfach behaupten ich bekomme noch Geld von dem für die und die Rechnung, und schon ist die Auskunft nicht mehr makelos. Soll in der Vergangenheit schon öfters passiert sein, wenn zwei potentielle Käufer sich beim alten Mütterchen um die alte Villa bemühen, und die eine saubere Betreibungsauskunft verlangt. Sie will ja schliesslich wissen, ob der Käufer keine Schulden hat. Flugs startet der eine Käufer eine Betreibung gegen den anderen, die dann zwar — irgendwann — unbegründet abgewiesen wird, aber bis dahin ist der Kauf der Villa längst über die Bühne gegangen.

    Wenn man nicht ganz sicher ist, ob ein zukünftiger Geschäftspartner oder Arbeitgeber auch immer seine Rechnungen bezahlt, kann man sich bei der zuständigen Gemeinde gegen eine Gebühr immer eine Betreibungsauskunft holen, und da steht, je nach Ausfertigung und Preis, genaustens drin, ob diese Firma alles bezahlt hat in der Vergangenheit, oder ob man da lieber nicht anfangen sollte.

    Also es nicht übertreiben, mit dem be-treiben!!!