Das Schweizer „Türen-aufhalten-Phänomen“
September 1st, 2005Die Schweizer sind ein äusserst höfliches und zuvorkommendes Volk, das erlebt man als Deutscher besonders deutlich. So ist es nicht verwunderlich, dass uns die Schweizer oftmals als äusserst unhöflich, ruppig und arrogant empfinden. Den Grad der Höflichkeit und Zuvorkommenheit der Schweizer kann man am besten beobachten beim „Türen-Aufhalten-Phänomen„: Durchquert in der Schweiz jemand eine Eingangstür, Glastür, Zwischentür in einem öffentlichen Gebäude oder in einem Bürokomplex, so schaut er unweigerlich hinter sich, ob da nicht noch jemand kommt, dem man die Tür aufhalten muss. Entscheidend ist nun die Distanz bis zu dieser Person. Selbst wenn die nachfolgende Person noch 5-10 Meter entfernt ist, wird eisern die Tür für sie aufgehalten.
Ob es sich hier um einen alten „Überlebensinstinkt“ handelt, die Fluchtwege offen zu halten, auch für die Rudel-Genossen? Oder ob man stets befürchtet, dass es ein Vorgesetzter sein könnte, ist nicht mehr zu klären. Jedenfalls hält man in der Schweiz die Tür auf, und zwar lange… sehr lange. Wer unter 7 Meter Abstand zum nächsten eine Tür zuschnappen lässt, outet sich unweigerlich als ungehobelter Deutscher. Das gilt übrigens auch für Toiletten-Türen, wodurch die Sache ab und an recht absurde Züge bekommt:
Du wäschst dir noch in Ruhe die Hände, während da seit 20 Sekunden jemand für Dich die Ausgangstür offenhält. Denn sie einfach zu fallen zu lassen, womöglich in 5 Meter Distanz, das wäre äusserst unhöflich und kommt gar nicht in Frage.
Ich arbeitete eine paar Jahre in einem Bürohochhaus, und am Freitag Nachmittag musst ich oft mit Tasche und Computer unter dem Arm etliche Zwischentür und Korridore auf dem Weg zur Tiefgarage überwinden, dabei keine Hand frei. Fast immer fand es sich, das zufällig jemand den gleichen Weg hatte wie ich, und nun bei jeder Passage wieder und wieder so freundlich war, mir die Tür aufzuhalten, den richtigen Fahrstuhlknopf zu drücken usw., bis weit in die Tiefgarage hinein.
Dort pflegte ich mich zu bedanken mit dem Satz: „Jetzt müssen Sie mich nur noch heimfahren, das wäre perfekt.“
Später arbeitete ich in einem Gebäude mit Sicherheitsdrehtüren, die auf Knopfdruck immer nur genau eine Person durchlassen. Die Schweizer, die mir bis zu dieser Stelle alle Türen offen gehalten hatten, scheinen stets aufs Neue daran zu verzweifeln: Wie hält man eine Drehtür offen? Es geht nicht, also kapitulieren sie und wünschen einen schönen Feierabend, sichtlich frustriert darüber, dass auch die Schweizer Höflichkeit an den Tücken der neuen Sicherheitstechnik scheitern muss.
