Bitte keine Törlis oder Fränklis

Oktober 1st, 2005

Viele Deutsche meinen, der Schweizer Dialekt sei ganz einfach. Man müsse nur an jedes Wort das Suffix -li anhängen, schon spreche man perfekt Schweizerdeutsch. Das funktioniert schon schlecht bei einigen Wörtern wie „Der Gipfel“ => „Gipfeli“ (weil das was zu essen und nix zu besteigen ist), oder „Der Morgen“ => „Mörgeli“ (ein Nationalrat der SVP, der sich jede Verkleinerungsform verbietet). Bei den wirklich wichtigen Wörter geht es jedoch schief, und zwar so schief, dass die Schweizer ganz schön darunter leiden.

  • Niemals Fränkli
  • Kurz vor der Tagesschau kam im deutschen Fernsehen ein Bericht von der Frankfurter Börse. Es ging um die Zukunft der Fluggesellschaft SWISS, sie sollte verkauft werden, eventuell an die Deutsche LUFTHANSA. Der Reporter meinte einen besonders „schweizerischen“ Kommentar abgeben zu müssen und sagte:
    „Die Schweizer müssen nun zusehen, wie sie ihre Fränkli zusammenbekommen“.
    Falsch! So etwas Ernstes und Wichtiges wie den Schweizer Franken würde der Schweizer nie verkleinern! Es gibt das Füdli (schwäbisch als Fiedle bekannt, gemeint ist der meist pfundsschwere Hintern) , das Säckli (das ist jetzt nicht was Unanständiges, nein, sondern einfach nur eine kleine Plastiktüte), aber niemals nie den Fränkli. Das sind und bleiben immer Franken, oder vielleicht noch Stutz, wenn man es denn familiär ausdrücken möchte.

  • Fussballspiel Deutschland-Schweiz Juni 2004
  • Beim Freundschaftsspiel Deutschland-Schweiz, wenige Wochen vor der EM in Portugal, geschah wieder die klassische Deutsch-Schweizerische Sprachvermischung. So schrieb die Bildzeitung am Tag des Spiels:
    „Jetzt müssen wir Törli machen gegen die Schweizer“.

    Kein Schweizer würde diesen Satz verstehen, obwohl das anscheinend Schweizerdeutsch sein sollte. Denn erstens heisst es Goal und nicht Tor in der Schweiz, und ein Goali ist ein Torhüter, aber nicht ein kleines Tor. Warum sollte man auch Tore verkleinern? Da trifft doch niemand mehr rein. Für die Deutschen war das Schweizer Tor gross genug, das Spiel endete 2:0.

    Wo wir grad beim Fussball sind:
    Die Schweizer haben die Eindeutschungen der Fussballsprache nicht mitgemacht, nachdem sie 1895 ihren eigenen Fussball-Verband gegründet haben. Es heisst hier „Penalty“ und nicht Strafstoss, und Schweizer Mannschaften tragen Namen wie „Grasshoppers„, „Old Boys“ oder „Young Fellows„. Das ist praktisch für die britischen Talentaufkäufer, so können sie die Heimat-Vereine ihrer zugekauften Spieler leichter aussprechen.

  • Juli 2004: Europäische Fussballmeisterschaft
  • Die Schweiz war heilfroh, diesmal auch an einem internationalen Fussballwettbewerb teilnehmen zu dürfen. Es wurden alte Graubündner Adelsnamen aufgeboten, so z. B. der Stürmerstar Nikan Hakanyaki. Man spielte durchweg mit Stil, genauer: Mit Jörg Stiel, dem „Goali“ der „Natzi“ (= Nationalmannschaft), der übrigens ein Ex-Deutscher ist, wie ich später erfuhr.

    Leider kam die Schweiz nicht sehr weit. Immerhin wurde ein Tor geschossen. Das allererste „Feldtor„, das die Schweiz in einer Europameisterschaft überhaupt je erzielen konnte. Ein Feldtor ist ein Tor, dass in offener Feldschlacht erzielt wird, und nicht beim Elfmeterschiessen geschossen oder als Trostpreis in Form eines Eigentors vom Gegner verschenkt wurde. Doch es nützte nicht viel: Die „Equipe tricolore“ der Franzosen zog durch ein mühsames 3:1 (1:1) in ihrem letzten Vorrundenspiel gegen den krassen Außenseiter Schweiz zum dritten Mal in Folge ins EM-Viertelfinale ein.

    Zuletzt vor 9 Jahren beim Eröffnungsspiel 1996 erzielte der Schweizer Landsmann Kubilay Türkyilmaz (wiederum alter Graubündner Adel) einen Elfmetertreffer.

    Wisst ihr was, lasst uns doch demnächst lieber wieder über Tennis reden, einverstanden?

    Stossen statt Drücken — Anstösser erregen keinen Anstoss

    September 23rd, 2005
  • Fussgänger bitte drücken
  • Fussgänger drücken
    Wenn ein Deutscher an einer Fussgängerampel steht und diese Aufforderung wörtlich nimmt, müsste er anfangen, die Fussgänger neben sich herzhaft in den Arm zu nehmen und sie zu drücken. Kommt er hingegen in der Schweiz an eine Tür, muss er diese „stossen“, nicht drücken.

    Bitten Stossen

  • Stossen ist schmerzhaft
  • „Stossen“ ist für Deutsche immer ein schmerzhafter Prozess. Man kann sich z. B. das Knie anstossen, oder den Kopf. Nur bei den Kugelstossern und Gewichthebern ist es eine gewollte und fleissig trainierte Bewegung, das Stossen, mit grossem Leiden und Gestöhne verbunden.
    Stossen ohne wehtun
    Sonst drücken wir Deutschen lieber. Es drückt uns der Schuh, wir drücken uns um etwas, und natürlich drücken wir auch unsere Liebsten.

    Anstösser erregen keinen Anstoss

  • Der Anstösser erregt Anstoss

  • In der Schweiz erregt ein Anstösser keinen Anstoss sondern er stösst an. Anstossen würden wir in Deutschland nur mit einem Glas Wein oder Sekt in der Hand. Ein „Anstösser“ hätte in Deutschland sicherlich ein Anliegen, und ist daher ein Anlieger, demzufolge hiesse das Schild „Anlieger frei“.

    Anlieger haben ein AnliegenWenn Sie auch ein Anliegen haben, können Sie das jetzt an dieser Stelle vorbringen, oder einfach weiterfahren, da wo es für alle anderen verboten ist. So einfach ist das natürlich nicht. Ein „Anlieger“ ist in der deutschen Strassenverkehrsordnung nicht ein Mensch mit einem Anliegen, sondern ein Bewohner der Strasse. Und nur wenn ein solcher Bewohner einer Strasse mit im Auto sitzt, dürfen Sie diese Anliegerstrasse überhaupt befahren. Sonst kostet es 15 Euro = 23 CHF Busse.

    Einmal in was warmes Weiches fassen — Mit Hund unter Hündelern in der Schweiz

    September 19th, 2005

    Richtig angekommen sind Sie als deutscher Hundebesitzer in der Schweiz erst, wenn Sie zum ersten Mal, vielleicht gleich am Morgen nach ihrem Umzug, ihrer „Aufhebepflicht“ nachgekommen sind: Einmal in was warmes Weiches fassen, mit dem über die Hand gestülpten braunen Plastiksack,
    Der Robidog Beutel für das warme Weiche
    das Häufchen aufheben, den Sack sauber verknoten, und dann ab damit in den grünen Hundebriefkasten:

    Hundebriefkasten?
    Hier ist es richtig.

    Briefkasten mit Hund
    Hier ist es falsch.

    Dann sind sie ein waschechter „Hündeler“, dann haben Sie ihre Feuerprobe bestanden und können wie alle anderen Hündeler in Zukunft mit Stolz ihren braunen Sack als Abzeichen an die Hundeleine geknotet spazieren führen.

    Das braune Ehrenzeichen am roten Bande:
    Hundeleine mit Abzeichen

    Das System ist perfekt. Die Schweiz ist ein angenehm Hundekot freies Land, sieht man einmal ab von den eigensinnigen Welschen in Genf. Dort behilft man sich an Stelle der Aufhebepflicht mit Mosaiken von Hunden, die schwören, nicht auf den Gehweg zu kacken zu wollen.
    Ich kacke nicht auf den Gehweg
    Ob das funktioniert und die Hunde das entziffern können?

    Die Nachbarländer haben begonnen, dieses Erfolgsmodel der Aufhebepflicht fleissig zu imitieren. Anders als in Berlin oder Paris muss man bei Spaziergängen durch eine schweizer Stadt nicht permanent den Gehweg (Schweizerdeutsch „Trottoir“) im Auge behalten, um nur ja nicht in eine Tretmine zu tappen.

    Bisweilen findet man auch speziel abgezäunte kleine Grundstücke mit einem einladenden Schild: „Hundeversäuberungsplatz“. Hier können sich also Hunde „versäubern“, aber warum liegen dann nicht Handtuch und Seife bereit?

    Eine Steuer müssen Sie selbstverständlich auch zahlen für ihren Hund, nur hat die in der Schweiz einen viel schöneren Namen. Sie wird „Hundeverabgabung“ genannt. Welch geniale Sprachschöpfung eines deutschen Wortes! Jede Gemeinde hat hierzu ihre eigenen Vorschriften, wie ein Blick in Google zu dem Wort „Hundeverabgabung“ beweist: (301 Treffer dazu!)

    Zitat:

    Es sind alle Hunde im Alter von über sechs Monaten zu verabgaben.

    Das Wort ist scheints so schwer, dass es nicht immer gleich geschrieben wird, so wie in der Gemeinde Grüningen, denn dort wird „Hundevergabung“ daraus. Vergibt man hier den Hunden? Oder werden Hunde vergeben? Oder geschah dies vielleicht alles früher einmal, den „Vergabung“ ist doch offensichtlich die Vergangenheit?

    Übrigens nehmen die meisten schweizer Gemeinden mit der Hundeverabgabung mehr Geld ein, als das Aufstellen und Leeren der Hundebriefkästen kostet, und die Mehreinnahmen werden dem Stadtsäckel stillschweigend als „Zustupf“ (Schweizerdeutsch für „Hilfsgelder, Stütze“) zugesteckt. Also keine Rückzahlung an die Hündeler in Form von Hundekuchen oder so. Denn merke: Hündeler haben keine Lobby, die haben Hunde.

    Als Hündeler in der Schweiz werden Sie schnell Kontakt finden zu anderen Hündelern, sie werden die Hundenamen und Rassen kennenlernen und beim Griff ins warme Weiche werden sie uneingeschränkte Solidarität empfinden!

    Pinkeln erlaubt auf der Hunde-Versäuberungsstrecke:
    Hier ist das Pinkeln offiziell erlaubt

    Tut Busse und seid unfehlbar — Schweizerdeutsch für Anfänger

    September 17th, 2005
  • Tut Busse und nehmt die Polizeibusse
  • Busse tun ist eine Christenpflicht, zu büssen und durch die Busse dann Vergebung zu erlangen, sei unser Lebensziel. Nicht so in der Schweiz, denn hier ist Busse etwas sehr Profanes, Weltliches. Die Busse wird von der Polizei auferlegt und kostet 200 CHF:
    Polizeibusse wird angedroht

    Wer genau hinschaut, kann noch ein wunderbares schweizerdeutsches Wort lernen. Eines mit drei M, drei N und vier A: Das Stadtammannamt. Dazu passend gehört dann auch der Stadtammann, gleichbedeutend mit „Gemeindepräsident„, der in Engelberg auch als „Talammann“ bezeichnet wird (bitte nicht aussprechen wie „Ballermann„, sondern wie „Tal-Ammann„!)

    Polizeibusse in Deutschland hingegen sind etwas ganz anderes:
    Polizeibus

    Dennoch kann es passieren, das man in der Schweiz etwas falsch macht, dass man es nicht schafft, unfehlbar zu bleiben, zum Beispiel beim heimlichen Deponieren von Müll.
    Fehlbare werden verzeigt
    Die nette junge Damen links im Bild kommt aus Japan, heisst Nahoko und freut sich über grandiose Wörter der Deutschen Sprache, die alle im Duden stehen.

    Während wir in Deutschland „angezeigt“ werden können, müssen wir in der Schweiz nicht verzweifeln, wenn wir „verzeigt“ werden. Unser Schicksal ist dann noch nicht „vergeigt„. Kommt es dann zur polizeilichen Untersuchung, werden wir auch nicht „vernommen“ durch den Polizisten, sondern „einvernommen„. DieEinvernahme“ ist demzufolge in der Schweiz die polizeiliche Befragung, das Verhör. Ein ziemlich einnehmendes Unterfangen.

    Sind Sie in einer solchen Situation allein bei der Polizei, sollten Sie sich nicht versprechen, sondern jemanden haben, der für sie spricht. In der Schweiz heisst so jemand daher: Der Fürsprecher, das ist ein Rechtsanwalt. Immer dran denken: Wir bewegen uns hier in einem sehr deutschen Sprachraum!

    Falls sie nun als Deutscher belustigt sind über diese merkwürdige Ausdruckweise der Schweizer, seien Sie versichert: Der humoristische Ersteindruck verblasst mit den Jahren, und Sie fangen auch an, von „Fehlbaren„, „Einvernahmen“ und „Fürsprechern“ zu sprechen. Es kann auch passieren, dass man plötzlich anfängt, über den Sinn und Unsinn hochdeutscher Wörter nachzudenken:

    Warum wird in Deutschland das Aufeinandertreffen von zwei Autobahnen ein „Autobahndreieck“ genannt, obwohl man ja auch sagen könnte, dass eine Autobahn sich in zwei Strecken „verzweigt“ und damit eine „Verzweigung“ bildet? Wo ist jetzt der Joke? Die Schweizer empfinden „Autobahndreieck“ genauso lustig, wie wir Deutschen die Bezeichnung „Verzweigung“ amüsant finden. Alles eine Sache der Gewohnheit.
    Verzweigung oder Autobahndreieck?

    Das tönt gut – oder – Über den schleichenden Prozess, ein Schweizer zu werden

    September 16th, 2005

    Das Leben „in einem anderen Kulturkreis“ (Originalaussage eines Primarschullehrers über die Schweiz!) führt unweigerlich dazu, dass man nach und nach immer mehr Helvetismen übernimmt, ohne es zu merken.

    Dazu ein paar Beispiele:

  • „Es rentiert nicht“, darüber nachzudenken (statt: Es rentiert sich nicht)
  • „Das Wetter ändert morgen“ (statt: Das Wetter ändert sich morgen)
  • Dazumal haben wir in Bern gewohnt“ (statt: damals haben wir in Bern gewohnt)
  • „Ich gehe heute in die Badi“ (statt: ich gehe in die Badeanstalt)
  • „Das können sie kehren“ (statt: Das können sie auch anders herum verwenden, das können sie umdrehen
  • Ich mache noch ein Telefon“ (statt: ich erledige noch einen Telefonanruf)
  • oder

  • Mach mir doch s’Telefon“ (statt: ruf mich doch einfach an).
  • Ich mach‘ Dir gern den Hengst, aber wie mach ich dir’s Telefon?

  • „Sprich mir auf meinen Beantworter“ (statt: … auf meinen Anrufbeantworter)
  • Der „Anrufbeantworter“ wird in Deutschland übrigens gern als „AB“ abgekürzt, was für das Leben in der Schweiz fatale Folgen haben kann, denn hier ist ein „AB“ die Abkürzung für den Abort, das Klo also.
    Sprich mir doch einfach auf’s Klo“ klingt das also in Schweizer Ohren, wenn sie sagen: „Sprich mir auf den AB„.

  • Es „klingt“ nicht in der Schweiz, sondern es „tönt„:

  • Noch so ein häufig verwendetes Verb, dass einem am Anfang sehr lustig vorkommt, bevor man unweigerlich dazu übergeht, es selbst zu verwenden. „Es tönt“ wird von den Deutschen als lustig empfunden, denn sie verwenden dieses Verb nur im Zusammenhang mit dem Volkslied „Es tönen die Lieder, der Frühling kehrt wieder“. In Deutschland tönt es nicht, da „klingt“ es, als ob wir Deutsche ständig mit Klingen aufeinanderdreschen würden. Es ist mit Sicherheit für Schweizer in Deutschland die gefährlichste sprachliche Falle, in die sie unachtsam tappen können. Einmal „es tönt“ gesagt, und sie sind von einem kundigen Deutschen als Schweizer entlarvt. Besonders leicht passiert dies bei der Bestätigungsfloskelt: „Das tönt gut.

    Die Schweizer bevorzugen die direkte, kurze Art der Ausdruckweise. Und weil das so schön praktisch ist und viel schneller geht, werden Sie, werter deutscher Leser in der Schweiz, über kurz oder lang auch anfangen, so zu sprechen! Das garantiere ich Ihnen.

    Dadazu sage ich jetzt nix“ ist hingegen die Variante, etwas auf Schweizerdeutsch länger und komplizierter auszudrücken.

    Und in eigener Sache:
    Ich stelle mich grundsätzlich nur noch wie folgt vor:
    Mein Name ist Wiese, wie die grüne Wiese, ohne Ypsilon und ohne R“.
    Würde ich das nicht betonen, käme automatisch ein „Wyser“ beim Schweizer dabei heraus. In Basel kann ich noch die Erklärung „Wiese wie der Fluss: Die Wiese“ beifügen. Dennoch bin ich schon X-Mal als Herr „Wyser“ angesprochen worden. Warum? Das „R“ am Ende rollt so schön, und das allemanische Ypsilon als I-Ersatz steckt halt in den Genen der Schweizer.

  • Es gab einen Unterbruch (statt: es gab eine Unterbrechung)
  • Obwohl das Wort im Duden als Variante für „Unterbrechung“ aufgeführt wird, würde es ein Deutscher nie im selben Kontext verwenden. Mit „Unterbruch“ assoziiert der Deutsche höchstens Dinge wie den „Schwangerschafts-unterbruch“ oder den „Leisten-bruch„. Doch hier zeigt sich sehr deutlich, dass fast jeder irgendwann der Faszination und Eleganz des knapperen „Unterbruchs“ unterliegt, und anfängt, es selbst zu verwenden. Das tönt halt einfach besser.

    wird fortgesetzt…