„Goat’s euch guoat?“ — Erlebnisse in einem Schweizer Fitnessstudio

Oktober 11th, 2005
  • Fahrradfahren in der Natur ist out — Spinning auf der Stelle ist in
  • Das Firmenschild steckt schon voller Rätsel. Es ist blau, wie Oxygenium=Sauerstoff, und orange, wie altes Eisen das oxydiert, also rostet? Soll ausdrücken: Wer rastet, der rostet?

    Mein Fitnessstudio Oxygymn
    Rost-Orange
    liegt im Bülacher Industriegebiet-Süd . Schick und nobel, mit Blick auf die neue Migros. Da fährt man nun mit dem Auto hin am Abend, um dort 2 Stunden auf der Stelle stehend Velo zu fahren. Spinnen die? Nein, die machen „Spinning“ Und warum heisst das so? Na, weil bei den Dingern sich wie beim Spinnrad vorn nur ein einzelnes Schwungrad dreht. Damit das dann nicht zu schnell und leicht geht, wird es künstlich und freiwillig (!) gebremst.

    Welch eine köstliche Energieverschwendung. Könnte man doch einen Dynamo anschliessen und mit den aufgestellten TV-Geräten koppeln, oder noch besser mit der Musikanlage: Keine Muskelkraft, keine Musik, wäre doch enorm motivierend.
    Hier eine Spinning-Gruppe, kräftig am Spinnen (aber nicht im Oxygymn aufgenommen)
    Wie ein Spinnrad aber ohne Dynamo

  • Kraft durch Freude ist wieder angesagt
  • Kurz vor Weihnachten reichte es mir mit der Untrainiertheit und dem Übergewicht. Statt zum gemeinsamen Firmen-Besäufnis meldete ich mich schnell entschlossen zum Sport an.

  • Trainingsziel: Stark und schön werden
  • Auf dem Anmeldeformular sollte ich das Ziel meiner freiwilligen körperlichen Aktivitäten angeben. Das war einfach, das wusste ich genau, also schrieb ich: „Stark und schön werden“.

    Die Frage nach eventueller in der Vergangenheit aufgetretene Gebrechen und Beschwerden bereiteten mir dann schon mehr Kopfzerbrechen. Schwanger war ich damals zwar nicht, auch wenn es so aussah; also versuchte ich es mit einer Gegenfrage:

    „Muss ich alle drei Herzinfarkte angeben, oder reichen die letzten beiden.“ Als die Trainerin ganz weiss um die Nase wurde, beruhigte ich sie mit dem Nachsatz: „Sicherlich egal, bei Epileptikern sind Herzinfarkte nicht weiter tragisch…“ (zur Beruhigung: natürlich stimmt weder das eine noch das andere, Lumbago erfahrene Hypochonder kriegen nicht so leicht einen Herzinfarkt).

  • Eins werden mit den Hupf-Dolls um dich rum
  • Ich reihte mich als Tanzbär in die Gilde der buntbedressten Hupf-Dolls ein. Befehle wie „Great-Behind, Side-Step, Jambo-Step, V-Step (Wiii-Step), Marsh, Leg-Cuuurl“ gingen mir in Fleisch und Blut über. „Und Eisss, und zwei, und drüüü … und gumpe, und gumpe, hintershii und fürreshii, und schnuffe niit vergesse..

    Die wichtigen Körperteile sind „Buch“ (nicht zum Lesen, sondern zum Anspannen), „Rukke“ (den stets ohne Ruck bewegen), und das „Pfüadli“ (schwäbisch „Fiedle“).

  • Immer nett sein zum Drill-Sergeant
  • Ich liebte es, den jungen Drill-Sergeants mit vollem Einsatz nachzueifern, und wenn die aufmunternde Frage „Goat’s Euch guoat?“ gebrüllt wurde, brüllte ich stets zurück: „SIR, NO, SIR„, denn natürlich litt ich wie die Sau. Da stand ein hageres kleines weibliches Persönchen vor Dir mit einer Langhantel, die bei Ihr locker 15 Kg auf die Waage brachte, während ich Schwierigkeiten hatte, 2 x 3 Kg im gleichen Tempo zu stemmen, zu heben und zu halten. Da sollte man nicht frustriert werden?

    Ich lernte den Trizeps zu modulieren und den Bizeps zu dehnen. Die wichtigsten Vokabeln sind „höch“ (= hoch), „abba“ (=hinab, runter), und der Schweizer Lokativ von Mitte = „Mitti“.

  • Namen wie Jungmädchen-Parfüms
  • Die Trainerinnen heissen übrigens durchweg so wie vor 25 Jahren die Jungmädchen-Parfüms: „Conny S“ und „Anna B“ (klingt wie Ana-bolika), „Erika A“ und „Conny D“. Nein, eine „Jeanine D“ oder eine „Bony M“ ist nicht dabei.

    Aufsteller und aufgestellte Leute

    Oktober 9th, 2005

    Wir kennen aufreissen (die Tüte Chips, die Tussie in der Disko), aufgeben (das Paket bei der Post, den Wettlauf), aufmachen (die Tür oder die Zeitung mit der Schlagzeile). Der Aufmacher ist eine Zeitungsüberschrift, den Aufsetzer kennt der Mantafahrer, wenn er mit seinem tiefergelegten Liebling mal wieder zu schnell über die Tempo-30-Bodenschwelle gerauscht ist, aber was ist ein Aufsteller?

  • Sie sind ein Aufsteller
  • Mir wurde am gleichen Tag von zwei völlig unterschiedlichen Leuten per Mail mitgeteilt: „Sie sind ein echter Aufsteller“.

    Was glauben die Schweizer eigentlich, wie ein Deutscher diesen Satz interpretiert? Das Wort ist ihm unbekannt. Mein erster Gedanke war: „Die vergleichen Dich doch jetzt nicht etwa mit Viagra„?
    Ein echter Aufsteller
    Für die Deutschen wäre ein Aufsteller allenfalls ein Trainerassistent beim Fussball, der sich um die Mannschaftsaufstellung kümmert.

  • Soll ich sie aufstellen?
  • Die Schweizer lassen sich gern aufstellen. Soll ich sie aufstellen? Gern! Nein, jetzt nicht in einer Fussballmannschaft im Verlaufe eines Turniers, auch nicht als Kandidat für eine Wahl, sondern immer wenn es ihnen schlecht geht, wenn das Leben trist ist, dann haben Sie grossen Bedarf an einem Aufsteller.

  • Aufgestellte Typen in Kontaktanzeigen
  • Das sind darum meist so unglaublich „aufgestellte“ (Schwyzerdütsch: „uffgstellte„) Typen, denen frau immerzu in Kontaktanzeigen begegnet. Ob die sich alle wählen lassen wollen? Oder ob die alle heimlich diese lila Pillen geschluckt haben? Fragen über Fragen.

    Hier noch ein Aufsteller, wie ihn die Deutschen kennen. Kann bei starkem Wind umgepustet werden, dann ist es ein echter Umfaller, und kein Aufsteller mehr:
    Alfred E. Neumann als Aufsteller

    Vorsichtig mit dem Wörtchen „Sack“ — Deutsch/Schweizer Missverständnisse

    Oktober 8th, 2005
  • Was bedeutet „Sack“ für die Deutschen?
  • In Deutschland ist das Wort „Du Sack“ eine grobe Beleidigung. In der Langfassung vor allem in Bayern äusserst beliebt ist der Fluch „Heilandsack“, wobei der nichts mit dem Geschlechtsteil des lieben Herrn Jesus zu tun hat, sondern die verballhornte Abkürzung von „Heilands Sakrament“ ist. Das heilige Sakrament, von kirchenlateinisch „sacramentum„, bedeutet ein religiöses Geheimnis, das auf die unsichtbare Wirklichkeit Gottes hinweist (siehe Wikipedia).

    Die Deutschen haben also ein gespaltenen Verhältnis zum Wort „Sack“: Es ist einerseits ein Schimpfwort, anderseits etwas Heiliges. Kommen sie nun in die Schweiz und hören an der Ladentheke die Frage „Hätten Sie gern einen Sack“, oder schlimmer noch: „Hätten Sie gern ein Säckli„, dann beginnen sie zu grübeln und denken darüber nach, oder ob es vielleicht nicht doch um ihre von der Schweizer Verkäuferin angezweifelte Männlichkeit geht.

  • Das Sackmesser macht Angst
  • Beim Wort „Sackmesser“ sind sie die Deutschen sehr skeptisch und habe genau genommen gleich Kastrationsängste. Man muss ihnen erklären, dass auch der „Hosensack“ oder der „Mantelsack“ keine besonders fiesen Beschimpfungen sind sondern sich immer auf äusserst praktische Kleidungsstücke beziehen.

  • Sackgeld und Knecht Ruprecht

  • Auch über das „Sackgeld“ wundert sich mancher Deutsche: Ist es denn soviel Geld, dass es nur im Sack heimgetragen werden kann? Denn wenn der Deutsche das Wort „Sack“ im eigentlichen Sinne gebraucht, dann meint er damit mindesten die Ausrüstung von Knecht Ruprecht (in der Schweiz besser unter dem Decknamen „Schmutzli“ bekannt).

    Ein echter Sack

    Vielleicht hilft das leise Vorsingen der alten Volksweise „Ich armes welsches Teufli“ (Melodie als Midi-File). Es ist bei pubertierenden deutschen Jugendgruppen, bei Pfadfindern oder auf einer Klassenreise der absolute Brüller, nur wegen der Zeile „aus meinem Mantelsack, Sack, aus meinem Säckelein

    1. Ich armes welches Teufeli,
    Bin müde vom Marschieren, bin müde,
    Bin müde vom Marschieren,

    2. Ich hab verlorn mein Pfeifli
    Aus meinem Mantelsack, sack.
    Aus meinem Mantelsack

    3. Schadt nichts, ich hab’s gefunden,
    Was du verloren hast, hast.
    Was du verloren hast. (Quelle)

    Wie fluchen die Schweizer?

    Oktober 3rd, 2005
  • Wer flucht denn hier?
  • Die Schweizer fluchen nicht. Jedenfalls nicht, wenn Deutsche dabei sind.

    Ich habe in den ersten 6 Monaten in der Schweiz keinen Fluch gehört. Vielleicht weil ich Kunde war, und man ausgesprochen nett zu mir sein wollte, vielleicht weil die Schweizer so glücklich sind, dass sie nie fluchen müssen. Wer das nicht glauben will, kann ja mal das Orakel des 21. Jahrhunderts, nämlich Google fragen: Für „Schweizer Flüche“ gibt auch bei Eingrenzung der Suche auf die Schweiz keine verwertbaren Treffer.

    Die einzigen Verweise auf das Thema „Flüche in der Schweiz“ sind offensichtlich Erinnerungen von Schweizern daran, dass es früher mal so was wie Flüche gab:

  • Früher gab es Flüche
  • In einem Interview mit dem Texter André Küttel, der bei der Schweizer Parodie von „Der Herr der Ring“ die entscheidenden Textpassagen mitgestaltet hat, sagt dieser zum Thema Flüche:

    In Ring Thing hat es klassische, Schweizer Flüche, die ich von meiner Jugend her kenne. „Du bisch so en Mongo“ oder „Gorilla Blauarsch„, um mal zwei zu nennen. Woher kommen die?
    (…)
    Und das sind halt wirklich Ausdrücke, die ich von meiner Schulzeit kenne. Und diese Ausdrücke sind halt inzwischen ein bisschen verloren gegangen. Die heutige Jugend flucht auf Englisch und sagt halt „Fuck“ oder so, während wir uns noch anders ausgedrückt haben. (Quelle)

    Und in einer Besprechung des Schweizer Kinohits „Mein Name ist Eugen“ heisst es

    Dass der Film gerade richtig kommt, passt zum Zeitgeist und zum Retro-Trend. In Nostalgie baden liessen mich vor allem die Schimpfworte, die längst aus der Mode sind: «Halbschueh», «Höseler» und Flüche wie «Dammisiech!» sollte man bei Gelegenheit verwenden, um sie am Leben zu erhalten. (Quelle)

  • Fluchfreie Zone Schweiz?
  • Doch jetzt habe ich den wahren Grund gelesen: Die Schweizer würden ja gern fluchen, aber es wurde ihnen verboten:

    Eishockey-Fans wird das Fluchen verboten
    Die ZSC-Fans müssen immer strengere Regeln befolgen. Nach dem rigorosen Durchgreifen gegen das Rauchen im neuen Hallenstadion gilt jetzt auch: «Fluchen verboten!»

    ZSC-Lions-Sportchef Simon Schenk rief die Fans letzte Woche zu sprachlicher Disziplin auf: Das Singen von beispielsweise «Sitz, du Sau», dem langjährigen Schmähruf der Zürcher, sei per sofort verboten. Denn fortan, so will es die Eishockey-Nationalliga, kosten ehrverletzende Worte aus dem Publikum die Klubs 300 Franken plus Schreibgebühren. Als Spitzel werden Verbandsmitglieder eingesetzt.

    Beim ZSC stösst die neue Verordnung auf wenig Gegenliebe: «Wir werden damit vor grosse Probleme gestellt, denn das Einhalten dieser Regel ist schwer umsetzbar», sagt Schenk. Die Stossrichtung sei aber sicher die richtige. Quelle

  • Sitz, du Sau

  • Da ist er, der berühmte Schmähruf der Zürcher. Ein knallharter Fluch, würde ich sagen. Kaum auszuhalten in seiner Krassheit und Direktheit, mit einer hübschen Alliteration (=Stabreim) übrigens. Das gehört natürlich verboten, bzw. abgestraft. Ist doch praktisch, wenn man mit Flüchen auch noch Geld verdienen kann. Die Zürcher sind zu allem fähig.

  • Kampf dem Fluch mit Musik

  • Was der Artikel nicht verrät , ist wie die Geschichte weiterging. Als die Zürcher ZSC-Fans dennoch anfingen ihre Flüche zu skandieren, wurde zur Unterdrückung einfach die Lautsprecher-Musik lautergestellt, so laut, dass normale Zuschauer sich die Ohren zu halten mussten, um keine Gehörschäden davonzutragen.

  • Fluchen auf Schweizerdeutsch ist lernbar

  • Wer gern lernen möchte, wie man auf Züridütsch korrekt flucht, hier ein kurzer Auszug aus einem Sprachkurs Kurs: Fluchen auf Züridütsch (MP3 231Kb)

    Nabbel im Buuch-Nabbel — Der Schweizer Wetterbericht

    Oktober 2nd, 2005
  • Nabbel und Wulche
  • Eine unserer Lieblingssendungen im Schweizer Fernsehen ist der abendliche Wetterbericht auf Tele Züri zu jeder vollen Stunde nach den News. Die Sprecherinnen sind stets apart anzusehen, von den Sponsoren der Sendung eingekleidet, und dann geht es los: Von „Wuulche“ und von „Ragge“ ist die Rede, von „Sunnschiin“ und nicht zu vergessen der berühmter Unterländer „Nabbel“ (im Winter friert er, und soll dann Schnee darstellen. Im Zürcher Unterland kennt man keinen Schnee, sondern nur gefrorenen Nebel).

    Wir hängen wie gebannt an den Lippen der Moderatorin und sprechen jedes Wort langsam nach, eine perfekte Lehrstunde für das Hörverstehen und die sprachliche Kompetenz im Schwiizerdütschen. Ob uns der Nabbel dann auch bis zum Buuch-Nabbel reicht, fragen wir uns. Und auch der gelegentliche Raggen-Sprutz hat es uns angetan.

    Unsere absolute Lieblingswetterfee ist Jeannette Eggenschwiler.

    Die Schweizerdeutsche Wetterfee

    Sie lässt es tüchtig krachen bei den „Wulchen“ und beim „Raggen„. Wir könnten ihr stundenlang zuhören, zum Glück gibt es fast alle 60 Minuten eine Wiederholung. Wir sollten uns mal ein Endlosband zusammenschneiden zum Üben der perfekten Aussprache. Ein kleines Beispiel für so eine Endlosschleife kann man sich sogar runterladen bei Tele Züri: Filmchen Wetterfee(Videodatei MPG 3.7 MB)

  • Was spricht die denn nun für einen Dialekt?
  • Unklar ist nur, was sie da eigentlich für einen Dialekt spricht. Züridütsch ist es nicht, und reines Berndütsch auch nicht. „Wahrscheinlich eine Berndeutsche die zu lange in Züri gelebt hat„, meint meine Kollegin. Oder ist das kalkulierte Absicht? Weil reines Berndütsch östlich der Albiskette niemand mehr verstehen würde?

  • Der Zürcher versteht schlecht Berndeutsch
  • Als die jungen Stars des neuen Schweizer Filmerfolgs „Mein Name ist Eugen“ auf Tele Züri zu ihrem grossen Erfolg interviewt wurden, bat der Moderator sie darum, den letzten Satz nochmals auf Züridütsch zu wiederholen, weil er das Berndeutsche nicht verstanden habe. So kann es gehen in der kleinen Schweiz. Vielsprachigkeit wird hier in allen Bereichen verlangt.