Wenn alles herzig ist — Variationen im Ausdruck der Schweizer

November 3rd, 2005

  • Der Hund ist herzig

  • Wir haben einen Hund, der ist klein und schnuckelig, der ist süss, sehr verschmust uns gegenüber, aber sehr knurrig und reserviert gegenüber Fremden. Für die Schweizer ist er vor allem eins: herzig.

    Am Anfang haben wir noch gedacht, unsere Schweizer Nachbarn haben wirklich ein Herz für kleine Hund, denn ständig riefen sie aus „jööö, was ist der herzig!„. Dann wurde es irgendwann zur Manie für uns: Wo wir hinkamen, das erste was wir hörten war: „Ist der herzig„. Nein, es war nicht „harzig“ oder „herzlich„, es war „herzig, herzig, herzig„.

    Herzig“ scheint das einzige Adjektiv zu sein, dass die Schweizer für kleine Hunde kennen. So sind kleine Hunde nun mal. Gesteigert noch mit „jööö, soo herzig!„, oder „megaaa herzig!„.

  • Der Killerschnauzer ist nicht herzig

  • Ich habe dann versucht, die Situation etwas aufzulockern, in dem ich die Warnung: „Vorsicht, gefährlicher Killerschnauzer im Anmarsch“ rief. Keine Chance, unser Hund konnte knurren was das Zeug hielt, er konnte schnappen, böse drein blicken, oder einfach das Weite suche. Er war immer noch „herzig„.

    Die Wortfolge „so herzig“ findet sich bei Google-Schweiz ca. 34.000 Mal (Beleg)

  • Kleiner Google-Schweiz Vergleich

  • „So süss“ gibt es immerhin noch 30.000 Mal, „so niedlich“nur 2.400 Mal. „so schnuckelig“ nur 13 Mal, „so fein“ nur 9.560 Mal und „so lieb“ 14.000 Mal. Was ich damit sagen will? Die Schweizer finden offensichtlich kleine, süsse, liebe und schnuckelige Hunde vor allem „herzig“, es besteht hier ein erheblicher Mangel an Ausdrucksvariationen.

    Ob wir unseren Hund doch „Horst“ oder „Karl-Heinz“ hätten nennen sollen, damit er ernst genommen wird? Er heisst übrigens Anton, kommt aber nicht aus Tirol, sondern aus einem alten Fernfahrergeschlecht aus Ungarn und isst am liebsten Paprika (auf Deutsch) / Peperoni (auf Schwizerdütsch).

    Gefährlicher Killerschnauzer

    Dabei gibt es noch so schöne andere Adjektive in der Schweiz.

  • Zum Beispiel „gäbig“

  • In einem Artikel des Tages-Anzeigers über das Schweizer Schulwesen heisst es: „Den Blockunterricht finden die Eltern ‚gäbig’.“ Immerhin wird das Wort „gäbig“ durch Anführungszeichen als „nicht-schriftfähig“ gekennzeichnet. Solche Vorsicht beim Umgang mit geschriebenen Dialektwörter findet sich nicht oft. Bei „gäbig“ war sie unnötig, denn das Wort ist im Deutschen Rechtswörterbuch verzeichnet mit den Bedeutungen „brauchbar, tauglich, freigebig, tauglich“ (Quelle).

  • Oder „rässer“

  • Einen „rässer“ Typen gibt es nicht, es sei denn, er hat Stinkefüsse (Hochdeutsch „Käsemauken„).
    Rässer“ ist die Steigerung von „räss„, also mehr als räss. Und „räss“ bedeutet soviel wie pfiffig, interessant, würzig. Das gilt nicht nur für Käse, sondern auch für Alpenschwinger.

    Etwas so Leckeres und Würziges wie Käse wird mit der Zeit nicht schlecht sondern höchstens „rässer„. Nur leider passt das nicht für unseren Hund, den der duftet angenehm „hundisch“, nur wenn er sich mal wieder in einer Jauchepfütze gesuhlt hat, zur Tarnung, damit ihn die Wildschweine nicht wittern können, dann riecht auch er ziemlich „räss„.

    Haben Sie auch einen Puff daheim? — Die französischen Lehnwörter in der Schweiz

    Oktober 31st, 2005

    Ich bekam Post aus Obwalden und las den Satz:

  • Ich habe einen Puff daheim!
  • Was will uns diese Schweizer Schreiberin damit sagen?
    Wohnt sie im Vergnügungsviertel, womöglich direkt im Rotlichtmilieu?
    Ist sie selbst im „horizontalen Gewerbe“ tätig?
    Oder beherbergt sie so etwas womöglich im eigenen Haus?
    Ausser beim Blutspenden gibt es bekanntlich nicht viele weitere Möglichkeiten, bei denen sich sonst im Liegen bequem Geld verdienen lässt. Nein, sie hat lediglich daheim nicht aufgeräumt. Die Schweizer sagen dann „einen Puff haben„. Wie kommt es dazu? Nun, wie so oft, ist es ein Lehnwort aus dem Französischen. In Frankreich und somit auch in der Westschweiz sagt man „quel bordel„, wenn eine Situation besonders unübersichtlich oder verwirrend anmutet. Das wurde von den Schweizern irgendwann clever übersetzt. In Fremdsprachen sind sie bekanntlich gut, die Schweizer. Sie sprechen zum Beispiel oft ziemlich gut Hochdeutsch.

    Die Textverarbeitung Word für Windows in der Uraltversion 6.0 lieferte als Synonym für das Word „Puff“ übrigens den Begriff „Frauenhaus„. Es gab noch andere Scherze in dieser Version. So wurde das Wort „Unternehmer“ als Synonym für „Ausbeuter“ ausgegeben, und die Überprüfung von „Realitätsverlust“ führte absolut jederzeit reproduzierbar zu selbigem, nämlich zum Absturz des Systems.

  • Wir foutieren diese Regelung einfach
  • Im August 2003 veranlasst der Chef des BAZL (= Bundesamt für Zivilluftfahrt), den Flugbetrieb des Tessiner Flughafens Lugano-Agno aus Sicherheitsgründen empfindlich einzuschränken. Die Tessiner Behörden beschliessen jedoch, die Regelung zu foutieren.
    Oups, was war das denn wieder für ein Wort?

    „Foutieren“ kommt aus dem Französischen, von „foutre„, das wiederum von Latein „futuere“, und das bedeutet eine ganze Menge, was Wörter, die mit „f“ beginnen, in den Europäischen Sprachen eben so alles bedeuten. Unter anderem auch „egal sein“. Wenn der Franzose ausruft „je m’en fous!“ meint er damit: „ist mir doch egal“. Wahrscheinlich haben die Suisse-Totos dies oft genug bei Ihren welschen Nachbarn gehört und daraus abgeleitet: „der foutiert das einfach„.

  • Könnten sie das denn wenigstens goutieren?
  • Bitte nicht verwechseln mit „guillotinieren„, es ist noch so ein Lehnwort aus dem Französischen. „Le goût“ = der Geschmack. „Goûter“ ist eigentlich schmecken. „Le goûter“ ist das „z’Vieri„, der kleine Imbiss am Nachmittag, das süsse Stückchen oder Kuchenteil für die spät von der Schule heimkehrenden französischen Kinder. In Frankreich schmeckt ja nichts, sondern es riecht: „Ca sent bon“ heisst „es riecht gut„, und für „es schmeckt gut“ müsste man „cela a un bon goût“ sagen, es hat einen guten Geschmack. Nicht so in der Schweiz. Da wird alles abgeschmeckt: „Das goutieren wir gleich“. Und wenn es gut schmeckt, hat man „Geschmack daran gefunden“. So ist das Wort zu verstehen: Es wurde begrüsst, oder für gut empfunden, es wurde „goutiert„.

    Interview mit Christoph Blocher vom 25.10.2001 „Die Steuerzahler werden das Crossair-Engagement nicht goutieren„. Der Mann spricht übrigens fliessend Französisch und in allen noch so zu kritisierbaren Parteitagsreden stets Hochdeutsch.

  • Haben Sie auch ein Depot?
  • Um ein Depot zu hinterlassen, muss man in der Schweiz keinen geheimen Stollen graben, um dort seine Waffen oder Konservendosen für den Notfall zu „deponieren“. Es reicht aus, einfach nur ein Pfand zu bezahlen. In Deutschland fährt die Strassenbahn (ja, ich weiss, dass die in der Schweiz „Tram“ heisst) am Abend ins Depot. Und das war’s auch schon, wo die Deutschen dieses Wort verwenden. Sonst bleiben sie lieber bei ihren „Pfänderspielen“ und hinterlassen ein Pfand.
    Le dépôt“ schreibt sich auf Französisch tierisch kompliziert mit zwei Akzenten und hat etliche Bedeutungen:

    das Depot
    dépôt m. [tech.] die Ablage
    dépôt m. die Ablagerung
    dépôt m. das Absetzen
    dépôt m. die Abstellung
    dépôt d’armes das Arsenal
    dépôt m. der Aufbewahrungsort
    dépôt m. der Bodensatz
    dépôt m. das Depositum
    dépôt m. die Einlage
    dépôt m. [admin.] [jur.] die Einreichung
    dépôt m. die Hinterlassung
    dépôt m. die Hinterlegung
    dépôt m. das Lager
    dépôt m. die Lagerhalle
    dépôt m. das Lagerhaus
    dépôt m. der Lagerraum
    dépôt m. die Postablage

  • Heben und nicht lupfen
  • Wenn ein Norddeutscher in den Süden kommt und auf einer Baustelle als Zimmermann zu arbeiten beginnt, muss er einiges dazulernen. „Heb mal den Balken“ heisst nicht, dass er ihn nun hochheben soll, sondern er möge ihn einfach nur festhalten. „Heben, nicht lupfen habe ich gesagt„. Schon kapiert. „Hochheben“ = „lupfen„. Da sind sich für einmal die Schweizer und Süddeutschen einig.

  • Il y a = Es hat noch, solange es etwas gibt
  • Auch bei „geben“ und „haben“ besteht nahe sprachliche Verwandtschaft zwischen der Schweiz und dem süddeutschen Raum. Sie fallen in Norddeutschland sofort auf, wenn sie an der Kaffeetafel die Frage stellen: „Hat’s noch Kaffee?“ Hier wäre „gibt’s noch Kaffee“ angebracht. Natürlich ist die Formulierung „es hat solange es hat“ etwas, dass man nur in der Schweiz und in Süddeutschland zu hören bekommt. Die Konstruktion erinnert an romanische Sprachen, wie im Französischen „Il y a“ (=es davon/dort hat).

    Ehrlich gesagt, wer lange genug im Süden lebt, übernimmt „Es hat noch Kaffee“ total automatisch, denn es ist eine durch und durch praktische Erweiterung des Sprachschatzes, nicht mit „es gibt“ zu vergleichen. Dennoch die Warnung: Sie ernten ein Lächeln, wenn sie „hat’s noch..?“ in Norddeutschland fragen und werden gleich in die Kategorie „Almöhi“ einsortiert.

    Sorge heben und nicht sorgen — Biotope durch Stangen schützen — Aldi Suisse

    Oktober 27th, 2005

    In der Schweiz sorgt man sich nicht, sondern man „hebt Sorge“.
    „Heb Sorg zum Land“
    „Heb sorg zum Material“
    „heb sorg zue Dr“ oder „heb sorg zuädr“ (was kommt hier aus welchem Kanton?)
    Heb Sorg zum alte Porzellan, heb sorg zum junge Glück. (Merke die Verschriftungsregel: „Grosse Sorgen“ werden gross geschrieben, „kleine sorgen“ eher klein)

    Es wird viel Sorge gehoben in der Schweiz, die Deutschen tragen die Sorge lieber dumm rum, statt sie zu heben. Oder sie sorgen sich ganz einfach so.
    Wir heben die Sorge auch dem Strom
    In unserem Keller fanden wir dieses Schild, das uns daran erinnert „au em Strom“ Sorge zu heben. Heisst das „au“ hier nun „auf“ oder „auch„? Knifflig, knifflig, dieses Schweizerdeutsch. Wenn es vielleicht sowohl für „auch“ als auch für „auf“ steht, das „au„, was hiesse dann „auch auf„? Vielleicht „au au„? Es gibt noch viel zu lernen in diesem Land!

    So auch zur Natur: „Heb Sorg zur Natuir“! (Quelle)

    In Bülach wird dieses Motto sehr ernst genommen. Mitten in zentraler Lage, neben einer Kreuzung gelegen, wird seit vielen Jahren die Natur gepflegt.

  • Biotope mitten in Bülach
  • Damit den Tieren, die dieses wunderbare Refugium nutzen, kein Leid geschieht durch Boswichte (die in der Schweiz übrigens meistens „Nachtbuben“ heissen, weil sie meist in der Nacht unterwegs und männlich sind), ist das Gebiet weitläufig eingezäunt. Ein altes Holzhaus wird als Nistplatz für Fledermäuse und Vögel gleich mit eingezäunt.
    Biotope in der Stadt Bülach

    Hier sagen sich Fuchs und Hase gute Nacht. Kein Witz, ich habe schon ein paar Mal spät abends hier Füchse verschwinden sehen. Die „Stadtfüchse“ der Agglomeration Zürich sind gewiefte Gesellen. Sie haben sich perfekt an die Nähe des Menschen angepasst. In unserem ersten Jahr hier haben sie uns immer die Schuhe vom Gartensitzplatz weggeschleppt, bzw. den Käsekuchen vom Gartentisch weggefuttert. Seitdem wir einen Hund haben, hat das nachgelassen.

  • Hinweise für Zugvögel
  • Damit auch vorbeifliegende Wildvögel darauf aufmerksam werden, dass hier ein Biotop seit vielen Jahren liebevoll für sie abgesperrt gehalten wird, hat man grosse Stangen, die weit hinauf in den Himmel ragen, hier aufgestellt.
    Stangen für die Zugvögel

    Oder haben wir da etwas falsch verstanden?
    Stangen für die Zugvögel

    In Bülach neben dem Parkplatz vom Sonnenhof ging man sogar soweit, ein tiefes Loch zu buddeln, wahrscheinlich um einen Teich anzulegen. Das Loch wurde dann monatelang durch einen Zaun geschützt, dann wurde es wieder zugeschüttet. Was war passiert? „Rekurs“ wurde eingelegt, zu Deutsch „Rücklauf, Beschwerde“, ein Anwohner hatte sich beschwert, denn das ist der tatsächliche Grund für diese Stangen-Aufstellerei.

    Stangen für den Nachbarn

    Will jemand etwas bauen, muss er zunächst für alle Anwohner deutlich mit den Projektstangen zeigen, wo die späteren Eckpunkte und Giebelkanten seines Bauvorhabens liegen. Der Nachbar kann sich so messerscharf ausrechnen, ob er noch genug Sonne haben wird oder ihm die Aussicht auf Unterländer Landschaft im Nebel verbaut wird.

  • Schweizer Kampfrituale
  • Es schrieb uns der Blogwiese Leser Schenker zu den Projektstangen:

    Ähnliche, meistens vier solcher Masten aus Holz oder Aluminium wie der abgebildete Galgen stehen im Viereck aufgestellt auf offenen, meist grünen Wiesen. Diese werden zu besonders typischen Schweizer Kampfritualen gebraucht. Damit wird angezeigt, welches Territorium der Landwirtschaft aberobert werden soll, um es dem sich erfolgreich verbreitenden Wohnraum zuzuführen. Benachbarte Anwohner können dieses Projekt allerdings auch bekämpfen, falls ihre Lebensqualität beeinträchtigt würde.

  • Nichts geht mehr: Das Verbandseinspracherecht in der Schweiz.

  • Eine besondere Rolle bei vielen Bauvorhaben in der Schweiz spielt das „Verbandseinspracherecht“. So gelingt es dem Verkehrsclub Schweiz, kurz VCS, immer wieder, bei grossen Bauprojekten durch sein Einspracherecht die Entwicklung der Projekte zeitlich zu verzögern. Seit Jahren werden Versuche unternommen, dieses Einspracherecht einzudämmern oder ganz zu unterdrücken, bisher immer ohne Erfolg. Die Umweltverbände können nur dann eine „Umweltverträglichkeitsprüfung“ beantragen, wenn die verbaute Fläche über 5000 Quadratmeter beträgt.

  • Aldi jetzt auch in der Schweiz
  • So konnte es geschehen, dass die Deutsche Aldi-Kette ab dem 26.10.05 gleich an vier Orten in der Schweiz ihre Geschäfte eröffnet. Einsprache war nicht möglich, denn die bebauten Grundstücke benötigen nur 900 Quadratmeter (Tagesanzeiger vom 23.10.05).
    Aldi-Deutschland erstattet übrigens keine Mehrwertsteuer, wenn man die Waren beim Zoll als „Ausfuhr“ deklariert. Ob Aldi-Schweiz das einführen wird? Das fände ich klasse, denn dann könnten die Deutschen in die Schweiz zu Aldi fahren und sich bei der Ausreise die „Ausfuhr“ bestätigen lassen, und kämen so zu ca. 7 % billigeren Einkäufen. Die ganze Lebensmittelbranche der Schweiz starrt seit Monaten auf diese Aldi-Neuöffnung wie die Maus auf die Schlange.

  • Tabufrage „Waren Sie schon mal bei Aldi?“
  • Es gehört zum guten Ton in der Schweiz, diese Frage einem Schweizer nicht zu stellen. Sie kommt gleich nach den anderen Tabufragen:
    „Glauben Sie an Gott?“,
    „Wie viel verdienen Sie eigentlich?“
    und
    „Ist das Ihre Socke dort, die ich in der Waschküche gefunden habe?“

    Ich möchte anfangen, diese Statements zu sammeln. Wer mir nicht alles schon bestätigt hat, dass er noch nie bei Aldi war! Denn wer outet sich schon gern als Vaterlandsverräter?

    Neues von der Dialekt-Front — Wenn ein Deutscher auf Schweizerdeutsch schreibt

    Oktober 23rd, 2005
  • Wo sprechen die Deutschen eigentlich Hochdeutsch?
  • Ich komme aus Deutschland und spreche dennoch kein reines Hochdeutsch, denn das ist eine Sprache, die es auch in Deutschland nicht wirklich gibt. Dort wird Schwäbisch, Badisch, Bayrisch, Sächsisch, Plattdeutsch, Hessisch, Pfälzisch und vielleicht auch noch „Ruhrpottdeutsch“, mein Heimatdialekt, gesprochen. Bei mir würdet ihr z. B. nie ein „R“ hören, aus Kirche wird dann „Kiaache“. Damit das dennoch mit der genormten Aussprache in Deutschland irgendwie klappen kann, hat man sich in den Schauspielschulen auf ein künstlich geschaffenes Regelwerk für die „Bühnenaussprache“ geeinigt, in dem streng festgelegt wird, ob es nun die „Burg“ oder „Burch“, „wenig“ oder „wenich“ heisst. Schauspielschüler und Nachrichtensprecher lernen in Kursen, wie die deutschen Laute korrekt artikuliert werden sollten.

    Das 1898 erschienene Werk Deutsche Bühnenaussprache (1922 unter dem Titel Bühnenaussprache. Hochsprache und nach 1945 unter dem Titel Deutsche Hochsprache. Bühnenaussprache wieder aufgelegt) von Theodor Siebs (1882-1941) setzte den Standard für eine genormte Aussprache des Deutschen.

    Theodor Siebs kann man in einem Tondokument von 1925 hier belauschen: Die Deutschen Laute.

    Warum besteht wohl Bedarf für ein solches Lehrwerk, wenn doch die Deutschen automatisch alle so super korrekt Hochdeutsch sprechen können? Selbst im viel zitierten Nieder-Sachsen spricht man kein Hoch-Deutsch, in Hannover wird aus „es wird“ wird hier „es wörd“ und vieles mehr.

  • Strenge Regeln für die Schreibung
  • Ich kann weder Schweizerdeutsch schreiben noch sprechen, ich kann es aber sehr gut hören. Das was ich höre, versuche ich mitunter niederzuschreiben. Dabei kann es natürlich passieren, dass ich die Mundart nicht so astrein in Buchstaben umsetze, wie es die strengen Regeln verlangen. Denn ich lerne durch den Blog, es gibt sehr strenge Regeln, wie man Schweizer Mundart zu verschriftlichen hat! Diese Regeln gelten unter allen Umständen und man darf niemals nicht von ihnen abweichen. Es ist nur eine einzige Ausnahme zulässig: Die Schreibung ist von Kanton zu Kanton, oder besser „von Gemeinde zu Gemeinde“ unterschiedlich.

  • So hört sich das für die Deutschen an
  • Wenn ich dennoch immer wieder das Gehörte aufschreibe, dann nicht um perfekt die Schweizer wiederzugeben, sondern um den Schweizern die Perspektive eines Deutschen aufzuzeigen, der keine sprachwissenschaftlichen Feldforschungen betreibt, sondern schlichtweg im Alltag in der Schweiz überleben will. Darum schreibe ich auf, wie das in unseren Ohren klingt, wie wir das einfach in unserem naiven Unverstand aufnehmen. Wenn ich also „Kinski“ schreibe, dann habe ich das so gehört auf der Strasse, und musste an den Klaus und an die Nastassija denken, und kam nicht auf die Idee, das richtig mit „Ch“ als Chinski zu schreiben.

    Und so kam es dann zum „goot gaga nööt“. Wir haben das so gehört und aufgeschrieben, und die Schweizer Schriftgelehrten beginnen nun mit der huldvollen Aufgabe der Textauslegung, Exegese und Interpretation des Gehörten. So müssen sich die Forscher bei der Entdeckung der Keilschrift gefühlt haben:

    Thomas:

    Das “goot gaga nööt” kam mir dann aber schon ein bisschen komisch vor. Ich habe mir dann gestern abend den Kopf darüber zerbrochen, wass du wohl damit meinst. Ich bin dann zum gleichen Schluss gekommen wie geena. Als Ostschweizer würde ich das so sagen: „Das gaht gagäär nüüd!“ Tönt also fast wie gaga.

    Duda:

    ok ich bin schwizer von geburt mit stammbaum 😉 und kann alle dialekte nachmachen, ausser den Aargauer (weil ich einfach kein Dialekt ist sondern etwas von Zürich und etwas von Bern) ABER DAS…: Das “goot gaga nööt”.
    …HAB ICH NOCH NIIIE gehört. das sagt höchstens ein 2 jähriges Kind.
    vielleicht heisst es „da goot gar nöd“ (thurgauisch oder st.galler Dialekt)oder vielleicht wenn ein kleines Kind redet:“das goot gar gar nöd“ (wiederum ein Kind aus dem Thurgau oder St.Gallen) um dem ’nicht‘ verstärken Ausdruck zu verleihen. aber lasst das gar einfach weg, dann heissts:“Da goht nöd“ und das hört man auch hier.

    Marion:

    die diskussion über „gaga nöööd“ scheint kein ende zu nehmen..
    bern wird bald von ostschweizern erobert sein und selbst an meinem arbeitsplatz muss ich mich schon mit diesem äusserst kuriosen dialkekt ‚rumschlagen und wurde dementsprechend oft mit disem „gaga nöööd“ konfrontiert. es wird von den ostschweizern tatsächlich wie „gaga“ ausgesprochen, aber gemeint wäre „gerade gar“. wir berner würden sagen: „das geit grad gar nid“.
    klingt doch viel sympathischer, nicht :)?

    Italoraver

    Also ich glaub die Bullen sagte wohl eher „Das goot aber nööd“ (das geht aber nicht)
    (Kommentar von Jens: Das heisst nicht „Bullen“ in der Schweiz, das heisst „Schmier — Tschugge — Schroote. Muss ich Dir jetzt etwa Deinen Dialekt beibringen??)

    George:

    vielliecht hiess das „das goot grad gar nöd“? „gaga nöd“ ist mir ebenfalls unbekannt.

    Phipu:

    Muss ich jetzt als Nicht-Zürcher eurem Hörverständnis nachhelfen? Ich bin mir fast sicher, der Polizist hat gesagt „Das gaht grad gar nöd“ (Das geht aber gar nicht) oder singemäss übersetzt: (So geht das überhaupt nicht). Ja, phonetisch schreiben ist so eine Sache. Kommt immer drauf an auf welche Sprache oder gar auf welchen Dialekt die Ohren getrimmt sind.

    schwiizer

    würde auch eher auf „das goht aber nöd“ tippen.
    noch was zu „gaga“: „gaga“ wurde im schweizer-dialekt eher für nicht ganz hundert oder blöd verwendet. zum beispiel „bisch gaga, oder was?“ – „gaga“ wird aber heute hier zu lande immer weniger benutzt wie auch die folgenden ausdrücke: (…)

    Wir danken dem wissenschaftlichen Beirat für die Beiträge zur Diskussion und freuen uns uns einmal mehr über den gelebten Harmonie- und Konkordanzgedanken in der Schweiz!

    Im Sperrfeuer, im Stausee und in der Verbannung: Die merkwürdigen Spielorte der Schweizer Fussballer

    Oktober 18th, 2005
  • In der Barrage spielen:
  • Die Schweizer möchten an der nächsten Weltmeisterschaft in Deutschland teilnehmen. Leider konnten sie sich nicht rechtzeitig qualifizieren und müssen nun „in der Barrage spielen“ (Titel Blick-Online vom 14.10.05).

    Natürlich verstehe ich als Deutscher wieder kein Wort und frage alle Schweizer in meiner Umgebung, was das denn heisst, „in der Barrage„. Niemand weiss was Genaues. Also frage ich das wunderbare Online-Wörterbuch LEO und erfahre

    Der Damm, die Sperre, das Sperrfeuer, das Sperrwerk, die Stauanlage, der Staudamm, die Staustufe, das Stauwerk, die Stützschwelle, das Trommelfeuer und das Wehr.
    (Quelle)

    Also entweder findet das nächste Spiel in einem Stausee statt, oder irgendwo in einem Krisengebiet (Trommelfeuer, Sperrfeuer)?

    So nicht schlauer geworden, versuche ich mein Glück bei der Süddeutschen Zeitung. Dort heisst es: Die Schweiz muss „Ab in die Relegation„. Barrage heisst Relegation. Ach so! Das hilft uns jetzt mächtig weiter, finden Sie nicht auch?

    Doch zum Glück haben wir ja Wiki:

    Relegation ist als Fremdwort nach einem lateinischen Wort (relegatio) gebildet. Ursprünglich bedeutet eine Relegation, dass man fortschickt, entfernt, ausschließt, verweist, verbannt, zurückweist. Bei den Römern bezeichnet sie speziell die mildeste Form der Verbannung, eine zeitlich oder räumlich begrenzte Verbannung (Quelle).

  • Gefährliche Zeiten für die Schweizer
  • Erst in den Stausee, dann ins Sperrfeuer, und jetzt in die Verbannung? Die Schweizer leben in gefährlichen und verwirrenden Zeiten.

    Aber es geht noch weiter, denn auch im Fussball kommt dieses Wort vor:

    Der Begriff „Relegation“ wurde seit 1982 umgangssprachlich auf verschiedene ähnliche Entscheidungsspiele und Entscheidungsrunden übertragen, bei denen es in der Regel um den Zugang zu einer Fußball-Liga oder einer Liga einer anderen Sportart geht. Oft handelte es sich dabei um reine Aufstiegsspiele oder Aufstiegsrunden, in denen alle beteiligten Mannschaften nur aufsteigen wollten, aber keine den Abstieg verhindern musste, z.B. in einem Entscheidungsspiel zwischen Tabellenführern zweier Ligen. Der im Fußball hierfür eigentlich geprägte und sprachlich korrekte Begriff lautet nicht „Relegationsspiel“, sondern „Qualifikationsspiel“. Ins Deutsche übertragen: nicht Abstiegsspiel, sondern Aufstiegsspiel. Ein Akt unfreiwilliger Komik ist es, wenn ein Trainer oder Spieler der Presse sagt „wir wollen die Relegation erreichen“. Dies heißt nämlich auf Deutsch „Wir wollen absteigen“.

  • Und was weiss Wiki zu „Barrage“?
  • Eine sogenannte Barrage gibt es in der Schweizer Fussballliga. Hier spielen der Tabellenneunte der sogenannten Super League gegen den Tabellenzweiten der Challenge League um einen Platz in der Super League. Der Sieger steigt in die Super League auf, der Verlierer bleibt in der Challenge League oder steigt von der Super League aus ab.

    Nur falls Sie nicht mehr ganz auf dem Laufenden sind: Es geht hier um Fussball in der Schweiz. Das ist dieses kleine viersprachige Land südlich von Deutschland. Hier heissen die Fussball-Ligen „Super League“ und „Challenge League“, weil dann am wenigsten Zoff zu erwarten ist zwischen Deutsch-Schweizern, Romands, Tessinern und Romantschen. Genial einfache Strategie, nicht wahr? Anstatt in vier Sprachen zu übersetzen nimmt man einfach die Lingua Franca des 21. Jahrhunderts, nämlich Englisch.

    Also wird dieser Begriff übertragen von den Mischmasch-Spielen intern zu den Mischmasch-Spielen zur WM Qualifikation. Nur was uns niemand erklären kann, warum für ein und dieselbe Sache nun zwei so ungenauer Ausdrücke verwendet werden, die gar nichts miteinander zu tun haben. Und warum die Schweizer „Barrage“ und nicht „Relegationsspiel“ dazu sagen.

    Zu mindesten Letzteres können wir klären. Es kommt aus der Französischen Sport-Fachsprache, denn dort wurde „Relegationsspiel“ mit „match de barrage“ übersetzt. Quelle

    Nun bleibt zu hoffen, dass die Schweiz auch gegen die Türkei gewinnt und damit diese ganze Recherche nicht umsonst war!