Hörverständnis-Training Schweizerdeutsch
September 14th, 2005Als ich als Deutscher in die Schweiz kam, brauchte ich eine ganze Weile, um die Schweizer im Alltag zu verstehen. Eine gutes Training dafür ist tägliches Radiohören im Auto auf dem Weg zur Arbeit. Auf DRS3 oder Radio24 wird, bis auf die Nachrichten mit den Katastrophenmeldungen, nur Schweizerdeutsch gesprochen.
Deutsche Urlauber, die auf der A2 von Basel zum Gotthard unterwegs sind, hören da auch manchmal zufällig rein und finden es zunächst putzig zu hören, wie die Schweizer so schwätzen. Nach einer Weile wechseln sie dann stillschweigend wieder den Sender, zurück zu einem Hochdeutschen Programm, denn ohne ausreichendes Training verstehen sie so gut wie nichts, und das ist frustrierend.
Das Beispiel zeigt: Die Deutschen, die noch im „grossen Kanton“ leben (Schweizer Bezeichnung für Deutschland) haben keine Ahnung, was in der Schweiz abgeht. Sie wissen nicht, was es bedeutet, dass hier tatsächlich ein anderes Deutsch gesprochen wird. Völlig naiv und unbedarft halten Sie Emil Steinbergers Hochdeutsch-Programm für waschechtes Schweizerdeutsch. Die Erkenntnis, in einem ganz anderen Kulturkreis zu leben, kommt ihnen dann aber sehr rasch.
Hier ein paar Beispiele:
(sorry, wenn meine Schweizerdeutsche Schreibweise nicht regelkonform ist. Apropos Regelkonform: Welche Regel bitte schön? Jeder schreibt doch sein Schwyzerdütsch wie er will)
I gang go poschte
Was treiben die Schweizer nur immer auf der Post? Ständig müssen sie dort hin. Es dauert Tage, bis der Deutsche versteht, dass hier mit „posten gehen“ nichts anderes als „einkaufen gehen“ gemeint ist.
Die Flak-Helfer in Zürich kriegen mehr Geld
Ein Bericht im Radio über die Flak-Helfer in Zürich erzeugt Verwunderung. Der zweite Weltkrieg ist doch schon lange vorbei, und damit die Zeit, in der in Deutschland 16jährige Hitlerjungs und Mädchen auf den Dächern sassen und die Flieger-Abwehr-Kanone = FLAK bedienten? Gemeint war jedoch ein ganz ziviler und friedlicher Berufsstand: Die Pflegehelferinnen im Krankenhaus (Schweizerdeutsch: „Spital„)
Die ISO-k-w-m ist vorbei
Die Schweiz, ein Land der normierten Zustände, genauso wie Deutschland mit der DIN-Norm, hat für alles eine Standarisierung. Was wird nur in der ISO-k-w-m normiert? Normalerweise sind es doch Zahlen, wie bei der ISO 2001, die für die Benennung verwendet werden?
Die Lösung: Es geht um Sport, nicht um Normen. Die ISO-k-w-m ist in Wirklichkeit die „Icehockey-WM„, von einem Deutschen falsch verstanden.
Die Waldstadt Zürich hat Probleme
Zürich ist für vieles bekannt, für die Streetparade, den Zürisee, die Bahnhofstrasse aber doch nicht gerade für seine Wälder, oder? Natürlich gibt es auch Wälder rund um Zürich: Zum Aussichtsturm auf den Uetliberg kann man fast vollständig nur durch Wälder wandern, aber warum wird darüber von einem Expertenteam im Radio diskutiert? Bald klärt sich die Situation. Nicht von „Wald“ ist die Rede, sondern von den Problemen der „Weltstadt Zürich“.
Gern!
Der Schweizer sagt gern „gern„. Zur Bestätigung einer Aussage, am Ende einer Bestellung bei einer Kellerin (die in der Schweiz „Saaltochter“ genannt wird, obwohl niemand versteht, wer dann Vater und Mutter sind).
Der Deutsche rätselt dann, was dieses „gern“ eigentlich bedeutet:
Vielleicht: „Ich hab Sie gern?“ Welch plumper Annäherungsversuch von Seiten des Personals!
Oder: „Sie können mich gern haben„? Das ist genauso unverschämt.
Wahrscheinlicher ist die Bedeutung: „Ich erledige diese Bestellung jetzt gern für sie.“
Doch!
Dieses kleine Wörtchen wird in der Schweiz völlig anders verwendet als in Deutschland.
„Doch, das ist gut so“ sagt man zu Ihnen, obwohl Sie nie das Gegenteil behauptet haben. „Doch“ bedeutet für die Deutschen, gegen den Widerstand einer Person dennoch etwas durchzusetzen. Doch, das will ich wirklich, auch wenn Du es nicht willst.
Für die Schweizer ist „Doch“ ein harmloses Wort, mit dem man einen Satz eröffnen kann, egal, was vorher gesagt wurde. Und man hört es doch ziemlich häufig.
Schweizer Flüche
Als Deutscher habe ich in den ersten 6 Monaten in der Schweiz ernsthaft geglaubt, dass es auf Schweizerdeutsch keine Flüche gibt. Man hört sie nicht fluchen, die Schweizer. In Frankreich lernt man nach wenigen Stunden schon, was „merde“ bedeutet, in England kann es passieren, dass man Sätze hört, in denen jede zweite Wort im Satz das f*-Wort ist.
Nicht so in der Schweiz. Ich werde jetzt nicht anfangen, die Flüche aufzuzählen, die ich schliesslich doch noch lernen durfte. Es waren einige, die besorgten Schweizer können beruhigt sein.
Nachtrag
Also gut, einen Fluch muss ich erzählen, denn der ist typisch schweizerisch:
Die Schweizer haben ja eine Milizarmee, und darum hat jeder Schweizer ein Sturmgewehr daheim. Nun kann es passieren, dass so ein Ding von allein losgeht, dass ein Schweizer plötzlich angeschossen wird. Daher kommt der wichtigste Fluch der Schweizer: „Es schiesst mich an!“ Keine Ahnung, was daran schlimm sein soll, ausser dass es wahrscheinlich weh tut oder sogar tödlich ist.
Bei anderen beliebten Flüchen geht es immmer um „seichte Uhren„. Das verstehen auch die Deutschen, kein Wunder, denn die Schweiz ist ein grosser Hersteller und Exporteur von Uhren. Sind diese Uhren zu flach, also zu leicht und seicht, werden sie verflucht: „Uhren seich!“
In dem Fall
Das ist in der Schweiz eine beliebte Verabschiedung, ein Synonym für „ich wünsche Ihnen ansonsten noch ein schönes Wochenende, und machen sie es gut, falls wir uns nicht mehr sehen.“
Kurz und knapp wird das im Fahrstuhl Freitagnachmittags um 16.00 Uhr mit „in dem Fall?“, Betonung auf „dem“, ausgedrückt.
In jedem anderen Fall muss man eben weiterarbeiten und darf nicht ins Wochenende.
Moll
Hiermit ist keinesfalls das Gegenteil von Dur gemeint. Frei übersetzt: „so ist dann alles wohl geraten!“. Man kann Eindruck schinden bei den Schweizern, wenn man mitten in einem Gespräch äusserst selbstgefällig ein „moll moll“ einfliessen lässt.
Uff-all-Fäll
Schön auch der stets passende Klassiker „Uff-all-Fäll“, gesprochen eher „uffallfäll“, klingt ein wenig wie „Unfall“, heisst aber „auf alle Fälle“. Gehört gleichfalls zu meinen Schweizer Lieblingsfloskeln, die auch ein Ausländer gelegentlich unter das Schweizervolk bringen sollte.
es goot gaga nöööt
Heisst: „Es geht ganz und gar nicht“. Ausruf des Unwillens, wenn etwas nicht funktioniert und auf keinen Fall möglich ist. Unsere Tochter fuhr mit 6 Jahren mit dem Fahrrad auf dem Bürgersteig (Schweizerdeutsch „Trottoir„). Die Schweizer sagen nebenbei bemerkt nur Vélo dazu und empfinden das Deutsche Wort „Fahrrad“ geradezu lächerlich, denn was sollte man mit einem Vélo denn sonst auch tun, ausser fahren.
Da fuhr ein Auto der Kantonspolizei vorbei, hielt an und wollte das Radfahren auf dem Gehsteig verbieten: „Das goot gaga nöööt.“
In der Schweiz müssen auch Kinder auf der Strasse fahren, wenn sie denn überhaupt schon Radfahren können. In Deutschland ist das bis zum 8. Lebensjahr verboten, die Benutzung des Bürgersteigs ist Pflicht für die Kinder.
wird fortgesetzt…