Nicht alle Deutsche unter die gleiche Decke stecken — Eine Maturitätsarbeit aus Baden

November 28th, 2007
  • Die Kollegin wird nicht namentlich genannt
  • Erinnern Sie sich noch an die Umfrage von Philip M. „und einer Kollegin“, die offensichtlich Verena F. heisst, zum Thema „Die Deutschen in der Schweiz“ vom 9.5.2007? (siehe Matur, Matura, Abitur und eine Reifeprüfung ). Die Arbeit ist nun vollendet und wurde mir gestern per Mail zugeschickt. Die beiden Schüler aus Baden haben neben der Auswertung der 50 Fragebögen von Blogwiese-LeserInnen auch noch Interviews in Zürich, Luzern und Schaffhausen durchgeführt und fleissig recherchiert. Herausgekommen ist ein 22 Minuten langer Podcast, und die Maturitätsarbeit als PDF: Die Deutschen kommen.
    Die Deutschen kommen!

  • Unter welcher Decke steckt man uns?
  • Ein Zitat daraus muss ich aber doch umbedingt bringen, weil sich daran auch sprachlich etwas lernen lässt:

    Während für die ältere Generation ein schreckliches Ereignis wie der 2. Weltkrieg ausschlaggebend ist für die Abneigung gegen die Deutschen, so ist es für die meisten Jüngeren eher ein Problem mit der Mentalität. Beide Argumente haben jedoch den Nachteil, dass sie alle Deutschen unter die gleiche Decke stecken. Natürlich sind im 2. Weltkrieg nicht alle Deutschen hinter dem Naziregime gestanden und so gab es viele politische Flüchtlinge, die es auch in die Schweiz zog.
    (Quelle: die-deutschen-kommen-deutsche-in-der-schweiz-2007.pdf

    Und ich dachte, man würde Deutsche sonst immer nur „alle in einen Topf werfen“. Weit gefehlt, in der Schweiz werden sie „alle unter die gleiche Decke“ gesteckt. Wenigstens können Sie so alle einfach über einen Kamm geschoren werden, vermute ich mal. Ist das nur tatsächlich eine Schweizer Redensart, für die sich noch mehr Belege finden lässt, wie z. B. hier:

    Es gibt dort Befürworter des Dritten Reiches, aber dies sind deutsche Minderheiten (häufig in Schlesien oder Pommern) die darf man auf keinen Fall unter die gleiche Decke stecken, da es doch erhebliche Unterschiede sind.
    (Quelle: schwermetall.ch)

    Oder einfach nur ein klassisches Sprichwortdurcheinander, im Stil von „Der Apfel fällt nicht weit vom Birnbaum“?
    Besonders nett finde ich das Zitat auf Seite 12 der Arbeit (die Stelle wird im Podcast sogar auf Hochdeutsch vorgelesen!):
    Quelle Fragebogen
    Zum Glück wurde der Name so stark anonymisiert. Der vollständiger Name wird nicht genannt, ist aber den Autoren bekannt.

  • Hut ab! — Je t’aime, moi non plus
  • Grosses Lob und „Hut ab!“ vor der phänomenalen Arbeit. Besonders gut gefallen uns die eingespielten Background-Geräusche, z. B. „Je t’aime, moi non plus“ beim Thema „Deutsch-Schweizer Liebesbeziehungen„. Das berühmte Stück von Gainsbourg mit dem Text „Ich liebe Dich, ich dich auch nicht“ ist irgendwie absolut zutreffend auf die Deutsch-Schweizer Beziehung. Die Liebe der Deutschen zu den Schweizern wird kaum erwidert.

    Wir wünschen viel Spass beim Anhören des Podcasts und beim Lesen der Arbeit! Wenn die beiden die Kommentarfunktion ihrer Wordpad-Seite tatsächlich aufgeschaltet haben, kann dort direkt kommentiert werden. Sonst halt hier. Nochmals der Link freddy.migrosoft.org/

  • Komm unter meine Decke
  • Bei all dem, was so alles „unter eine Decke“ gesteckt wird möchten wir zum Schluss nicht versäumen an den Altmeister „Unter der Decke“ zu erinnern. Die Älteren unter uns holen dürfen sich jetzt so lange ein Bier holen, während die Jüngeren Gunter Gabriel gucken:

    Schweizerdeutsch für Fortgeschrittene (Teil 4) — Eine glatte Sache

    November 21st, 2007

    (Reload vom 19.11.05)

  • Das ist eine glatte Sache
  • Ziemlich häufig bekommt man in der Schweiz das Wörtchen „glatt“ zu hören. Muss man nun deswegen permanent auf Wollsocken oder mit Spikes unter den Schuhen unterwegs sein, mit dem Salzstreuer oder einem andern Streugut bereit in der Hand (Schweizerdeutsch: „parat“)? Es scheint so, dass die Schweiz, speziell das Zürcher Unterland extrem Glatteis gefährdet ist. Denn hier ist alles glatt:

    Der Fluss, der vom Greifensee bis zum Rhein durch das Unterland fliesst, heisst „die Glatt„.

    Das Einkaufzentrum bei Wallisellen ist das „Glattzentrum„, und dort gibt es das Restaurant „Glattdörfli„.

    Fährt man mit der S-Bahn weiter in Richtung Schaffhausen, kommt man durch „Glattbrugg„, „Oberglatt„, „Niederglatt„, und um die Ecke im Glatttal liegt dann auch noch „Glattfelden„.

    Alles in allem eine rutschige Angelegenheit.

  • „Glatt“ heisst „lustig“
  • Aber „glatt“ kann in der Schweiz vieles heissen. Fragen sie doch mal die Schweizer in ihrer Umgebung, wie sie das übersetzen wüden. „Lustig“ werden sie wahrscheinlich an erster Stelle hören. Also geht es wohl ziemlich lustig zu, hier im Unterland, wenn einfach alles so „glatt“ ist?

  • Unser Herkunftswörterbuch verrät zu „glatt“:
  • Mhd. glat „glänzend, blank; eben; schlüpfrig“, ahd. glat „glänzend“, niederl. glad „glatt, schüpfrig“, engl. glad „fröhlich“ (eigtl. „strahlend, heiter“), schwed. glad „heiter, fröhlich; angeheitert“ gehören zu der vielfach weitergebildeten und erweiterten idg. Wz. „*ghel- „glänzend, schimmernd, blank“ (vgl. gelb). Mit dem altgerm Adjektiv sind z. B. eng verwandt lat. glaber „blank; glatt; kahl“ und russ. gladkij „glatt“. (Quelle Duden 7)

    Das erklärt doch alles: Sie waren glücklich und heiter, wahrscheinlich auch ein wenig „angeheitert“, die Schweizer im Glatttal, als sie ihre Dörfer und den Fluss nach diesem hübschen Wörtchen benannten.

  • Die glatte Stadt Freiburg im Breisgau
  • Auch im Südbadischen Freiburg im Breisgau, eine Hochburg des Alemannischen, geht es „glatt“ zu. Zum einen, weil dort die „Bächle“ kreuz und quer durch die Stadt fliessen

    Niemals hineintappen in ein Freiburger Bächle

    und wenn man da hineintappt, kommt man nie wieder fort aus Freiburg. So will es die Sage, und so geschieht es jedes Jahr wieder. Als Student kommen sie nach Freiburg, die jungen Norddeutschen, tappen aus Versehen in ein Bächle, und schon ist es passiert. Sie kleben an der Stadt wie die Daunenfeder am frisch geteerten Delinquenten.

    Hier fährt die Müllabfuhr mit einem gross aufgedruckten Zitat des allemanischen Dichters Johann Peter Hebel durch die Gegend: „z’Friburg in der Stadt, wo’s sufer isch un glatt„.

    Die Freiburger sind mächtig stolz auf dieses Lob eines Dichters, obwohl das Gedicht noch weitergeht:

    Z’Friburg in der Stadt,
    sufer ischs und glatt;
    richi Here, Geld und Guet,
    Jumpfere wie Milch und Bluet,
    z’Friburg – z’Friburg –
    z’Friburg in der Stadt

    Jetzt sind die alemannischen Hobby Linguisten wieder gefragt: Was um alles in der Welt heisst nun „jumpfere„? Hat es was mit dem Englischen „to jump“ zu tun?

    Ein rechter Fetzen ist kein Stofflappen in der Schweiz — Neue Schweizer Lieblingswörter

    November 19th, 2007
  • Ist ein Fetzen immer rechts?
  • Wir lasen im Magazin in der Kolumne von Michèle Roten:

    (…) am Nebentisch sassen zwei Männer, der eine ziemlich jung, ein rechter Fetzen, mit Drogen-Gestus, auch ein wenig faschistoid aussehend, ein grobschlächtiger Kerl.
    (Quelle: Das Magazin)

    Ein Rechtsradikaler aus Stoff? Ein „Fetzer“? Nein, ein „rechter Fetzen“, so heisst das in der Schweiz. Oder ist Michèle Roten irgendwann aus Österreich eingewandert? Das Wort „Fetzen“ hat erstaunlich viele Bedeutungen, und ein Grossteil davon stammt aus diesem Lieblingsnachbarland der Schweizer. So fanden wir bei Wikipedia in der Abteilung „Austriazismen mit F“ den Fetzen als Synonym für die Schulnote Fünf, welche in der Schweiz einem „Gut“, in Deutschland wie in Österreich jedoch „nicht genügend“ gleichkommt.

  • Vom Scheuerlappen zum Rausch
  • Selbst unser Duden nennt ein paar Österreichische Bedeutungen, „Scheuerlappen“, „Arbeitsschürze“ und „Rausch“.

    Fetzen, der; -s, – [1 a: mhd. vetze, zu: vassen (fassen) in der Bed. „kleiden“, vgl. aisländ. fot = Kleider, Pl. von: fat = Gefäß; Decke]: (…)
    2. (ugs. abwertend) a) billiges, schlecht sitzendes Kleid; b) (österr.) Arbeitsschürze; c) (österr.) Scheuerlappen; Staubtuch.
    3. (österr. ugs.) Rausch: er hat einen ganz schönen Fetzen.

  • Ein Fetzer in Australien
  • Auch andere Schweizer scheinen dieses Wort zu kennen, so fanden wir in einem Australien-Reisebericht:

    Martin ist kein rechter Fetzen
    (Quelle: furrer4.you)

    Wir bevorzugen die Verwendung von „das fetzt“ oder „Let’s fetz“. Für letztere Kombination haben wir bei Google-DE auffallend mehr 21 000 Belege als bei Google-CH gefunden. Scheint wohl ein typisch deutsches Motto zu sein und nicht so beliebt in der Schweiz. Wie sagt man bei den Eidgenossen, wenn die Party so richtig abgehen soll? „Fetzen“ sicher nicht, denn das ist eher etwas Schmerzhaftes in der Schweiz, wie wir sehr anschaulich aus dem Zürcher Slängikon erfahren:

    Fetzen in Zürich
    (Quelle: zuri.net)

  • Carpaccio oder Currywurst?
  • Müssen ziemlich häufig passieren im Kanton Zürich, diese FahrradVelostürze, wenn man sich diese hübschen Varianten anschaut. Besonders appetitlich finde ich die stilvolle Äusserung: „han es Carpaccio uf d Strass gleit„, weil wahrscheinlich kaum ein zugezogener Pommes-Fan aus Deutschland weiss, was ein Carpaccio ist. Muss man als echter Zürcher eigentlich den kleinen Finger deutlich abspreizen, um diesen Satz richtig zu betonen?

    Haben Sie auch einen zu kleinen Rucksack?

    November 16th, 2007

    (reload vom 17.11.05)

  • Zu kleiner Rucksack
  • Ein kleiner Rucksack ist eigentlich eine ganz feine und angenehme Sache in den Bergen. Die Dinge für einen Tag passen hinein, darum heisst er auch auf Neudeutsch „Day-Pack„. Wenn Sie in der Schweiz eine Berufsausbildung beginnen wollen, sollten Sie sich aber lieber ein etwas grösseres Modell zulegen, so einen 30 – 40 Liter Rucksack vielleicht, mit integriertem Traggestell. Denn Sie brauchen einen grossen Rucksack offensichtlich für die Berufsausbildung, und er kann nicht gross genug sein, doch lesen Sie einfach selbst:

    Schüler für die Lehre fit machen
    Eignungstest in einer Grossbank: Die Firmen misstrauen den Schulnoten.
    Warum finden Junge keine Lehrstelle? Weil das Angebot knapp ist. Aber nicht nur: Viele genügen den Anforderungen der Wirtschaft nicht. Jetzt reagieren die Sekundarschulen.
    Von Antonio Cortesi
    Alle jammern. Die Politiker, weil die Wirtschaft zu wenig Lehrstellen anbietet, und die Schulabgänger, weil sie Dutzende von Bewerbungen schreiben müssen (…). Aber auch die Firmen klagen. Sie bemängeln, allzu viele Schülerinnen und Schüler brächten einen zu kleinen Rucksack für eine Lehre in ihrem Betrieb mit.
    Die Firmen beklagen sich nicht ohne Grund, wie eine kürzlich publizierte Nationalfondsstudie zeigt. Der Zürcher Bildungsforscher Urs Moser hat bei den acht Schweizer Grossunternehmen ABB, Migros, Novartis, SBB, Siemens, SR Technics, Swisscom und UBS die Ergebnisse von 1420 Eignungstests und Assessments untersucht. Parallel dazu testete Moser die Jugendlichen selber gemäss den Vorgaben der Pisastudie auf ihre Mathematikkenntnisse und ihre Lesekompetenz.
    Die Resultate sind in hohem Mass Besorgnis erregend:
    Nach dem 9. Schuljahr genügen einzig die Gymnasiastinnen und Gymnasiasten den Anforderungen für eine anspruchsvolle Lehre (Kaufmann oder Informatik). Jeder zweite Schüler der Sekundarschule bringt einen zu kleinen Rucksack für eine KV- oder Informatik-Lehre mit.
    (Quelle: Tages-Anzeiger vom 01.02.05)

    Also was lernen wir daraus: Als engagierter Lehrer sollten wir unbedingt noch ein Outdoor-Ausrüster Geschäft in unserer Freizeit aufziehen, um den jungen Leuten mit passendem Equipment ausstatten zu können. So ein schickes Modell von Salewa oder Wolfskin kann dann richtig Karriere fördern wirken.
    Haben Sie auch nur einen kleinen Rucksack?

    Und gross soll er sein, der Rucksack, denn so eine Berufsausbildung, die dauert lange und da muss wohl ne Menge Proviant reinpassen, und ein warmer Schlafsack, wenn einem der kühle Wind des Alltags um die Nase pustet im Geschäftsleben.

    Ich schwimm, ich schwamm, ich schwumm? – Der Schwumm ist kein Pilz in der Schweiz

    November 15th, 2007
  • Was ist ein Schwumm?
  • Wir lasen in der Pendlerzeitung 20Minuten die interessante Überschrift:
    Auf zum Schwumm
    (Quelle: 20Minuten)

  • Kann man mit einem Schwumm eine Tafel putzen?
  • Es geht in dem Artikel um kleine Seepferdchen, die demnächst in den Pazifik zum Schwimmen freigelassen werden. Ein Schwumm? Dieses Wort hatten wir noch nie gehört, es findet sich auch nicht im Duden, dafür aber 985 Mal bei Google-CH. Bei Google-DE beziehen sich fast alle Fundstellen auf dein Theaterstück von Winfried Steinl „Der Schwumm — Überlebens-Etude

    Auslöser war ein Sportlehrbuch über Schwimmen, bald kam aus dem Physikbuch die Auftriebsformel des Archimedes hinzu und weitere literarische Textsplitter… Die Eigenproduktion thematisiert die Bereiche Gefühle, Sex und Beziehungen mit der Quintessenz: Es gibt eigentlich keinen Lebensbereich, in dem man nicht schwimmt! Mehr oder weniger gut. Da dem Menschen die Fähigkeit zum Schwimmen nicht angeboren ist, muss er sie erlernen. Oder er säuft ab.
    (Quelle: Klett.de)

    Über den Autoren erfahren wir an anderer Stelle:

    Der Autor Winfried Steinl ist Lehrer an einem Gymnasium in Bayern, mehrfach ausgewählt mit seinen Theatergruppen zu unterschiedlichen überrgionalen und bundesweiten Theatertreffen, langjährige Juror am Theatertreffen der Jugend in Berlin
    (Quelle: Schulministerium.nrw.de)

    Ein Lehrer aus dem Musterland Bayern, das sich „Freistaat“ nennt, und sagt und schreibt „Schwumm“? Dabei denkt er keineswegs an leckere „Schwammerl“, die der Duden als kleinen bayrischen Schwamm und Pilz kennt:

    Schwạmmerl, das, bayr. auch: der; -s, -[n] [mit südd. Verkleinerungssuffix geb. zu Schwamm] (bayr., österr.): Pilz.
    (Quelle: Duden.de)

    Das Wort „Schwumm“ ist alt, und findet sich demzufolge auch bei Grimm. Doch mit welcher Bedeutung?

    SCHWUMM, m., ablautende nebenform zu schwamm (siehe dieses sp. 2195): agaricus, dannschwumm, habecheswum, tanswun DIEF. gl. 17a, boletus, swum 78a, fungus, swumme (plur.) 252c, spongia, schwumm 548b, schwum nov. gl. 346a; schwumm, als in den wälden wachszt, fungus, spongia; auch vom badschwamm: ein schwumm mit wasser ausztrucken und tröchnen; dimin. schwümmle, das, spongiola MAALER 368b; STALDER gibt als bedeutung von schwumm, m. schaum; schwummkelle, schaumkelle, schwummen, schaum geben, verschwummen, den schaum oben abnehmen STALDER 2, 366 (dieses schwumm scheint ein neu zu schwimmen gebildetes wort zu sein); dagegen: schwumm, schwamm, pilz, plur. schwümm, dimin. (…)
    (Quelle: Grimms Wörterbuch)

    Wer sich diese wunderbaren Textbelege von Grimm anschaute, kann erkennen, dass es fast alles Pilze sind und mit dem Badevergnügen der Schweizer nichts zu tun haben. Also vergessen wir die Pilze, sagen wir einfach „Schwumm drüber“ und denken wir nur noch ans Schwimmen. Am häufigsten literarisch aufbereitet hat dieses Thema der Ex-Schwimmer und Autor John von Düffel, z. B. in seinem äusserst lesenswerten Roman „Vom Wasser“.

    Vom Wasser John von Düffel
    (Quelle Foto: libri.de)
    Viel Vergnügen beim Lesen und beim nächsten Schwumm!