Ein rechter Fetzen ist kein Stofflappen in der Schweiz — Neue Schweizer Lieblingswörter
Wir lasen im Magazin in der Kolumne von Michèle Roten:
(…) am Nebentisch sassen zwei Männer, der eine ziemlich jung, ein rechter Fetzen, mit Drogen-Gestus, auch ein wenig faschistoid aussehend, ein grobschlächtiger Kerl.
(Quelle: Das Magazin)
Ein Rechtsradikaler aus Stoff? Ein „Fetzer“? Nein, ein „rechter Fetzen“, so heisst das in der Schweiz. Oder ist Michèle Roten irgendwann aus Österreich eingewandert? Das Wort „Fetzen“ hat erstaunlich viele Bedeutungen, und ein Grossteil davon stammt aus diesem Lieblingsnachbarland der Schweizer. So fanden wir bei Wikipedia in der Abteilung „Austriazismen mit F“ den Fetzen als Synonym für die Schulnote Fünf, welche in der Schweiz einem „Gut“, in Deutschland wie in Österreich jedoch „nicht genügend“ gleichkommt.
Selbst unser Duden nennt ein paar Österreichische Bedeutungen, „Scheuerlappen“, „Arbeitsschürze“ und „Rausch“.
Fetzen, der; -s, – [1 a: mhd. vetze, zu: vassen (fassen) in der Bed. „kleiden“, vgl. aisländ. fot = Kleider, Pl. von: fat = Gefäß; Decke]: (…)
2. (ugs. abwertend) a) billiges, schlecht sitzendes Kleid; b) (österr.) Arbeitsschürze; c) (österr.) Scheuerlappen; Staubtuch.
3. (österr. ugs.) Rausch: er hat einen ganz schönen Fetzen.
Auch andere Schweizer scheinen dieses Wort zu kennen, so fanden wir in einem Australien-Reisebericht:
(Quelle: furrer4.you)
Wir bevorzugen die Verwendung von „das fetzt“ oder „Let’s fetz“. Für letztere Kombination haben wir bei Google-DE auffallend mehr 21 000 Belege als bei Google-CH gefunden. Scheint wohl ein typisch deutsches Motto zu sein und nicht so beliebt in der Schweiz. Wie sagt man bei den Eidgenossen, wenn die Party so richtig abgehen soll? „Fetzen“ sicher nicht, denn das ist eher etwas Schmerzhaftes in der Schweiz, wie wir sehr anschaulich aus dem Zürcher Slängikon erfahren:
(Quelle: zuri.net)
Müssen ziemlich häufig passieren im Kanton Zürich, diese FahrradVelostürze, wenn man sich diese hübschen Varianten anschaut. Besonders appetitlich finde ich die stilvolle Äusserung: „han es Carpaccio uf d Strass gleit„, weil wahrscheinlich kaum ein zugezogener Pommes-Fan aus Deutschland weiss, was ein Carpaccio ist. Muss man als echter Zürcher eigentlich den kleinen Finger deutlich abspreizen, um diesen Satz richtig zu betonen?
November 19th, 2007 at 7:17
Naja, ein Carpaccio auf die Strasse machen ist nun etwas überoriginell…ich unterstelle den Verfassern dieses Slängikons etwas zu viel Phantasie, denn das sagt ja wirklich niemand.
Der Fetzen: grosser, (je nachdem starker) Mann.
es fätzt: auch im Gebrauch als es pfätzt. Wird z.B. gebraucht für einen Schlag, der nicht verletzt, aber brennt. (mon Dieu, das ist schwierig zu beschreiben).
Ein (wahrscheinlich vernachlässigbarer) Grund, warum Let’s fetz so verbreitet ist, könnte die Verwendung dieses Spruchs durch Anita Fetz für den Wahlkampf um den Ständeratssitz (kanton Basel Stadt, 2003) sein. Als sie dieses Jahr wieder antrat hat sich ein verzweifeltes (und erfolgloses)Gegenkomitee gebildet, das unter dem Motto „letz schletz fetz“ agierte…
November 19th, 2007 at 8:16
Ist irgendwie süss, wie der Herr Wiese immer wieder versucht, oder zumindest den Anschein erweckt, die Bedeutung eines schweizerdeutschen Wortes selber herauszufinden. Einerseits berührt mich die Hilflosigkeit der Herangehensweise, andererseits erwecken die Resultate dieser Bemühungen immer wieder Heiterkeit in mir. Jaja, ich weiss, das klingt jetzt ziemlich arrogant — und wahrscheinlich bin ich das auch.
Die Bedeutung des Begriffes „ein rechter Fetzen“ im dargestellten Zusammenhang (mit den zwei jungen Männern am Nebentisch von Frau Michèle Roten) ist folgende: Es handelt sich um eine „eingedeutschte“ (nach hochdeutsch klingend gemachte) Version eines schweizerdeutschen Mundartbegriffes (ungefähr „en rächte Fätze“ in meiner Mundart). Er bezeichnet einen äusserst stattlichen Menschen, vor allem im Leibesumfang, kann aber auch schlicht muskulös und daher möglicherweise bedrohlich meinen. Kann auch im Zusammenhang mit Gegenständen benutzt werden (siehe Baum), dies ist aber eher untypisch.
November 19th, 2007 at 8:20
„E Fätze“ ist in Basel ein dicker, stärker Mann oder auch einer der gute Sprüche drauf hat. Und was „es fetzt“ angeht, das ist hier, bezw. war früher, „es fägt“.
November 19th, 2007 at 8:58
Nach der Lektüre dieses Artikels wissen Nichtmundartsprecher immer noch nicht, was die Bedeutung eines „rechten Fetzens“ ist. Möglicherweise wüssten 200jährige Deutsche, aus Schwaben oder Nürnberg weiter. Aber für so alte Wortstämme hat man ja heute die elektronische Version … richtig erraten, Grimms Wörterbuchs!
http://germazope.uni-trier.de/Projects/DWB
Unter Fetze steht dort nebst vielem, das tatsächlich an Stofffetzen erinnert, folgendes:
„ein groszer Fetze, oder wie ADELUNG setzt, Fetzen Brot oder Schinken. SCHMELLER“
„unförmliches Ding, und andern Wörtern tritt Fetzen zur Verstärkung oder auch Schmähung vor: Fetzenkerl, Fetzenmensch, von grosz gewachsnen Burschen und Mädchen (wie Lumpenkerl, Lumpenmensch). nürnbergisch Fetzenehr, Fetzenfreud, grosze Ehre, Freude, vgl. FROMMANNS Glossar zu Weikert und Grübel 1, 24. 71, und die folgenden Composita. das it. pezzo, fr. pièce, it. fetta und fettuccia scheinen dem Wort und Sinne nach verwandt, enthalten jedoch nur die Vorstellung des abgerissenen oder geschnittenen Stücks, nicht des Gewandes selbst, weshalb die heimische Abkunft von Fasz, Kleid den Vorzug verdient. vgl. noch Fitze und Fitzband.
Es gibt da übrigens ein weiters Wort das unsere gescuhte Bedeutung unterstreicht, nämlich „Fetzenkerl“: „m. starker,. dreister Kerl. auch von Thieren: und dia drei Hummel (Stiere), dia Fetzakerle, die möge ebbes fressa. Mer muesz ens gea, sust launt se noch (lassen sie nach, werden mager). NEFLEN Vetter aus Schwaben“
Übrigens steht oben in Grimms Eintrag auch die Verbindung zur Fitze ( http://www.blogwiese.ch/archives/474 ). Wenn ich aber ein kleiner, bringer ( http://www.blogwiese.ch/archives/721#comment-182349 )
Samichlaus ( http://www.blogwiese.ch/archives/110 ) mit erhobenem kleinem Finger wäre, würde ich mich zieren, einem Fetzen eine Fitze zu erteilen. Ist der Fitzenempfänger nämlich nicht nur ein Fetzen sondern ein „Böser“ (Schwinger, http://www.blogwiese.ch/archives/659 ), wird der Samichlaus möglicherweise rasch gebodigt ( http://www.blogwiese.ch/archives/149 ), und falls nicht genug Schnee oder Sägemehl auf dem Teerbelag liegt, bleibt dort wirklich ein Samlichlausencarpaccio hängen.
November 19th, 2007 at 12:57
ja gut, dass weiss Jens Wiese bereits: Nur die Erwähnung von „e chli finer“ Michèle reicht schon aus…Pawlowscher Reflex und es juckt mir in den Fingern. Das mit dem Fetzen interessiert mich nicht im mindesten dabei – alles „Schwumm“ siehe hierzu
http://www.blogwiese.ch/archives/725
Der Fetzen ist uninteressant und um den geht es hier auch gar nicht. Wir sollen die Kolumne lesen, daher ist die verlinkt:
Wo treiben sich denn die Freunde von Frau Roten da immer herum. Jetzt besuchten sie das Vereinsheim des 1. FC Thun und merkten es nicht einmal. Frau e chli finer berichtet uns aber weiter:
ja allerdings, das finde ich auch, und ausserdem finde ich den Hinweis überflüssig, dass dies nur in bestimmten Nachmittag Talkshows vorkommt – oder werden die jetzt in Thun produziert. Nur die Frage ist doch wer war dann das junge Mädchen, wenn nicht die Schwester von dem rechten Fetzen…und wer wundert sich denn dann noch über etwas. Aber möglicherweise ist Frau Roten auch nur falsch informiert, eventuell waren zwei UBS-Banker, die angesichts jetzt drohender Rationalisierungen ihre schauspielerischen Talente weiter verfeinern wollten.
Ohnehin hat man manchmal den Eindruck, dass Michèle in einem Film mitspielt, sozusagen wird die Hauptrolle der Truman Show weiblich besetzt. Wie sonst ist das Ende dieser Geschichte vom Fetzen zu vestehen:
Warum kann der iatlienische Wirt eigentlich kein Zürideutsch und spricht genauso wie in „Maria ihm schmeckt es nicht“? Und natürlich lebst Du in einem wunderschönen Klischee, zu dem passt auch, dass wenn es wieder etwas zu unangenehm wird, die „dolce Italianita“ bemüht wird, dann liegt schon mal s Carpaccio auf der Strasse, von dem wir rohen teutonischen Barbaren bisher dachten, es handle sich um eine Opernarie oder einen Kaffee.
November 19th, 2007 at 15:19
Ein rächte Fätze hat nichts mit örtlicher oder gar politischer Ausrichtung zu tun, sondern ist ein richtiger Fetzen oder korrekter, aber umständlicher richtiggehend ein Fetzen. Da kommt jetzt plötzlich wieder eine Richtung dazwischen, aber lassen wir das.
Vor 40 Jahren wurde das, was heute wohl „Fääte“ genannt wird, als „Feetz“ bezeichnet. Das hatte nichts mit dem arabisch-türkischen Fez zu tun, sondern da flogen die „Fätze“, wenn auch nur im übertragenen Sinn – obwohl gerade sexuelle Revolution angesagt war.
Das mit dem „Carpaccio auf die Strasse gelegt“ finde ich herrlich anschaulich, aber wäre das nicht doch eher Tartar?
November 20th, 2007 at 8:26
Noch eine Kleinigkeit zum Schlusssatz: Die Eingewanderten müssen nicht den kleinen Finger von der Teetässchenhand abspreizen sondern den Mund für die zürichdeutschen ä genügend aufspreizen (im zitierten Beispiel hat’s nur bei „gläit“ so einen).
An Neuromat
Zum Glück bist noch du da, um die schwierige Denkarbeit zu übernehmen. Aber der Fetzen „ist“ – pardon – „finde ich“ auch interessant.
Am Teutonismus erwischt: „Erste Fussballclubs“ sind mir hier keine bekannt. Pro Stadt (z.B. in Thun) gibt es meistens nur einen. Wo es dennoch mehrere solche hat, werden sie durch Namen unterschieden. Hier sind eben die Verhältnisse „e chli chliner“. Fussballspezialisten belegen mir vielleicht in den nächsten Stunden noch die Ausnahme, die die Regel bestätigt.
An Solanna
Du sagst uns, dass „Feetz“ oder „Fääte“ nicht vom arabischen kommt. Hier noch die Ergänzung woher es denn stammt: es ist einfach unterschiedlich schön ausgesprochenes Französisch (la fête). Da ist wohl der Zusammenhang mit „Fetzen“ eher nur lautmalerisch.
Steht auch in Grimms Wörterbucheintrag eine Herkunft vom italienischen „la fetta“ (das Stück, die Schnitte) ist das nur noch zufällig in der akustischen Nähe („la festa“ wäre übrigens das parallele Wort zu „la fête“). Dieselbe Sprachenpräferenz bestätigst du ja auch, indem du französischen Tartar dem italienischen Carpaccio vorziehst.
November 20th, 2007 at 8:44
@Phipu
Dass „Fääte“ von „la fête“ stammt, ist ja überklar. Ich habe das nur so geschrieben, dass ich schneller auf den Fez und den Fätze überleiten konnte. Spanisch Fiesta gehört u.a. ja auch noch dazu.
Carpaccio besteht aus feinen Fleischscheiben (der Begriff wird unterdessen für allerlei Gescheibeltes mit Sauce verwendet), während Tartar schlicht gehackt, fast Mus ist.
November 20th, 2007 at 9:02
An Solanna
Ups, sorry, ich gehe immer wieder davon aus, dass Deutsche, die hier mitlesen, dem gängigen Klischee entsprechen und nicht Französisch können, ich wollte dieses Klischee natürlich nicht dir unterstellen.
Deine Überlegung stimmt tatsächlich, man müsste mit dem Velo umfallend schon auf eine Sammlung Messer fallen, dass man einen schönen Carpaccio hinlegt. Auf Teer- oder Kiesstrassen ist Tartar wirklich der bessere Vergleich. Trotzdäm e Guete!
November 20th, 2007 at 12:54
@ Phipu
bin kein Fussballfan. Schweizer Fussball schon gar nicht. Natürlich musste es heissen der „letzte FC Thun“ – Danke für den Steilpass ……
Dezember 8th, 2007 at 13:45
„Let’s fetz“ sagte der Frosch und hüpfte in den Ventilator.