Machen Sie Dampf oder setzen Sie Druck auf? — Neue alte Schweizer Redewendungen

Oktober 12th, 2011

(reload vom 22.06.07)

  • Drucken mit dem Druckknopf
  • Die Norddeutsche Langnase Mike Krüger, von Haus aus gelernter und praktizierender Betonbauer, beteiligt am Bau des Elbtunnels, schrieb in jungen Jahren nicht nur Erfolge wie „Mein Gott Walter“, sondern auch Kalauer und Schüttelreime wie „Er würgte eine Klapperschlang bis ihre Klapper schlapper klang“ oder „Siehst Du dort den schlappen Lappen in seinen schlappen Lappenschlappen“.
    In einem seiner Nonsens-Lieder von 1975 ging es um einen „Drucker“. Das war damals ein Beruf, und nicht so ein Billigteil das Tinte verbraucht und auf dem Schreibtisch neben dem PC steht:

    Er kaufte sich einen Druckknopf
    und begann zu drucken,
    denn er war viel zu dumm
    um aus nem Bus zu gucken

    Mike Krüger schuf auch recht spassige Nachdichtungen von amerikanischen Songs, so wurde aus „Mama Leone“ bei ihm „Seit ich hier wohne“, und „A boy named Sue“ von Jonny Cash dichtete er nach als „Junge namens Susi“. Ausserdem verballhornte er Jürgen Drews „Ein Bett im Kornfeld“ zu „Wenn die nach vorn fällt“, usw.

  • Es baut sich ein Tiefdruckgebiet auf
  • In Deutschland wird mitunter unter „Hochdruck“ gearbeitet, oder es „baut sich ein Tiefdruckgebiet auf“. Druck kann man grundsätzlich „machen“, so wie man mit einem Druckkopf drucken kann, und Kaffee kann man „aufsetzen“. Die Schweizer haben diese beiden Tätigkeiten geschickt kombiniert, und setzen einfach „Druck auf“. So lasen wir im Tages-Anzeiger vom 20.06.07.:

    Dann setzte er Druck auf

    Das es sich um keine journalistische Ente oder einen Druckfehler handelt, beweist uns der Google-Test. Es fanden sich 3190 Stellen in Google-CH. Beispiele:

    Für Straffreiheit des Drogenkonsums. Nationalratskommission setzt Druck auf.
    (Quelle: www.parlament.ch)

    Womit die Kommission hoffentlich am Drücker bleibt. Oder auch die SP:

    Road Pricing: SP setzt Druck auf
    (Quelle: 20min.ch)

    Auch in einem Reisebericht findet sich dieser Ausdruck:

    Keiner stresst uns (ausser wir uns selbst), niemand setzt Druck auf
    (Quelle: moniundrolli.ch)

  • Scotty, we need more power
  • Das war der klassische Befehl von Captain Kirk auf der Enterprise an seinen Schottischen Maschinisten Montgomery „Scotty“ Scott, so bekannt wie das tatsächlich nie gesagte „Beam me up, Scotty“. Ob das „Druckaufsetzen“ ein Vorläufer für „Power machen“ ist, ein Überbleibsel aus der Zeit der Dampflokomotiven, als durch Anfeuern des Kessels der Wasserdruck erhöht wurde, also tatsächlich „mehr Druck aufgesetzt“ wurde? In Deutschland würde man in einer vergleichbaren Situation eher „Dampf machen“. Also wird hier vergleichsweise nur „heisse Luft“ erzeugt, viel Wind um nichts, ohne damit den Druck wirksam zu erhöhen.
    Unser Variantenwörterbuch meint:

    Druck: „Druck hinter etw. machen“ A D; „Druck aufsetzen“ CH D-mittelost: Dampf: „Dampf aufsetzen“ CH; „Dampf hinter etw. machen“ D

    Demzufolge ist „Druck aufsetzen“ in D-mittelost auch gebräuchlich, „Dampf aufsetzen“ rein schweizerisch und „Dampf machen“ nur in Deutschland gebräuchlich. Gar nicht so einfach. Das braucht uns jetzt nicht bedrücken, ganz ohne Druck geht es auch.

    Wenn der Stiefel sinnig wird — Neue Schweizer Lieblingswörter

    Oktober 10th, 2011

    (reload vom 20.6.07)

  • Der Sinn im Stiefel
  • Sagt doch neulich ein Schweizer Freund zu mir: „Du, das macht mich stiefelsinnig“. Nun weiss ich, dass viele Sachen nicht immer sinnig sondern eher unsinnig sind, dass man einen „Stiefel trinken“ kann, und davon ganz schön besoffen wird, aber diesen Sinn sinniger Weise im Stiefel zu suchen fiel mir bisher nicht ein. „Stiefelsinnig“ ist definitiv unser neues Schweizer Lieblingswort. Ziemlich alt, wie alles in der Schweiz, und schon in Grimms Wörterbuch erwähnt:

    STIEFELSINNIG, adj., ‚verdrieszlich, trübsinnig‘, vgl. stiefel B 1 (sp. 2781); nur in der Schweiz, s. STALDER Schweiz 2, 398; FRIEDLI Bärndütsch 1, 112; ‚verrückt‘ HUNZIKER Aargau 254; da seufzte ein alt kudermannli und sagte … er wett, er chönnt die ganze nacht da hocke und machte ein gesicht dazu trüb- und stiefelsinnig GOTTHELF w. 1, 365 Bartels.
    (Quelle: Grimms Wörterbuch)

    Man beachte die wichtige Feststellung, das wir es hier offensichtlich mit geschriebenem Bärndütsch zu tun haben, aber auch für das Aargau gibt es Belege. In Schweizer Diskussionsforen geht es zum Grundwortwortschatz:

    „mich macht das stiefelsinnig, wenn ich merke dass irgendetwas nicht stimmt und ich nicht an ihn herankomme“
    (Quelle: www.gordontraining.ch)

    Auch in aktuellen Blogs ist das hübsche Wort zu finden:

    Die Navigation macht einem fast stiefelsinnig, und barrierefrei ist die Site auch nicht.
    (Quelle: Reklame.moblog.ch)

    Die Online-Ausgabe der Berner Woche, der „ebund“ verwendet es auch. Claro, ist ja auch Berndeutsch:

    Die nicht mehr ganz so frischen Söhne Mannheims machen mit ihrer Musik gewordenen Nächstenliebe die minderjährigen Töchter Berns stiefelsinnig
    (Quelle: ebund.ch)

    Ob in diesen Textstellen irgendwo „stiefelsinnig“ mit „verdriesslich, trübsinnig“ übersetzt werden kann? Wir lesen da eher Synonyme für „verrückt“ heraus.

  • Von stiefelsinnig zum Stiefelkönig
  • Ein ganz besonders stiefelsinniger Mensch muss übrigens 1919 von der Schweiz aus nach Österreich ausgewandert werden, um dort ein grosses Schuhhandelshaus zu gründen. Der Sinn ging ihm dabei verloren, aber zum König langte es allemal, flugs war die Idee zum „Stiefelkönig“ geboren. Eine erfolgreiche Idee, denn die Monarchie war in der frisch gegründeten „Republik Österreich“ nach dem 1. Weltkrieg gerade radikal abgeschafft worden. Kein „von“ oder sonstiger Adelstitel war mehr erlaubt, warum also nicht analog zum Walzerkönig einen „Stiefelkönig“ erschaffen? Macht Sinn, auch bei Stiefeln.
    P. S.: Wie wir durch einen Kommentar erfuhren, ist die Schreibweise „stigelisinnig“ bei Google sogar häufiger anzutreffen als das Original, nämlich an 564 Stellen.

    A bout de souffle — am Ende des Schnaufs

    September 1st, 2011

    (reload vom 12.06.07)

  • Atemlos in Paris
  • Wer erinnert sich noch, wie 1960 Jean-Paul Belmondo und Jean Seberg „am Ende des Schnaufs“ waren:

    Außer Atem (Originaltitel: À bout de souffle) ist ein Klassiker des französischen Kinos und der Nouvelle Vague und der erste Langfilm von Jean-Luc Godard. Das Drehbuch schrieb er nach einer Geschichte von François Truffaut, die dieser wiederum auf einen Zeitungsbericht über einen Polizistenmord basierte.
    (Quelle: Wikipedia)

    In Amerika versuchte man 1983 ein trauriges Remake mit Richard Gere, doch „Breathless“ ist nicht das Gleiche wie „A bout du souffle“.

  • Wohin der Schnauf geht
  • In der Schweizer Tagesschau SF um 18:00 Uhr am 18.01.07 hörten wir:

    „Edemud Stoiber ist der Schnauf ausgegangen

    Nun ist Stoiber zwar ein Bayer, aber Google-CH zeigt uns 3’970 weitere Fundstellen an, an denen der „Schnauf ausgegangen“ ist.

    Als typische Nord-Westdeutsche kannten wir zwar „verschnaufen“ für „eine Pause machen“ aber vom „Schnauf“ an sich, hatten wir bisher noch nichts vernommen. Unser Duden bezeichnet ihn als „landschaftlich“, nicht dezidiert schweizerisch:

    Schnauf, der; -[e]s, -e ( landsch. für [hörbarer] Atemzug)
    (Quelle: Duden.de)

    Doch der Schnauf kann nicht nur ausgehen, er kann auch schlichtweg fehlen:

    Das Projekt hat keinen Schnauf
    (Quelle: Tages-Anzeiger 26-04-2007)

    Oder er wird genommen:

    Wir dürfen den Leuten nicht den letzten Schnauf nehmen, wenn sie freiwillig etwas tun wollen
    (Quelle: Tages-Anzeiger)

  • Ist der Schnauf schweizerisch?
  • Während an 953 Stellen bei Google-CH der Schnauf ausgeht, fehlt oder genommen wird, sind die 931 Stellen bei Google-DE praktisch durchweg von Menschen besetzt, die sich im Internet das Pseudonym „Schnauff“ (mit zwei „f“) zugelegt haben, bzw. den Laut „schnauff“ schreiben, um heftiges Atmen in schriftlicher Form in einem Forum zum Ausdruck zu bringen. Nichts mit „atemlos“ oder „ohne Atem“.
    Ganz so veraltet wie der Duden kommt das „digitale Wörterbuch der Deutschen Sprache“, kurz DWDS nicht daher:

    Schnauf, der; -(e)s, -e landsch. bes. schweiz. umg. hörbarer Atemzug: sie mußte ihre Rede für einen längeren S. unterbrechen; /bildl./ einen S. lang für einen Augenblick: Ich rief … ob er nicht einen Schnauf lang zu mir heraufkomme Federer Papst 66
    (Quelle: DWDS.de)

    Viel wichtiger noch ist das dazu passende Verb „aufschnaufen“ in der Schweiz. Es findet sich an 500 Stellen bei Google-CH wird aber vom DWDS als „süddt. österr.“ eingestuft:

    aufschnaufen /Vb./ süddt. österr. umg. aufatmen: Direkt aufschnaufen tut er jedesmal, wenn er unter die Leut‘ kommt O. M. Graf Bolwieser 14

    Der Duden akzeptiert es nur als Synonym für „ausatmen“ und führt es nicht als eigenen Eintrag auf:

    1. aufatmen 1. durchatmen, einatmen; (südd., österr., schweiz. ugs.): aufschnaufen.
    (Quelle: duden.de)

    Immerhin sind Süddeutschland, Österreich und Schweiz aufgeführt, wenn auch als „umgangssprachlich“. Zeitungen sprechen extrem viel Umgangssprache, wie es scheint. Da sind wir ja beruhigt und können ufschnuufe. Ob mit einem „u“ (28 Fundstellen bei Google-CH) oder zwei (76 Fundstellen), das mögen die Schweizer unter sich abklären, mir fehlt jetzt echt der Schnuuf.

    Heute schon geschlipft? — Vom Chue-Schlipf bis zum Schlüpfer als Herrenmantel

    Juli 15th, 2011

    (reload vom 4.6.07)

  • Verbringung von Müll
  • Der wunderbare Artikel „Wir gegen uns“ des Tagi-Magazins 21-2007 über das Verhältnis der Süddeutschen zur Schweiz berichtet im letzten Abschnitt über den Müllexport von Deutschland in die Schweiz. Die Müllabfuhr überquert die Grenze und wird zur Kehrichtabfuhr:

    Um 6 Uhr ist er in Bad Säckingen losgefahren, zwanzig Minuten später hat er am Zoll das Formular ‚Grenzüberschreitende Verbringung von Abfällen` stempeln lassen. 100 000 Tonnen Müll aus Deutschland werden jedes Jahr in die Schweizer verbrannt. „Also wenn es um Abfall geht“, sagt Stuchinger, „dann ist die Zusammenarbeit über die Grenze hervorragend.“ Schliesslich erreicht der Müllwagen die Kehrrichtverbrennung. (…) 21 840 Kilo deutscher Müll schlipfen ins Loch.

    Ob bei einem Mülltransport von der Ausdruck „Verbringung von Abfällen“ nun der deutschen oder der eidgenössischen Beamtensprache entsprungen ist, darüber mögen sich andere streiten. Auch dass Müll bei der Grenzüberschreitung in der Gegenrichtung flugs zu „Kehricht“ mutiert, macht uns nicht stutzig, denn Kehrichthaufen gibt es im Schwabenländle auch. Doch das kleine Verb „schlipfen“ hat uns uns angetan.

  • Küken schlüpfen
  • Wir kennen es von Vögeln, die „aus dem Ei schlüpfen“. Doch dann schreibt es sich mit „ü“ und nicht mit „i“. Wir finden es erklärt in Kurt Meyers Schweizer Wörterbuch:

    Schlipfen (sw. V.:,ist) (mundartnah) – rutschen, ausgleiten. – ausschlipfen. Er schlipfte aus, nichts leichter als das, auf den Ufersteinen (Frisch, Bin 58).
    (Quelle: Kurt Meyers Schweizer Wörterbuch, S. 73 u. 227)

    Ein Wort also, was dem grossen Max Frisch nicht durch Deutsche Lektoren „zensuriert“ bzw. wegzensiert und in eine standarddeutsche Form gebracht wurde. Wahrscheinlich ist es bei der Kontrolle durchgeschlipft.

    Unser Duden führt „schlipfen“ als eine von vielen Varianten für „glitschen“:

    glitschen
    1. ausrutschen, gleiten, rutschen, schlittern; (geh.): ausgleiten, entgleiten; (schweiz. ugs.): [aus]schlipfen.
    (Quelle: Duden.de)

    Wenn wir ältere Quellen heranziehen, die sich bei GRIMM finden, wird deutlich, dass dieses Wort praktisch seit dem Althochdeutschen „slipfan“ und dem Mittelhochdeutschen „slipfen“ unverändert im alemannischen Sprachraum erhalten blieb!

    SCHLIPFEN, verb., ableitung von schleifen, sich zu diesem verhaltend wie schlitzen zu schleiszen, ritzen zu reiszen, ahd. slipfan, häufiger in zusammensetzungen GRAFF 6, 807–809, mhd. slipfen.
    1) die bedeutung ist meist ‚gleiten, ausgleiten‘
    (Quelle: Grimms Wörterbuch )

  • Reich mir doch mal den Schlüpfer
  • Während sich diese Variante für „gleiten, herausgleiten“ im Tagi-Magazin auf 21 840 Kg Müll beziehen, erinnert uns das Wort an die Norddeutsche Bezeichnung für „Unterhose“:

    Schlüpfer, der; -s, -:
    1. oft auch im Pl. mit singularischer Bed. Unterhose mit kurzen Beinen, bes. für Damen u. Kinder: einen neuen S., ein Paar neue S. anziehen.
    2. bequem geschnittener, sportlicher Herrenmantel mit großen, tiefen Armlöchern.

    Wenn ich je einen Herrenmantel als „Schlüpfer“ angeboten bekommen hätte, ich wäre sicher vor Lachen nicht zum Anprobieren gekommen.

  • Wohnen Sie auch im Schlipf?
  • Die Schweiz haben noch eine weitere eigene Variante des Wortes, die es auch in den Duden geschafft hat. Die Rede ist vom „Schlipf“ als Landschaft und Wohnstätte:

    1. Schlipf:
    1) Wohnstättenname zu mhd. slipfe „Erdrutsch“.
    2) Herkunftsname zu der gleich lautenden Landschaft im Kanton Zürich.
    2. Schlipf, der; -[e]s, -e [spätmhd. slipf(e)] (schweiz.): Berg-, Fels-, Erdrutsch.

    Auch das DWDS führt ihn an, noch dazu den „Erdschlipf“.

    Schlipf, der; -(e)s, -e schweiz. Berg-, Fels-, Erdrutsch: ein Schlipf geht nieder
    dazu Erdschlipf
    (Quelle: dwds.de)

    Und das gar nicht auf den Mund gefallene Züri-Slangikon nennt den „Chue-Schlipf“ als Variante für einen Kuhfladen, neben „Alpen-Pizza“ und „Tälla-Miine“ noch die nettere Variante.

    Kuhfladen als Chue-Schlipf
    (Quelle: Züri Slangikon)

    Doch jetzt ist Feierabend, sonst kommt noch jemand auf „schlüpfrige“ Ideen.

    Haben Sie heute schon legiferiert? — Neues aus dem Schweizer Sprachalltag

    Mai 22nd, 2011

    (reload vom 22.05.07)

  • Die lateinische Schweiz spricht kein Latein
  • Als „lateinische Schweiz“ bezeichnet man in der Schweiz die Landesteile, deren Bewohner sich auf Sprachen miteinander verständigen, welche aus dem Lateinischen, genauer gesagt dem gesprochenen „Vulgärlatein“ der Römer entstanden sind (vgl. Blogwiese). Dennoch sind Latein bzw. Fremdwörter aus dem Lateinischen in der Schweiz erstaunlich häufig anzutreffen, so z. B. in einem Artikel des Tages-Anzeigers, der sich ironischer Weise mit der „Diskriminierung der Deutschsprachigen“ im dreisprachigen Kanton Graubünden befasst:

    Am 17. Juni entscheiden die Bündner Stimmberechtigten erstmals in der Geschichte des Kantons über ein Sprachengesetz. Dessen oberstes Ziel ist es, „die Dreisprachigkeit als Wesensmerkmal des Kantons zu stärken“.
    (Quelle: Tages-Anzeiger 19.05.07)

    Das Erstaunliche an dieser Abstimmung ist, dass sie überhaupt zu Stande kommt. Denn eigentlich war die Sache längst entschieden:

    „Der Grosse Rat hatte entschieden, dass eine Gemeinde künftig als einsprachig gelten soll, wenn 40 Prozent der Bevölkerung romanisch- oder italienischsprachig sind.“ (…)

    Der 49jährige Rechtsanwalt Peter Schnyder

    „ergriff zusammen mit ein paar Gleichgesinnten das Referendum. Er tat dies, obwohl der Grosse Rat das Sprachengesetz ohne Gegenstimme gutgeheissen hatte und ebenfalls fast einstimmig einen Antrag abschmetterte, die Vorlage dem Volk zu unterbreiten“
    (Quelle: Tages-Anzeiger vom 19.05.05, S. 3)

    Wir haben schon vor langer Zeit verstanden, dass das „Referendum“ nicht „ergriffen“ wird, weil es auf der Flucht ist (vgl. Blogwiese). Aber der nächste Satz liess uns dann wieder sehr an unserer eigenen „Deutschsprachigkeit“ zweifeln:

    „Die Ziele des Referendums seien illusionär, weil im Fall einer Annahme der Bund zu Gunsten des Rätoromanischen legiferieren würde“.

  • Legifer… was?
  • Lex, legis (f.), das weiss der Lateiner, heisst „das Gesetz“, weiblich. „Ferre“ = hervorbringen, schaffen. Und so erklärt uns unser Duden:

    legiferieren lat. legifer „gesetzgebend“ (dies zu lex, Gen. legis „Gesetz“ u. ferre „hervorbringen, schaffen“) u. …ieren>: Gesetze verabschieden (früher in Österreich)
    (Quelle: duden.de)

    Stutzig macht uns aber die kleine Randbemerkung „früher in Österreich“. Wie so oft scheint die Duden-Redaktion nicht ganz auf dem neusten Stand zu sein. Denn der kleine Google-Test belegt:
    Es finden sich bei 2’970 Belege für „legiferieren“ bei Google-CH, verglichen mit jämmerlichen 307 Stellen bei Google-DE, und das sind zumeist Zitate aus Fremdwörterbüchern, die das Wort erklären. Vielleicht ist Google-Österreich noch zu klein und unbedeutend, denn dort fand sich nur 10 Erwähnungen. Warum also die Schlussfolgerung „früher in Österreich“?

  • Wann legiferieren denn Sie?
  • Wir fragen uns bei solchen Wörtern im Tages-Anzeiger nur, ob sie wirklich in der Schweiz von jedem durchschnittlich gebildeten Zeitungsleser verstanden werden. Gleich morgen werden wir unser freundliches Gegenüber in der S-Bahn anquatschen ansprechen und fragen, wann er den zum letzten Mal beim Legiferieren zugeschaut hat oder ob er wohlmöglich selbst gelegentlich legiferiert?

    P.S.: Die erste Bülacher Bürgerin, die ich dann bei der Probe aufs Exempel beim Landi anquatschte ansprach, konnte mir das Wort nicht erklären, entgegnete mir aber schlagfertig auf Hochdeutsch (ich kannte die Frau nicht) „Aber das schreiben Sie sicher dann morgen in der Zeitung!“ Soviel zum Thema „anonymer Feldversuch“.

    P.P.S.: Die Sursilvan sprechende Graubündnerin Diana Juerg von DRS1 kannte das Wort auch nicht, konnte es aber halbwegs herleiten.