Wenn gestandene Mannsbilder zu Vögelchen werden — „Ins Näscht“

Juni 16th, 2012

(reload vom 30.12.05)

  • Wenn Männer zu Vögelchen werden
  • Vor kurzen sagte uns ein Schweizer Freund am Abend, als es etwas später geworden war: „Ich ga hai ins Näscht„. Das machte uns dann doch stutzig. Der Kerl war 190 cm gross und wog an die 100 Kg, wie soll der sich in ein „Näscht“ legen? Er meinte freilich sein „Bettchen“, sorry, sein Bett, denn die Verkleinerungsform ist hier wirklich nicht mehr angebracht.

  • Nestbau in der Schweiz

  • Die Schweizer sind noch im „Näscht“ am Morgen, wenn wir sie zu früh anrufen (also vor 6.00 Uhr), sie bleiben am Sonntag gern länger „im Näscht„, und sie kehren am Abend zurück „ins Näscht„. Googel-Schweiz verzeichnet 534 000 Beispiele.

  • Nestbau auch in Süddeutschland und im Elsass

  • Es geht also zu wie bei den Vögeln. Ein Schelm, wer die Wörtchen „bei“ und „den“ zum Wort „beim“ zusammenzieht. Nestbau und Nestpflege sind mächtig angesagt unter den Schweizern. Aber nicht nur dort, auch unsere Deutschen Freunde aus dem schwäbisch-alemanischen Sprachraum reden ständig vom „Nescht“, dann aber mit „e“.
    „Ins Nescht“ bei Google

    Nestbau bei Vögeln:
    Ins Nest, Näscht oder Nescht

    Im Wikiwörterbuch findet sich zu Nest auch noch die militärische Bedeutung:

    Aus Wiktionary – dem freien Wikiwörterbuch
    [1] Die Stätte der Aufziehung und der Wohnort bestimmter Tiere (zB: Vögel)
    [2] Die übertragene Bedeutung der Wohnstätte als Zufluchtsort, ein Ort der Geborgenheit
    [3] Umgangssprachlich für Stellung in militärischen Belangen. (Quelle:)

    Ob es also etwas mit „Stellung“ zu tun hat, dass die Schweizer gern ins Nest schlüpfen? Als Erinnerung an ihre MG-Nest-Zeit während der letzten Reserveübung? Egal, wir gehen jetzt auch ins Näscht und machens wie die Vögel.

    Kleine Typologie der deutschfreundlichen Schweizer

    Mai 1st, 2012

    (reload vom 21.11.06)

  • Die aus dem „grossen Kanton“
  • Wir haben auf der Blogwiese viel über die versteckten und von den Deutschen zum Grossteil nicht wahrgenommenen Aversionen mancher Schweizer gegenüber den zugezogenen Einwohnern aus dem nördlichen Nachbarland berichtet. Schon die Umschreibung „die aus dem grossen Kanton“ zeigt uns eine Dichotomie auf, welche die uns bekannten Schweizer in zwei Gruppen teilt. Wir nennen sie die „Integrierer“ und die „Abgrenzer“. Wer von Deutschland als vom „grossen Kanton“ spricht, ist ganz offensichtlich ein Integrierer, denn hier wurde ganz Deutschland bereits zum Teil der Schweiz erklärt, natürlich nur im Spass, oder sollten wir ein Referendum „Beitritt Deutschland als 27. Kanton der Eidgenossenschaft“ ins Leben rufen? Warum nicht gleich alle Länder der EU? „Confoederatio Europae“ oder CE, mit Sitz in Bern, wo sonst, wäre doch kein schlechtes Staatenmodell für die Zukunft, oder?
    Aber es gibt noch mehr als nur diese beiden Grundtypen. Darum heute eine kleine Typologie der deutschfreundlichen Schweizer und wie Sie sie erkennen können.

  • Fragen Sie: „Soll ich Schweizerdeutsch lernen?“
  • Diese einfache Frage müssen Sie Ihren Schweizer Nachbarn, Kollegen, Freunden oder Bekannten stellen, um sie schnell und einfach in unsere kleine „Typologie der deutschfreundlichen Schweizer“ einordnen zu können:

  • Der Abgrenzer
  • „Ach nee, lass das lieber. Das tönt sowieso ganz furchtbar, wenn ein Deutscher versucht Schweizerdeutsch zu lernen. Bleib Du bei Deinem Heimatdialekt.“ Und im stillen denkt er sich noch: „… und lass uns den unsrigen, denn den geben wir nicht her, den wollen wir nicht teilen. Wenn wir den nicht hätten, wie sollten wir uns dann noch von Euch unterscheiden?“
    Abgrenzen, unterschieden, eine klare Trennlinie ziehen, dass ist die Vorgehensweise des „Abgrenzers“. Die Angst vor der Ähnlichkeit mit dem anderen, vor dem Verlust der eigenen Identität, die vielleicht nur auf die Sprache begründet ist, das mag hier die tiefenpsychologische Grundlage für die Denkweise des Ausgrenzers sein.

  • Der Integrierer
  • Na klar, lerne so schnell wie möglich Schweizerdeutsch! Aber geh erst in die Öffentlichkeit damit, wenn Du es perfekt kannst..“ Dann wirst Du so wie wir, einer von uns, kaum mehr zu unterscheiden.
    Der Integrierer hat erkannt, dass die Schweiz sowieso eine permanente Durchmischung und Vermischung von Dialekten erlebt, wie es im Begriff „Bahnhofbüffet-Olten-Dialekt“ zum Ausdruck kommt. Vielleicht hat er selbst schon mehrfach den Kanton gewechselt in jungen Jahren und stets wieder von vorn begonnen mit dem Dialektlernen. Das prägt fürs Leben.

  • Der Ungeduldige
  • Wie, Sie sind schon zwei Jahre hier und haben immer noch nicht den Schweizerpass beantragt? Wann lernen Sie endlich Dütsch sprechen so wie alle hier?“ . Auch solchen Menschen kann man in der Schweiz begegnen. In der Regel sind diese Menschen entweder nie aus der Schweiz herausgekommen, oder sie kamen selbst als Secondos hierher, und sind nun glühende Verteidiger der neuen Heimat. Alle Nachzügler müssen es ihnen gleich tun.

  • Der Ungläubige
  • Die Deutschen sind sowieso nicht in der Lage, überhaupt irgendeine Fremdsprache zu lernen. Manche der Jüngeren können Englisch, aber auf Mallorca bestellen Sie ihren Kaffee Haag mit Eisbein und Sauerkraut immer noch ausschliesslich auf Deutsch.“
    Der Ungläubige kennt die Deutschen gut, denn er gucke ja immer deutsches Fernsehen, da weiss man bald alles über das Land und die Menschen. Vor allem über das Schulsystem und die erste und zweite Fremdsprache dort. Die Filme sind seiner Meinung nach in Deutschland immer in der Originalfassung zu sehen, weil niemand dort Englisch oder Französisch kann.

  • Der Tolerante
  • Ach, du kannst reden wie Du willst. Soll ich auch Hochdeutsch reden oder kommst Du klar, wenn ich Schweizerdeutsch spreche?“. Der Tolerante hat unter Garantie selbst Jahre im Ausland verlebt, vielleicht seine Ehefrau von dort mitgebracht, und spricht 3-4 Sprachen fliessend.

  • Der Germanophile (aus der Westschweiz)
  • Oh, sprich doch bitte weiterhin Hochdeutsch mit mir! Es klingt so schön. Endlich kann ich reden, wie ich es jahrelang in der Schule gelernt habe. Hier in Zürich sprechen alle sofort Französisch mit mir, wenn ich nur den hochdeutschen Mund aufmache, dabei will ich doch mein Deutsch nicht verlernen. Ich werde wohl doch so einen Kurs bei der Migros-Klubschule besuchen müssen, wenn ich noch länger hier leben und arbeiten möchte.“

  • Und was meint der Wissenschaftler dazu?
  • Werner Koller ist Zürcher, Sprachwissenschaftler und hat die sprachsoziologische Untersuchung «Deutsche in der Deutschschweiz» veröffentlicht.
    Werner Koller auf seiner Homepage
    (Quelle Foto: hf.uib.no)
    In einem Interview mit dem Bund wurde er zu der Situation der Deutschen in der Schweiz befragt:

    «bund»: Manche Deutschen, die schon lange in der Schweiz leben, fühlen sich immer noch nicht heimisch – wie kommt das?
    Werner Koller: Deutsche haben beste Voraussetzungen für das «Heimisch-Werden» in der Schweiz: Sie unterscheiden sich weder vom Aussehen noch vom kulturellen Hintergrund stark von den Schweizern. Paradox ist: Gerade wegen der Ähnlichkeiten werden die Unterschiede umso stärkerer wahrgenommen. Es gibt viele Deutsche, die die ersten Jahre als problematisch, ja belastend empfinden. Sie erleben die Situation in der Schweiz verschiedener, als sie es erwartet haben. Das betrifft Mentalität und Charakter, die Art und Weise, wie Schweizer miteinander umgehen, und vor allem die Stärke der Vorurteile, die sie gegenüber Deutschen haben. Die Unterschiede müssen nicht gross sein, damit man in der Schweiz als Ausländer behandelt wird.
    (Quelle: Der Bund vom 17.06.06, auch alle weiteren Zitate dort)

    Streng nach der alten Devise: Jeder ist fast überall auf der Welt ein Ausländer. Wir erinnern noch einmal an die Bekannten aus Ostdeutschland, die hier in der Schweiz alles sehr schön fanden, „bis auf die schrecklich vielen Ausländer“. Kein Witz, bittere Realität ohne Selbsterkenntnis.

    Auf die Frage, ob die Deutschen Schweizerdeutsch lernen sollen, meint Werner Koller:

    Natürlich kann man Schweizerdeutsch, wie jede andere Sprache, lernen. Es gibt viele in der Schweiz wohnhafte Deutsche, die Schweizerdeutsch sehr gut sprechen. Bei einigen denken Schweizer höchstens, dass sie «aus einem anderen Kanton» stammen. Das Problem liegt nicht beim Können, sondern bei der Motivation: Man kann sich in der Deutschschweiz mit Hochdeutsch verständigen.

    Richtig. Ein Deutscher muss hierfür einsehen, was es bedeutet, in der Schweiz den nicht einfachen Lokaldialekt tatsächlich lernen zu wollen. Die wochenlangen Reportagen einer Deutschen bei Blick haben die Leser nicht nur amüsiert, sondern auch aufgezeigt, wie schwierig es ist, nicht verschriftete Sprachen systematisch zu lehren und zu lernen.
    Katia Murmann bei Mundart-Kurs
    (Quelle Foto: Blick.ch 02.10.06)

    Sprache ist mehr als ein Kommunikationsmittel. Werner Koller meint:

    Sprache markiert Identität, meine Sprache und ich – wir gehören zusammen. Zur sozialen Identität gehört auch die Zugehörigkeit zu einer Region, einem Dorf – und die Sprache verrät, «woher man kommt». Wenn Deutsche, die hauptsächlich Hochdeutsch sprechen, die Grussformeln Grüezi, Uf Widerluege verwenden, signalisieren sie die Bereitschaft, an den sprachlichen Ritualen teilzunehmen, sich den Gewohnheiten der Schweizer anzupassen.

    Warum kann beim Versuch, Deutsch zu lernen, auch das Gegenteil bei den Schweizern auslösen?

    (bund): Deutsche, die Schweizerdeutsch sprechen, kommen nicht gut an . . .
    (W. Koller) Das kann man so allgemein nicht sagen. Tatsächlich werden Deutsche mit zwei Haltungen konfrontiert. Einerseits geben Schweizer zu erkennen, dass sie durchaus sprachliche Anpassung erwarten. Andererseits hören Deutsche auch, sie sollten «bei ihrer Sprache bleiben». Die Abwehrreflexe kommen in Aussagen zum Ausdruck wie: Deutsche sollen ihre Identität bewahren und sich nicht «ins Schweizerische drängen». Deutsche sollen nicht Dialekt reden, weil der Dialekt der Abgrenzung gegenüber «dem grossen Bruder im Norden» dient.

    Da wären wir bei unserem Lieblingstypen, dem Abgrenzer. Es ist nicht leicht zu wissen, wie man mit all diesen verschieden Typen umgehen sollte, es gibt auch kein Patentrezept, denn nicht jedem fällt das Sprachenlernen leicht. Ich persönlich habe beschlossen, als nächstes mindestens zwei rätoromanische Sprachen zu lernen, um so mitzuhelfen, diese Varianten vor dem Aussterben zu bewahren. Mal sehen wie weit ich dann in Zürich komme, wenn ich auf Rumantsch nach dem Weg frage.

    Schweizerdeutsch für Fortgeschrittene (Teil 6) — Kommen Sie raus oder bleiben Sie drin?

    März 3rd, 2012

    (reload 26.11.05)

  • Vom Rauskommen und Drinbleiben
  • Wenn ein Schweizer Kind zu einem Freund sagt: „Kommst Du raus?“, in meinem laienhaften Unverstand transkribiere ich das jetzt mal ganz naiv mit „Chrumsch ruus?„, dann will es nicht wissen, ob das andere Kind nach draussen kommt zum Spielen, sondern vielmehr, ob das andere Kind das Problem verstanden hat und die Lösung kennt.

  • Aus einer vertrackten Situation einen Ausweg finden
  • Ich komm nicht raus“ sagen also die Schweizer nicht, wenn sie Stubenarrest haben oder daheim das Bett hüten müssen, sondern sobald sie etwas nicht verstanden haben. Wenn ich diesen Satz höre, dann pflege ich kurz und bündig darauf zu entgegen: „Dann bleib doch drin“.

    Wenn auch Ihr Kind eines Tages „nicht mehr raus kommt“ bei einem Problem und Sie um Hilfe bittet, dann ist das ein deutliches Zeichen dafür, dass es sich in der Schweiz mit der Zeit perfekt akklimatisiert hat.

    Wir fragen uns dennoch, woher sie wohl stammen mag, diese absolut wunderbare Redewendung „nicht rauskommen„. Gab es da in den Frühzeiten der Schweiz eine Geländeübung im Sumpf oder im dichten Unterholz, bei der es galt, möglichst schnell „raus zu kommen“ aus dem braunen Dreckloch, aus dem pieksenden Unterholz? Das würde zu einer weiteren typisch Schweizer Nationalsportart passen, dem „Orientierungslauf„.

  • Laufen und Plan lesen
  • Das kennen Sie nicht? Nun, es ist ein Mischung aus Dauerlauf und „Wer kann am schnellsten den Falkplan entziffern ohne nach dem Weg fragen zu müssen„. Gibt es hier in der Schweiz regelmässig Meisterschaften zu. Falls Sie sich mal bei einer Wanderung in einem Schweizer Wald verlaufen haben sollten, und sie kommen an einem solchen Fähnchen vorbei,
    Posten für den Orientierungslauf

    dann brauchen Sie sich nur daneben stellen und warten. Über kurz oder lang wird ein Läufer mit Orientierung vorbeigelaufen kommen, und den können Sie dann einfach nach dem Weg fragen. Der hat unter Garantie auch ein Karte und einen Kompass dabei. Und wenn Sie extrem gut in Form sind, laufen Sie ihm einfach hinterher. So finden Sie dann wieder raus aus dem Wald.

    Die Gewinner der Schweizer Meisterschaften in OL werden dann nach Tokyo geschickt zu einer kleinen spassigen Stadtrally. Denn in Japan gibt es keine Strassennamen und Hausnummern, und fragen kann man dort auch niemanden. Welcher Japaner versteht schon Schwiizerdütsch? Das ist dann sozusagen der „Ironman des Orientierungslaufes„:

    In Tokyo laufen keine zwei Strassen parallel, keine einzelne geradeaus. Außerdem ist der Grund leicht hügelig und um die Orientierung vollends zu erleichtern, gibt es keine Adressen und keine Strassennamen. Du rennst also nicht nur kreuz und quer, sondern auch rauf und runter. (Quelle: projekte.free.de/schwarze-katze)

    Essen fremde Fötzel besonders gern Fotzelschnitten? — Hübsche Wörter aus dem Schweizer Sprachalltag

    November 5th, 2011

    (reload vom 2.7.07)

  • Eine Fotze ist eine Gosche ist eine Schnorre ist ein Latz ist ein Sabbel
  • Auch nach vielen Jahren in der Schweiz geraten wir noch in Erstaunen über besonders hübsche und drastische Wortfunde, die im Schweizer Sprachalltag zwar selten aber doch lässig und unbedarft Verwendung finden. Die Rede ist von den Varianten rund um das derbe Wörtchen „Fotze“. Im Gemeindeutschen ist dies ein vulgäres Wort für das innere weibliche Geschlechtsorgan, laut Variantenwörterbuch im Süden in dieser Bedeutung jedoch seltener, mehr noch, es gilt in Österreich und Süddeutschland als Variante für „Mund“, neben weiteren Ausdrücken wie:

    Pappen A, Gosche A D-süd, Schnorre A-west CH, Latz CH, Klappe CH D-nord/mittel, Fresse D-nord/mittel, Sabbel D-nord/mittel, Schnauze D (ohne südost), Schnute D
    (Quelle: Variantenwörterbuch S. 258)

    Da fehlt nur noch die „Klappe“ in der Liste, bzw. der „Rand“. Beides kann man halten in Deutschland.

  • Eine Fotze kann auch weh tun
  • Ausser für zwei Körperöffnungen gilt das Wort in Österreich und Deutschland auch als Synonym für eine gemeindeutsche „Ohrfeige“. Dieser schmerzhafte Vorgang bringt es ebenfalls auf eine Vielzahl von Varianten, in der Schweiz z. B. als „Chlapf“:

    Dachtel A D-südost, Watsche A D-südost, Chlapf CH, Backpfeife D-nord/mittelwest, Schelle D-nordost/südost
    (Quelle: Variantenwörterbuch S. 258)

  • Und die Fotzelschnitte?
  • Sie ist tatsächlich essbar und hat mit den oben erwähnten Körperöffnungen ganz und gar nicht zu tun. Sie ist eng verwandt mit dem „Fötzel“, der sich sogar im Duden findet:

    Fötzel, der; -s, – [wohl zu alemann. Fotz = Zotte, Fetzen, H. u.] (schweiz.): Lump, Taugenichts.
    (Quelle Duden.de)

    Besonders in der Kombination mit „fremd“ als „fremder Fötzel“ erfreut sich dieses Wort grosser Beliebtheit in der Schweiz, 214 Fundstellen bei Google-CH mögen als Beleg genügen:
    So im Zürcher Unterländer:

    «Fremde Fötzel» mussten weichen
    (Quelle: www.zuonline.ch)

    Oder im Velojournal.ch:

    Geniale Scheidegg und fremde Fötzel
    (Quelle: velojournal.ch)

    Doch was hat der „Dahergelaufene; Fremde“ mit einer essbaren Schnitte gemein? Die „Fotzelschnitte“, so erfahren wir aus dem Variantenwörterbuch, ist ein

    „Gericht aus in Milch eingeweichten, in Ei gewendeten, gezuckerten und in Butter gebratenen Brotstücken“.
    (Quelle Variantenwörterbuch S. 258)

    Fotzelschnitte
    (Quelle Foto: luckymagenta.spaces.live.com)

    Ein Gericht also, dass man in Österreich als „Pafese“ kennt und in Deutschland als „arme Ritter“, in der Schweiz auch als „verlorenes Brot“ oder „Goldschnitte“ serviert. Ein einfaches Gericht für arme Leute, diese „Fotzelschnitte“, nur nicht mit Rittern zubereitet sondern mit „Dahergelaufenen“, bzw. „Fremden“.

  • Ein Fötzel ist ein Fetzen Papier?
  • Ein „Fötzel“ an sich hat in der Schweiz zwei Bedeutungen. Zum einen ist es:

    Fötzel, der; -s, – (mundartnah) — Lump, Taugenichts.
    (Quelle: Schweizer Wörterbuch von Kurt Meyer S. 123)

    Zum anderen ist es aber auch ein Fetzen Papier:

    „Die Bürokratie verlangt für jede dritte Nacht die schriftliche Bestätigung eines Hotels. Reist man mit Fahrrad und Zelt, ist es nicht verwunderlich, dass die Papier unvollständig sind, also muss man sich die erforderlichen Fötzel mit etlichem Schmiergeld bei Hotels ergaunern
    (Quelle: Velojournal 1/2002, 19; zitiert nach Variantenwörterbuch S. 258)

    Man achte auf die Finesse, dass im „Velojournal“ vom „Fahrrad“ die Rede ist!

    Aus diesem „Fetzen Papier“ leitet sich dann noch die beliebte Tätigkeit „fötzeln“ selbst ab, was nichts anderes bedeutet wie das Aufsammeln solcher Papierfetzen bzw. sonstiger Abfälle:

    Asylbewerber «fötzeln» für ein Taschengeld
    (Quelle: www.zuonline.ch)

    fötzele
    Mir göi go „fötzeln“ in Kappeln
    (Quelle: schulekappel.ch)

    Besonders bemerkenswert finden wir an dieser Überschrift der Kappeler Schulzeitung, dass das Tätigkeitswort „fötzeln“ mit deutlichen Anführungszeichen als „nicht schriftfähig“ gekennzeichnet wurde. Richtig so! Wir sind uns eben schon deutlich bewusst, dass hier ausnahmsweise mal ein Dialektwort verschriftet wurde!

  • Frotzeln ist nicht fötzeln
  • Nicht verwechseln sollte man die umweltfreundliche und gemeinnützige Tätigkeit des „Fötzelns“ hingegen mit dem Gemeindeutschen „frotzeln“:

    frọtzeln (sw). V.; hat› [H. u., viell. zu: Fratzen ‹Pl.›, Fratze] (ugs.): a) mit spöttischen od. anzüglichen Bemerkungen necken: jmdn. [wegen etw.] f.; b) spöttische od. anzügliche Bemerkungen machen: sie frotzelten gern über ihn.
    (Quelle: duden.de)

    oder mit dem derben Wort für „ohrfeigen“:

    fotzen (sw) . V.; hat> [zu →Fotze] (bayr., österr. derb): ohrfeigen.

    Fazit: Wir hören auf zu frotzeln, gehen am Wochenende im Wald fleissig fötzeln und laden alle fremden Fötzel ein zu einer Fotzelschnitte. Genial!

    Was ist ein CHIUBIGIGU — Berndeutsch für debile willige Killer

    Oktober 23rd, 2011

    (reload vom 28.06.07)

  • Bilder angucken in Heute
  • Wir wurden auf dieses hübsche Wort aufmerksam gemacht, welches sich in einer Anzeige von „Heute“ fand. Sie wissen schon, nicht die dröge Nachrichtensendung des ZDFs um 19:00 Uhr, sondern das „spritzig-witzige“ Nachmittagspendlermagazin mit den vielen bunten Bildern und den seitenlangen, kaum lesbaren Artikeln ohne Punkt und Komma. Textinput und Leseaufwand ca. 10 Minuten, denn Heimwärtspendler am Abend sind entschieden weniger aufnahmefähig als die 20-Minuten-Leserinnen und Leser in der morgendlichen Rush-Hour (2007 existierte es noch, kurz danach übernahm es der „Blick“ und machte es zu „Blick am Abend„)

  • Nicht in Versen aber in Versalien
  • Das Wort wurde in „KAPITÄLCHEN“ geschrieben, was nichts mit dem KAPITAL von Karl Marx zu tun hat sondern ein anderes Wort für „Versalien“ = Grossbuchstaben ist. Die Schreibweise erinnerte uns wegen dieser Grossbuchstaben an eine Abkürzung, so wie einst das leckere „FIGUr hat GErn GeLittene“ von FIGUGEGL . Das Wort ist extrem schwierig zu entschlüsseln, doch wir haben ja unseren Sprachexperten, der uns einen Tipp gab. Im ersten Teil des Wortes steckt das Hilly-Billy-Lieblingswort aller chill-out Fans: „Chilbi“ in der Berner Fassung „Chiubi“ geschrieben, denn merke: In Bern wird immer „l“ zu „u“, wie uns neulich in einem Kommentar erklärt wurde:

  • Billig und willig in Bern
  • „Biuig ist Billig im Berndeutschen. Vgl: Wiuig (Willig), Viu (Viel), debiu, stabiu …“
    (Quelle: Kommentar auf der Blogwiese)

    Muss man alles erst lernen. Ein Satz wie „Ein stabiler und debiler Killer ist oft billig und willig“ müsste sich auf Berndeutsch extrem interessant anhören.

  • Ein Gig, eine Gigue und ein Gigu
  • Der erste Teil von CHIUBI-GIGU wäre geklärt, wenden wir uns dem „Gigu“ zu. Einen „Gig“ nennt man in der Musikbranche einen Auftritt einer Band. Eine „Gigue“ hingegen ein barocker Tanz. In Deutschland wird die Lautfolge „Gigu“ von nichts ahnenden Feuerwehrleuten als Kurzbezeichnung für „Ginsheim-Gustavsburg“ im Namen geführt wird, so bei der dortigen Feuerwehr-gigu.de und zwar nicht nur dort (vgl. skb-gigu.de ). In in der Schweiz und speziell in Bern ist „Gigu“ hingegen schlichtweg ein Schimpfwort der harmloseren Art:

    Gigu
    Es ist sehr harmlos, ein schweizerdeutsches (oder besser gesagt berndeutsches) Wort für Trottel …
    Sprache: Schweizerdeutsch
    Verwandte Wörter: Stromkasten-Pinkler Ochse Glezn Blödsack Blödel Vollidiot Strandhaubitze Mit-Feuerzeug-in-Tank-Leuchter Wafferl Semmbachel Dulli Smörebrötblöd Yek Yoggler Dummbatz Halbidiot Dumpfnudel Humanoide Minimalkonfiguration Blödzinken Deppchef
    (Quelle: rindvieh.com)

    Klasse Liste! Wer kennt davon mehr als 25%? Mir waren nur 5 von 20 der Begriffe geläufig.

  • Kann man Kirmesidioten essen in Bern?
  • Überraschend ist nun, dass die Kombination aus „Kirchweih“=Chiubi und „Gigu“ = Blödmann keinen „Kirmesidioten“ entstehen lässt, sondern in ein ganz anderes Wort mündet. Doch geben wir einfach unserem Fachmann fürs Berndeutsche das Wort:

    Kinderfresser in Bern
    (Quelle Foto Berner Kinderfresser)
    (Vgl. auch hier)

    Da die Berner schon seit jeher gerne Menschen fressen, werden also die „Chiubi-Gigle“ (Einzahl: ei Gigu, Mehrzahl: zwe Gigle) verzehrt. An der Chilbi gibt es also etwas Typisches, das gegessen wird. Was ist also typisch für die Chilbi? Das einzige gesalzene Essen, das man dort bekommt, sind Würste. Der Chiubigigu ist also auf Berndeutsch nichts Harmloseres als eine „Bratwurst„. Auf Berndeutsch sagt man übrigens etwas interkantonaler auch „e Bradwurscht“ und davon abgeleitet „bräätle“ (grillieren, siehe hier). Wenn also Solothurner zu Bernern von „Brootwurscht bröötle“ sprechen, erntet das schmunzeln. Und Solothurner Kinder müssen erst lernen, dass es in der „Brotwurst“ kein Brot hat. So wie die Basler Kinder erst lernen müssen, dass das „Roothus“ nicht wegen der Farbe so heisst, sondern dass darin „beraten“ wird.
    (Quelle: Private Elektropost)

    Bleibt festzuhalten, dass sich das Wort „Chiubigigu“ bei Google 147 Mal zu finden ist. Echt keine schlechter Wert für eine Bratwurst.