Hinterüggsli gegen die grosse Wumme — Ein Text von Tom Zürcher

September 23rd, 2008
  • Man textet deutsch
  • Der Werbetexter Tom Zürcher schreibt unter dem Titel „Man textet deutsch“ eine wunderbare Analyse über das komplizierte Deutsch-Schweizer Verhältnis, besonders in der Werbebranche. Der Beitrag erschien in der Spezialausgabe des „Werbespalters“ (in Zusammenarbeit mit dem Schweizer Satiremagazin „Der Nebelspalter“) und verdient unsere besondere Aufmerksamkeit. Der vollständige Beitrag ist hier online zu finden:

    Hinterüggsli gegen die grosse Wumme (von Tom Zürcher)
    Ich bin Schweizer und heisse auch so, fast. Ich bin gerne Schweizer, es ist ein schönes Land. Man darf nur nicht zu laut sein, weil, es ist ein kleines Land und wenn da jeder laut wäre, würden wir alle einen Ohrenschaden kriegen. Ich bin nicht laut. Meine Freunde sind auch nicht laut. Meine Nachbarn sind nicht laut, die Kinder meiner Nachbarn sind nicht laut, niemand ist laut.
    Ausser die neuen Texter in der Agentur, die sind furchtbar laut. Weil, sie kommen aus einem grossen Land im Norden und dort muss man laut sein, um gehört zu werden. Oder sie sind laut, weil sie einen Ohrenschaden haben. Irgendeinen Schaden müssen sie haben, denn: Sie sagen, was sie denken. Das ist nicht normal. Das geht nicht. Wo kämen wir da hin, wenn jeder sagen würde, was er denkt? Das gäbe Streit, fürchterlichen Streit, und da man nicht leise streiten kann, sondern nur laut, hätten wir in der Schweiz bald alle einen Ohrenschaden. Drum sagen wir Schweizer nicht, was wir denken. Drum gibt es keinen Streit. Drum ist es ein schönes Land.
    (Quelle: Für dieses und alle weiteren Zitate werbespalter.jimdo.com)

    Prägnant und nachvollziehbar auf den Punkt gebracht! Nicht sagen, was man denkt, nicht laut sein. Streit vermeiden. Und schon ist es ein schönes Land. Wunderbar.

    Als der erste neue Texter aus dem grossen Land zu uns kam, kam er gleich im Rudel. Wir Schweizer Texter konnten bei dem Krach nicht mehr texten. Wir dachten: Was ist unser CD für ein Fudiloch, dass er solche Schtürmicheiben einstellt! Wir sind dann hin zu ihm und haben gesagt: Chef, die sind prima, die Neuen, die bringen einen prima Schwung in den Laden. Leider sind sie ein bisschen äh laut, und … unser CD zuckte zusammen. Laut? Das geht nicht. Wo kämen wir da hin. Er beschloss, die neuen Texter müssten fortan im Keller texten, wo sie niemanden stören können ausser die in der Cafeteria, aber dort sitzen eh nur die neuen Texter, weil die Schweizer Texter arbeiten und sitzen nicht in der Cafeteria herum. Leider sind die Neuen nicht einverstanden gewesen mit dem Keller-Plan, sie haben protestiert, laut protestiert, so dass nun wir Schweizer Texter im Keller hocken. Aber es geht nicht schlecht. Wenn nur die in der Cafeteria sich etwas zurückhalten würden. Wir müssen es ihnen noch sagen.

    Nun, jeder der in der Schweiz arbeitet, wird die Wichtigkeit der „sNüni-Pause“ und des gemeinsam getrunkenen Kaffees mitten in einer langen Verhandlung kennen. Man sitzt nicht lange rum, in der Cafeteria, aber keine Verhandlung beginnt ohne vorher einen Kaffee zu trinken oder wird fortgeführt ohne zwischendurch das Stehcafé aufzusuchen. Ist auch eine Form von Arbeit.

    Die neuen Texter aus dem grossen Land reden nicht nur lauter, sie schreiben auch lauter – massiv lauter. Ihre Schlagzeilen erschlagen einen, und ihre Copytexte sind wahres Copygebrüll. Das wurde allerdings erst nach Ablauf der Probezeit ruchbar, denn vorher waren sie zu sehr damit beschäftigt, sich in der Cafeteria einzuleben. Den ersten Text, den wir von ihnen bewundern durften, hatten sie gleich zu dritt erarbeitet: eine Schlagzeile für ein Käseplakat. Selbstbewusst präsentierten sie sie der ganzen Agentur, trommelten alle im Plenarsaal zusammen und zeigten ihr Werk.
    Es waren nur drei Worte. Eigentlich optimal für ein Plakat. Die Zeile hiess: Voll die Wumme!

    Bleibt zu fragen, ob jeder Schweizer eine bildliche Vorstellung von diesem Gegenstand hat. Was ist eine Wumme? Die „Wümme“ ist ein Flüsschen bei Bremen, aber eine Wumme? Google hilft, und liefert prompt dieses hübsche Bild

    Die Wumme
    (Quelle Foto: waltavista.de)

    Auf einer Baustelle gilt das Wort „Wumme“ auch als Synonym für einen grossen Vorschlaghammer. Eine „Wumme“ ist also auch ein „Hammer“, mit dem man voll rein schlagen kann.

    Wir waren alle erschlagen, einschliesslich der CD, dem wir ansahen, was er dachte: Was hab ich da bloss für Texter geholt. Sagen tat er: Bravo! und Wummie!, er klatschte in die Hände, und wir andern klatschten ebenfalls. Die ganze Agentur klatschte, alle ausser diejenigen neuen Texter, die nicht an der grossen Wumme beteiligt waren. Die pfiffen und schrieen Buu!, Buu! Auch so etwas, das wir von ihnen lernen konnten: Sich bei internen Präsentationen gegenseitig fertig zu machen. Keine Idee ist gut, ausser sie kommt von einem selber. Das geflügelte Wort bei solchen Anlässen heisst: Gabs schon! Noch bevor man die Pappe umgedreht hat, röhrt und gurgelt es: Gabs schon. Das blockiert natürlich den Ideenfluss ungemein. Was kann ich dafür, dass jede grosse Idee vom grossen Land schon gehabt worden ist? Unser CD versuchte dann, den Neuen ihre Gabsschon-Rufe auszutreiben. Indem er zu ihnen sprach: Er fände es gut, dass sie mit ihrer Meinung nicht hinterm Berg zurückhalten, und ob wir nicht eine Zettelbox einführen wollen, um diesen befruchtenden Meinungsaustausch auf schriftlicher Basis zu standardisieren. Gabs schon!, brüllten sie, denn die Zettelbox war im grossen Land bereits 1980 in der Kreation von Schall & Frenetisch eingeführt worden.

    Zurück zum Käseplakat: Das war noch nicht gegessen. Denn als der Agenturchef am nächsten Tag die Wumme sah, konnten wir hören, wie er dachte: Das gibts doch nicht. Er stand da und nagte an seiner Unterlippe. Die Neuen wollten wissen, was er denke, aber er schwieg beharrlich, so dass sie sich an die Beraterin wandten: Gefällt ihm unser Knack etwa nich? Die Beraterin, eine erfahrene Werberin, warb für Verständnis: Wie sollen wir das denn der Käserei verkaufen? Ihr Käse ist noch nicht reif für so einen lauten Auftritt. Das ist ein kleines Dorf, kleiner und leiser noch als die Schweiz. Da mach dich mal nich in Hemp. Det verkoofemer den Daddlduus gleich selpst!

    Eine interessante Verschriftung von Berliner Dialekt. Lautete nicht die Grundregel „Schreibe als Deutsche niemals etwas auf Schweizerdeutsch ohne einen Schweizer zuvor um Rat zu fragen!“. Tom Zürcher hat da beim Berlinerisch weniger Hemmungen.

    Gesagt, getan. Die neue Delegation reiste in die Berge und kehrte lachend zurück, denn sie hätten den Melkern und Sennen nicht nur das Plakat aufgeschwatzt, sondern auch gleich noch einen passenden Radiospot dazu, einen lauten Jodlerrap mit noch lauterem Refrain: Det wummt, det wummt, det wummt wummt wummt!

  • Hinderüggsli muss man kennen
  • Der geneigte Schweizer Leser ahnt, was jetzt kommt: Die Wumme kam nicht. Die Käser riefen, kaum waren die Neuen aus dem Schatten ihrer Berge verschwunden, den Agenturchef an und bestellten eine neue Kampagne. So konnten die Neuen auch mal etwas von uns lernen, nämlich die Bedeutung des lustigen Wortes hinderüggsli. Mag sein, dass sie diesen Schweizer Wesenszug als böse und gemein empfinden. Aber das ist es nicht. Hinderüggsli ist nichts anderes als die Überlebensstrategie eines kleinen, leisen Landes im Kampf gegen die grosse, laute Invasion.

    Ist das eine echte Schweizer Verteidigungsmethode? Hinderügglsi zu agieren? Tom Zürcher meint ja:

    Wir Schweizer sind Naturtalente im Hinderüggsli. Das ist genetisch bedingt. Unser Nationalheld hat den Gessler von hinten erschossen, also hinterrücks. Ich bin auch gut im Hinderüggsli. In den Gängen der Agentur schwärme ich von Günther Netzer und Karlheinz Rummenigge, und im stillen Kämmerchen bzw. Kellerchen schreibe ich diesen Artikel. Was solls. Es können nicht alle laut und bis ins Steissbein von sich überzeugt sein, es braucht auch ein paar Schweizer auf der Welt.

    Hinterügglsi“, für die Leser aus Deutschland muss ich da noch erklären, ist „Hinterrücks“ oder „Hinter dem Rücken“. Das Schweizer Gegenteil der Deutschen „Direktheit“. Wie der Autor schon sagt: Hinter dem Rücken für Deutschen Fussball schwärmen, oder beim Zettelschreiben in der Waschküche seinen Namen vergessen. Oder bei der geplanten Wiederwahl eines Bundesrats einfach einen „Sprengkandidaten“ aus dem Hut zaubern. Hinterügglsi in Perfektion.

    Dialektik der Heidi II. Teil – Fräulein Rottenmeier aus der Schweiz

    September 19th, 2008

    [Hier folgt nun der versprochene zweite Teil der Heide Interpretation unseres Lesers „Neuromat“]

    Das ist Fräulein Rottenmeier:
    Rottenmeier
    (Quelle Foto: www.spiegel.de)

    dies könnte Fräulein Rottenmeier sein

    Johanna Spyri
    (Quelle Foto: blog.zvab.com)

    ist es aber nicht; denn es ist die Autorin, die stammt bekanntlich aus der Schweiz.

    Nachdem wir in der letzten Folge lernen durften, weshalb Heidi eine Deutsche ist und wie sich der Name Rottenmeier nun zusammensetzt, schreiten wir nun angesichts einer sozialwissenschaftlich Literaturbesprechung zum Äussersten: Wir wenden uns dem Text zu. Das ist vergleichbar einem Journalisten, der in einer Legebatterie übernachtet, wenn er über moderne Tierhaltung berichtet oder einem Chefarzt, der seinen Patienten tatsächlich selber untersucht.

  • Das äussere Erscheinungsbild
  • Fräulein Rottenmeier nimmt Einsitz in die Handlung mit der Ankunft Heidis in Frankfurt. Das Erste, was wir von ihr lesen ist:

    „Sie hatte eine geheimnisvolle Hülle um sich, einen grossen Kragen am Halbmantel, welcher dem Fräulein einen feierlichen Anstrich verlieh, der noch erhöht wurde durch eine von hochgebauter Kuppel, die sie auf dem Kopf trug.“

    Wir erkennen sofort, hier handelt es sich um eine personifizierte Alpennachbildung. Da geht es in die Höhe mit einer hochgebauten Kuppel. Das muss das Sphinx-Observatorium auf dem Jungfraujoch sein. Da sind wir Ganz oben – das ist Top of Europe. Welch klare Bedeutung bekommt hier das Wort Jungfraujoch. Und was hat es mit dieser geheimnisvollen Hülle auf sich. Eben das wissen wir nicht. Sonst wäre sie ja nicht mehr geheimnisvoll. Aber, was wir von der Schweiz – ausser Geheimnisvollem.

    Jungfrau Obs
    (Quelle Foto: hansbuehler-fotopages.ch)

  • Das Psychogramm
  • Fräulein Rottenmeier möchte sofort wissen, mit wem sie es zu tun hat. Die wichtigste Frage ist für sie ganz offensichtlich die nach der Herkunft. Die Frage nach dem Namen, damit nach dem Geschlecht ist in der Schweiz traditionell mit der Herkunft verbunden. Dies kann Heidi nicht beantworten, was sie unumwunden zugibt und daraufhin fällt ein sehr interessanter Satz:

    „Sie ist nicht einfältig und auch nicht schnippisch, davon weiss sie gar nichts; sie meint alles so, wie sie redet.“

    Damit ist Heidi gemeint. Dete erläutert der alpinen alles observierenden Sphinxkuppel, dass Heidi nun einmal sehr direkt ist in ihren Äusserungen. Wer jetzt noch behaupten will, dass Heidi Schweizerin sei und diese Direktheit noch einen idealer helvetischer Wesenszug darstellt, der sollte seinen Bierkonsum kritisch überprüfen. Die deutsche Heidi befindet sich in der klassischen Situation des deutschen Einwanderers:

    „Sie ist heute zum ersten Mal in einem Herrenhaus und kennt die gute Manier nicht; doch ist sie willig und nicht ungelehrig.“

    In dieser Situation kann Rottenmeier nur noch zum entsprechenden helvetischen Pendant werden. Dieses zeigt sich erschrocken, ringt mit Fassung, ist sichtlich enerviert aber stets bemüht, die Ruhe zu bewahren, wenn es darum geht, den Gästen zu erläutern, wie man sich als Gast richtig zu verhalten hat. Leicht lassen sich hunderte von eben solchen belehrenden helvetischen Blogeinträgen auflisten, wie dies nun so und nicht anders in der Schweiz gemacht wird, aber statt dessen nehmen wir uns erneut den Text vor:

    „rief in höchstem Schrecken aus …Minuten, in denen sie nach Fassung rang … sichtlich aufgeregt… mit schwer erzwungener Ruhe…(…)“

    Gerade diese schwer erzwungene Ruhe, diese Aggressionsgehemmtheit gepaart mit dem bekannten theatralisiertem Erschrockensein, das kleine Fäustlein unter dem Rockzipfel zur Faust geballt, gerade die kennen wir doch zur Genüge. Genauso wie die nicht enden wollenden Hinweise, wie das Papier korrekt zu bündeln ist, wie man sich formal richtig begrüsst und die Dinge des Lebens auf die einzig richtige, nämlich die schweizerische Art und Weise, erledigt:

    Nun folgten noch viele Verhaltensmassregeln, über Aufstehen und Zubettgehen, über Hereintreten und Hinausgehen, über Ordnunghalten, Türenschliessen, und über allem fielen Heidi die Augen zu, denn …

    Richtig, es interessiert uns einfach ungeheuer, wer zuerst sein Glas erheben muss, wie man gezielt einen Elfmeter daneben, an die Latte oder dem Torwart, der eben richtig Goalie heisst, oder noch genauer, dem man eben richtig Goalie sagt … in die Arme schiesst; denn da schlafen wir schon längst.

  • Ein spezieller Wesenszug
  • Der bei den Schweizern so beliebte Paul Bilton stellt in seinem jüngst wieder neu aufgelegtem „The Xenophobe’s guide to the Swiss“ (extra in Englisch erschienen, damit es hier erstens keiner kauft, zweitens keiner liest und drittens keiner versteht) fest, dass die Schweizer für sämtliche Missstände beliebte Sündenböcke verantwortlich machen:

    „Mit wissendem Blick wird unterstellt, dass die Schuldigen keine Schweizer sein können …“

    Bilton Buch
    (Quelle Bild siehe 20min.ch)

    Die Rottenmeier fährt Jungfer Dete an:

    „Wie konnten Sie mir dieses Wesen zuführen. Jungfer Dete, so haben wir das aber nicht vereinbart.“

    Dabei informiert uns Frau Spyri schonungslos:

    Sie wusste nicht, was nun zu tun sei, um ihren Schritt rückgängig zu machen, denn sie selbst hatte die ganze Sache angestiftet … Sie hatte nämlich vor einiger Zeit Herrn Sesemann nach Paris geschrieben, seine Tochter wünsche sich schon so lange eine Gespielin …Eigentlich war die Sache auch für Fräulein Rottenmeier selbst sehr wünschenswert, denn sie wollte gern, dass jemand da sei, der ihr die Unterhaltung der kranken Klara abnehme …sie hatte die Oberaufsicht über das gesamte Dienstpersonal…

    Und selbst in dieser Situation kann sie die Verantwortung nicht übernehmen und für einmal „Klartext reden“. Nein, der Privatlehrer der beiden Kinder der Herr Kandidat soll es richten und soll dem Herrn Sesemann erklären, dass die beiden Mädels nicht zusammen unterrichtet werden können.

  • Und noch ein spezieller Wesenszug – oder zwei
  • Wir kennen sie zu gut: Die Bescheidenheit. Das „Understatement“. Und so schreibt Klara vor der geplanten Reise in die Berge an ihre deutsche Freundin Heidi, die so gerne den direkten Ausdruck wählt:

    Aber denk, Fräulein Rottenmeier will nicht mit… sie dankt immer furchtbar höflich und sagt, sie wolle nicht unbescheiden sein.

    Klar, Fräulein Rottenmeier fährt nicht gerne ins Ausland. Aber dann kommt es doch so irre, dass man diese Stelle immer wieder lesen möchte. Die Gouvernante ist furchtbar höflich, eben sie so höflich, dass es schon wieder furchtbar ist, eben nicht freundlich und schon gar nicht herzlich und sie möchte vor allem nicht unbescheiden sein. Und das Beste: Das ist nur Theater. Wäre Frau Rottenmeier eine Deutsche, dann würde sie sagen: Sebastian ich krieg noch ein Bier und ich fahr nicht mit. Macht sie aber nicht.

  • Die richtig „heissen Themen“
  • Wer will kann jetzt das Büchlein selber durchforsten, kann die richtig unangenehmen Themen auf „Rottenmeier Qualität“ prüfen:

    Habe ich dir nicht streng verboten, je wieder herumzustreichen? Nun versuchst Du’s doch wieder. Du siehst aus wie eine Landstreicherin.

    Ahnt Johanna Spyri, was sich da in Zukunft ereignen könnte. Kinder der Landstrasse. Die Vergangenheit steht meistens ewig still. Liegt ja auch schon alles weit zurück, so bis in die Steinzeit.

  • Ausblick
  • Im III. Teil wollen wir dann sehen, wie es auf der Alm weitergeht, wenn dann all die anderen Deutschen zu Besuch kommen. Ja, die Deutschen aus Frankfurt und wir werden hoffentlich sehen, wie gern sie die Dörfler haben.

    Warum die Bulgaren nicht die Schweiz erobert haben — Busfahren mit Pony in Schaffhausen geht nicht

    September 4th, 2008
  • Der Conny ihr Pony in Schaffhausen
  • Diesen sehr hübsch gemachten Animationsfilm von Robert Pohle bekamen wir zugeschickt. Schon unter sprachlichen Gesichtspunkten betrachtet ist er spannend anzuschauen, weil er uns ein paar gute Beispiele für gebrochenes gesprochenes „Schweizerhochdeutsch“ liefert. Zum Beispiel „gespiesen„, oder „zusammenknäulen„. Aber er macht auch als kunstvoller Schweizer Animationsfilm mit überraschend pragmatischem Ende einfach Spass. Die wichtigste Erkenntnis des Films ist die bis lang total unbekannte Erklärung, warum die Schweiz noch nicht von den Bulgaren erobert wurde. Viel Spass beim Anschauen:


    Der Conny ihr Pony from robert pohle on Vimeo.

    Gesprochen (und wahrscheinlich auch geschrieben) wurde der Text vom Schweizer Slampoet-Meister Gabriel Vetter. Auf seiner Homepage findet sich ein weiteres „Tierstück“ über „Wazlav der Hamster„, genial anzuhören hier.

    Gabriel Vetter

    Bei Wikipedia lesen wir über Gabriel Vetter:

    Gabriel Vetter (* 1983 in Beggingen/SH, CH) ist ein deutschsprachiger Slampoet. Nachdem er eher zufällig einem Poetry Slam in Darmstadt als Zuschauer beiwohnte, beschloss er, es selbst einmal auf der Bühne zu versuchen. Von seinen ersten 32 Slams ging Gabriel Vetter 28 Mal als Sieger hervor. Im Herbst 2004 setzte er sich beim größten Poetry Slam Europas, dem German International Poetry Slam in Stuttgart gegenüber 100 anderen Autoren im Einzel durch und wurde zum besten Slammer des Jahres 2004 im deutschsprachigen Raum gekürt. 2006 gewann er als bisher jüngster Preisträger den renommierten Kabarett-Preis „Salzburger Stier“.
    (Quelle: Wikipedia)

    Die Schweizer sind nicht freundlich sondern höflich — Die ganze Wahrheit von Andreas Thiel

    August 29th, 2008
  • Höflichkeit ist nicht gleich Freundlichkeit
  • Uns wurde ein Geheimdokument zugespielt, welches endlich die wahren Gründe für alle Deutsch-Schweizerischen Missverständnisse und Krisen erklärt und analysiert. Es stammt von dem begnadeten Schweizerkabarettist und Schweizersatiriker Andreas Thiel. Der schreibt:

    Die Deutschen mögen uns. Sie finden uns freundlich, was wir aber faktisch weder sind noch sein wollen. Wir bemühen uns bloss, höflich zu sein. Das ist ein himmelweiter Unterschied. Wir Schweizer sind nicht freundlich, wir sind höflich. Die Höflichkeit ist eine grundlegend helvetische Tugend. Die Deutschen, bei deren Umgangsformen die Höflichkeit nicht zuvorderst steht, unterliegen dem Fehler, die schweizerische Höflichkeit als Freundlichkeit zu interpretieren. Daher kommt die Begeisterung der Deutschen für die Schweiz. Dass die Deutschen uns mögen, ist die Folge eines Missverständnisses.
    (Quelle aller Zitate: Schweizermonatshefte.ch)

    Andreas Thiel
    (Foto: Stefan Kubli, Zürich)

    Könnte man es besser auf den Punkt bringen? Ein Deutscher erlebt zum ersten Mal einen absolut perfekt höflichen Schweizer im Gespräch und schlussfolgert sofort: „Mein Gott, was sind das für freundliche Menschen hier!“.
    Thiel führt weiter aus:

    Unsere ausgeprägten Höflichkeitsformen erlauben es uns, in der Schweiz trotz kultureller und sprachlicher Unterschiede friedlich zusammenzuleben. Die schweizerische Höflichkeit dient dem Frieden, der Stabilität und somit dem Wohlstand. Der Deutsche, der unsere Höflichkeit mangels besseren Wissens persönlich nimmt, ist sofort begeistert von der Schweiz. Bleibt er hier, wird er aber bald mit der Distanz konfrontiert, die die Höflichkeit von der Freundlichkeit unterscheidet. Er trifft auf eine Reserviertheit, die er nicht erwartet hat. Auch merkt er, dass er bei den Schweizern nicht ankommt. Trotz freundlicher Gesinnung mangelt es ihm an Höflichkeit. Es fehlt ihm sowohl der freundliche Umgangston wie auch die nötige Distanz.

    Wir haben es doch immer gewusst: Ohne die permanente Höflichkeit würden sich die Schweizer sofort gegenseitig kurz und klein schlagen. Es ist genetisch bedingt und auf Grund natürlicher Evolutionsprozesse übriggeblieben: Survival of the fittest à la Suisse. Nur die höflichen Schweizer überlebten und konnten ihre Gene vererben. Die Streithähne und Schlägerjungs haben sich gegenseitig massakriert. Das ist unter Hunden nicht anders. Das häufigste Verhalten, das ein Hund an den Tag legt, ist „Beschwichtigung“. Sich hinlegen, sich wegdrehen, gähnen, sich verlegen kratzen, all das sind Gesten, die seinem Herrchen oder einem unbekannten Hund zeigen: Schau her, wie harmlos ich bin! Ich will keinen Streit. Auch Höflichkeit ist eine Art der Beschwichtigung. Wer die Hand zum Gruss reicht zeigt damit: „Schau her, ich habe keine Waffe dabei“, usw. Da sind wir Deutschen, im Vergleich zu den Schweizern, auch nach zwei Weltkriegen noch Lichtjahre von entfernt. Denn soweit haben es, laut Andreas Thiel, die Deutschen in der Evolution noch nicht gebracht:

    Die Deutschen haben ein konfrontatives Gesprächsverhalten. Was ein Deutscher sagt, klingt in Schweizer Ohren oft wie ein Befehl. In der Schweiz hingegen pflegt man die permanente Deeskalation. Das Gesprächsverhalten des Schweizers ist nicht gezielt vorpreschend, sondern präventiv abschwächend. Unsere höchsten Güter sind der Konjunktiv und der Diminutiv. Flankiert werden diese Schätze der Konsenskultur noch von der beschwichtigenden Verharmlosung, der anekdotischen Übertreibung und der auflockernden Ironie.

    Es ist also doch Ironie im Spiel bei den Schweizern! Auch wenn diese uns oft und glaubwürdig versuchten weisszumachen, dass Ironie an und für sich sehr unschweizerisch sei und hierzulande praktisch nicht vorkommt. Sie verraten sie uns nicht, damit der Überraschungseffekt um so grösser ist.

    Ein deutscher Freund fragt mich in der Beiz: «Noch ein Bier?», um dann nach einem kurzen «Ja» meinerseits folgende Bestellung aufzugeben: «Noch zwei Bier!» Schweizer hingegen deeskalieren Frage, Antwort und Bestellung präventiv: «Was meinsch, sölle mer ächt no eis näh?» – «I gloube, s chönnt nüt schade…» – «Mir numte de äuä no eis.»

    Ich kriege einen trockenen Mund und Durst allein schon vom Zuhören! Kein Wunder dass viele grosse Schweizerbrauereien dichtmachen mussten. Wenn alle so lange reden, wann kommt man dann zum Biertrinken?

    Je ernster das Gespräch ist, desto vielfältiger sind die Deeskalationsfloskeln, die wir – obwohl in ihrer Form unsachlich – zur Versachlichung des Themas anwenden. Ein Schweizer vermeidet absolute Sätze wie: «Das stimmt nicht!» Er würde eher sagen: «Vielleicht liege ich komplett falsch, aber könnte es nicht auch sein, dass…?». Statt «Das geht nicht» sagt er vielleicht: «Vielleicht sollte ich das jetzt nicht sagen, aber wäre es nicht noch eine Überlegung wert…?» usw.

    Und immer schön dem anderen die Gelegenheit geben, sein Gesicht und Ansehen zu wahren. Ich sag ja: Beschwichtigungsverhalten ist lebensnotwendig, nicht nur bei Hunden.

    Im absoluten Ernstfall greift der Schweizer zur Verharmlosung. Entsteht bei einem Unfall erheblicher Blechschaden, sagt der Geschädigte zum Schuldigen: «Das isch nid eso schlimm.» Es handelt sich dabei aber um deeskalierende Höflichkeit und nicht um eine Freundlichkeit. Die Übertreibung wiederum dient der Auflockerung verfahrener Situationen. Ein Satz wie «Das unterschreibe ich nicht», geht dem Schweizer schwer über die Lippen. Er lacht eher kollegial und fragt: «Wollen Sie mich in Ketten legen?» oder erkundigt sich nach der Reiseroute der Galeere, auf die man ihn zu verbannen gedenke. Auch die helvetische Ironie dient der Entspannung hitziger Debatten: «Wissen Sie was? Sie haben recht! Aber nur bis nach der Kaffeepause.»

    Das mit der „helvetischen Ironie“ müssen wir uns wirklich hinter die Ohren schreiben. Die obigen Sätze sind also tatsächlich nicht ernst gemeint? Hätten wir jetzt komplett falsch verstanden, so ganz ohne Erklärung.

    (…)
    Deutschland hat eine Overstatement-Kultur. Die Schweiz pflegt das Understatement. Schweizer sind tendenziell unsicher und underdressed, dafür gut rasiert, und zwar mit der teuersten Klinge, die gerade zu haben war. Der Schweizer liebt Qualität, aber er trägt sie nicht zur Schau. Je mehr Vermögen ein Schweizer hat, desto kleiner ist das Auto, das er fährt. Dass es vollbepackt ist mit sämtlichen Extras, die ab Werk nicht dabei waren, braucht ja keiner zu wissen. Beim deutschen Autofahrer hingegen sieht man auf den ersten Blick das Maximum, das er sich leisten kann.

    Na ja, so ganz kann ich dieser Argumentation nicht folgen. Kenne genügen Schweizern, die ziemlich dicken Autos fahren und sichtbar teure Anzüge tragen. Wer mit offenen Augen durch Zürich fährt, sieht genügend dicke Villen am Zürichseeufer und grosse Boote im Hafen. Alles in der Hand von Ausländern? Ein Besuch in der Oper zeigt dann das typische „underdressed Understatement“. Wo denn das, vielleicht beim Pförtner? Aber das ist Zürich, etwas speziell in der Schweiz sowieso. Die wahre „understatement“ Kultur erlebt man sicher im Winter in Davos oder St. Moritz. Im Trainingsanzug Trainer vom C&A in der Cüplibar am Pistenrand, garantiert.

    Schweizer pflegen das Understatement auch sprachlich, und das bei weitem generöser als nur mittels des Diminutivs. Der Schweizer spricht grundsätzlich mit chaotischer Satzstellung, wobei er grammatikalische Mischtechniken zu verwenden scheint. Sätze wie «Chum, mir göh go nes Kafi go näh» erscheinen uns fraglos geglückt, obwohl sie eigentlich eine grammatikalische Katastrophe darstellen: «Komm, wir gehen gehen einen Kaffee gehen nehmen.»

    Hier irrt der werte Kollege Thiel: Das ist kein sprachliches Chaos, das sind einfach ca. 1000 Jahre alte, unveränderte Syntax-Regeln und Gramatiküberbleibsel unserer gemeinsamen Deutschen Sprache! Aber wir wollen nicht kleinlich sein und empfehlen von ganzen Herzen die Lektüre des vollständigen Artikels auf der Webseite der Schweizermonatshefte. Ach, seine neue CD „Politsatire2“ haben wir auch schon bestellt. Und um, ganz schweizerisch, die Ironie zum Abschluss klar zu kennzeichnen: Richtig freundliche Schweizer haben wir auch schon kennengelernt in der Schweiz!

    Kommen Sie auch aus einem anderen Kulturkreis?

    August 19th, 2008

    (reload vom 20.01.06)

  • Leben in einem anderen Kulturkreis
  • Zum ersten Mal hörten wir den Satz: „Sie kommen ja aus einem ganz anderen Kulturkreis“ von einem Schweizer Primarschullehrer. Er wurde ohne Ironie und Hintergedanken vorgebracht, jedenfalls war kein spöttischer Unterton und kein Zucken im Mundwinkel des Sprechers festzustellen.

    Wir waren baff, wir hielten dies für einen Joke, den wir nicht verstanden. Doch später hörten wir diesen Satz immer wieder. So zum Beispiel in einer Diskussionsrunde der Sendung „Arena“, in der echte Schweizer „Streitkultur“ gepflegt wird:
    • Alle dürfen ausreden.
    • Keiner wird laut oder ausfallend.
    • Nie würde jemand einem anderen ins Wort fallen.
    • Selbstverständlich wird nur Schwiitzerdütsch gesprochen.

    Denn auf die 1.7 Millionen Nicht-Schweizer im Land braucht hier niemand Rücksicht zu nehmen. Bei den deutschen Zuschauern geht man davon aus, dass sie alles verstehen. Aber das Tempo der Diskussion ist angenehm schnell. Auf der ARENA-Website von SF1 gibt es für die nur Hochdeutsch Verstehenden eine Zusammenfassung der Diskussionsbeiträge auf Schriftdeutsch:
    Sendung vom 04.07.08

  • Ein anderer Kulturkreis
  • Ist die Schweiz wirklich ein „anderer Kulturkreis“? Oder definiert sie sich einfach nur so? Als Abgrenzung zum „Kulturkreis Europa“? Je häufiger wir diesen Satz hören, desto mehr sind wir davon überzeugt, dass er nicht als Witz sondern sehr ernst gemeint wird.

    In unserem Kulturkreis, da fressen sie noch Hunde, zur winterkalten Stunde.

    Dieses Zitat fällt uns ein, dessen Ursprung nicht mehr feststellbar ist (es findet sich in abgewandelter Form in einem Liedtext von Rainald Grebe).

    Wenn das benachbarte Baden-Württemberg schon ein „anderer Kulturkreis“ sein soll, wie fremd müssen sich dann Menschen aus Afrika oder Asien in der Schweiz fühlen.

    Sicherlich gibt es grosse Mentalitätsunterschiede zwischen den Schweizern und Deutschen, aber sind dies Unterschiede schon Grundlage genug, von einem „anderen Kulturkreis“ zu sprechen? Wir glauben, dass die Gräben innerhalb Deutschlands zwischen Ost und West, zwischen den „Ossies“ mit 40 Jahren SED-Diktatur als Lebenserfahrung, und den „Wessies“ die oft als „Besser-Wessies“ bespöttelt werden, mindestens genauso gross, wenn nicht grösser sind. Oder zwischen dem tiefsten Bayern, Oberschwaben und den kühlen Hanseaten aus Bremen und Hamburg. Dennoch teilen wir Deutschland nicht in Kulturkreise auf. Lasst uns nicht von Kreisen reden, sondern von Gräben. Und lasst uns fleissig weiter Brücken über diese Gräben bauen!