Am besten ist es, wenn Deutschland im Finale besiegt wird
Der Schweizer Autor Bruno Ziauddin wurde am vergangenen Donnerstag von der Frankfurter Rundschau (eine grosse überregionale Tageszeitung in Deutschland) befragt über die Haltung der Schweizer zum deutschen Fussball.
(…) es [gibt] nichts Schlimmeres, als wenn Deutschland einmal die Endrunde eines großen Turniers verpassen würde. Das Beste für uns wäre, wenn die Mannschaft unverdient ins Finale vordringen und dann hoch verlieren würde. Das ist es eigentlich das perfekte Szenario: Deutschland hat zwei Mal nicht gut gespielt und wird jetzt wohl die sympathischen, hochtalentierten Portugiesen nach einem fiesen 0:0-Spiel im Elfmeterschießen raushauen. Und dann werden sie im Finale zum Beispiel von Italien besiegt, das wäre ideal.
(Quelle für dieses und alle weiteren Zitate: FR-Online.de)
(Quelle Foto: pressebox.de)
Leider ist diese Prognose nicht eingetreten. Das mit dem Finale kann natürlich noch kommen. Ziauddin meint weiter:
Bei der WM 2006 haben die Deutschen sehr schönen Fußball gespielt. Das hat für einige Verwirrung in der Schweiz gesorgt. Die Antipathie ist jetzt nicht mehr so groß. Wir sind dankbar, dass es wenigstens noch so jemanden wie Bastian Schweinsteiger gibt. Der entspricht mehr unserem Klischee des verbissenen, blonden Teutonen. Wir können uns Schweinsteiger gut in Mallorca vorstellen, wie er schon am Abend sein Handtuch an den Pool legt, um einen Platz zu reservieren.
Schweizer kämen nie auf die Idee, nach Mallorca zu fahren oder irgendetwas „verbissen“ zu probieren. Will er das damit ausdrücken? Wie kommt ein Roger Federer an die Weltspitze? Nur durch spielerische Eleganz, und stets ohne Arbeit. Ausserdem ist er nicht blond. Die FR-Online fragt Ziauddin:
Hatten Sie ein traumatisches Erlebnis mit deutschen Fußballfans?
1974 nach der WM gab es ein Freundschaftsspiel Deutschland-Schweiz. Als unser Kudi Müller einen Fallrückzieher machte, war ich ganz stolz. Nun spielte der aber damals bei Hertha BSC Berlin. Und der deutsche Zuschauer neben mir sagte: „Das hat er bei uns gelernt.“
Da bin ich ja erleichtert, dass all die Schweizer Bemerkungen bei der WM 2006 zum Thema, was Oliver Neville in der Schweiz an Fussballkönnen erwarb, und gar Jogi Löw aus seiner Zeit in der Schweiz her an Wissen behielt, in der Schweizer Boulevardpresse heute vergessen sind. Mehr noch, nachdem die Kroaten im Elfmeterschiessen gegen die Türken zweimal gepatzt haben, stand am nächsten Tag im Tages-Anzeiger zu lesen:
Die Türken schlugen die Kroaten im Penaltyschiessen 3:1 – wobei die Schweizer Rakitic und Petric für Kroatien verschossen.
(Quelle: Tagesanzeiger 21.06.08, S. 1)
Ich denke, in dieser Angelegenheit herrscht ausgleichende Gerechtigkeit zwischen den Schweizern und den Deutschen. Wenn einer was kann oder nicht kann, gelernt hat er es auf jeden Fall in der Schweiz oder in Deutschland, auch das Danebenschiessen.
Wenn Deutsche die Schweizer toll und süss finden
Die FR-Rundschau zitiert weiter:
(…) da hat sich vielleicht ein Gefühl eingebrannt: dass die Deutschen den kleinen Schweizern mit einer gewissen Überheblichkeit begegnen. Wir möchten für voll genommen werden. Viele Deutsche sagen: „Ich finde euch Schweizer so toll und so süß, warum mögt ihr uns denn nicht?“ Aber diese Zuneigung fühlt sich oft an wie der feuchte Kuss einer Tante – gönnerhaft. Auch wenn die Schweiz natürlich nicht so wichtig ist wie Deutschland, empfinden wir uns nicht als Kasperle-Figuren.
Bruno Ziauddin hat diesen Satz gesagt. Er wird seine Gründe haben. Ich frage mich wirklich, ob tatsächlich die Schweizer in Deutschland permanent von diesem Gefühl verfolgt werden, als „Kasperle-Figuren“ gesehen zu werden. Süss finde ich nur noch Schweizer Schokolade. Wie fühlt sich laut Ziauddin die Zuneigung der Deutschen an? „Wie ein feuchter Kuss einer gönnerhaften Tante„. Na klasse, wahrscheinlich ist das die gleiche Tante, die immer lecker Kekse und ein paar extra Scheine Taschengeld für das Sparschwein mitbrachte. Die wurden dann aber ohne zu mucken eingesackt.
Können Schweizer nicht feiern?
Auf den Schweizer Fanmeilen ist die Stimmung nicht so gut. Können die Schweizer nicht feiern?
Wir sind kein lautes Volk, die Art, wie wir Freude zeigen, ist sicher nicht unmittelbar lesbar für einen Außenstehenden. Das heißt aber nicht, dass wir uns nicht auch ganz massiv freuen können, vielleicht ein wenig anders als ein Deutscher mit drei Promille. Schweizer Fußball-Fans hopsen, wenn sie sich freuen, und singen: „Wer nöd gumpet, isch kei Schwiizer! – also: wer nicht springt, der ist kein Schweizer.
Verzeihung, aber das hört sich jetzt wirklich niedlich an…
Stimmt schon, aber an Klischees ist ja häufig auch was dran. Das heißt aber noch lange nicht, dass man sie gerne von anderen Leuten um die Ohren gehauen bekommt.
Ich denke, dass die wenigsten Deutschen in der Schweiz den „Niedlichkeitsfaktor“ überhaupt noch wahrnehmen. Der sogenannten „Jöö-Effekt“ verpufft rasch, wenn man eine Weile im Land lebt. Er wirkt sicherlich unvermindert weiter bei Deutschen, die zum ersten Mal oder nur für kurze Zeit in die Schweiz reisen. Wodurch er überhaupt vorgerufen wird? Nicht durch die Kleinheit der Schweiz. Auch andere Länder wie Holland oder Dänemark sind klein, nein einfach nur durch den ungewohnten Klang von Höchstalemannisch wie beim Satz „Wer nöd gumpet, isch kei Schwiizer!“ demonstriert. Würden mehr der 72‘000 Schweizer in Deutschland ihr Alemannisch im Alltag rauslassen, wäre es auch mit der Wirkung des Jöö-Effekts auf Grund des Gewöhnungseffekts bald vorbei. Dann man los, es gilt ein Volk von 80 Millionen sprachlich aufzuklären…
Und wenn die fette Tante kommt und Küsschen geben will, na dann wird sie halt abgeknutscht. Der offensive Kussangriff ist die beste Verteidigung.