Die Deutschen. Wo liegt das Problem? — Andreas Durisch in FACTS
Juni 3rd, 2010(reload vom 8.02.07)
Im Editorial zur letzten FACTS Ausgabe im Februar 2007 schreibt der damalige Chefredaktor Andreas Durisch über die Deutschen in der Schweiz:
„Die Deutschen. Wo liegt das Problem? Wir bewundern ihre Dichter, wir achten ihre Denker.“
Und schon geht das Problem los. Ihre Dichter? Ihre Denker? Sind Goethe, Schiller, Lessing, Fontane, Keller oder Gotthelf nicht als Dichter in der gemeinsamen deutschen Sprache daheim? Gehört Kant, Hegel und Luther den Deutschen und Zwingli oder Calvin den Schweizern? Von Einstein fangen wir lieber gar nicht erst an. Ach ja, und wem gehört eigentlich Hermann Hesse? Der wurde als Deutscher geboren und starb als Schweizer. Etwas, dass Thomas Mann nicht gelang, denn ihn haben die Schweizer zwar als Emigrant geduldet, aber als Bürger nicht gewollt, aus Furcht vor Repressionen durch Nazideutschland. Bleiben wir doch lieber bei der Sprache dieser Dichter, die „gehört“ niemanden, die verwendet jeder der kann und will.
„Sie bauen unsere bevorzugten Autos, sie haben eine Bundesliga. Berlin ist hip. Günther Jauch der beste Quizmaster“.
Gefahren wird in der Schweiz alles, auch Renault und Fiat und jede Menge Japaner. Der Automarkt ist international und gleichmässig aufgeteilt in der Schweiz. Auch im Schweizer Fussball wird Geld verdient, und wenn Berlin hip ist, dann ist Zürich angesagt. Und was Günther Jauch angeht, nun, es gibt genügend hochkarätige Schauspieler wie Bruno Ganz oder Showtalente wie Kurt Felix, die da einen gesunden Ausgleich liefern.
„Mal abgesehen vom Streit um die Nordanflüge auf Zürich-Kloten hat sich unser Verhältnis zu den Nachbarn in den letzten zwei Jahrzenten merklich entspannt. Jetzt ist eine neue Konflikzone am Entstehen. Die deutschen Zuwanderer führen inzwischen die Immigrationsstatistik an — vor den Portugiesen und den Ex-Jugoslawen. Allein im Jahr 2005 zogen gut 20 000 Menschen au dem grossen Kanton in die Schweiz.“
Tschuldigung, ist das mit dem „grossen Kanton“ eigentlich noch ein Witz in der Schweiz oder bereits eine Tatsache, ein feststehende Redewendung, die man ohne mit der Wimper zu zucken von sich gibt? Für mich ist es ein Selbstläufer wie die berüchtigte Steigerung bei „in keinster Weise“, von der jeder weiss, dass sie falsch ist, die aber durch andauerndes Wiederholen irgendwann im Duden als korrekt aufgeführt sein wird.
„Ein Problem? Ein Vorteil! Wir sprechen die gleiche Sprache, wir haben einen ähnlichen Charakter“
Diesen letzten Satz muss ich mir noch mal ganz langsam auf der Zunge zergehen lassen. Die „gleiche“ Sprache ist noch lange nicht die „selbe“. Ja, es „gleicht“ sich ein bisschen, was wir sprechen. Und auch „ähnlich“ lässt viel Spielraum für eigenständige Ausformungen. Wir wollen doch fürs Protokoll festhalten, dass Deutsch eine Fremdsprache ist und nicht gesprochen sondern nur geschrieben wird in der Schweiz, hat man uns jedenfalls oft genug versichert, irgendwann müssen wir auch ja auch anfangen es zu glauben.
„Gerade deshalb sind die Deutschen zu unangenehmen Konkurrenten im eigenen Land geworden, die sich um die gleichen Jobs bewerben wie wir“.
Noch einmal Tschuldigung: Wer bewirbt sich denn da von den Schweizern auf diese Stellen? Da ist doch niemand, der sich bewirbt, sonst hätten die Pflegedienstleitungen der Schweizer Spitäler oder die Besetzungskommission für eine Professorenstelle an der ETH doch schon längst den hochqualifizierten Schweizer Bewerber eingestellt, oder habe ich da was falsch verstanden. Und wenn die Pflegekräfte nicht aus Deutschland oder anderen EU-Staaten kämen, dann würden eben Betten im Spital stillgelegt, so einfach ist das. Eine eingeschränkte medizinische Grundversorgung hiesse das im Klartext.
„Gut qualifiziert, aber günstiger als Arbeitskraft“.
Ein Klischee, das durch häufiges Wiederholen nicht wahrer wird. Als ob Deutsche Job-Bewerber nicht bereits lange wissen würden, was sie hier am Schweizer Markt wert sind. Der Markt reguhttp://www.blogwiese.ch/wp-admin/post.phpliert den Preis. Das ist bei den Stellen genauso wie bei jeder anderen Ware oder Dienstleistung. Wenn es einen Mangel an guten Fachkräften gibt, dann wird mehr gezahlt, gibt es denn nicht mehr, dann gehen die Gehälter runter.
„Da wird der Deutsche, den wir als Individuum durchaus mögen, zum Teutonen, der schneller und präziser spricht, angriffiger debattiert. Das nervt. Denn wir mögen es auf keinen Fall, wenn Deutsche den Ton angeben. Das ist in Mallorca so und jetzt bei uns zu Hause erst recht“.
Seltsamer Weise werden von grossen Firmen gern Deutsche Kaderkräfte als „Drahtbesen“ eingestellt, um auszukehren, um unbequeme Entlassungen vorzunehmen, um quasi die „Drecksarbeit“ bei den notwendigen „Umstrukturierungen“ durchzuführen. Da nervt es nicht, wenn ein Deutscher „den Ton angibt“. Auch Herr Mörgeli äusserte im Club den Verdacht, dass Deutsche hier gern auch im Vereinsleben anfangen das Heft in die Hand zu nehmen etc. Möchte wirklich wissen, in welchen Vereinen er verkehrt. Die meisten Deutschen in der Schweiz arbeiten brav, verhalten sich angepasst, freuen sich über das schöne Land und den guten Verdienst, hoffen darauf, auch mal Schweizer kennenzulernen, und haben nach einer 42.5 Stundenwoche garantiert anderes zu tun als sich um den Posten des zweiten Vorsitzenden oder das Amt des Kassenwarts in einem Schweizer Gesangsverein zu streiten.
Apropos Mallorca: Ballermänner sind kein spezifisch deutsches Phänomen, die kommen gleichfalls aus Belgien, England, Holland oder Skandinavien. Vielleicht mischt sich ja auch der eine oder andere Schweizer unter das Volk am Strand von Mallorca um mal richtig die Sau rauszulassen? Ich kenne Zürcher, die gern mal am Wochenende nach Hamburg fliegen und dann auf der Reeperbahn kein Auge zu machen von Freitag bis Sonntag. Billigflieger machen es möglich. Zu Zeiten der Weltmeisterschaft in Deutschland waren die Unterschiede zwischen den grölenden und „tonangebenden“ Fans aller Nationen jedenfalls äusserst „fliessend“, kühl und blond, meist mit Schaumkrone auf der Tulpe.
Vielleicht besucht Herr Durisch ja demnächst mal im Urlaub die Deutschen in der Provence oder in der Toskana, um dort bei einem Gläschen Pastis oder Chianti darüber zu philosophieren, welche Ferienhäuser dort den Schweizern, Engländern oder Deutschen gehören.
Robert Gernhardt schrieb:
Deutscher im Ausland
Ach nein, ich bin keiner von denen, die kreischend
das breite Gesäss in in den Korbsessel donnern,
mit lautem Organ „Bringse birra“ verlangen
und dann damit prahlen, wie hart doch die Mark sei.Ach ja, ich bin einer von jenen, die leidend
verkniffenen Arschs am Prosecco-Kelch nippen,
stets in der Furcht, es könnt jemand denken:
Der da! Gehört nicht auch der da zu denen?(Quelle: Gedichte Reim und Zeit, Reclam 2001, S. 54)