Kriegt man vom Karisieren eigentlich Karies? — Neue Schweizer Lieblingswörter
Wir waren mit der Bahn unterwegs und lasen in der SBB Kundenzeitschrift „VIA“ diesen Absatz:
Kurz vor der Schiffstation Büsingen taucht auf der Schweizer Rheinuferseite die «Verlobungsbucht» auf, an der sich junge Paare einst zum Baden und «Karisieren» getroffen haben sollen. Und es noch immer tun dürften. Verliebt, verlobt, verheiratet.
(Quelle: VIA)
Schnell die freundliche Mitreisende in der S-Bahn befragt, was dieses in „Gänsefüsschen“ gesetzte „karisieren“ wohl bedeutet. Keine Ahnung, vermutlich etwas wie „caresser“ (= Franz. „streicheln, liebkosen). Wie, ein Westschweizerwort, das nicht in der Originalschreibweise verwendet wird, so wie „touchieren“, „plafonieren“, „sistieren“ und „parkieren“? Schauen wir mal, was unser Duden davon hält:
(Quelle: duden.de)
So ein Pech auch! „arisieren“ oder „karikieren“ waren wirklich nicht gemeint.
Dabei gibt es im Internet sogar Fotos vom „karisieren“:
Ob das Wort, der Abbildung gemäss, „in geschlossene Räumen die Wollmütze nicht abnehmen und den Kopfhörer im Ohr lassen (und dabei dämlich fröhlich grinsen“ bedeutet?
Doch diesmal lässt sich das Geheimnis dieses Wortes rasch lüften. Wir finden die Erklärung in einer „Schatzchischte“ (was das zischt beim Vorlesen!)
karisieren
Zugegeben: Ein nicht mehr ganz taufrischer, dafür sehr sympathischer Ausdruck. Karisieren also gesetztere Zürcherinnen und Zürcher, wären die jüngeren Zeitgenoss(inn)en neudeutsch schlicht am Herumflirten wenn nicht gar am „umemache.“
(Quelle: schatzchischte.ch)
Beim Züri-Slängikon hingegen beharrt man auf zwei „r“ in „karrisieren“:
(Quelle: Züri-Slängikon)
21 Fundstellen von „karisieren“ vs. 2 zu „karrisieren“ belegen, dass die Schreibweise mit zwei „r“ eher die Ausnahme ist.
Eine Kollegin aus Bern hält es für ein „ganz altes Berndeutsches Wort“. Und richtig, im Berndeutschen Lexikon findet sich auch, allerdings mit „ch“ am Anfang:
(Quelle: berndeutsch.ch)
Doch Google bringt noch merkwürdige weitere Verwendungen zum Vorschein:
Um sein Leben karisieren mehrere Legenden und Sagen, allerdings ist über ihn bekannt das er in Griechenland lebte und vermutlich ein Sklave war. Das einfache Volk liebte einfache Geschichten die unterhielten und belehrten.
(Quelle: duckipedia.de)
Ob da nicht eher „kursieren“ gemeint war und ein liebestolles Rechtschreibprogramm ein bisschen über die Stränge schlug?
Juli 15th, 2008 at 7:57
Das Verb „karisiere“ bzw. „charisiere“ ist klar ein Dialektwort. Deshalb findet man es auch in der zitierten Lektüre nur in Anführungszeichen; also kein schriftdeutschtauglicher Helvetismus. Daher ist es kein Wunder, dass es weder im Duden noch in Grimms Wörterbuch auftaucht.
Ich habe das zu ersten Mal von einem älteren Berner gehört. Deshalb hielt ich es immer für typisch Berndeutsch. Durch die regionale Vermischung auf engem Raum ist jedoch nicht auszuschliessen, dass die Wurzel woanders liegt. Es freut mich übrigens, dass das auch junge Leute (wie das Umfeld dieses Simu mit Wollmütze und aufgrund seines Lächelns sicher mit sehr wenig Karies) dieses Wort immer noch kennen. Der standardmässig veränderte Vorname Simu (Simon) deutet auf den Grossraum Bern.
Hier noch die richtige Verwendung (was ja beim „foutieren“ so schwierig scheint: http://www.blogwiese.ch/archives/70#comment-540 ) im Hochdeutschtranskript:
„Er hatte damals mit einer aus dem Emmental (ge-)karisiert, weshalb er ein Jahr darauf nach Sumiswald zog“. Dies im Gegensatz zu frz. „caresser qn.“ (ohne „avec“). Auf französisch sagt man heute übrigens auch „flirter“ [flörtee]. „Caresser“ als Übersetzung wäre hierfür ein „falscher Freund“ (siehe im Eintrag: = streicheln, liebkosen).
Juli 15th, 2008 at 8:28
Vielleicht flirten einige Leute so wild, dass sie davon Karies bekommen?
Juli 15th, 2008 at 8:48
Von wegen Berndeutsch: Meine Mutter hat das Wort „karisiere“ häufig benutzt, meist spöttisch etwa so: „Was machsch hüt zobe? Gosch go karisiere?“. Sie ist in Zofingen aufgewachsen, ihre Eltern waren aus der Ostschweiz. Und, ja, die Bedeutung des Wortes liegt ganz klar näher bei „flirten“ als bei „liebkosen“.
Juli 15th, 2008 at 8:57
Es gibt übrigens auch „vikarisieren“. Ich nehme an, Du weisst, was ein Vikar ist ? Vikarisieren heisst also; Stellvertretungen annehmen (jemand, der öfters temporär arbeitet, vikarisiert also).
[Anmerkung Admin: Vgl. dazu Kann der Herr Vikar denn auch Physik? — Nein, aber Metaphysik und Theologie]
Juli 16th, 2008 at 17:28
phonetisch – ich gehe mal davon aus, das die Schweizer karisieren wie charisieren sprechen – würde ich es am ehesten dem Wort Charisma zuordnen. Und was mach man schon anderes beim Flirten, als charismatisch sein Charisma wirken zu lassen?
Juli 17th, 2008 at 7:16
An Doro
Nicht ganz einverstanden. Die paar wenigen Male, als ich „karisieren“ auf Berndeutsch und Umgebung ausgesprochen hörte, tönte es eher nach „karisiäre“ als „charisiäre“. Die Dialektregel besagt zwar, dass Anfangs-K jeweils zu Ch werden, (hier phonetisch geschrieben: Chischte, Chueh, Chind, chratze, chlemme, chlii, etc.), was aber bei Fremdwörtern NICHT zutrifft: (Kafi, Karies, Karton, Konschtruktör, kaschtriäre, korrupt, etc.). Siehe dazu auch hier: http://www.blogwiese.ch/archives/69#comment-453 und http://www.blogwiese.ch/archives/69#comment-1114
Da ich aber bisher vor allem das Partizip des Verbs „karisieren“ gehört hatte, und das Wort aktiv nicht brauche, kann ich die ch-Variante nicht ganz ausschliessen. „sie händ mitenand karisiert“ könnte also auch „sie händ mitenand g’charisiert“ sein. Der akustische Unterschied ist dabei nicht hörbar. Und dann gibt es erst noch die Ausnahmen der Ausnahmen, wie z.B. „Charte“ (Karte), das eigentlich auch dem lateinischen „carta“ entspringt, aber im Gegensatz zu „Karton“ wie ein völlig deutsches Wort ausgesprochen wird.
Gerne würde ich mal die Meinung von Personen hören, die „karisieren“ im aktiven Wortschatz haben. Ist es k oder ch am Anfang, und in welcher Region?
Juli 17th, 2008 at 18:40
als Stadtzürcher Kreis 4 ( schon lange im TG)
Kariiere
September 13th, 2009 at 18:09
In Bern gab es die KWD. Irgendwie für Kunsteisbahn … Dälhölzli. Als Jugendliche nannten wir es allerdings immer Karisier Weiher Dälhölzli… und das war vor etwa 50 Jahren so…