Kann der Herr Vikar denn auch Physik? — Nein, aber Metaphysik und Theologie
Wer in Deutschland Pfarrer werden möchte, muss zunächst Theologie studieren. Nach seinem Studium beginnt er (oder sie) mit der Ausbildung zum Pfarrer. Diese Ausbildung heisst „Vikariat“ und wer sie absolviert ist ein „Vikar“ oder eine „Vikarin“.
So lasen wir bei Wikipedia zu „Vikar“:
In der evangelischen Kirche bezieht sich der Begriff dabei ausschließlich auf Theologinnen und Theologen in der praktischen Ausbildung nach dem 1. Theologischen Examen. Diese praktische Ausbildung wird mit dem 2. Theologischen Examen abgeschlossen und ist Voraussetzung zur Ordination in den Pfarrdienst. Das evangelische Vikariat (…) entspricht als Ausbildungsphase dem Referendariat bei Juristen oder Pädagogen.
(Quelle: Wikipedia)
Anders in der Schweiz, dort werden Vikare eingesetzt, um Physik zu unterrichten, wie wir in einer Stellenanzeige lasen:
Für das Frühlingssemester 2008 suche wir 1 Vikarin/Vikar für insgesamt 5 Lektionen Physik (20%):
(Quelle: studisurf.ch)
Wie kommt es zu dieser Deutsch-Schweizerischen Begriffsverwirrung? Auch darauf weiss Wikipedia eine Antwort:
Auch im Schulwesen bezeichnete man bis etwa 1945 solche Pädagogen, die noch keinen Abschluss hatten, wegen des Lehrermangels dennoch schon eine Lehrerstelle zu vertreten hatten, als Vikare (z. B. in Sachsen). Dies erklärt sich aus der Tatsache, dass das Schulwesen noch lange mit der Kirche verbunden war.
(Quelle: Wikipedia)
In der Schweiz wurde von dieser Regelung nie abgewichen. Als die „Referendare“ Mode wurden in Deutschland, blieb man hierzulande beim „Vikariat“, auch ohne Kirche aber mit Physik. Tatsächlich blieb die Schweizer Verwendung des Begriffes näher an der Bedeutung des lateinischen Originals. Im Duden wird sie allerdings erst an 3. Stelle aufgeführt:
Vikar [v…] der; -s, -e , aus lat. vicarius „stellvertretend; Stellvertreter“ zu vicis „Wechsel, Platz, Stelle“:
1. ständiger od. zeitweiliger Vertreter einer geistlichen Amtsperson (kath. Kirche); vgl. Generalvikar.
2. Kandidat der ev. Theologie nach der ersten theologischen Prüfung, der einem Pfarrer zur Ausbildung zugewiesen ist.
3. (schweiz.) Stellvertreter eines Lehrers.
(Quelle: duden.de)
In Deutschland hingegen sucht man keinen Vikar, wenn ein Lehrer krank ist, da sucht man eine Stellvertretung, und findet sie nicht. Denn stellensuchende Physiklehrer sind in Deutschland genauso Mangelware wie in der Schweiz.
November 29th, 2007 at 8:45
Was ist Physik?
[Antwort Admin: Ein Unterdisziplin der Metaphysik , ähnlich der Alchemie. Gold aus Blei machen, sichere Atomkraftwerke bauen und usw., alles klar?]
November 29th, 2007 at 8:58
In höheren Positionen (Präsident, Direktor, Weltmeister etc.) behält der Stellvertreter seine lateinische Wurzel im Titel, wird aber zum „Vize“, was allerdings nicht mit „die Fitze“ http://www.blogwiese.ch/archives/474 verwechselt werden soll.
Über die Flimmerkiste schauten sich viele in den 1980er-Jahren (und kürzlich im Kino) die Abenteuer des „stellvertretenden Drogenfahnders aus einer Stadt im Südosten der USA“ an. Nicht verstanden? Zugegeben, die Übersetzung ist etwas abenteuerlich. Auf Englisch klickts sicher sofort: http://de.wikipedia.org/wiki/Miami_Vice
November 29th, 2007 at 9:21
Von mir aus kann der Vikar oder die Vikarin an dieser Schule auch noch Religion unterrrichten. Da gibt es m. E. Handlungsbedarf. Ich habe einen (deutschen) Christenfisch auf der Heckscheibe, den sehr viele stinknormale und langweilige Protestanten und Katholiken in Deutschland ebenfalls auf ihr Auto pappen. Die Leute hier in der Schweiz halten meinen schönen Talisman immer für das Logo eines Fischladens (z.B. Nordsee) oder fragen mich, in welcher Sekte ich bin. Von daher lautet meine Forderung für heute: Vikare in die Schulen! Betreibt Aufklärungsarbeit!
[Anmerkung Admin: Wenn Du Dich in den richtigen Regionen der Schweiz mit dem Auto bewegst, wirst Du eher Menschen treffen, die mit diesem Zeichen etwas anfangen können. Musst Du mal in die Gegend rund um Winterthur fahren. Zitat:
Niemand wird dich dort für eine Mitarbeiterin von Nordsee halten.]
November 29th, 2007 at 10:53
In der Schweiz gabs/gibts im Schulbereich auch noch den Verweser (siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Verweser). Im Unterschied zur Definition bei Wikipedia wurde das Wort – zumindest in meinem Wohnkanton – während meiner Studienzeit in der Bedeutung «Stellvertreter» oder «Vikar» verwendet. So manche Junglehrer ohne feste Stelle oder Studenten hatten ihr Geld durch «Verwesern» (wichtig: mit r!), wie sie es ausdrückten, verdient. Soviel ich weiss, ist dieser Sprachgebrauch heute weitgehend verwest, obwohl die damaligen Junglehrer noch lange nicht zu den Kompostis gehören.
November 29th, 2007 at 12:48
@admin: definier ’sicher‘. Ich kenne Leute, die fahren Auto. 🙂
Aber was die Stellvertretungen angeht: das waren (und sind wohl immer noch) je nach Klasse.. arme Schweine.
November 29th, 2007 at 12:59
@Admin: Danke für den Tipp, aber dort würde man mich sicher bekehren wollen. Das brauche ich auch nicht.
November 29th, 2007 at 13:35
Für die Tätigkeit eines Vikars gibt es das wunderschöne Wort „vikarisieren“. Das hab ich erst in Zürich kennengelernt. In der Ostschweiz war ich einfach eine Schtevau, eine Stellvertreterin oder „D’Schtellvertretig“. Tun-Wort: „vertreten, verträte“.
Der Ausdruck „vikarisiseren“ lässt mich immer etwas romantisch werden; es erinnert mich an das schöne alte Wort „charisiere“. Schätzele eben. Was man in der Schule als Vikarin aber gerade nicht soll 😉
November 29th, 2007 at 15:02
In Norwegen wird der Grundschulunterricht zum Teil von Lehramtsstudenten übernommen und wenn man in Schweden mal einen Sommerjob sucht, lohnt es sich angeblich, in den Psychiatrien nachzufragen, ob noch jemand im Pflegebereich gebraucht wird…
November 29th, 2007 at 15:06
Sagt mal, arbeitet ihr auch zwischendurch?
November 29th, 2007 at 16:20
@ Brun(o)egg
Also bitte! Fürs Arbeiten sind doch die Vikare/Referendare/Stevau/Verweser zuständig! Weiss doch jeder!
Apropos arbeiten: Was tut eigentlich ein Referendar? Veranstaltet der Volksabstimmungen (Referenden)? 🙂
November 29th, 2007 at 17:09
@Guggere
Also Verweser ist sehr gut. Bei mir verwests auch permanent auf den Tisch wenn ich nicht dran bleibe.
Das mit den Refendüm(m)ern und dem Refendar geht mir nicht so ganz auf. Und für Wiki hab ich keine Zeit.
Aber grundsätzlich und aus dem Hosentäschchen würde ich schon behaupten, dass die abstimmenden und wählenden Schweizer, – im Schnitt „gschämigi“ 35 % -, nicht für jeden Hafenkäse das Referndum ergreifen.
Zuviele sinds immer noch. Ich ergreif jetzt eins für die rot-orange getüpfelten Laubfrösche. Da hats keine mehr. Müssen dringend geschützt werden.
November 29th, 2007 at 21:18
Da es ja kein allgemeines Forum gibt, muss man wohl gefundene Sachen Zusammenhangslos posten.
http://www.youtube.com/watch?v=z_SNJFxDoro&feature=related
Herrlich wie Marco Rima seine Manieren auch in Deutschland behält.
Wo einer im Publikum niest, wird brav Gesundheit gesagt ^^
Ist mir nur aufgefallen, da Herr Wiese, dass ja schon in einem Artikel gepostet hatte.
November 29th, 2007 at 23:06
@ Brun(o)egg
ich arbeite nie zwischendurch, eher durch und komme gerade von derselben nach Hause, wie es sich gehört mit der sbb, da lässt sich etwas weiterschaffen
November 30th, 2007 at 11:38
Seit wann ist Theologie eine Wissenschaft? Wo Glaube an etwas das Wissensgebiet ist… Ja, was nun, Glaube oder Wissen?
November 30th, 2007 at 16:09
@Carolus Magnus:
Vielleicht verstehe ich ja Deine Ironie nicht, aber Theologie gehört zu den ältesten Wissenschaften schlechthin. Wenn Du einmal die Geschichte der traditioneller Universitäten in Europa unter die Lupe nimmst, wirst Du feststellen, dass die theologischen Institute zu den ältesten gehören. In diesem Fach lassen sich wissenschaftliche Abschlüsse erwerben, sofern man erfolgreich studiert hat. Das ist eine Tatsache, die nichts mit Glauben zu tun hat, auch wenn sich Theologen mit dem Thema „Glauben“ beschäftigen.
Dezember 1st, 2007 at 2:02
@Guggeere
Wie das die Zürcher heute handhaben, entzieht sich meiner präzisen Kenntnis, aber ein Vikar/eine Vikarin hat jeweils einige wenige Wochen vikarisiert. Dauerte eine Lehrerstellvertretung länger – oft ein bis zwei Jahre –, war man Verweser/Verweserin.
Im Kanton Zürich besuchte man vor rund 30 Jahren das Oberseminar, schloss es mit dem Lehrerpatent ab und musste dann im Ausnahmefall mindestens 39 Wochen, in der Regel aber 2 Schuljahre lang als Verweser/Verweserin eine Klasse führen/unterrichten, um auch noch das Wahlfähigkeitszeugnis zu bekommen (dann war man in der Regel 23 und noch relativ grün hinter den Ohren für die Zähmung der damaligen Klassen à 32 bis 35 Schulkindern).
Zu jener Zeit gab es z.B. im Kanton Basel-Land trotz Lehrermangel noch eine Klausel aus fernen Stellenmangelzeiten, wonach verheiratete Lehrerinnen (die ja einen ERnährer hatten) nicht gewählt werden konnten. Sie durften nur als Verweserinnen angestellt werden. Ich vermute darum, dass man (noch) nicht wahlfähige Lehrpersonen als Verweser/Verweserinnen bezeichnete.