(reload vom 23.11.05)
Unser Freund Geissenpeter schrieb einst darüber, dass für die Deutschen „Dialekt sprechen unsittlich“ sei. Dem bin ich einmal nachgegangen:
Mehrsprachige Bauersfrauen auf dem Freiburger Wochenmarkt
Wer auf dem samstäglichen Wochenmarkt in Freiburg (im Breisgau) einkaufen geht, findet die Stände der Bauersfrauen auf der kalten Nordseite, im Schatten des Münsters. Auf der Südseite scheint die Sonne, ist es schön warm und angenehm, und dort stehen die Händler und verlangen für die gleiche Ware doppelte so hohe Preise. (Bilder vom Markt hier)
Mutationen beim Gemüsekauf
Beim Kauf von Gemüse auf diesem Markt kann man die absolute Zweisprachigkeit der badischen Landbevölkerung live erleben. Dabei ändern sich plötzlich die Formen des Gemüses, wenn aus den eben gewünschten verbogenen“Krummbeeren“ plötzlich gerade „Kartoffeln“ werden. Oder es wandelt sich die Farbe, wenn „gelbe Rüben“ zu leuchtend orangen „Karotten“ mutieren.
Auch beim Kraut ist dieses Phänomen der gestörten Farbwahrnehmung zu beobachten. Badisches „Blaukraut“ wird plötzlich zu norddeutschem „Rotkohl„.
Am Ende gucken die Norddeutschen ziemlich dumm aus der Wäsche, wenn sie gefragt werden „Wellet se ä Gugg?“, doch die Frauen reagieren auf das Fragezeichen im Gesicht des Kunden sofort und setzen nach. „Brauchen Sie eine Tüte?“
Die Gugg lernen wird dann später durch die „Guggenmusik“ besser kennen. Ja, da guckst Du.
Es gibt sie also schon, die Dialekt sprechenden Deutschen, die badischen Landfrauen auf dem Freiburger Wochenmarkt sind das beste Beispiel dafür. Anders als in der Schweiz wird aber nicht gefragt: „Verstehen Sie Alemannisch?„, sondern es wird gleich umgeschaltet auf Hochdeutsch, wenn einer zu lange zögert.
Alemannisch bei den Schwarzwaldelchen
Ich habe Deutschunterricht für Jugendliche im Hochschwarzwald auf einem Gymnasium gegeben. Ich nannte sie liebevoll meine „Schwarzwaldelche„, denn sie hatten viel Gefühl und bewegten sich stets langsam und bedächtig durch die Welt, den Kopf meist im Hochnebel verborgen. Auf meine Frage: „Wer kann denn von Euch Alemannisch sprechen?“ wurde ich nur schüchtern beäugt. Es wollte niemand zugeben, dass er auch Dialektsprecher ist. Kein Wunder, nach 12 Jahren Schule war es ihnen gründlich ausgetrieben worden, in Anwesenheit eines Lehrers auch nur die leiseste Äusserung im Dialekt von sich zu geben.
In Deutschen Schulen wird Hochdeutsch gesprochen, und Mundart ist lediglich für das Gespräch unter Freunden oder auf dem Pausenhof vorgesehen, oder daheim mit den Eltern und Grosseltern. Sofern es sich nicht um eine Patchwork-Family handelt, bei der die Eltern aus verschiedenen Dialektregionen stammen. Dialekt ist „Soziolekt“ und wird ausser im Familienkreis und unter Freunden in allen öffentlichen Situationen vermieden.
Vorstellungsgespräch auf Hochdeutsch
So würde es bei einem Vorstellungsgespräch im Schwabenland der Bewerber nie wagen, in seiner Mundart zu sprechen. Er möchte ja beweisen, dass er perfekt auf Hochdeutsch verhandeln kann, und auch der Vorgesetzte, der vielleicht auch perfekt Schwäbisch spricht, führt ein solches Gespräch nur auf Hochdeutsch.
Alemannisch im Fernsehen
Es ist für uns Deutsche äusserst merkwürdig, in der Öffentlichkeit jemanden in Mundart sprechen zu hören. So gab es ein Interview im Schweizer Fernsehen mit einem Landrat aus dem Südschwarzwald. Es ging um die steigende Anzahl von Schweizer Rentner, die ihren Alterssitz in einem idyllischen und billigen Ort im Südschwarzwald wählen. Der Landrat sprach im Fernsehen öffentlich sein bestes Süd-Alemannisch, aber man konnte beobachten, wie unsicher er sich dabei fühlte, und wie er immer wieder nach bestimmten Wörter suchen musste, um nicht plötzlich ins Hochdeutsche zu verfallen.