Nächstes Jahr fahren wir nach Extremis — Da hat Federer gesiegt

November 23rd, 2006
  • Extrem, extremer, in extremis — Im letzten Moment hat jeder in extremis begriffen
  • Wir lasen im Tages-Anzeiger vom 15.11.06 über den Schweizer Tennisstar Roger Federer:

    „Federer siegt am Masters in extremis“.

    Federer in extremis

    Wow! Wir wussten ja schon, dass der gewöhnliche Tages-Anzeiger Leser es „sich“ gewohnt ist, französische Wörter ohne Probleme zu verstehen. Da wird schon mal bei den Flugbewegungen am Zürcher Flughafen „plafoniert“ was das Zeug hält, und mit Relegationsspielen hält man sich in der „Barrage“ gerade so lange auf, bis man einen „Exploit“ erlebt oder gleich „forfait“ gibt. Aber Latein? Auch das ein fester Bestandteil im Alltag der „Confoerderatio Helvetica“?

  • Ungewohntes Denken und Handeln
  • Schauen wir mal im Lehrplan für Gymnasien im Kanton Baselland nach:

    Der Lateinunterricht gibt Einblick in die römische Kultur und ihre Funktion, die griechische und die christliche Antike an die europäische Kultur weiterzugeben. (..) Durch die Auseinandersetzung mit zeitlich weit entferntem und ungewohntem Denken und Handeln soll der Lateinunterricht bei den Schülern und Schülerinnen den Sinn für Fragen wecken, welche in der Antike ursprünglich gestellt wurden und die bis heute nachwirken.
    (Quelle: baselland.ch)

    Eine solche Frage lautet also : Wo hat Roger Federer gesiegt ? In extremis! „Weit entferntes und ungewohntes Denken und Handeln“? Das passt doch wie die Faust aufs Auge auf Federer!

    Auf Latein wird in der halb-romanischen Schweiz wesentlich leichter argumentiert als in Deutschland, welches ja auch nicht schlecht fremdwortverliebt ist. Magere 35‘000 Fundstellen für „in extremis“ bei Google-DE im Vergleich zu mehr als 58.000 Funde bei Google.CH. Wobei damit in Deutschland in der Regel irgend ein Extrem-Sportarten- Ausrüsterladen bezeichnet und weniger „im letzten Moment“ gemeint ist.

    Wenn wir uns die Stellen im Tages-Anzeiger genauer anschauen, stellen wir fest, dass es dabei fast immer um Sport geht, wenn etwas „in extremis“ geschieht.
    Bärtschi in extremis
    (Quelle: Tages-Anzeiger)
    Ein weiteres Fussballbeispiel:

    Liverpool kassierte damit in extremis den ersten Gegentreffer in diesem Wettbewerb seit letzten September.
    (Quelle: Tages-Anzeiger)

  • Lerne Latein und werde Sportreporter
  • In Deutschland galten gute Lateinkenntnisse lange Zeit als Voraussetzung für ein Medizinstudium, heute wird das Latinum immer noch bei vielen Geisteswissenschaften verlangt. In der Schweiz ist es ein erster Baustein für die Karriere als Sportreporter. Da müssen sie aufpassen, das sie nicht schnell mit ihrem Latein am Ende sind.

  • Pro infirmis, pro senectute, pro juventute — Latein hilft weiter
  • In der Schweiz gehört ein gewisses Grundwissen in Latein also zum Alltag. Es wird meines Wissens in der Kantonsschule häufig noch vor Englisch gelernt. Lateinisch sind auch die Bezeichnungen von zahlreichen Organisationen, wie pro infirmis mit dem coolen Motto: „Wir lassen uns nicht behindern“, oder „Pro Senectute„, einer Schweizer Stiftung, welche im Dienste älterer Menschen steht.

  • Pro Juventute ist nicht der Fanclub von Juventus Turin
  • Was ist es denn? Na, hätten Sie doch lieber auch mal Latein gelernt! „Pro Juventute“ ist ebenfalls eine Stiftung, diesmal aber „für die Jugend“.

    Direkte Demokratie JA, direkte Kommunikation NEIN

    November 22nd, 2006
  • Lieber per Zettel
  • Eine der merkwürdigsten Eigenschaften von Schweizern, an die wir uns auch nach sechs Jahren „Leben im anderen Kulturkreis“ nur schwer gewöhnen können, ist die Angewohnheit, jeder Art von direkter Kommunikation und Auseinandersetzung aus dem Weg zu gehen und wichtige wie unwichtige Dinge lieber per „Zettel-Proklamation“ zu diskutieren. Das beste Beispiel hierfür ist die viel zitierte gemeinsam genutzte Waschküche und die Waschküchenschlüsselübergabe-Ordnung oder -Einteilung, über die Hugo Loetscher ein feines Büchlein schrieb.
    Hugo Loetschers Waschküchenschlüssel

    Wir haben in einem früher Beitrag über die Schweizer Waschküche berichtet, dass es sich gehört, auf dem Weg in die Waschküche stets einen Haufen Zettel nebst Heftzwecken und einem guten, wasserfesten Stift dabei zu haben, um an der dort üblichen Kommunikation teilzuhaben.

  • Die Pinnwand im Hauseingang ist wichtig!
  • Per Zettel im Hausflur werden Sie in der Schweiz informiert, wenn etwas nicht in Ordnung ist, per Zettel wird man Ihnen, natürlich anonym, mitteilen, was man über sie denkt und sich nicht direkt zu sagen traut. Da sind die Schweizer sonst grosse Meister der direkten Demokratie, jeder sagt in zum Teil in offenen Abstimmungen auf dem Markplatz per Handzeichen seine Meinung, wenn es aber ans direkte miteinander reden geht, dann wird lieber zu Zetteln gegriffen.

  • Mit Deutschen diskutiert man nicht direkt
  • Passiert es nur uns, weil wir hier als Deutsche in einer fremden Sprachgemeinschaft leben, dass vielleicht die direkte Kommunikation mit uns gescheut wird? Oder ist das etwas, von dem auch Schweizer berichten können? Vor Jahren hatten wir einen Kollegen, der zwar stets höflich Hochdeutsch mit uns sprach, mit allen anderen Schweizerdeutsch (Typ Ausgrenzer), die direkte Diskussion über kritische Punkte mit uns jedoch stets vermied.

  • Offene Meinung sagen gehört sich nicht
  • Wir haben mit den Jahren den Eindruck bekommen, dass es in der Schweiz aus Gründen der Höflichkeit kaum möglich ist, jemanden offen seine Meinung zu sagen, und man darum lieber stets den indirekten Kommunikationsweg, z. B. via Zettel im Aushang, wählt. Eigentlich schade, denn dass die Schweizer tüchtig streiten können, wenn sie unter sich sind, sehen wir doch jeden Freitagabend bei Arena auf SF1.

  • Man trifft jeden irgendwann irgendwo in der Schweiz wieder
  • Eine Ursache dafür, dass man in der Schweiz eher betont vorsichtig miteinander umgeht, meinen wir gefunden zu haben: Da das Land und seine Wirtschaft so klein ist, muss sollte man sich stets davor hüten, irgendwo „Leichen im Keller“ zu haben, mit Leuten im „Clinch“ auseinanderzugehen. Eigentlich eine Paradoxie, denn „to clinch“ heisst „sich umklammern beim Boxen“. Man hängt also fest aneinander, und kann gar nicht auseinander gehen bis der Boxrichter die Kontrahenten trennt.

  • Jeder kennt jeden über 2 Ecken
  • Die „informellen Kreise und Drähte“ der Schweizer durchziehen alle Lebensbereiche, Firmen und Branchen. Der alte Spruch, dass jeder mit jedem auf der Welt über maximal 6 Personen bekannt ist lässt sich in der Schweiz sicherlich auf max. 1-2 Zwischenpersonen reduzieren. Darum werden hier bei Bewerbungen die persönlichen Empfehlungen und Beurteilungen von früheren Arbeitgeber auch viel genauer gelesen und höher in die Bewertung mit eingebunden als in Deutschland. Wehe Ihnen, da ist ein schwarzes Loch in Ihrem Lebenslauf, es muss sofort vermessen werden, und zwar sehr genau und gründlich!
    Auch Kadervermittlungen, wie sich die „Headhunter“ in der Schweiz nennen, kennen sich untereinander und teilen sich Informationen über unliebsame Kandidaten gegenseitig mit. Die Branche schützt sich so nach aussen, sofern das überhaupt so „informell“ abläuft und nicht sowieso auf alte Bekanntschaften aus der Militär- oder Studienzeiten beruht.

  • Spuren verwischen!
  • Da hilft nur eins. Ändern sie öfters mal Ihren Namen! Oder die E-Mail oder Anschrift, was natürlich einen Umzug erforderlich macht. Kaum sind Sie im Nachbarkanton, kennt sie kein Mensch mehr. Neues Betreibungsamt, neues Glück.
    Umziehen sollten Sie allerdings gar niemals nicht, wenn Sie vorhaben, eines Tages das Schweizer Bürgerrecht zu erwerben. Eine gewisse „Sesshaftigkeit“, sagen wir so ca. 12 Jahre am gleichen Ort, wird da schon erwartet:

    Wer sich im ordentlichen Verfahren in der Schweiz einbürgern lässt, braucht eine Einbürgerungsbewilligung des Bundes. Der Bewerber muss hiezu folgende Voraussetzungen erfüllen:
    12 Jahre Wohnsitz in der Schweiz (die zwischen dem 10. und 20. Lebensjahr in der Schweiz verbrachten Jahre werden doppelt gerechnet);
    (Quelle: bfm.admin.ch)

    „Hiezu“ fanden wir tatsächlich so geschrieben als Wort auf der admin.ch Seite. Ist das nun Schweizer Schriftdeutsch oder einfach nur ein Schreibfehler? Wir hielten es bisher für ein Dorf in Japan. Siehe „Hiezu„.

    Kleine Typologie der deutschfreundlichen Schweizer

    November 21st, 2006
  • Die aus dem „grossen Kanton“
  • Wir haben auf der Blogwiese viel über die versteckten und von den Deutschen zum Grossteil nicht wahrgenommenen Aversionen mancher Schweizer gegenüber den zugezogenen Einwohnern aus dem nördlichen Nachbarland berichtet. Schon die Umschreibung „die aus dem grossen Kanton“ zeigt uns eine Dichotomie auf, welche die uns bekannten Schweizer in zwei Gruppen teil. Wir nennen sie die „Integrierer“ und die „Abgrenzer“. Wer von Deutschland als vom „grossen Kanton“ spricht, ist ganz offensichtlich ein Integrierer, denn hier wurde ganz Deutschland bereits zum Teil der Schweiz erklärt, natürlich nur im Spass, oder sollten wir ein Referendum „Beitritt Deutschland als 27. Kanton der Eidgenossenschaft“ ins Leben rufen? Warum nicht gleich alle Länder der EU? „Confoederatio Europae“ oder CE, mit Sitz in Bern, wo sonst, wäre doch kein schlechtes Staatenmodell für die Zukunft, oder?
    Aber es gibt noch mehr als nur diese beiden Grundtypen. Darum heute eine kleine Typologie der deutschfreundlichen Schweizer und wie Sie sie erkennen können.

  • Fragen Sie: „Soll ich Schweizerdeutsch lernen?“
  • Diese einfache Frage müssen Sie Ihren Schweizer Nachbarn, Kollegen, Freunden oder Bekannten stellen, um sie schnell und einfach in unsere kleine „Typologie der deutschfreundlichen Schweizer“ einordnen zu können:

  • Der Abgrenzer
  • „Ach nee, lass das lieber. Das tönt sowieso ganz furchtbar, wenn ein Deutscher versucht Schweizerdeutsch zu lernen. Bleib Du bei Deinem Heimatdialekt.“ Und im stillen denkt er sich noch: „… und lass uns den unsrigen, denn den geben wir nicht her, den wollen wir nicht teilen. Wenn wir den nicht hätten, wie sollten wir uns dann noch von Euch unterscheiden?“
    Abgrenzen, unterschieden, eine klare Trennlinie ziehen, dass ist die Vorgehensweise des „Abgrenzers“. Die Angst vor der Ähnlichkeit mit dem anderen, vor dem Verlust der eigenen Identität, die vielleicht nur auf die Sprache begründet ist, das mag hier die tiefenpsychologische Grundlage für die Denkweise des Ausgrenzers sein.

  • Der Integrierer
  • Na klar, lerne so schnell wie möglich Schweizerdeutsch! Aber geh erst in die Öffentlichkeit damit, wenn Du es perfekt kannst..“ Dann wirst Du so wie wir, einer von uns, kaum mehr zu unterscheiden.
    Der Integrierer hat erkannt, dass die Schweiz sowieso eine permanente Durchmischung und Vermischung von Dialekten erlebt, wie es im Begriff „Bahnhofbüffet-Olten-Dialekt“ zum Ausdruck kommt. Vielleicht hat er selbst schon mehrfach den Kanton gewechselt in jungen Jahren und stets wieder von vorn begonnen mit dem Dialektlernen. Das prägt fürs Leben.

  • Der Ungeduldige
  • Wie, Sie sind schon zwei Jahre hier und haben immer noch nicht den Schweizerpass beantragt? Wann lernen Sie endlich Dütsch sprechen so wie alle hier?“ . Auch solchen Menschen kann man in der Schweiz begegnen. In der Regel sind diese Menschen entweder nie aus der Schweiz herausgekommen, oder sie kamen selbst als Secondos hierher, und sind nun glühende Verteidiger der neuen Heimat. Alle Nachzügler müssen es ihnen gleich tun.

  • Der Ungläubige
  • Die Deutschen sind sowieso nicht in der Lage, überhaupt irgendeine Fremdsprache zu lernen. Manche der jüngeren können Englisch, aber auf Mallorca bestellen Sie ihren Kaffee Haag mit Eisbein und Sauerkraut immer noch ausschliesslich auf Deutsch.“
    Der Ungläubige kennt die Deutschen gut, denn er gucke ja immer deutsches Fernsehen, da weiss man bald alles über das Land und die Menschen. Vor allem über das Schulsystem und die erste und zweite Fremdsprache dort. Die Filme sind seiner Meinung nach in Deutschland immer in der Originalfassung zu sehen, weil niemand dort Englisch oder Französisch kann.

  • Der Tolerante
  • Ach, du kannst reden wie Du willst. Soll ich auch Hochdeutsch reden oder kommst Du klar, wenn ich Schweizerdeutsch spreche?“. Der Tolerante hat unter Garantie selbst Jahre im Ausland verlebt, vielleicht seine Ehefrau von dort mitgebracht, und spricht 3-4 Sprachen fliessend.

  • Der Germanophile (aus der Westschweiz)
  • Oh, sprich doch bitte weiterhin Hochdeutsch mit mir! Es klingt so schön. Endlich kann ich reden, wie ich es jahrelang in der Schule gelernt habe. Hier in Zürich sprechen alle sofort Französisch mit mir, wenn ich nur den hochdeutschen Mund aufmache, dabei will ich doch mein Deutsch nicht verlernen. Ich werde wohl doch so einen Kurs bei der Migros-Klubschule besuchen müssen, wenn ich noch länger hier leben und arbeiten möchte.“

  • Und was meint der Wissenschaftler dazu?
  • Werner Koller ist Zürcher, Sprachwissenschaftler und hat die sprachsoziologische Untersuchung «Deutsche in der Deutschschweiz» veröffentlicht.
    Werner Koller auf seiner Homepage
    (Quelle Foto: hf.uib.no)
    In einem Interview mit dem Bund wurde er zu der Situation der Deutschen in der Schweiz befragt:

    «bund»: Manche Deutschen, die schon lange in der Schweiz leben, fühlen sich immer noch nicht heimisch – wie kommt das?
    Werner Koller: Deutsche haben beste Voraussetzungen für das «Heimisch-Werden» in der Schweiz: Sie unterscheiden sich weder vom Aussehen noch vom kulturellen Hintergrund stark von den Schweizern. Paradox ist: Gerade wegen der Ähnlichkeiten werden die Unterschiede umso stärkerer wahrgenommen. Es gibt viele Deutsche, die die ersten Jahre als problematisch, ja belastend empfinden. Sie erleben die Situation in der Schweiz verschiedener, als sie es erwartet haben. Das betrifft Mentalität und Charakter, die Art und Weise, wie Schweizer miteinander umgehen, und vor allem die Stärke der Vorurteile, die sie gegenüber Deutschen haben. Die Unterschiede müssen nicht gross sein, damit man in der Schweiz als Ausländer behandelt wird.
    (Quelle: Der Bund vom 17.06.06, auch alle weiteren Zitate dort)

    Streng nach der alten Devise: Jeder ist fast überall auf der Welt ein Ausländer. Wir erinnern noch einmal an die Bekannten aus Ostdeutschland, die hier in der Schweiz alles sehr schön fanden, „bis auf die schrecklich vielen Ausländer“. Kein Witz, bittere Realität ohne Selbsterkenntnis.

    Auf die Frage, ob die Deutschen Schweizerdeutsch lernen sollen, meint Werner Koller:

    Natürlich kann man Schweizerdeutsch, wie jede andere Sprache, lernen. Es gibt viele in der Schweiz wohnhafte Deutsche, die Schweizerdeutsch sehr gut sprechen. Bei einigen denken Schweizer höchstens, dass sie «aus einem anderen Kanton» stammen. Das Problem liegt nicht beim Können, sondern bei der Motivation: Man kann sich in der Deutschschweiz mit Hochdeutsch verständigen.

    Richtig. Ein Deutscher muss hierfür einsehen, was es bedeutet, in der Schweiz den nicht einfachen Lokaldialekt tatsächlich lernen zu wollen. Die wochenlangen Reportagen einer Deutschen bei Blick haben die Leser nicht nur amüsiert, sondern auch aufgezeigt, wie schwierig es ist, nicht verschriftete Sprachen systematisch zu lehren und zu lernen.
    Katia Murmann bei Mundart-Kurs
    (Quelle Foto: Blick.ch 02.10.06)

    Sprache ist mehr als ein Kommunikationsmittel. Werner Koller meint:

    Sprache markiert Identität, meine Sprache und ich – wir gehören zusammen. Zur sozialen Identität gehört auch die Zugehörigkeit zu einer Region, einem Dorf – und die Sprache verrät, «woher man kommt». Wenn Deutsche, die hauptsächlich Hochdeutsch sprechen, die Grussformeln Grüezi, Uf Widerluege verwenden, signalisieren sie die Bereitschaft, an den sprachlichen Ritualen teilzunehmen, sich den Gewohnheiten der Schweizer anzupassen.

    Warum kann beim Versuch, Deutsch zu lernen, auch das Gegenteil bei den Schweizern auslösen?

    (bund): Deutsche, die Schweizerdeutsch sprechen, kommen nicht gut an . . .
    (W. Koller) Das kann man so allgemein nicht sagen. Tatsächlich werden Deutsche mit zwei Haltungen konfrontiert. Einerseits geben Schweizer zu erkennen, dass sie durchaus sprachliche Anpassung erwarten. Andererseits hören Deutsche auch, sie sollten «bei ihrer Sprache bleiben». Die Abwehrreflexe kommen in Aussagen zum Ausdruck wie: Deutsche sollen ihre Identität bewahren und sich nicht «ins Schweizerische drängen». Deutsche sollen nicht Dialekt reden, weil der Dialekt der Abgrenzung gegenüber «dem grossen Bruder im Norden» dient.

    Da wären wir bei unserem Lieblingstypen, dem Abgrenzer. Es ist nicht leicht zu wissen, wie man mit all diesen verschieden Typen umgehen sollte, es gibt auch kein Patentrezept, denn nicht jedem fällt das Sprachenlernen leicht. Ich persönlich habe beschlossen, als nächstes mindestens zwei rätoromanische Sprachen zu lernen, um so mitzuhelfen, diese Varianten vor dem Aussterben zu bewahren. Mal sehen wie weit ich dann in Zürich komme, wenn auf Rumantsch nach dem Weg frage.

    Schlötterlinge können nicht weinen — Hängen Sie auch manchmal einen Schlötterling an?

    November 20th, 2006
  • Neues aus der Schweizer Dichtung
  • Wir wurden von einer Übersetzerin gefragt, was denn bitte schön ein „Schlötterling“ sei. Wir waren sprachlos. Ob das eine fantasievolle Wortkreuzung aus Schlottern und „Schmetterling“ sein kann?

    Sie hatte das Wort aus einem Werk des Schweizer Dichters Jürg Amann:

    „Da wir schon einmal bei den Frauen waren, ging ich einen Schritt weiter, durchaus in der Erwartung (…) eines Walserschen Donnerwetters oder Schlötterlings, und fragte (…)“
    (Quelle: Amann, Verirren 116)

    Es muss etwas Unangenehmes sein. Und wirklich, die Erklärung findet sich in Kurt Meyers Schweizer Wörterbuch:

    Schlötterling, der; -s, -e (mundartnah) eine anzügliche Bemerkung, ein derbes Spottwort.

    Sogar ein Zitat aus der NZZ wird dort genannt:

    Will man unter Demokratie das Recht verstehen, jedem Beliebigen an der Landsgemeinde Schlötterlinge anzuhängen, dann ist das … ein arger Missbrauch (NZZ 1965, Nr. 1804)
    (Quelle: Schweizer Wörterbuch, S. 227)

  • Schlötterlinge in der Poesie
  • Auch in Carl Splitters Gedicht „Olympischer Frühling“ findet sich dieser Ausdruck:

    Und wippten trotzig mit dem Strauß von Haselnuß,
    Denn, ohne wen zu ärgern – nicht wahr? – kein Genuß.
    War niemand, der im Abendrote sich erging,
    Der keinen Anwurf oder Schlötterling empfing.
    (Quelle: Projekt Gutenberg)

  • Schlötterlig ohne n
  • Im gesprochenen Dialekt verliert der Schlötterling leicht sein „n“ und mutiert zum „Schlötterlig„. Wir befragten eine ausgewiesene Kapazität des Schweizerdeutschen zu diesem Wort. Hier die Stellungnahme:

    Är het mer e Schlötterlig aaghänkt!“ heisst frei übersetzt: „Er hat mir ,Brehms Tierleben nachgeworfen‘“ oder „er hat mich mit einem Schimpfwort bedacht“. Meistens wird „Schlötterlig“ mit „anhängen“ benützt. Wenn die Konfrontation lange gedauert hat, „het är mir e ganze Cheib vou Schlötterlige aaghänkt“.„Einen Cheib voll“ = einen Haufen.
    (Quelle: private E-Mail)

    Wir wussten nicht, dass man „Brehms Tierleben“ auch gut werfen kann und werden uns gleich nächstens ein paar Exemplare antiquarisch besorgen um damit Ziel- und Weitwurf zu üben.

  • Schlötterling hat was mit Schnoddernase zu tun
  • Laut unserer Lieblingsquelle „Grimms Wörterbuch“ hat das Wort „Schlötterling“ etwas mit dem Schnupfen an der Nase zu tun:

    SCHLÖTTERLING, m. schweiz. im sinne von herabhängender rotz STALDER 2, 331, vgl. schlemperling sp. 628, schlenkerer, schlenkerling sp. 636; die redensart einem einen schlötterling anhenken (STALDER a. a. o., SCHM. 2, 537) zeigt, dasz schlötterling die bedeutung von schlötterlein annahm; vgl. noch HUNZIKER 224. SEILER 256a.
    (Quelle: Grimms Wörterbuch)

  • Schlötterling on Ice
  • Auf 10 vor 10 wurde sogar der Begriff in einem Beitrag im Zusammenhang mit den Beschimpfungen von Eishockeyspielern auf dem Spielfeld erwähnt:

    Viele Spieler der Schweizer Eishockey-Meisterschaft begeben sich verbal aufs Glatteis. Wie Müll werfen sie dem Gegner wüste Worte an den Kopf, um ihn zu verunsichern. Trashtalk nennt man das im amerikanischen Eishockey. Schlötterling on Ice.
    (Quelle: 10 vor 10 vom 22.03.05)

    Falls wir in Zukunft mal ein Problem haben, werden wir nur noch mit Schlötterlinge um uns werfen bzw. diese anderen anhängen. Denn Sie wissen ja: Schlötterlinge können nicht weinen! Das ist so wahr wie „Dänen lügen nicht“.

    Auch Du kannst ein Waffenhändler werden – Deine Unterschrift und 100 Franken reichen für den Anfang

    November 17th, 2006
  • Mehr Fun mit der Pumpgun
  • Nun ist es fünf Jahre her, als der Amokläufer Friedrich Leibacher im Kantonsrat von Zug nach kaltblütiger Planung 14 Menschen tötete, weitere schwer verletzte und sich selbst am Ende erschoss. Unter den zahlreichen Waffen, die er sich vor seiner Tat legal in diversen Kantonen beschaffen konnte, obwohl er zu diesem Zeitpunkt schon „auffällig“ geworden war, gehörte auch eine Pumpgun. Fünf Jahre lang wurde danach in der Schweiz darüber nachgedacht, ob Handlungsbedarf besteht bei den Bestimmungen zum Waffengesetz. Genützt hat es nicht viel. In diesem Herbst 2006 diskutierte der Schweizer Nationalrat über schärfere Bestimmungen im Waffengesetz:

    Knapp endete die Abstimmung über die Frage, ob Pumpaction-Waffen – so genannte Repetierschrotflinten – gänzlich untersagt werden sollen. Friedrich Leibacher hatte sich kurz vor dem Attentat eine solche Waffe besorgt. Doch die populäre Waffe bleibt legal erhältlich: Die Pumpaction eigne sich zwar bestens für Gangsterfilme, sagte Justizminister Christoph Blocher, doch in der Realität gebe es «derzeit keine Hinweise, dass diese Waffen in der Realität besonders häufig oder mehr als andere Waffen für kriminelle Zwecke missbraucht würden». Die Kommissionsminderheit unterlag im Plenum mit 83 zu 86 Stimmen.
    (Quelle: Tages-Anzeiger vom 28.09.06)

    Leibacher konnte sich gleich in mehreren Kantonen mit Waffen versorgen, da es keine nationale Registrierung der Waffen gibt. Was kann man mit einer Pumpgun eigentlich anfangen? Na, auf dem Schiessplatz einmal garantiert die Zielscheibe treffen, noch dazu mit vielen kleinen Kugeln. Es ist ein super Schrotgewehr. Auch Hasen kann man damit erschiessen, muss allerdings auf den Verzehr verzichten, zuviel Blei im Braten.

  • Einmal wie John Travolta ballern
  • Wo kauft man sich so ein Spielzeug, um mal richtig wie John Travolta in „Pulp Fiction“ auszusehen und das persönliche Sicherheitsgefühl zu erhöhen? Zum Beispiel bei der Online Verkaufsbörse „Gebrauchtwaffen.ch“, da gibt es die Dinger für 400 – 550 Franken.

    Das ist richtig teuer, wenn man bedenkt, das Schweizer Wehrmänner nach ihrer Entlassung aus dem Dienst für wesentlich weniger Geld ihr Hightech „Sturmgewehr 90“ behalten können.

    „Der Bundesrat (…) gibt den Entlassenen die Waffen weiterhin auf Vertrauensbasis mit nach Hause. Sie müssen dazu einzig eine Selbstdeklaration unterzeichnen und 100 Franken für ein Sturmgewehr 90, 60 Franken für das Sturmgewehr 57 und 30 Franken für eine Pistole bezahlen“
    (Quelle: Tages-Anzeiger vom 15.11.06)

  • Was soll ich mit dem Gewehr daheim?
  • Merkwürdiger Weise lässt bei Wehrmännern, die 10 Jahre das Sturmgewehr im Schrank stehen hatten, der Bedarf an persönliche Sicherheit und der Wille zur sofortigen Landesverteidigung noch in Schlafanzughosen erheblich nach.

    „Was soll ich mit dem Gewehr daheim?“, fragt ein 34-jähriger Zürcher und gibt die Antwort gleich selber: „Meiner Meinung nach gehört die Waffe nicht nach Hause.“ Viele seiner Kameraden denken ähnlich. Nein, sie brauchen das Gewehr nicht, zu Hause stehe es sowieso nur herum oder könnte in falsche Hände geraten. (…) Von den rund 300 Personen mit Sturmgewehr haben am gestrigen Entlassungstag 251 die Waffe zurückgegeben. Nur 49 Personen nahmen das Sturmgewehr mit nach Hause“.
    (Quelle: Tages-Anzeiger vom 15.11.06)

    Na das kann ja heiter werden, wenn sich solche Gedanken durchsetzen sollten. Keine sofortige Wehrbereitschaft in akuten Krisensituationen, keine schnelle Terrorabwehr wäre mehr möglich, und das bei der heutigen Bedrohungslage!

  • Auch Du hast das Zeug zum Waffenhändler
  • Und dabei könnte man doch richtig schön Geld verdienen mit dem 100-Stutz-Gewehr.

    „Schliesslich bieten Waffenhändler mehrere Hundert Franken für ein Sturmgewehr 90“.
    (Quelle: Tages-Anzeiger vom 15.11.06)

    Auf „Gebrauchtwaffen.ch“ gibt es die Dinger von 1‘200 – 1‘800 Franken, natürlich nur an „Schweizerbürger“ UND „Menschen mit gutem Leumund“ abzugeben, wobei das „und“ hier als logische Verknüpfung verstanden werden sollte, und „ausschliesslich nach den gesetzlichen Bestimmungen“ die ja zum Glück nicht so wahnsinnig kompliziert sind beim Waffenbesitz in der Schweiz.
    Ein billiger Prügel
    (Quelle Foto: gebrauchtwaffen.ch)

  • Die Staatliche Anschubfinanzierung für den privaten Waffenhandel
  • Auch eine Art der Wirtschaftsförderung: Man gebe den entlassenen Wehrmännern das Sturmgewehr 90 für 100 Franken mit nach Hause und es wird kurz darauf für 1‘200 – 1‘800 Franken auf dem Gebrauchtwaffenmarkt verkauft. Wir getrauen uns nicht zu fragen, wer da kauft, denn jeder unbescholtene Schweizer Mann sollte so ein Ding sowieso schon daheim haben. Oder geht der Trend heutzutage eher zur Zweitwaffe?

  • Kann einfach jeder das Ding mit heim nehmen?
  • Wer bereits 10 Jahr als Wehrmann auf dem Buckel hat, muss nur 100 Franken zahlen und unterschreiben:

    Weder ein Auszug aus dem Strafregister noch ein Waffenerwerbsschein werden verlangt. Der Wehrmann muss bloss ein Formular – eine Selbstdeklaration – unterzeichnen, womit er bestätigt, «dass keine Hinderungsgründe für die Überlassung der Waffe vorliegen», wie das VBS schreibt. Es genügt die Angabe, er erfülle Artikel 8, Absatz 2 des Waffengesetzes: Er sei weder im Strafregister verzeichnet, noch gebe er Anlass zur Sorge, dass er sich selbst oder Dritte mit der Waffe gefährde.
    (Tages-Anzeiger vom 9.11.06)

    Die Schweizer sind da gründlich. Vertrauen ist gut, eine Unterschrift ist besser, dann funktioniert das unter Garantie. Eigentlich sollte man den Strafvollzug auch gleich abschaffen. Jeder Ex-Gewalttäter unterschreibt, dass er in Zukunft keinen Anlass mehr zur Sorge gibt, sich selbst oder Dritte zu gefährden, und schon ist das Problem auf Dauer gelöst. Auf diese einfache aber geniale Idee muss man nur erst kommen. Das mit dem Strafregisterauszug, der nicht vorgelegt werden muss, könnten wir der Einfachheit halber für die Ex-Gewalttäter auch gleich übernehmen. Spart eine Menge Kosten.

    Wir möchten doch an dieser Stelle auch betonen, dass wir gleichfalls weder im Strafregister verzeichnet sind noch Anlass zur Sorge geben, dass wir uns selbst oder Dritte mit der Waffe zu gefährden denken. Kriegen wir jetzt auch eine Waffe beim nächsten Waffenhändler? Wo bitte dürfen wir unterschreiben? Für wen braucht eigentlich der Waffenhändler diese Waffen? Wer kauft sie ihm ab? Keine Ahnung, denn ohne Registrierungspflicht weiss sowieso niemand, wann wohin welche Waffe wechselt (wow!)

    Der Bundesrat verzichtete auf eine strengere Regelung – namentlich auf die Verpflichtung, einen Waffenschein zu erwerben oder einen Strafregisterauszug vorzuweisen. Dies mit der Begründung, dass bei der Abgabe der Waffe zu Beginn der Rekrutenschule auch keine Abklärungen gemacht würden, (…). Den Armeeangehörigen soll laut dem VBS zunächst vertraut werden. Schliesslich hätten sie beim Ausscheiden aus der Dienstpflicht rund zehn Jahre klaglos eine Leihwaffe besessen. Zudem sei die Lösung kostengünstig und werde in den meisten Kantonen bereits so gehandhabt.
    (Quelle: Tages-Anzeiger)

    Kostengünstig? Hightech-Geräte mit einem Marktwert von 1‘200 – 1‘800 Franken für 100 Franken abzugeben ist eine kostengünstige Lösung? Ja, denn so kommt der angehende Privat-Waffenhändler zu kostengünstigen Konditionen an seine erste Waffe, der Grundstock für einen späteren Grosshandel.

    Es herrsche Frieden im Land.