Identitätenklau leicht gemacht — Vielleicht sind Sie ja ein ganz anderer?
November 30th, 2006Kürzlich las ich den neusten Roman von T. C. Boyle, genannt „Talk Talk“. In ihm geht es um das heisse Thema „Identitätenklau“ und wie einfach es in den U.S.A. ist, mit Hilfe einiger Daten, die aus dem Mülleimer einer Arztpraxis gefischt werden, an genügend Informationen zu kommen, um sich die Identität sowie natürlich auch die Bonität einer fremden Person mit Hilfe von Kreditkarten anzueignen. Ist das in der Schweiz anders? Selbstverständlich, denn hier liegt ihre Identität in Form von Papieren in ihrer Heimatgemeinde „hinterlegt“, auch wenn Sie noch nie persönlich dort auftauchen mussten.
Es gibt jedoch einen Bereich in der Schweiz (und vielleicht auch anderswo), da ist Missbrauch und Identitätenklau sehr einfach. Die Rede ist vom Erwerb und Betrieb einer Webseite. Jeder Mensch kann über das Internet mit wenigen Klicks eine eigene Webseite beantragen, inklusive registriertem Domänenname und Platz für etliche Gigabyte Daten. Fast alle preisgünstigen Provider verzichten auf menschliche Kontrolle und setzen aus Kostengründen vollumfänglich auf automatisierte Verfahren, bei denen Sie lediglich die Daten (Name, Anschrift, Telefon, E-Mail) einfügen müssen, und in maximal 1-2 Stunden wird die Domäne für Sie freigeschaltet und Sie können Ihr kriminalistisches Potential voll entfalten.
Denn niemand kontrolliert, ob die Daten schlüssig sind, ob wirklich SIE diese Seite in Auftrag gegeben haben oder nicht doch ihr freundlicher aber stiller Nachbar, von dem Sie nicht so genau wissen, was der immer in der Nähe ihres Briefkastens am Morgen treibt. Wahrscheinlich will er ihre Zeitung klauen, was sonst. Vielleicht hat er aber auch schon längst ihre Identität geklaut, denn er braucht sich dafür nur in ihrem Namen bei einem Freemail-Provider eine Email anlegen, und genau dahin werden nun die Zugangsdaten wie Passwort etc. für die neu registrierte Webseite geschickt.
In Deutschland könnten hier die Schufa-Daten abgefragt werden, so wie es eBay bei jedem Neumitglied zu tun pflegt, falls jedoch Ihr Nachbar auch Ihren Geburtstag und Ihre Telefonnummer weiss, dann hätte er auch diese Hürde problemlos genommen.
Kennen Sie den alten Trick, mit dem Betrüger das Geburtsdatum in Erfahrung bringen? Ein Anruf genügt: „Guten Tag, hier ist Radio XYZ. Wir haben in unserer Spielshow BlaBlaBla ihren Namen aus dem Telefonbuch gepickt und würden Ihnen nun gern unseren Preis zuschicken. Leider geht das nur bei Personen über 18 Jahren. Wie lautet bitte ihr Geburtsdatum?„. Sie glauben gar nicht, wieviel Menschen jetzt alles über sich erzählen, wenn es darum geht, einen Gewinn einzustreichen.
Wer in Google nach den Zeichenketten „Lebenslauf site:.ch filetype:pdf“ sucht, findet auf Anhieb 59’100 Datensätze mit Anschrift und Geburtsdatum als PDF zur freien Verfügung. Eine wahre Fundgrube für Identitätendiebe.
In der Schweiz ist es üblich, eine Rechnung erst nach 3-4 Wochen auszustellen und dann nochmals eine Zahlungsfrist von 30 Tagen einzuräumen. Es dauert also mindestens 3-4 Wochen, bis sie für die Leistung „Registrierung einer Domäne und Einrichtung einer Website“ von ihrem Provider eine Rechnung erhalten, bzw. der wahre Inhaber der Anschrift eine Rechnung erhält. Falls er dann gerade im Urlaub ist, kann es nochmals 4 Wochen dauern, bis die Zahlungsfrist für diese Rechnung abläuft, und der Provider entweder anfängt, Mahnungen zu verschicken oder doch tatsächlich in Erwägung zieht, die Webseite erst einmal zu sperren. Schon sind wir bei 8 Wochen Schonfrist, die ein kriminell veranlagter Mensch Zeit hätte, um auf der Seite in Ihrem Namen allerlei Unsinn anzustellen. Zum Beispiel Ware anzubieten mit einem professionell aussehenden Webshop, geklauten oder kopierten Produktinformationen und Fotos, mit dem Ziel, so an das Geld oder auch nur an die persönlichen Daten anderer Menschen heranzukommen.