Schlötterlinge können nicht weinen — Hängen Sie auch manchmal einen Schlötterling an?
Wir wurden von einer Übersetzerin gefragt, was denn bitte schön ein „Schlötterling“ sei. Wir waren sprachlos. Ob das eine fantasievolle Wortkreuzung aus „Schlottern“ und „Schmetterling“ sein kann?
Sie hatte das Wort aus einem Werk des Schweizer Dichters Jürg Amann:
„Da wir schon einmal bei den Frauen waren, ging ich einen Schritt weiter, durchaus in der Erwartung (…) eines Walserschen Donnerwetters oder Schlötterlings, und fragte (…)“
(Quelle: Amann, Verirren 116)
Es muss etwas Unangenehmes sein. Und wirklich, die Erklärung findet sich in Kurt Meyers Schweizer Wörterbuch:
Schlötterling, der; -s, -e (mundartnah) eine anzügliche Bemerkung, ein derbes Spottwort.
Sogar ein Zitat aus der NZZ wird dort genannt:
Will man unter Demokratie das Recht verstehen, jedem Beliebigen an der Landsgemeinde Schlötterlinge anzuhängen, dann ist das … ein arger Missbrauch (NZZ 1965, Nr. 1804)
(Quelle: Schweizer Wörterbuch, S. 227)
Auch in Carl Splitters Gedicht „Olympischer Frühling“ findet sich dieser Ausdruck:
Und wippten trotzig mit dem Strauß von Haselnuß,
Denn, ohne wen zu ärgern – nicht wahr? – kein Genuß.
War niemand, der im Abendrote sich erging,
Der keinen Anwurf oder Schlötterling empfing.
(Quelle: Projekt Gutenberg)
Im gesprochenen Dialekt verliert der Schlötterling leicht sein „n“ und mutiert zum „Schlötterlig„. Wir befragten eine ausgewiesene Kapazität des Schweizerdeutschen zu diesem Wort. Hier die Stellungnahme:
„Är het mer e Schlötterlig aaghänkt!“ heisst frei übersetzt: „Er hat mir ,Brehms Tierleben nachgeworfen‘“ oder „er hat mich mit einem Schimpfwort bedacht“. Meistens wird „Schlötterlig“ mit „anhängen“ benützt. Wenn die Konfrontation lange gedauert hat, „het är mir e ganze Cheib vou Schlötterlige aaghänkt“.„Einen Cheib voll“ = einen Haufen.
(Quelle: private E-Mail)
Wir wussten nicht, dass man „Brehms Tierleben“ auch gut werfen kann und werden uns gleich nächstens ein paar Exemplare antiquarisch besorgen um damit Ziel- und Weitwurf zu üben.
Laut unserer Lieblingsquelle „Grimms Wörterbuch“ hat das Wort „Schlötterling“ etwas mit dem Schnupfen an der Nase zu tun:
SCHLÖTTERLING, m. schweiz. im sinne von herabhängender rotz STALDER 2, 331, vgl. schlemperling sp. 628, schlenkerer, schlenkerling sp. 636; die redensart einem einen schlötterling anhenken (STALDER a. a. o., SCHM. 2, 537) zeigt, dasz schlötterling die bedeutung von schlötterlein annahm; vgl. noch HUNZIKER 224. SEILER 256a.
(Quelle: Grimms Wörterbuch)
Auf 10 vor 10 wurde sogar der Begriff in einem Beitrag im Zusammenhang mit den Beschimpfungen von Eishockeyspielern auf dem Spielfeld erwähnt:
Viele Spieler der Schweizer Eishockey-Meisterschaft begeben sich verbal aufs Glatteis. Wie Müll werfen sie dem Gegner wüste Worte an den Kopf, um ihn zu verunsichern. Trashtalk nennt man das im amerikanischen Eishockey. Schlötterling on Ice.
(Quelle: 10 vor 10 vom 22.03.05)
Falls wir in Zukunft mal ein Problem haben, werden wir nur noch mit Schlötterlinge um uns werfen bzw. diese anderen anhängen. Denn Sie wissen ja: Schlötterlinge können nicht weinen! Das ist so wahr wie „Dänen lügen nicht“.
November 20th, 2006 at 12:16
*lautlach*
November 20th, 2006 at 13:17
grins 😀
und hier heisst das Schlämperlig, Schlötterig ist mehr ostwärts von Bern/Biel aus gesehen
November 20th, 2006 at 13:38
addendum, der ausdruck Schlämperlig gilt hier natürlich nur für ‚beschimpfen‘ etc.
Schnudernasen ,respektive was denn da zum Nasenloch heraushängt hat verschiedene Ausdrücke,ich sage zum Beispiel: Gang putz dr Schnürfu (oder Schnuder) ab vom BE Verb ’schnürfle‘ , die Nase hochziehen.
November 20th, 2006 at 13:47
Der Schlötterling ist eine lebendige Figur, wie der bayrische Wolpertinger. Er ist sehr schweizerisch, kann fliegen, schwimmen, heftig fluchen und zeigt sich nur wenn’s nicht gefährlich ist, das heisst wenn die Mehrheit hinter ihm steht. Meistens nachts und in verschiedensten Formen und Arenen. Er lebt von mörgelischen, fehrschen und schlürschen Vorstellungen. Die zieht er mit Genuss rein. Das genügt ihm. Er ist saturiert, selbstgerecht und fast alle Schweizer haben ihn im Blut. Aber nicht alle.
Zudem: Er veralbert ja nur Ausländer, wie der Wolpertinger, gell Jens.