Haben Sie auch einen Puff daheim? — Die französischen Lehnwörter in der Schweiz

Oktober 31st, 2005

Ich bekam Post aus Obwalden und las den Satz:

  • Ich habe einen Puff daheim!
  • Was will uns diese Schweizer Schreiberin damit sagen?
    Wohnt sie im Vergnügungsviertel, womöglich direkt im Rotlichtmilieu?
    Ist sie selbst im „horizontalen Gewerbe“ tätig?
    Oder beherbergt sie so etwas womöglich im eigenen Haus?
    Ausser beim Blutspenden gibt es bekanntlich nicht viele weitere Möglichkeiten, bei denen sich sonst im Liegen bequem Geld verdienen lässt. Nein, sie hat lediglich daheim nicht aufgeräumt. Die Schweizer sagen dann „einen Puff haben„. Wie kommt es dazu? Nun, wie so oft, ist es ein Lehnwort aus dem Französischen. In Frankreich und somit auch in der Westschweiz sagt man „quel bordel„, wenn eine Situation besonders unübersichtlich oder verwirrend anmutet. Das wurde von den Schweizern irgendwann clever übersetzt. In Fremdsprachen sind sie bekanntlich gut, die Schweizer. Sie sprechen zum Beispiel oft ziemlich gut Hochdeutsch.

    Die Textverarbeitung Word für Windows in der Uraltversion 6.0 lieferte als Synonym für das Word „Puff“ übrigens den Begriff „Frauenhaus„. Es gab noch andere Scherze in dieser Version. So wurde das Wort „Unternehmer“ als Synonym für „Ausbeuter“ ausgegeben, und die Überprüfung von „Realitätsverlust“ führte absolut jederzeit reproduzierbar zu selbigem, nämlich zum Absturz des Systems.

  • Wir foutieren diese Regelung einfach
  • Im August 2003 veranlasst der Chef des BAZL (= Bundesamt für Zivilluftfahrt), den Flugbetrieb des Tessiner Flughafens Lugano-Agno aus Sicherheitsgründen empfindlich einzuschränken. Die Tessiner Behörden beschliessen jedoch, die Regelung zu foutieren.
    Oups, was war das denn wieder für ein Wort?

    „Foutieren“ kommt aus dem Französischen, von „foutre„, das wiederum von Latein „futuere“, und das bedeutet eine ganze Menge, was Wörter, die mit „f“ beginnen, in den Europäischen Sprachen eben so alles bedeuten. Unter anderem auch „egal sein“. Wenn der Franzose ausruft „je m’en fous!“ meint er damit: „ist mir doch egal“. Wahrscheinlich haben die Suisse-Totos dies oft genug bei Ihren welschen Nachbarn gehört und daraus abgeleitet: „der foutiert das einfach„.

  • Könnten sie das denn wenigstens goutieren?
  • Bitte nicht verwechseln mit „guillotinieren„, es ist noch so ein Lehnwort aus dem Französischen. „Le goût“ = der Geschmack. „Goûter“ ist eigentlich schmecken. „Le goûter“ ist das „z’Vieri„, der kleine Imbiss am Nachmittag, das süsse Stückchen oder Kuchenteil für die spät von der Schule heimkehrenden französischen Kinder. In Frankreich schmeckt ja nichts, sondern es riecht: „Ca sent bon“ heisst „es riecht gut„, und für „es schmeckt gut“ müsste man „cela a un bon goût“ sagen, es hat einen guten Geschmack. Nicht so in der Schweiz. Da wird alles abgeschmeckt: „Das goutieren wir gleich“. Und wenn es gut schmeckt, hat man „Geschmack daran gefunden“. So ist das Wort zu verstehen: Es wurde begrüsst, oder für gut empfunden, es wurde „goutiert„.

    Interview mit Christoph Blocher vom 25.10.2001 „Die Steuerzahler werden das Crossair-Engagement nicht goutieren„. Der Mann spricht übrigens fliessend Französisch und in allen noch so zu kritisierbaren Parteitagsreden stets Hochdeutsch.

  • Haben Sie auch ein Depot?
  • Um ein Depot zu hinterlassen, muss man in der Schweiz keinen geheimen Stollen graben, um dort seine Waffen oder Konservendosen für den Notfall zu „deponieren“. Es reicht aus, einfach nur ein Pfand zu bezahlen. In Deutschland fährt die Strassenbahn (ja, ich weiss, dass die in der Schweiz „Tram“ heisst) am Abend ins Depot. Und das war’s auch schon, wo die Deutschen dieses Wort verwenden. Sonst bleiben sie lieber bei ihren „Pfänderspielen“ und hinterlassen ein Pfand.
    Le dépôt“ schreibt sich auf Französisch tierisch kompliziert mit zwei Akzenten und hat etliche Bedeutungen:

    das Depot
    dépôt m. [tech.] die Ablage
    dépôt m. die Ablagerung
    dépôt m. das Absetzen
    dépôt m. die Abstellung
    dépôt d’armes das Arsenal
    dépôt m. der Aufbewahrungsort
    dépôt m. der Bodensatz
    dépôt m. das Depositum
    dépôt m. die Einlage
    dépôt m. [admin.] [jur.] die Einreichung
    dépôt m. die Hinterlassung
    dépôt m. die Hinterlegung
    dépôt m. das Lager
    dépôt m. die Lagerhalle
    dépôt m. das Lagerhaus
    dépôt m. der Lagerraum
    dépôt m. die Postablage

  • Heben und nicht lupfen
  • Wenn ein Norddeutscher in den Süden kommt und auf einer Baustelle als Zimmermann zu arbeiten beginnt, muss er einiges dazulernen. „Heb mal den Balken“ heisst nicht, dass er ihn nun hochheben soll, sondern er möge ihn einfach nur festhalten. „Heben, nicht lupfen habe ich gesagt„. Schon kapiert. „Hochheben“ = „lupfen„. Da sind sich für einmal die Schweizer und Süddeutschen einig.

  • Il y a = Es hat noch, solange es etwas gibt
  • Auch bei „geben“ und „haben“ besteht nahe sprachliche Verwandtschaft zwischen der Schweiz und dem süddeutschen Raum. Sie fallen in Norddeutschland sofort auf, wenn sie an der Kaffeetafel die Frage stellen: „Hat’s noch Kaffee?“ Hier wäre „gibt’s noch Kaffee“ angebracht. Natürlich ist die Formulierung „es hat solange es hat“ etwas, dass man nur in der Schweiz und in Süddeutschland zu hören bekommt. Die Konstruktion erinnert an romanische Sprachen, wie im Französischen „Il y a“ (=es davon/dort hat).

    Ehrlich gesagt, wer lange genug im Süden lebt, übernimmt „Es hat noch Kaffee“ total automatisch, denn es ist eine durch und durch praktische Erweiterung des Sprachschatzes, nicht mit „es gibt“ zu vergleichen. Dennoch die Warnung: Sie ernten ein Lächeln, wenn sie „hat’s noch..?“ in Norddeutschland fragen und werden gleich in die Kategorie „Almöhi“ einsortiert.

    Gottfried Kellers „Grüner Heinrich“ — Der Dichter der Züricher Novellen

    Oktober 30th, 2005
  • Gottfried Keller ging nach München
  • Auch Gottfried Keller war eine Zeit lang Auslandsschweizer. Den berühmten Schweizer Schriftsteller zog es aus seiner Heimat fort nach München. Seine Romanfigur, der „Grüne Heinrich“, liess er über den Rhein ebenfalls bis nach München wandern.
    Gottfried Keller(Quelle Wikipedia)
    Es gibt nicht viele Dichter der Deutschen Literatur aus der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts, die heute noch aufgelegt und verkauft werden. Gottfried Keller ist einer von ihnen. Seine Novellen und Romane lesen sich nach wie vor spannend und flüssig. Die Novellensammlung „Leute von Seldwyla“ gehört sicherlich dazu:

    Die Novellensammlung Die Leute von Seldwyla des schweizerischen Autors Gottfried Keller entstand 1855-56 und ist dem poetischen Realismus zuzuordnen. Sie beinhaltet Novellen, deren Handlung in und um die fiktive Kleinstadt Seldwyla situiert ist (Wiki)

  • Bülach ist Seldwyla
  • „Fiktive Kleinstadt“? Die Leute von Bülach im Unterland sind da ganz anderer Meinung. Schliesslich verbrachte Keller einige Zeit in Glattfelden und konnte nur diesen kleinen „glücklichen Ort“ hinter dem Wald gemeint haben, als er seine Novellen schrieb. („Saelde“ = mittelhochdeutsch „Glück und Segen“, „Wyla“ = Weiler, kleiner Ort). Jedenfalls nennt sich eine Theatergruppe in Bülach „Die Spielleute von Seldwyla„.

  • Der grüne Heinrich — Wenn ein Schweizer in Deutschland zu arbeiten anfängt
  • In seinem „Grünen Heinrich“ erzählt uns Keller, wie sein Held Heinrich in München eines Tages so vor die Hunde zu kommen droht, dass er zum äussersten Mittel greift, um zu überleben: Er nimmt eine Arbeit an! Einen Tag lang streicht er gewissenhaft Fahnenstangen an und bekommt am Abend direkt seinen Lohn ausgezahlt. Beinahe hätte er ihn gleich wieder im nächsten Wirtshaus versoffen, doch Heinrich besinnt sich und kauft sich lieber erst Mal etwas zu essen.

    Diese Szene ist eine Schlüsselstelle in der Deutschen Literaturgeschichte. Es endet die Romantik, die Tagträumerei, das sorglose Dahinleben auf Kosten der armen Mutter, und es beginnt der Realismus, die knallharte Realität des Alltags. Zum ersten Mal in der Geschichte der Literatur spielt „Geld“ eine wichtige Rolle in einem Roman, und es war nicht zufällig ein Schweizer, der diesen Roman schrieb.

  • Fehler im Glückwunschtelegramm
  • Ein Ex-Anhänger revolutionärer Vormärz-Literatur beschreibt also, wie ein Taugenichts endlich zu arbeiten anfängt.
    Die Zürcher machten Gottfried Keller zu ihrem Staatsschreiber:

    Am Vorabend seines siebzigsten Geburtstags saß hoch über dem Vierwaldstättersee auf einer Hotelterrasse Gottfried Keller und entdeckte in einem Glückwunschtelegramm, das ihm der Bundesrat geschickt hatte, einen grammatikalischen Fehler. Korrigiert ließ er das Blatt zurückgehen. Dann loderten auf allen Höhen die Feuer auf. Sie feierten ihn, den Staatsdichter, und erinnerten Keller an seine ursprüngliche Absicht, den »Martin Salander« mit einer Brandkatastrophe enden zu lassen. »Sodom und Gomorrha über dieses Goldgrüblein«, hatte er notiert, »Pech und Schwefel über eine Republik, die nur noch ein Basar ist, ein Kapitalistenkontor.«
    Quelle Thomas Hürrlimann

    Im gesamten Werk von Keller finden Sie keinen Helvetismus, und er benennt sogar eine Novellensammlung die „Züricher Novellen„, daher bitte wir um Nachsicht, wenn mal wieder ein Deutscher auf die Idee kommen sollte, „Züricher Geschnetzeltes“ zu bestellen, oder nach dem „Züricher See“ zu fragen, mit „i“. Der Stadtschreiber Keller war dann sein historisches Vorbild.

    Ein anderer Schriftsteller aus der Schweiz, der das Thema „Heimkehr aus Deutschland in die Schweiz“ behandelt hat:

  • Roman „Adalina“ von Silvio Huoander
  • Der Autor erzählt von einem jungen Mann, der lange in Deutschland lebte und nun eines Abends mit dem Zug nach Chur zurückkehrt.

    Adalina – so hieß die Cousine Johannes Maculins, in die er sich mit sechzehn verliebte und die wenig später tragisch verunglückte. Als Johannes nun nach zwanzig Jahren in seine Heimatstadt Chur zurückkehrt, überwältigt ihn die Erinnerung an seine erste Liebe und die dramatische Geschichte einer uneingelösten Schuld wird offenbar. (Quelle)

    Adalina von Silvio Huoander

    Die Schweizer Mahlzeiten — Vergessen Sie nicht das Z‘ davor

    Oktober 29th, 2005
  • Das Frühstück heisst „z’Morge“
  • Die Deutschen frühstücken gern frische Brötchen am Morgen, nur sind sie oft zu faul, sich die beim nächsten Bäcker zu kaufen. Bäcker gibt es übrigens ziemlich dezentral verteilt fast überall in Deutschland. Auf zwei Wohnstrassen kommen in Deutschland meist ein Bäcker, eine Telefonzelle und eine Kneipe (mit Zigarettenautomat). Im Norden gibt es zusätzlich noch die „Büdchen„, das sind kleine Kioske, die keiner Grosskette angehören, wie die Kioske der KIOSK AG (Valora Gruppe) in der Schweiz, sondern in Eigenregie betrieben werden, oft bis spät in die Nacht, und mit einem grossen Angebot an Flaschenbier, Süssigkeiten, Dosenfutter, Kaffeepulver und auch Brötchen am Morgen aufwarten können. Im Prinzip ersetzen sie die alten „Tante Emma Läden„, die in Deutschland leider ausgestorben sind. In den Schlafquartieren der Agglo-Städte von Zürich ist es da schon schwieriger, einen Bäcker in der Nähe zu finden. Also geht man zur nächsten Tanke und kauft in der benzolgeschwängerten Luft lecker krebserregendes Gebäck ein.

  • Wie frühstücken denn die Schweizer?
  • Wie die Franzosen und Spanier. Eher gar nichts, sie warten lieber auf das „z’Nüni„. Dann kaufen sie sich trockenes Croissant, das „Hörnchen„, welches einst die Wiener erfanden, um das Religionssymbol der belagernden Türken vor Wien zu verunglimpfen. Das ist so, als wenn man in den islamischen Ländern nun Gebäck in Kreuzesform verkaufen würde, womöglich mit stilisiertem Herrn Jesus drauf. Doch zum Glück denkt niemand mehr an den Islam, wenn er in ein Hörnchen beisst.
    Wie kam das Ding dann zum Name „Gipfel„? Meine Vermutung: Es gibt viele Berge, die „Horn“ oder „Hörnchen“ im Namen führen. Einst sah ein Schweizer so ein Horn und rief aus: „Das ist doch der Gipfel„, und schon war der Name gefunden. Für die ganz alten 68er unter uns: Es gab auch mal einen Rechtsanwalt der Bader-Meinhof Gruppe, der hiess „Klaus Croissant„. Durch ihn lernten die Deutschen dieses französische Wort erst kennen und waren später beim Frankreichbesuch sehr verwundert, dass bei jedem „Boulanger“ der Terroristen-Anwalt angeboten wurde.

    Manchmal werden in der Schweiz auch die aus den Niederlanden stammenden Siedler Südafrikas, die Bure, zum Frühstück eingeladen, dann gibt es ein „Buure-Z’Morge„. Soll sehr deftig zugehen dort, mit den Gästen. Das „Buure-Z’Morge-Büffet“ ist dann übrigens „währschaft„. Sie kriegen die Gewähr, dass sie schaffen das aufzuessen.

  • Der Gipfel der Schweizer Gemütlichkeit
  • Ich liebe Croissants. Ganz warm und frisch vom Bäcker, mit Butter und Marmelade (zu der der Breitmaulfrosch immer nur „Kon-Fii-Tüüre“ sagte, um nicht vom Storch erkannt zu werden). Ohne alles, einfach so ein trockenes Gipfeli, wie kriegen die Schweizer das nur runter? Mit Kaffee, in der Menge eher wenig, aber dafür stärker gebrannt als in Deutschland. Dünner Filterkaffee, den die Deutschen zum Frühstück und auch sonst den ganzen Tag über literweise saufen, ist für die Schweizer ein Greuel. Sie sollten mal ein „Alte Damen Café“ in Deutschland besuchen, wo mitunter der gefilterte Kaffee in grossen Thermosbehältern über Stunden warmgehalten wird. Da zieht’s einen die Schuhe aus, so wenig Aroma hat der meist noch. Die Schweizer haben ihre Kaffee-Gewohnheiten via West-Schweiz direkt von den Franzosen übernommen. „Gömmer go Käffele“ kommt gleich nach dem „go poschte“ (Vielen Dank an Reidan für die Korrekturvorschläge!).

  • Die kleine Pause am Morgen heisst „Z’Nüni“
  • Das „z’Nüni“ wird pünktlich um 10.00 Uhr zelebriert. Wann denn sonst? Wahrscheinlich wegen der Zeitverschiebung. 10:00 Uhr ist in Wirklichkeit 09:00 Uhr. Auch jetzt gibt es wieder Gipfeli ohne alles aber mit lecker Kaffee. Für viele ist das nun die erste warme Mahlzeit am Tag. Ich würde beim Verlassen des Hauses sofort ins Koma wegen Unterzucker fallen, wenn ich nicht zuvor lange und ausgiebig gefrühstückt hätte.

    Müesli“ essen die Schweizer nicht zum Frühstück, sondern als Snack zu Mittags. Das echte „Bircher Müesli“ ist eine mächtige Angelegenheit, nichts für Leute mit empfindlichen Magen. Hält stundenlang vor.

    Das Schweizer Bircher Müesli ist eine gutschmeckende Art Apfelmus bzw. Sauce mit gezuckerter Kondensmilch, etwas eingeweichten Haferflocken und Zitronensaft. Es ist eine Vollwertdiät, die eher als Abendmahlzeit gedacht war. Der Schweizer Arzt Maximilian Oskar Bircher-Benner hatte um 1900 damit gute Erfolge bei seinen Patienten erziehlt.
    (Quelle)

  • Müsli ungleich Müesli
  • Im Glatt-Einkaufszentrum bei Wallisellen gibt es eine „„Müsli-Burg“ für die Kinder. Die werden nicht etwa mit Riesenportionen Müesli ruhig gestellt, sondern es handelt sich hier um eine „Mäuseburg“. Darum Vorsicht, liebe Deutsche, beim „Müsli-Kauf„: Wenn die Schweizer euch ernst nehmen würden, gäbe es Mäuse zu futtern, und keinen kleinen „Muus“ = „Müesli“. Dazu einfach mal eine kleine Sprechprobe:
    Die Müsli essen gern Müesli“ . Na, klappt das? Die Monophthongierung wurde hier im Süden nicht mitgemacht. Freitag blieb „Friitig“, Hochzeit blieb „Hochziit“. Und die beiden Vokale von „M-a-u-s“ blieben Allemanisch ein einziger, langer Vokal „M-û-s“. Das ist seit Walther von der Vogelweide und der Mittelhochdeutschen Minnelyrik um 1250 im alemannischen Sprachraum immer so geblieben. Da sieht man mal wieder, wie konservativ Sprache sein kann.

  • Das Mittagessen heisst „z’Mittag“
  • Wer im Glattzentrum 20 Minuten vor 12.00 Uhr bestellt kriegt den „Frühesserrabatt“, ähnlich wie der Fernreisende im Reisebüro bei Buchung des Sommerurlaubs im Spätherbst den Frühbucherrabatt einstreichen darf. Die Mittagspause in der Schweiz wird gern lang und gemütlich abgehalten, locker 1 – 1 1/2 Stunden, die Schweizer kennen da keinen Stress. In manchen Behörden werden schon auch mal 2 Stunden draus. Irgendwie muss die 42 Stunden Woche ja voll werden, oder?

  • Das Kaffeetrinken heisst „z’Vieri“
  • „Z’Vieri“ ist in Deutschland schlicht das „Kaffeetrinken“. Aus unserer Zeit im Schwabenland kennen wir hier noch die beliebte Einladung:

    Komme Sie doch nach dem Kaffee, damit sie zum Nachtessen wieder daheim sind!“

  • Z’Nacht
  • Sie fängt früh an, die Nacht in der Schweiz, wenn man schon um 18:30 Uhr „z’Nacht“ zu sich nimmt. Der Lehrer unserer Tochter wollte ihr nicht glauben, dass wir da wirklich „Abendbrot“ zu sagen, und nicht „Nachtessen“ oder „Abendessen“. Ich gebe es zu, das klingt wie „Abendmahl“. Die Deutschen sind schon ein seltsames Volk. Zu so etwas „Abendbrot“ zu sagen und dann in den Ausgang zu gehen: „Mir gönnd go esse„.
    Wir hatten einmal einen spanischen Gast. Er half mir um 23.00 Uhr, kurz vor dem Schlafengehen, beim „Eindecken“ der Tafel für das Frühstück am nächsten Morgen. Als alles fertig war, schaute er mich verwundert an: „Wie, gibt es jetzt nix zu essen?“ Für ihn war dies die normale Uhrzeit, das Abendessen einzunehmen. Andere Länder, andere Sitten. Als Tourist kriegt man in Madrid immer spielend leicht einen Tisch um 19.00 Uhr in jedem Restaurant, denn die Spanier essen sehr spät. Gibt’s da auch den Ganzspätesserrabatt?

    Wer verlässt schon freiwillig die Schweiz? — Die Auslandsschweizer

    Oktober 28th, 2005
  • Der Weg der Schweiz endet bei den Auslandsschweizern
  • Rund um den Urner See, bei der Rütli-Wiese beginnend, führt der Wanderweg „Der Weg der Schweiz„.
    Blick auf das Rütli und auf Brunnen
    Ausdauernde Wanderer schaffen die 36 Km an einem Tag. Der Weg wurde 1991 zum 700. Jubiläum der Schweiz durchgängig markiert. Gemäss seiner Einwohnerzahl ist jedem der 26 Kantone ein entsprechend langes Stück Weg zugeteilt worden, und die einzelnen Abschnitte reihen sich chronologisch aneinander, je nach Beitritt des jeweiligen Kantons in den Bund. „Zürich“ zieht sich kilometerlang hin, während beispielsweise „Appenzell-Innerrhoden“ (warum muss ich bei diesem Kanton nur immer an die Heilkunst der Urologie denken?) in wenigen Schritten durcheilt wird.

    Am Ende des Weges, am Rande der Gemeinde Brunnen, finden wir den „Platz der Auslandschweizern„. Ist das eine Gedenkstätte für die Ausländer in der Schweiz? Nein, weit gefehlt! Hier wird der armen Schweizer gedacht, die permanent nicht in ihrer schönen Heimat leben können! Irgendwie machen die sich ja schon verdächtig, warum sie dies freiwillig und für eine längere Zeit tun. Es sind gar nicht so wenige. Die Schweiz war viele Jahrhunderte lang eine Nation von Auswanderern.

    Eine starke Emigrationsbewegung ereignete sich nach dem Dreißigjährigen Krieg, als Arbeitsemigranten aus der übervölkerten Schweiz (vor allem aus den Kantonen Thurgau, Zürich und St. Gallen) und aus Vorarlberg in den zerstörten, teilweise menschenleeren Gegenden Südwestdeutschlands ansässig wurden und halfen, das verwüstete Land wieder empor zu bringen. (Wiki)

    Ist es nicht interessant, wie sich geschichtliche Vorgänge wiederholen, mit umgekehrtem Vorzeichen? Heute ziehen Deutsche in die Schweiz und helfen, sie wieder empor zu bringen.

    Wenn ein Schweizer in Deutschland Karriere macht, kommt über kurz oder lang ein Schweizer Fernsehnteam zu ihm und fragt ihn aus. Nein, das „Chochichästli“ müssen sie dann nicht laut vorsprechen, diesen Test haben die Schweizer Reporter nur für die Rolling Stones und andere Ausländer bereit, aber eine andere Frage wird dann ziemlich regelmässig gestellt: „Sehen die Deutschen Sie denn hier als Kuhschweizer?„.

    Wir können Euch versichern, liebe Schweizer, die meisten Deutschen kennen die Bezeichnung „Kuhschweizer“ überhaupt nicht und würden nie auf die Idee kommen, einen Eidgenossen so zu bezeichnen. Wir lieben doch die Schweizer, warum sollten wir sie so grob beleidigen wollen? Wir kennen die „Kuhglocken“ als Symbol für die Schweiz, aber mit Schweizern würden wir so etwas Freundliches und Gutmütiges wie eine Kuh nicht verbinden. Es muss Teil des Schweizer Traumas in Deutschland sein, diese Frage nach dem „Kuhschweizer“ Vorwurf jeden Schweizer in Deutschland zu stellen.

  • Bruno Ganz
  • Bekannt geworden ist dieser Schweizer Schauspieler für ein internationales Filmpublikum durch seine Mitwirkung in Wim Wenders Filmen wie „Der amerikanische Freund“ und „Der Himmel über Berlin“ (1987) der auf Französisch mit „Les ailes du désirs“ (frei: „Die Schwingen der Sehnsucht/des Verlangens“) übersetzt wurde. Das der Himmel über Berlin damals nicht durch die Mauer geteilt war, wie der Rest der Stadt, soviel politische Ortskenntnis hatte man den Franzosen nicht zugetraut. Mir war lange nicht bewusst, das Bruno Ganz ein Schweizer ist. Auf Schweizerdeutsch sprechen hören habe ich ihn zum ersten Mal im Schweizer Fernsehen.

    Zuletzt spielte er in „Der Untergang“ niemand anderen als Adolf Hitler. Diese glänzende Vorstellung kommentierte der Comedian Michael Mittermaier:

    Stellt euch vor, da spielt ein Schweizer einen österreichischen Diktator in Deutschland


    Wenn das nicht eine länderübergreifende Leistung war!

  • Lilo Pulver
  • Diese „ulkige Nudel“ des deutschen Films, in Klassikern wie „123“ von Billy Wilder auf dem Tisch tanzend, und in späteren Jahren in der Deutschen Fassung der Sesamstrasse neben Henning Venske immer noch brillant, kommt aus der Schweiz. Zu ihrem 75. Geburtstag wurde sie im Schweizer Fernsehen interviewt, und siehe da, die sonst nur Hochdeutsch sprechende Ikone des Erziehungsfernsehens spricht perfekt Schweizerdeutsch!

  • Ex „heute Sprecher“ Alexander Niemitz
  • Ein eher unbekannter Schweizer im Deutschen Fernsehen. Machte vor kurzem von sich reden, weil er sich in einem Interview mit der Sonntagszeitung darüber äusserte, warum Roger Schawinsky (noch ein berühmter Auslandsschweizer!) die Leitung des Sender SAT1 angetragen bekommen habe. Der kaum verhohlene und bei Nachfragen bestätigte anti-semitische Beigeschmack der Äusserung sorgte für ziemliches Aufsehen. Er arbeitet jetzt freiberuflich als Sprech- und Präsentationstrainer und hat zuletzt Angela Merkel für ihre TV-Duellen mit Gerhard Schröder im „Mundwinkel-Obenlassen“ trainiert. (Quelle)

  • Marco Rima
  • Hat es geschafft, in Deutschland zumindest den Bekanntheitsgrad von Emil Steinberger zu erreichen. Durch seine Auftritte in der Wochenshow am späten Samstagabend wurde er einem grossen Publikum bekannt. Dass er Schweizer ist, merkte man nicht gleich, aber zum Glück gab es da auch einige wunderbare Szenen mit Anke Engelke, in der er „gemässigtes Schwyzerdütsch“ von sich gab.

  • Josef Ackermann
  • Chef der Deutschen Bank, ein Schweizer aus Mels. Zitat dazu aus Wikipedia:

    Sein öffentliches Ansehen wurde durch die Mannesmann-Affäre und sein, von manchen Seiten als arrogant angesehenes, Auftreten im Zuge einer Mitarbeiterentlassung schwer beschädigt

    Wir haben hier also den äusserst seltenen Fall vorliegen, dass einmal ein Schweizer als „arrogant“ angesehen wird, ein Privileg, dass doch sonst immer nur Deutschen vorbehalten ist, oder habe ich da was falsch verstanden? Wir können die Schweizer beruhigen: Die wenigsten Deutschen haben im Bewusstsein, dass Ackermann aus der Schweiz ist. Also keine Gefahr der „Übertragung“ angesagt.

  • Die Auslandsschweizer in der Statistik
  • Die restlichen Auslandschweizer in Deutschland wollen wir uns für heute schenken. Es geht ihnen gut und sie sind wohl organisiert. Allein in Hamburg leben über tausend Schweizer. In ganz Deutschland sind es ca. 70.455, weltweit kommen sie auf 623.057 (Stand Dezember 2004). Ich stelle fest: es leben nur 3 Mal soviele Deutsche in der Schweiz wie Schweizer in Deutschland, obwohl Deutschland mehr als 10 Mal soviele Einwohner hat als die Schweiz.
    Die Auslandsschweizer gelten als die „fünfte Schweiz“ und haben ihre eigene Organisation ASO.

    Sorge heben und nicht sorgen — Biotope durch Stangen schützen — Aldi Suisse

    Oktober 27th, 2005

    In der Schweiz sorgt man sich nicht, sondern man „hebt Sorge“.
    „Heb Sorg zum Land“
    „Heb sorg zum Material“
    „heb sorg zue Dr“ oder „heb sorg zuädr“ (was kommt hier aus welchem Kanton?)
    Heb Sorg zum alte Porzellan, heb sorg zum junge Glück. (Merke die Verschriftungsregel: „Grosse Sorgen“ werden gross geschrieben, „kleine sorgen“ eher klein)

    Es wird viel Sorge gehoben in der Schweiz, die Deutschen tragen die Sorge lieber dumm rum, statt sie zu heben. Oder sie sorgen sich ganz einfach so.
    Wir heben die Sorge auch dem Strom
    In unserem Keller fanden wir dieses Schild, das uns daran erinnert „au em Strom“ Sorge zu heben. Heisst das „au“ hier nun „auf“ oder „auch„? Knifflig, knifflig, dieses Schweizerdeutsch. Wenn es vielleicht sowohl für „auch“ als auch für „auf“ steht, das „au„, was hiesse dann „auch auf„? Vielleicht „au au„? Es gibt noch viel zu lernen in diesem Land!

    So auch zur Natur: „Heb Sorg zur Natuir“! (Quelle)

    In Bülach wird dieses Motto sehr ernst genommen. Mitten in zentraler Lage, neben einer Kreuzung gelegen, wird seit vielen Jahren die Natur gepflegt.

  • Biotope mitten in Bülach
  • Damit den Tieren, die dieses wunderbare Refugium nutzen, kein Leid geschieht durch Boswichte (die in der Schweiz übrigens meistens „Nachtbuben“ heissen, weil sie meist in der Nacht unterwegs und männlich sind), ist das Gebiet weitläufig eingezäunt. Ein altes Holzhaus wird als Nistplatz für Fledermäuse und Vögel gleich mit eingezäunt.
    Biotope in der Stadt Bülach

    Hier sagen sich Fuchs und Hase gute Nacht. Kein Witz, ich habe schon ein paar Mal spät abends hier Füchse verschwinden sehen. Die „Stadtfüchse“ der Agglomeration Zürich sind gewiefte Gesellen. Sie haben sich perfekt an die Nähe des Menschen angepasst. In unserem ersten Jahr hier haben sie uns immer die Schuhe vom Gartensitzplatz weggeschleppt, bzw. den Käsekuchen vom Gartentisch weggefuttert. Seitdem wir einen Hund haben, hat das nachgelassen.

  • Hinweise für Zugvögel
  • Damit auch vorbeifliegende Wildvögel darauf aufmerksam werden, dass hier ein Biotop seit vielen Jahren liebevoll für sie abgesperrt gehalten wird, hat man grosse Stangen, die weit hinauf in den Himmel ragen, hier aufgestellt.
    Stangen für die Zugvögel

    Oder haben wir da etwas falsch verstanden?
    Stangen für die Zugvögel

    In Bülach neben dem Parkplatz vom Sonnenhof ging man sogar soweit, ein tiefes Loch zu buddeln, wahrscheinlich um einen Teich anzulegen. Das Loch wurde dann monatelang durch einen Zaun geschützt, dann wurde es wieder zugeschüttet. Was war passiert? „Rekurs“ wurde eingelegt, zu Deutsch „Rücklauf, Beschwerde“, ein Anwohner hatte sich beschwert, denn das ist der tatsächliche Grund für diese Stangen-Aufstellerei.

    Stangen für den Nachbarn

    Will jemand etwas bauen, muss er zunächst für alle Anwohner deutlich mit den Projektstangen zeigen, wo die späteren Eckpunkte und Giebelkanten seines Bauvorhabens liegen. Der Nachbar kann sich so messerscharf ausrechnen, ob er noch genug Sonne haben wird oder ihm die Aussicht auf Unterländer Landschaft im Nebel verbaut wird.

  • Schweizer Kampfrituale
  • Es schrieb uns der Blogwiese Leser Schenker zu den Projektstangen:

    Ähnliche, meistens vier solcher Masten aus Holz oder Aluminium wie der abgebildete Galgen stehen im Viereck aufgestellt auf offenen, meist grünen Wiesen. Diese werden zu besonders typischen Schweizer Kampfritualen gebraucht. Damit wird angezeigt, welches Territorium der Landwirtschaft aberobert werden soll, um es dem sich erfolgreich verbreitenden Wohnraum zuzuführen. Benachbarte Anwohner können dieses Projekt allerdings auch bekämpfen, falls ihre Lebensqualität beeinträchtigt würde.

  • Nichts geht mehr: Das Verbandseinspracherecht in der Schweiz.

  • Eine besondere Rolle bei vielen Bauvorhaben in der Schweiz spielt das „Verbandseinspracherecht“. So gelingt es dem Verkehrsclub Schweiz, kurz VCS, immer wieder, bei grossen Bauprojekten durch sein Einspracherecht die Entwicklung der Projekte zeitlich zu verzögern. Seit Jahren werden Versuche unternommen, dieses Einspracherecht einzudämmern oder ganz zu unterdrücken, bisher immer ohne Erfolg. Die Umweltverbände können nur dann eine „Umweltverträglichkeitsprüfung“ beantragen, wenn die verbaute Fläche über 5000 Quadratmeter beträgt.

  • Aldi jetzt auch in der Schweiz
  • So konnte es geschehen, dass die Deutsche Aldi-Kette ab dem 26.10.05 gleich an vier Orten in der Schweiz ihre Geschäfte eröffnet. Einsprache war nicht möglich, denn die bebauten Grundstücke benötigen nur 900 Quadratmeter (Tagesanzeiger vom 23.10.05).
    Aldi-Deutschland erstattet übrigens keine Mehrwertsteuer, wenn man die Waren beim Zoll als „Ausfuhr“ deklariert. Ob Aldi-Schweiz das einführen wird? Das fände ich klasse, denn dann könnten die Deutschen in die Schweiz zu Aldi fahren und sich bei der Ausreise die „Ausfuhr“ bestätigen lassen, und kämen so zu ca. 7 % billigeren Einkäufen. Die ganze Lebensmittelbranche der Schweiz starrt seit Monaten auf diese Aldi-Neuöffnung wie die Maus auf die Schlange.

  • Tabufrage „Waren Sie schon mal bei Aldi?“
  • Es gehört zum guten Ton in der Schweiz, diese Frage einem Schweizer nicht zu stellen. Sie kommt gleich nach den anderen Tabufragen:
    „Glauben Sie an Gott?“,
    „Wie viel verdienen Sie eigentlich?“
    und
    „Ist das Ihre Socke dort, die ich in der Waschküche gefunden habe?“

    Ich möchte anfangen, diese Statements zu sammeln. Wer mir nicht alles schon bestätigt hat, dass er noch nie bei Aldi war! Denn wer outet sich schon gern als Vaterlandsverräter?