Der Tunnel mitten in der Ebene

September 30th, 2005

Der Tunnel von Emmi
Fährt man von Zürich nach Bern über die Autobahn, so kommt man auf halber Strecke im flachem Gelände an einem merkwürdigen Bauwerk vorbei. Zwischen der schnurgerade Autobahn und einem Industriegebiet erhebt sich plötzlich ein 300 Meter langer oberirdischer Eisenbahntunnel, einfach so in die Landschaft gebaut, eine lange Röhre, durch den die Züge, aber nicht die Autobahn, geleitet werden.

Das ungewöhnliche Tunnelstück wirft interessante Fragen und Theorien auf:

  • Haben die Schweizer nicht genug Berge, dass sie jetzt schon Tunnel im Flachland bauen müssen?
  • Ist hier eine Ingenieursschule für den Tunnelbau und durften die Studenten einen Übungsbau errichten?
  • Ist das der Anfang der schon einmal geplanten „Tube-Suisse“, der unterirdischen Schnellbahn zwischen den Zentren Zürich, Basel und Bern?
  • Auffällig ist die unmittelbare Nähe einer Firma: Das Emmi-Käsezentrum (gehört zur Coop Gruppe) befindet sich keine 11 Meter vom Bahndamm entfernt, und darin birgt sich auch die Erklärung für den Tunnel: Es ist ein Schutzwall für den fein versprühten Fäkaliendreck der vorbeifahrenden Züge. Billiger, als alle Züge mit geschlossenen Chemieklos auszurüsten, war es wohl, diesen Tunnel in die Landschaft zu stellen. Auf gut Deutsch: Es ist ein Kacktunnel!
    Die lebenden Kulturen, die bei der Käseproduktion von Coop benötigt werden, sind sehr empfindlich gegen jede Verunreinigung. Hier wird von Emmi der Emmentaler Käse produziert.

    Der Emmi-Tunnel mitten in der Landschaft

    Warum wurde nicht ein anderer Standort genommen? Soviel Platz in den wenigen Ebenen der Schweiz gibt es nicht, und der Ort ist extrem verkehrsgünstig gelegen. Wenn da nicht der Notdurft-Drang der Reisenden wäre, sich kurz vor Bern noch einmal zu erleichtern.

    Für das Ding gibt es natürlich auch eine eisenbahnrechtliche Plangenehmigung:

    2. Mikrobielle Immissionen auf einen unmittelbar an die Bahnstrecke angrenzenden Lebensmittelbetrieb durch den Bahnverkehr (offene Toilettensysteme, Aufwirbelung von Bodenstaub):
    (…)
    – Ergibt sich aus gutachtlichen Erhebungen nicht mit Klarheit, ob der Bahnbetrieb zu unhaltbaren mikrobiellen Immissionen führen könnte, sind die gutachtlichen Feststellungen mit Blick auf allfällig zu treffende Vorkehren am Betriebsgebäude oder an der Bahnstrecke durch den Experten präzisieren zu lassen (E. 6d).
    (…)
    Im Käsezentrum werden von der Coop Schweiz verschiedene Halbhart- und Hartkäse gelagert, gepflegt und zur Reife gebracht; weiter wird das gesamte Käsesortiment der Coop-Gruppe einschliesslich der Exportware
    zwischengelagert. Weil die Coop Schweiz durch den Betrieb der geplanten Neubaustrecke eine massive Beeinträchtigung des Käsezentrums befürchtet, erhob sie gegen das Bahnprojekt Einsprache.

    Einsprache heisst auf Schweizerdeutsch übrigens „Rekurs„, und es gibt nichts was ein Schweizer Unternehmen mehr fürchtet, als einen solchen Hemmschuh. Da wird dann auch schon mal ein Tunnel gebaut.

    Der Emmi-Tunnel hat es sogar in die Comedy Arena von „Genial Daneben“ auf SAT1 geschafft. Das Rateteam war nach einigen wilden Spekulationen in der Lage, die Lösung des Geheimnisses selbst herauszufinden und der Einsender der Frage konnte keine 500 Euro kassieren.

    Hochdonn Brücker über den Nord-Ostsee Kanal
    Eine Brückenfahrt ohne Toilettengang
    In Norddeutschland, auf dem Weg von Hamburg nach Sylt, werden von den Zugschaffnern während der Überquerung des Nord-Ostsee-Kanals alle Toiletten sorgsam von aussen versperrt. Was ist der Grund, dass die Reisenden im Zug ca. 15 Minuten lang keine Toilette aufsuchen können?

    Ein Autohändler, der tief unten unter dem Viadukt seine Neuwagen ausstellt, hatte keine Lust mehr, jeden Tag seine Wagen vom Fäkaliendreck zu reinigen und konnte die Bahn erfolgreich per Gericht dazu verdonnern, diese Beschmutzung von oben zu unterlassen. Sollte man der Bahn hier nicht auch den Bau eines Tunnels anempfehlen? Schweizer Ingenieurskunst wäre dazu sicherlich in der Lage.
    Die Brücke mitten in der flachen Landschaft wurde deswegen so hoch gebaut, damit die hohen Kreuzfahrtschiffe und die Segelschiffe mit den hohen Masten bei der Befahrung des Kanals ohne Problem drunter durch passen.

    Was lernen wir aus diesen Geschichten? Esse nie Gemüse aus einem Kleingarten, der direkt an einer Bahnlinie liegt! Auch wenn das Zeug noch so verdammt gut zu gedeihen scheint.

    Nationalfeiertag 1. August und 3. Oktober Tag der Deutschen Einheit

    September 29th, 2005
  • Tag der deutschen Einheit am 17. Juni
  • Von 1954 bis 1989 feierten die Deutschen ihren „Tag der Deutschen Einheit“ immer am 17. Juni, in Gedenken an den Volksaufstand von 1953 in der DDR. Wie lief das ab? Tagsüber ein Ausflug ins Grüne, dann ab in den Biergarten, denn es war ja Sommer und selbst die Pfarrer hatten dienstfrei. Abends dann wurden Kerzen ins Fenster gestellt, zum Gedenken an die „Brüder und Schwestern im Osten“. In der Schule wurde uns immer vom tragisch-dramatische Anlass für diesen Feiertag erzählt, aber am 17. Juni selbst interessierte das niemanden mehr, solange der Himmel blau und die Luft lau war.

  • Die wahre Fussball-Einheit
  • Dann kam die Wende, und kurz darauf gewann Deutschland die Fussballweltmeisterschaft von 1990. Das war die wahre Wiedervereinigung, denn in Ost und West strömte alles zum Autokorso auf die Strassen, um zu feiern. Die Brasilianer in Zürich taten dies nach dem Sieg über Deutschland beim WM-Endspiel 2002 gegen Deutschland ebenfalls.

    Was wäre passiert, wenn 2002 auch Deutschland gewonnen hätte? Wären die 16.000 Deutschen in Zürich auf die Strasse gegangen und hätten einen Autokorso veranstaltet? Ich glaube kaum. Wir sind ein höfliches und äusserst bescheidenes Volk und halten uns lieber zurück im Ausland. „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“, das ist nur noch verstaubte Nazi-Propaganda. Ausser wenn es um die Plätze am Hotel-Swimmingpool auf Mallorca geht. Da gilt es, jeden Quadratzentimeter vor den Briten zu verteidigen. Wer zuerst kommt, der legt’s Handtuch zuerst. So einfach ist das mit dem Raumgewinn.
    Zumal die Schweizer im Sommer 2002 zu Brasilien hielten, und nicht für die „Sprachbrüder“ im Norden waren, ist doch selbstverständlich. Unsere Tochter war schockiert, als ihr plötzlich der unverhohlene Anti-Deutsche-Wind in ihrer schweizer Primarschulklasse ins Gesicht wehte und sie als einzige vor dem Match gegen Brasilien den deutschen Spielern die Daumen drückte.

  • Kein Gesang beim Tag der deutschen Einheit am 3. Oktober 1990
  • Im Jahr 1990 wurde der deutsche Nationalfeiertag zweimal begangen: Am 17. Juni und am 3. Oktober. Wir zogen, wie bei der gewonnenen Weltmeisterschaft gelernt, wiederum kurz vor Mitternacht in die Innenstadt von Freiburg im Breisgau und warteten auf das grosse Event, wenn Deutschland endlich „ein einig Vaterland“ wird. Doch nichts geschah. Koitus interruptus. Kein Autokorso, kein Gesang, nicht mal eine klitzekleine Parteiveranstaltung der örtlichen CDU. Die Post ging einzig in Berlin am Brandenburger Tor ab, mit Sylvesterfeuerwerk und Menschenmassen auf den Resten der damals noch existierenden Mauer.

  • Kantönligeist und Ländersache
  • Mittlerweile wird in Deutschland darüber nachgedacht, diesen Feiertag wieder abzuschaffen, zum einen aus Kostengründen, und zum anderen ist es eh meist zu kalt für den Biergarten. Neben dem 1. Mai ist das der einzige Feiertag, über den der Bundestag bestimmen kann. Alle anderen Feiertage sind Ländersache.
    Wir haben ihn auch in Deutschland, den berühmten „Kantönligeist“ der Schweizer. Bei uns heisst das: „Näheres regelt ein Ländergesetz„. Als der Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl zu Beginn des Internetbooms einmal gefragt wurde, wie er sich denn den Ausbau der Datenautobahnen vorstelle, antwortete er lakonisch: „Autobahnbau ist Ländersache„, also nicht Angelegenheit eines Bundeskanzlers.

  • Der 1. August in der Schweiz — vom halben zum ganzen Feiertag
  • Der 1. August ist ein nationaler Feiertag, allerdings haben die Schweizer nur etwas davon, wenn er auf einen Wochentag fällt, sonst fällt er aus. Viele Jahrzehnte war es nur ein halber Feiertag, d. h. bis zum Mittag wurde gearbeitet. Bei der 700-Jahrfeier 1991 haben sich dann die Schweizer den zweiten halben Feiertag gegönnt. Geplant ist, diese Grosszügigkeit im Jahre 2291 bei der Tausend-Jahr-Feier mit einem weiteren halben Feiertag mächtig auszuweiten.

    Zum 1. August gehört das Absingen der Schweizer Hymne. Damit da nix schiefgeht, wird sie ein paar Tage vorher jedem Haushalt per Postwurfsendung zugeschickt, natürlich in den vier Landessprachen. „Bitte zur Feier mitbringen“ steht auf dem Papier. Wir lernen die Schweizer Hymne (d. h. wir brummen so wie alle irgend etwas mit. Den ganzen Text kann hier niemand richtig) und kaufen Fähnchen mit Kreuz darauf. Alles ist mit Fähnchen geschmückt. Es gibt in der Schweiz kaum einen Gegenstand, den man nicht mit einem Schweizerkreuz verziert käuflich erwerben kann: Trinkbecher, T-Shirts, Socken, nur Toilettenpapier habe ich noch keins entdeckt. Wer würde auch sowas kaufen wollen?

  • Sylvesterknallerei von Juli bis August
  • Vor der Migros gibt es Raketen und Böller wie in Deutschland an Sylvester zu kaufen, und zwar schon ein paar Tage davor. Was dazu führt, dass man von Ende Juli bis Mitte August gelegentlich ein Böller in der Nachbarschaft hochgehen hört und unser Hund ernsthaft davon überzeugt ist, dass der Krieg wieder ausgebrochen ist und wir nicht ganz bei Trost sein können, bei solch einer Schiesserei auch noch spazieren gehen zu wollen. Er verkriecht sich dann lieber unters Bett.
    Anton unterm Bett wenn es knallt

    Die Schweizer feiern diesen Tag daheim, ein jeder macht sein Privatfeuerwerk. Wir feiern mit den Nachbarn ein rauschendes Fest im Garten, mit selbstgebastelten Krachern und Raketen vom Nachbarsjungen „Da-Benny“. Die Kinder haben einen Riesenspass. Manch eine selbstgebaute Rakete startet in der Waagerechten, was die Aufregung der Zuschauer noch steigert.

  • Die Schweizer sind schon auf den Bergen
  • Tagsüber machen wir einen Ausflug an den Vierwaldstättersee. Warum sind die Strassen so leer? Warum sind die Parkplätze an den Bergbahnen so voll? Die Schweizer sind schon oben, sie hocken auf den Gipfeln und warten auf den Sonnenuntergang. Dann gibt es grosse Feuer auf allen Gipfeln, die Höhenfeuer, und am Mythen wird ein überdimensionales Schweizer-Kreuz aus Strohfackeln in Brand gesetzt.
    Schweizerkreuz und Mythenkreuz

    Oberhalb vom Vierwaldstättersee entrollen mutige Bergsteiger eine Schweizerkreuz-Fahne in 20 x 20 m Grösse an einer Felswand. Die Aufhäng-Action wird live im TV übertragen.

  • Nazi Gegröle auf dem Rütli
  • Zu jedem 1. August in der Schweiz gehört auch das Ritual, zur Rütliwiese zu fahren und sich dort von an anwesenden Rechtsradikalen tüchtig die Laune verderben zu lassen. Jedes Jahr werden es mehr, und jedes Jahr herrscht grosse Empörung darüber, wie das Nazi-Gegröle und der Hitlergruss doch als störend empfunden werden. Verboten werden diese Aufmärsche dort nicht, denn das Rütli ist das nationale Heiligtum der Schweiz, und da darf jeder hin.
    Auf dem Ruetli am 1. August

    Führerausweis ohne Führer

    September 28th, 2005
  • Der Lappen von der Kirmes
  • Der Schweizer „Führerausweis“ heisst in Deutschland kurz der „Führerschein„, denn merke: Der Schein trügt! Mitunter kann man sich „den Lappen“ (Jugendjargon ) auch auf einem Jahrmarkt (Schweizerdeutsch „Chilbi“) auf einem Schiessstand (in Deutschland nur mit Luftgewehr!) selbst schiessen. Daher kommt auch die spöttische Bemerkung, wenn jemand einen äusserst schlechten Fahrstil hat. „Hast Deinen Führerschein wohl vom Jahrmarkt, oder was?“
    Ein grosser alter Führerausweis

  • In der DDR war der Führer abgeschafft
  • Führerausweis“ lässt einen Deutschen unwillkürlich stramm stehen, das Wort erinnert doch sehr an „Führerhauptquartier“ oder „Führer befiehlt — wir folgen„, und ausnahmsweise ist es mal länger als das deutsche Gegenstück „Führerschein“.

    Hat ganz Deutschland das Ding so genannt? Nein, natürlich nicht, denn in der DDR war der Führer bekanntlich abgeschafft. Das Wort wurde ersetzt, so hiessen bestimmte Leute in Berlin offiziell die „Stadtbildzeiger„, weil sie nicht mehr als Fremden-Führer arbeiten konnten, und der Lappen hiess einfach die „Fahrerlaubnis„, womit das Führerproblem elegant umgangen werden konnte. Wobei den Jungs im Osten noch lange nicht erlaubt war hinzufahren, wohin sie wollten, trotz Fahrerlaubnis.

  • Die Nazi
  • Es gibt noch andere Worte, bei denen ein Deutscher unwillkürlich zusammenzuckt, so z. B. wenn die Schweizer immer wieder von „die Nazi“ reden. Sie meinen damit jedoch keine Nationalsozialistische Partei, sondern ihre „Nationalmannschaft„, ist echt wahr!

  • Vorbelastete Wörter
  • Weiterer Wörter, die bei mir als Deutscher in der Schweiz eine ganze Reihe von Assoziationen und Konnotationen auslösen: Fahre ich mit einem Fahrstuhl und lese das Typenschild des Herstellers „Schindlers Lifte“, muss ich sofort an den Film von Steven Spielberg über den Deutschen Judenretter Oskar Schindler und seine Liste denken.

    Höre ich auf dem Zürcher Hauptbahnhof die Lautsprecherdurchsage „Sie haben Anschluss“, dann fällt mir ein, dass die Deutsche Bahn gleich nach der Privatisierung den Anschluss abgeschafft hat. Es gibt in Deutschland keinen Anschluss mehr, der ist ersetzt worden durch „die Reisemöglichkeit“. Nur noch im Potentialis, in der Möglichkeitsform wird gesprochen, wenn sie irgendwo ankommen und ihr nächster Zug ist gerade abgefahren. Suchst Du den Anschluss, dann geh doch nach Österreich, die haben da auch genug von.

    Es finden sich weitere Beispiele. So heissen die internationalen „Workcamps„, die jeden Sommer in vielen Ländern Europas stattfinden und von zahlreichen Jugendlichen besucht werden, auf Französisch „Chantier“ und auf Deutsch verschüchtert „Aufbaulager„, denn die eigentliche Übersetzung „Arbeitslager“ ist nicht mehr verwendbar.

  • Keinen TÜV beim Strassenverkehrsamt
  • Unser Auto hatten ich erst einige Wochen nach dem Umzug in die Schweiz umgemeldet. Die Grenzer wurden von mal zu mal unfreundlicher, wenn wir mit Schweizer Wohnsitz und deutschem Kennzeichnen nach Jeststetten „go postschte“ gingen. Irgendwie total illegal, ein Auto in Deutschland gemeldet zu haben, ohne dort zu wohnen.
    Zuvor musste ich den Wagen beim Strassenverkehrsamt in Zürich vorführen, denn einen TÜV gibt es nicht in der Schweiz . Der linke Scheinwerfer war um 8 mm zu tief eingestellt, erfahre ich vom untersuchenden eidgenössischen Ingenieur nach einstündiger eingehender Prüfung unseres Neuwagens, der erst zwei Monaten zuvor in Deutschland mit zwei Jahren TÜV zugelassen worden war. Upps, da müssen die deutschen TÜV-Ingenieure wohl etwas übersehen haben! Also musste ich durch die Stadt zu meiner Werkstatt brausen und das richten lassen. Völlig umsonst, denn nach einer Stunde Rückfahrt wurde die erfolgte Korrektur nicht einmal mehr begutachtet.

    Meine Kollegen amüsierten sich über meine Folgsamkeit: „Du warst nicht beim Schweizer Militär, da hättest Du gelernt, dass Du am besten einfach auf den Parkplatz gefahren und dort zwei Stunden gewartet hättest, um dann den Wagen direkt nochmals vorzufahren.“ So geht das also, muss ich merken für die nächste Vorführung.

    Ein paar Wochen später haben wir auch unsere Führerscheine umschreiben lassen. Jetzt haben wir „Führerausweise“. Die alten Ausweise werden, wie zuvor schon die Autokennzeichnen, einkassiert und an die deutschen Behörden zurück überstellt. Das sei so üblich. Man will sich ja nicht am Eigentum des befreundeten Auslands bereichern. Für das Einpacken und Zurückschicken der alten Kennzeichnen werden sage und schreibe 120 CHF Gebühr verlangt. Ein teurer Päckchendienst ist das hier!

  • Führerausweis C1 — Permiss dar manischar
  • Zwei Jahre später werde ich vom Zürcher Strassenverkehrsamt erneut angeschrieben: Ich soll mich einer Kontrolluntersuchung bei einem Arzt unterziehen. Dieser muss auf einem Formblatt eintragen, ob ich Einstichstellen habe, oder ein „auffälliges Nasenseptum“ (= Koksnase), oder ein Leber-Stigmata (=“Säuferleber“).

    Besonders Wert wird auf die Untersuchung der Psyche gelegt: „Stimmung, Affekt, Aufmerksamkeit, Konzentration, Gedankengänge, Gedankeninhalte und Gedächtnis“ sollen vom Arzt bei mir untersucht und beschrieben werden. Besonders freute ich mich auf die Untersuchung der Gedankeninhalte…

    Was war der Grund? Meine Deutscher Führerschein Klasse III wurde zu einem C1 in der Schweiz umgeschrieben, wodurch ich die Berechtigung habe, PKW über 3.500 KG zu fahren (in Deutschland nur bis 2800 KG), somit auch Kleinbusse etc., aber definitiv noch keine Panzer. Will ich diese Bewilligung behalten, muss ich zur Untersuchung. Seit März 2003 gibt es diese Regelung, und nach und nach wird es alle Deutsche mit umgeschriebenen Führerausweis in der Schweiz erwischen!
    Neuer C1 Führerausweis
    Das rätoromanische „Permiss dar manischar“ klingt meiner Meinung nach eher nach einer Erlaubnis zum Essen. Sind die sicher, dass da nicht ein Irrtum vorliegt und das hier als Mensa-Ausweis gilt?

    Sturmgeläut um 6.00 Uhr früh — Die Kirchen in der Schweiz

    September 27th, 2005
  • Sturmgeläut um 6.00 Uhr früh
  • Unsere erste Nacht in der Schweiz endete abrupt um 6.00 Uhr in der Früh. Es war ein Werktag und wir fielen fast aus den Betten, weil die Kirchenglocken Sturm läuteten.

    Was war passiert? War der dritte Weltkrieg ausgebrochen? Mussten wir nun umgehend den Atomschutzkeller aufsuchen, die Notbetten aufbauen und die manuelle Entlüftung in Betrieb nehmen? Oder war das nur ein Alarm der lokalen freiwilligen Feuerwehr, weil wieder ein alter Holzschuppen „heiss“ abgerissen wurde? (Was in der Schweiz, nebenbei gesagt, häufig zu passieren scheint. Beim dritten Zeitungsartikel über so einen Vorfall habe ich aufgehört zu zählen…)
    Glockenläuten um 6.00 Uhr früh
    Bedrohliches liegt in der Luft, die Glocken läuten und läuten, mindestens 5 Minuten lang. Dabei ist doch die Schweiz ein reformiertes Land, ohne dem üblichen frühmorgendlichen Geläut, mit dem in katholischen Gegenden die Gläubigen zur Frühmesse gerufen werden.

  • Einen Wecker brauchen Sie nicht mehr
  • Wie sich herausstellte, werden die Schweizer jeden Morgen um 6.00 Uhr geweckt. Nur am Sonntag dürfen Sie tüchtig ausschlafen, so richtig bis in die Puppen. Genauer: Bis um 7.00 Uhr, was ja immer hin eine Stunde länger als unter der Woche ist. Dann läuten wiederum die Glocken.

    Sie werden es nicht glauben, aber bereits am zweiten Tag in der Schweiz hörten wir die Glocken nicht mehr und schliefen friedlich weiter. So schnell gewöhnt sich die Seele an alles. Nur im Urlaub, wenn wir z. B. nach Frankreich fahren, wache ich stets um 6.00 Uhr auf und wundere mich über die merkwürdige, verdächtige Stille. Etwas fehlt dann.

  • Besinnliches Läuten auch an Sylvester
  • Für die Deutschen ist der Moment des Jahreswechsel um Mitternacht der Zeitpunkt, an dem sie gezielt die Champagnerkorken knallen lassen (oder doch wahrscheinlich eher Söhnlein Brillant Sekt halb trocken, denn Champus trinkt man in Deutschland nur im Rotlicht-Milieu, viel zu teuer für Sylvester!), laut „Prosit Neujahr“ rufen, sich nach französischer eingeführter Sitte tüchtig abküssen um dann auf die Strasse zu rennen und in weniger als 20 Minuten das Brutto-Inlandsprodukt von 2-3 afrikanischen Staaten in Form von Raketen und Böllern in die Luft zu jagen. Etwas, das den Schweizern völlig fremd ist. Hier wird höchstens gesittet am 1. August gefeuerwerkelt, jeder für sich, oder gemeinsam neben dem Holzfeuer. Falls Sie es doch einmal an Sylvester in ihrer Nähe irgendwo knallen hören und eine Rakete aufsteigen sehen, dann wissen Sie sofort: Da muss ein Deutscher wohnen! Lieber Abstand halten…

  • Die Knallerei erst um 20 Minuten nach Mitternacht
  • Anders in Zürich beim Jahreswechsel 2002-2003: Zwischen 23:45 Uhr und 00:15 ward es in der Innenstadt ganz still, bis auf die Kirchenglocken, die besinnlich das neue Jahr einläuteten. Die 150.000 Besucher in der Innenstadt warteten schweigend auf den Höhepunkt dieser Neujahrsnacht. Der begann erst um 00:20, also 20 Minuten später als in Deutschland, mit einem grossen Feuerwerk über dem Zürisee, bei dem für 70.000 CHF Raketen verschossen werden.
    Feuerwerk um 20 Minuten später

  • Verkaufsoffene Sonntage vor Weihnachten
  • Uns erstaunte diese „besinnlich“ Jahreswende, weil wir daran zurückdachten, wie an 3 von 4 Adventssonntagen in der Innenstadt von11:00 Uhr (gleich nach der Kirche?) bis 17:00 Uhr alle Geschäfte geöffnet hatten. Einkaufen am heiligen Sonntag, noch dazu in der besinnlichen Adventszeit? In Deutschland immer noch ein absolutes Tabuthema, bei dem die beiden stärksten gesellschaftlichen Organisationen, nämlich die Gewerkschaften und die Kirchen, gemeinsam an einem Strang ziehen. Auf keinen Fall.

    In Deutschland wurde, historisch gesehen, nur einmal von dieser eisernen Regel abgewichen, nämlich kurz nach dem Mauerfall im Winter 1989, damit die Ossis ihr Begrüssungsgeld auch beziehen und ausgeben konnten. Plötzlich waren alle Geschäfte in den Innenstädten hinter der Grenze auch am Sonntag geöffnet. Ich weiss nicht mehr genau, wie lange dieser anarchische Zustand anhielt, ich kann mich aber erinnern, dass es später viel Ärger gab, weil Kaufhäuser in Ostberlin weiterhin an Sonntagen verkaufen wollten. Sie mussten dazu Berlin-Souvenirs ins Sortiment aufnehmen und so tun, als seien sie touristische Infrastruktur für die Durchreisenden.

  • „Killekille“ in der Chille
  • Die Schweizer Kirche heisst „Chille„, und das spricht sich fast wie „killekille“ (Geräusch beim Kitzeln eines Kleinkindes). Die „Chilbi“ ist also nicht das Hillybilly-Fest, sondern die Kirmes genannt, also ein nettes Fest mit vielen Fahrgeschäften (die nirgends hinfahren, ausser im Kreis herum).
    Junge Schweizer verstehen das Wort „chille“ leider oft in einer ganz anderen Bedeutung, nämlich auf Englisch ausgesprochen mit einem kräftigen „Sch“ am Anfang: In einer Chill-Out-Zone können Sie chillen, runterkommen von der Aufregung einer durchgetanzten Nacht.

    In der Chille ist gut chille, aber auch gut fiire:
    Fiire mit de Chliine in der Chille

  • Deutsche Pfarrerin ohne Übersetzung
  • Wir besuchten unsere „Chille“ an Heiligabend, wie bei den Deutschen üblich, und waren zunächst mal 30 Minuten zu früh dran. Warum? Weil in Deutschland musst Du an Heiligabend mindestens 30 Minuten vor Beginn des Gottesdienstes in der Kirche sein, sonst kriegst Du keinen Platz mehr. Anders in der Schweiz, hier strömten die Leute erst kurz vor Beginn.

    Die Pastorin hob an zu sprechen, und siehe, sie sprach Hochdeutsch! „A Düütsche…“ raunte es hinter uns durch das Kirchenschiff. Tja liebe Schweizer, nicht nur die Medizin und die Computerbranche ist in der Schweiz fest in deutscher Hand, auch bei den Theologen herrscht ein reger Import aus dem grossen Kanton. Ich rechnete fest damit, dass nun ein Simultandolmetscher in Aktion trat, oder zumindest schweizerdeutsche Untertitel eingeblendet wurden, wie im Kino. Aber nix da, hier verstanden alle die Sprache Luthers.

  • Gottesdienst -fast- nur auf Schwyzerdütsch
  • Alles andere fand dann aber ausschliesslich auf Schweizerdeutsch statt, sofern die gute Frau nicht selbst sprach. Einen gehörigen Schreck jagten uns zum Schluss dann die Schweizer Kirchgänger doch noch ein, als nämlich alle aufstanden und wir, als einzige Deutsche im Raum, plötzlich wie aus einer Kehle von 500 Schweizer das Vater Unser gesprochen hörten, auf Hochdeutsch! Da kriegst Du Angstzustände, wenn um dich herum plötzlich alle Schweizer nur Hochdeutsch reden, das kannst Du mir glauben.

    Codename „Zurigo“ — Die geheimen militärischen Rituale der Schweizer beim Brandschutz

    September 26th, 2005
  • Codewort „Zurigo“: Was tun, wenn es im Einkaufszentrum brennt?
  • Ein paar Jahre lang arbeitete ich im Glatt, dem grössten Einkaufszentrum der Schweiz. Es wurde mir dort mit dem Arbeitsvertrag die geheime Notstandsordnung überreicht, und ich musste den Erhalt abzeichnen. Dort ist verzeichnet, was man im Falle eines Notfalles im Haus zu tun hat. Wenn es z. B. brennt, und eine Etage geräumt werden muss, wird dies den eingeweihten Mitarbeitern über das geheime Codewort „Zurigo-Zurigo-Zurigo“ via Lautsprecher kundgetan. Es gilt dann, die Schäfchen über die Treppe in Sicherheit zu bringen, keine Panik zu verbreiten, und das Wissen darüber, dass es brennt, zwecks Vermeidung einer Panik nicht preiszugeben.

    Was tut man aber, wenn der Einsatzleiter die Codewörter verwechselt und z. B. das Wort „Monaco-Monaco-Monaco“ aus dem Lautsprecher schalt? Gar nichts. Keine Arme, keine Kekse, und ohne echtes Codewort kein echtes Feuer, vermute ich mal. Die Schweiz ist halt doch sehr militärisch geprägt, und der Leiter der Feuerwehr sicherlich ein Hauptmann der Reserve.

  • Merkwürdige Lautsprecherdurchsagen
  • „Uff der Glatt isch’s glatt, drum kömmet alle ins Glatt. Uff der Glatt isch’s glatt, drum kömmet alle ins Glatt. Uff der Glatt isch’s glatt, drum kömmet alle ins Glatt“.
    Jetzt fragt sich jeder, was dieser dreimal wiederholte weise Ausspruch wohl zu bedeuten hat? Zumal man ihn morgens um 11.00 Uhr in voller Lautstärke in allen Räumen des Glattzentrums zu hören bekam, sogar auf dem Klo und natürlich in allen Büroräumen. Es handelt sich um den Geheimsatz für einen Krisenstab. Nein, es werden damit keine Schläfer geweckt zu geheimen Tätigkeiten (ausser den Schläfern im Büro), sondern es tagt der Krisenstab im Glatt.

    Endlich heisst es über Lautsprecher: „Die Krisenübung ist beendet“. Die Krise auch?

  • Die Nasslöschstelle
  • Was das wohl ist? Ich frage die Schweizer in meiner Firma, wir rätseln gemeinsam. Entdeckt habe ich dieses Wort beim aufmerksamen Studium des Notfallplans unserer Firma, auf dem die Fluchtwege etc. eingezeichnet sind. Dort ist sie eingetragen, leider an einer unzugänglichen Stelle, hinter der Not-Treppenhaus-Tür, die beim Öffnen Feueralarm auslöst (Alarm ist, wie wir uns erinnern, wenn über Lautsprecher dreimal „Zurigo, Zurigo, Zurigo“ ausgerufen wird, nicht „Monaco“ und auch nicht „Flamingo“).

    Vermutet wird hinter der „Nasslöschstelle“ entweder
    a) ein Eimer mit Wasser (nass),
    b) ein Feuerlöscher,
    c) eine Dusche, für die nasse Löschung von brennenden Personen,
    c) ein Schlauch mit Hydrantenanschluss. Ob man den vor Benutzung ganz abrollen muss?

    Ich konnte es nie ganz rauskriegen, denn sonst hätte ich den Feueralarm ausgelöst.

  • Besammlung und nicht Besamung
  • Ertönt wirklich einmal der Alarm, gilt es, sich in kurzer Zeit vor dem Gebäude auf einem speziell markierten Gebiet zu „besammeln“ (nicht zu besamen). Der „Besammlungsort“ ist das, was wir Deutsche als „Versammlungsort“ kennen. Dieser Ort ist nicht der Haupteingang, und man soll nicht dort stehen bleiben um zuzuschauen, was die anrückende Feuerwehr nun macht.

  • Franz Hohlers Roman „Der neue Berg“: Als der Glatt-Tower plötzlich kippt
  • Der Zürcher Autor Franz Hohler hat einen wunderbaren Roman geschrieben über das Zürcher Unterland, die Gegend von Dübendorf – Wallisellen und Kloten, in dem er dort mitten in der „Agglo“ (Kurzform für „Agglomeration Zürich“, das zersiedelte Land drumherum) plötzlich die Erde erbeben lässt, sich ein Vulkan auftut und die Katastrophe gemanaged werden muss. Wird sie natürlich nicht, sie wird totgeschwiegen von den zuständigen Behörden bis zum geht nicht mehr, und am Ende bleibt der Glatt-Tower als neuer Turm vom Pisa schief stehen. Absolut lesenswert und als Taschenbuch immer noch erhältlich.
    Franz Hohler: Der neue Berg