Der Tunnel mitten in der Ebene
September 30th, 2005Der Tunnel von Emmi
Fährt man von Zürich nach Bern über die Autobahn, so kommt man auf halber Strecke im flachem Gelände an einem merkwürdigen Bauwerk vorbei. Zwischen der schnurgerade Autobahn und einem Industriegebiet erhebt sich plötzlich ein 300 Meter langer oberirdischer Eisenbahntunnel, einfach so in die Landschaft gebaut, eine lange Röhre, durch den die Züge, aber nicht die Autobahn, geleitet werden.
Das ungewöhnliche Tunnelstück wirft interessante Fragen und Theorien auf:
Auffällig ist die unmittelbare Nähe einer Firma: Das Emmi-Käsezentrum (gehört zur Coop Gruppe) befindet sich keine 11 Meter vom Bahndamm entfernt, und darin birgt sich auch die Erklärung für den Tunnel: Es ist ein Schutzwall für den fein versprühten Fäkaliendreck der vorbeifahrenden Züge. Billiger, als alle Züge mit geschlossenen Chemieklos auszurüsten, war es wohl, diesen Tunnel in die Landschaft zu stellen. Auf gut Deutsch: Es ist ein Kacktunnel!
Die lebenden Kulturen, die bei der Käseproduktion von Coop benötigt werden, sind sehr empfindlich gegen jede Verunreinigung. Hier wird von Emmi der Emmentaler Käse produziert.
Warum wurde nicht ein anderer Standort genommen? Soviel Platz in den wenigen Ebenen der Schweiz gibt es nicht, und der Ort ist extrem verkehrsgünstig gelegen. Wenn da nicht der Notdurft-Drang der Reisenden wäre, sich kurz vor Bern noch einmal zu erleichtern.
Für das Ding gibt es natürlich auch eine eisenbahnrechtliche Plangenehmigung:
2. Mikrobielle Immissionen auf einen unmittelbar an die Bahnstrecke angrenzenden Lebensmittelbetrieb durch den Bahnverkehr (offene Toilettensysteme, Aufwirbelung von Bodenstaub):
(…)
– Ergibt sich aus gutachtlichen Erhebungen nicht mit Klarheit, ob der Bahnbetrieb zu unhaltbaren mikrobiellen Immissionen führen könnte, sind die gutachtlichen Feststellungen mit Blick auf allfällig zu treffende Vorkehren am Betriebsgebäude oder an der Bahnstrecke durch den Experten präzisieren zu lassen (E. 6d).
(…)
Im Käsezentrum werden von der Coop Schweiz verschiedene Halbhart- und Hartkäse gelagert, gepflegt und zur Reife gebracht; weiter wird das gesamte Käsesortiment der Coop-Gruppe einschliesslich der Exportware
zwischengelagert. Weil die Coop Schweiz durch den Betrieb der geplanten Neubaustrecke eine massive Beeinträchtigung des Käsezentrums befürchtet, erhob sie gegen das Bahnprojekt Einsprache.
Einsprache heisst auf Schweizerdeutsch übrigens „Rekurs„, und es gibt nichts was ein Schweizer Unternehmen mehr fürchtet, als einen solchen Hemmschuh. Da wird dann auch schon mal ein Tunnel gebaut.
Der Emmi-Tunnel hat es sogar in die Comedy Arena von „Genial Daneben“ auf SAT1 geschafft. Das Rateteam war nach einigen wilden Spekulationen in der Lage, die Lösung des Geheimnisses selbst herauszufinden und der Einsender der Frage konnte keine 500 Euro kassieren.
Eine Brückenfahrt ohne Toilettengang
In Norddeutschland, auf dem Weg von Hamburg nach Sylt, werden von den Zugschaffnern während der Überquerung des Nord-Ostsee-Kanals alle Toiletten sorgsam von aussen versperrt. Was ist der Grund, dass die Reisenden im Zug ca. 15 Minuten lang keine Toilette aufsuchen können?
Ein Autohändler, der tief unten unter dem Viadukt seine Neuwagen ausstellt, hatte keine Lust mehr, jeden Tag seine Wagen vom Fäkaliendreck zu reinigen und konnte die Bahn erfolgreich per Gericht dazu verdonnern, diese Beschmutzung von oben zu unterlassen. Sollte man der Bahn hier nicht auch den Bau eines Tunnels anempfehlen? Schweizer Ingenieurskunst wäre dazu sicherlich in der Lage.
Die Brücke mitten in der flachen Landschaft wurde deswegen so hoch gebaut, damit die hohen Kreuzfahrtschiffe und die Segelschiffe mit den hohen Masten bei der Befahrung des Kanals ohne Problem drunter durch passen.
Was lernen wir aus diesen Geschichten? Esse nie Gemüse aus einem Kleingarten, der direkt an einer Bahnlinie liegt! Auch wenn das Zeug noch so verdammt gut zu gedeihen scheint.