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Was verleidet der Verleider? — Haben Sie auch schon den Verleider bekommen?

  • Der Aufsteller, der Ablöscher
  • In der Schweizer Gegenwartssprache entdecken wir immer wieder „Aktanten“, die uns bis dahin unbekannte Tätigkeiten hauptberuflich und in Vollzeit ausführen. Da wäre an erster Stelle der „Aufsteller“ zu nennen, dessen Tätigkeit für gute Laune sorgt und Stimmung bringt, aber ganz bestimmt nicht im sexuellen Bereich, denn dafür gibt es schliesslich Viagra von Pfizer oder Frank Baumann von Genial Daneben. Ach nein, der hatte ja einen anderen Job und war dort „der Tätschmeister“.

    Dann als zweites der direkte Gegenspieler vom „Aufsteller“, sein Kontrahent, hierzulande bezeichnet als der „Ablöscher“. Leider arbeitet der selten bei der Feuerwehr sondern ist zuständig für das „kalte Ablöschen“, ähnlich wie in der alten Werbung für Fisherman’s Friend „Wie schmecken denn die„?

    So stellen wir uns einen Ablöscher im echten Leben auch vor.

  • Woran leidet der Verleider?
  • Dieser unfreundliche Zeitgenosse hat offenbar noch einen Kollegen, den „Verleider“
    So lasen wir im Tages-Anzeiger:

    Die Gäste, vor allem Familien, die für viel Geld ein Abo gelöst haben, bekommen schnell den Verleider, wenn sie es nicht amortisieren können.
    (Quelle: Tages-Anzeiger)

    Sie bekamen den Verleider. Nicht den „Verleger“, also den für die Teppichware, und nicht den für die Bücher. Vielmehr kommt jemand zu ihnen und „verleidet“ etwas. Interessante Vorstellung, und garantiert durch und durch schweizerisch.

    Bei Google-CH fanden wir ihn 627 Mal. Darunter auch den „Absoluten Verleider“ im Schweizer „ Beobachter“ (das ist kein Aktant, sondern eine Wochenzeitschrift).

    Den technischen Verleider fanden wir beim Turnverein Bellach Schliesslich gibt es da noch den Verleider im aargauischen Gesetz über die Ausübung der Fischerei:

    § 16
    1 Von den ausgesprochenen Geldbussen fällt ein Drittel dem Verleider zu.
    2 Ist diese wegen Unvermögenheit des Gebüssten nicht erhältlich, so sollen dem Verleider wenigstens seine Anzeige- und gerichtlichen Erscheinungsgebühren vom Staate vergütet werden.

    So ganz begriffen haben wir diese Paragraphen auch nach mehrmaliger Lektüre nicht. Sollten wir mal einen „Fürsprecher“ fragen, der kennt sich da bestimmt gleich aus, d. h. in der Schweiz „Er kommt (da) raus„, aus dem Fischteich oder was weiss ich wo das Leiden des Verleiders begann.

  • Und was heisst nun „Verleider“?
  • Ein wichtiger Mensch, dieser Verleider in der Schweiz. Wo der nicht alles gebraucht wird? Doch bevor wir es unseren Lesern nun verleiden, sich weiter mit dem „Verleider“ auseinanderzusetzen, hier die Lösung des Rätsels, wie so oft im Duden erklärt:

    Verleider, der; -s, – (schweiz. mundartl.): Überdruss: er hat den Verleider bekommen (ist der Sache überdrüssig geworden).
    (Quelle: Duden.de)

    Nun ja, das mit dem „mundartlich“ wollen wir jetzt mal geflissentlich überlesen, denn er wird ja fleissig geschrieben, der Verleider. Warum auch nicht, ist doch so schön praktisch. Ein anderes Wort für „Überdruss“ also, so einfach ist das. Und wie schrecklich kompliziert das wieder auf Hochdeutsch ausgedrückt werden muss! „Er ist der Sache überdrüssig geworden“, daneben elegant schweizerisch: „Er hat den Verleider bekommen“.

    Kein Wunder also, dass sich dazu in der Jugendsprache einiges entwickelte, von „kein Bock mehr haben“ über „gewaltig Frust schieben“ bis „voll auf den Blues gekommen sein„. Was wir hier so locker als „Jugendsprache“ bezeichnen ist mittlerweile auch veraltet und sicherlich durch neue Ausdrücke ersetzt worden.

    An die armen „Verleger“ denken wir nicht mehr, bei all dem Überdruss, und reihen ihn ein, den freundlichen „Verleider“, gleich neben den „Aufsteller“, den „Ablöscher“ und meinetwegen auch den „Frank Baumann“ „Tätschmeister„.

  • Ablöscher live on stage
  • Als Beispiel für richtig „gröhlendes Ablachen“ ein typischen Ablöscher-Sketch von Frank Baumann, live vorgestellt beim Arosa Humor Festival 2005. Aber dass hinterher niemand schreibt, ich hätte vor diesem Video nicht ernsthaft gewarnt!

    

    22 Responses to “Was verleidet der Verleider? — Haben Sie auch schon den Verleider bekommen?”

    1. Andreas Says:

      Einer meiner Lieblings-Sketches! ;o) Wusste noch gar nicht, dass der auf Youtube geladen wurde…

      Übrigens: Frank Baumann hatte diesen Auftritt nicht am Arosa Festival 07 sondern bereits im 2005. (Siehe http://www.sf.tv/sf1/comedyimcasino/humorfestival/index.php – Selection 1, 2005)

    2. lamiacucina Says:

      „Izo gehen bey uns die winder Freuden am und ich will mir sie durch nichts lassen verleidern“ schrieb Christiane Vulpius an den Herrn Geheimrat von Goethe. Offensichtlich hat Christiane schon damals von den Reisen des Herrn v. Goethe in die Schweiz profitiert.

    3. sylv Says:

      >>Sollten wir mal einen “Fürsprecher” fragen, der kennt sich da bestimmt gleich aus, d. h. in der Schweiz “Er kommt (da) raus”, aus dem Fischteich oder was weiss ich wo das Leiden des Verleiders begann.

    4. sylv Says:

      Scheibenkleister,da ist der Rest meines Originalcomments verloren gegangen… Wie dem auch sei,es hat sich sowieso erübrigt,da ich nach weiterem herumstöbern gemerkt habe, das mein Geschreibsel zum Thema ‚ er chunnt drus‘ ( oder auch nicht) schon ausführlich in den Comments zu Post #100 abgehandelt wurde.
      SORRY!

    5. Nessi Says:

      das gesetz über die fischerei im aargau ist ja der brüller *grööl*
      wurde warscheinlich im mittelalter verfasst 🙂

      was aber ein verleider in der fischerei sucht, ist mir auch schleierhaft. vermutlich ist dessen gebrauch genau so alt wie die formulierungen in diesem gesetz. 🙂

    6. Werner Fasolin Says:

      Der Verleider im aargauischen Fischereigesetz ist jene(r), der (die) der zuständigen Amtsstelle einen Verstoss gegen das entsprechende Gesetz meldet und auch die Identität der Täterschaft bekannt gibt. Beispiel: Ich entdecke, wie jemand eine 18 cm lange Forelle aus dem Rhein fischt und nicht wieder ins Wasser zurückwirft, obwohl das gesetzliche Mindestmass unterschritten ist. Ich melde dies dem Bezirksamt und habe damit als Verleider Anrecht auf den Drittel der Busse, die dem Frevler aufgebrummt wird. Den Ausdruck findet man in fast jedem aargauischen Gemeindeversammlungsprotokoll des 19. Jahrhunderts: Verleider oder Verleiter.

    7. bobsmile Says:

      @Werner
      Zum Verleid/ter im Aargau: Bei uns nennt man so einen dann „Rätschbäse“ oder „Rätscher“.
      „La mi la si, oder i rätsches dr Mueter“

    8. neuromat Says:

      Wenn ich das jetzt richtig sehe ist der Verleider so eine Art Verzeiger oder Hinterbringer http://www.andreassauer.de/character/char10.html, was einem schon einen Verleider machen kann, selbst wenn man so einiges mag verlyde. Die Aussprache ist wahrscheinlich von Bedeutung, vor allem hat es nichts mit dem „Verleih da“ zu tun, mehr so in Richtung Ey, wie in „ey haste mal nen Euro“. Bei dem Ganzen verlyre fiel mir noch auf, wir (Deutsche) sagen ja auch sich vergucken im Sinne von beim Anblick meist fremdgeschlechtlicher Menschen nur noch unsinniges Zeug stammeln können, wohingegen sech verluege schon wieder vorweg nimmt, dass der Igel von der Bürste … ihr kennt den Spruch… nein, das schlimmste sind die Comments, von denen ich nicht weiss, ob ich sie nun lieber selber lesen oder einstellen soll oder ob ich das Ganze einstellen soll oder ob ich dafür noch jemand einstellen – Was für ein Montag Morgen … Sylv, Du bist nicht allein, sorry ich hab trotzdem lachen müssen – vielleicht war der Gag ja auch beabsichtigt, auf jeden Fall ein Aufsteller zum selber wieder erkennen, wenn ich nur wüsste wo ich den wieder hingestellt …

    9. Nessi Says:

      ach sooo, danke für die erklärung.
      *man* lernt nie aus 😉
      der anteil an der busse macht dann ja das „vertäderle“ besonders attraktiv. 🙂

    10. Phipu Says:

      Kennt man übrigens im gesamten deutschen Sprachraum die reflexive Bezeichnung von „verleiden“ (Verb, z.B „Mir ist es verleidet, jedes Jahr noch mehr bezahlen zu müssen.“). Beim Googeln danach stosse ich auf auffällig viele Schweizer Quellen. Dies ist auch kein Wunder, im Dialekt sagt man das nämlich genau so. Deutsche scheinen immer alles andern zu verleiden. Z.B. „Mit der jährlichen Preiserhöhung verleidet dieser Anbieter den Kunden die Kauflust.“

      Die Formulierungen „mir reicht’s“, „ich hab es satt“, oder „ich hab die Schnauze voll“ wären nämlich kürzer, kommen aber im Dialekt nicht oder nur ausnahmsweise vor.

      „reichen“ heisst übrigens „lange“ (z.B. „jetz langt’s“) oder als erste vorsichtige Drohung „jetz gnüegelets dänn langsam!“. Erst später kommt der folgende Moment: „Jetz isch gnueg Heu dune!“ ( http://zuri.net/default.asp?action=slang&slangID=1278 , wörtlich: „Jetz ist genug Heu unten!“) Ich hätte geglaubt, darüber stünde in der Blogwiese schon etwas. Aber das war wohl die Verwechslung mit dem Heu das immer noch „oben“ gelagert ist. http://www.blogwiese.ch/archives/287

    11. Fiona Says:

      Aufsteller? Jawohl. Gerade „uufgstellte, mehrsprächige, fleissige, unternehmerische Menschen“ (with no hang-ups or complexes) sind in der Deutschschweiz gefragt/beliebt. Besonders bei Hedge-Fonds in Zug….

    12. fdw Says:

      Der Sketch ist ja mal echt schlecht. Den von Mike Müller über die Geographie der Schweiz (ebenfalls Arosa Humor Festival) finde ich viel besser: http://youtube.com/watch?v=Ldy3Xh0Z3o8

    13. Brun(o)egg Says:

      @ Nessie
      @ Wiese

      Wer da so brüllt, Nessie, sollte sich vielleicht mal das Amtsdeutsch in Germanien zu Gemüte führen. Da gibts jetzt in einigen Bundesländern oder Landkreisen oder was auch immer eine Kommission oder so, die den Unsinn des deutschen Amtsdeutsch zu korrigieren versucht, weil die Leute das Geshreibsel nicht mehr verstehen. (War in einer der letzten Spiegelausgaben. Hab sie leider nicht mehr.)
      Aber eine „Umsetzung“ ist mir noch präsent: Oberflächenwasser = Regen!
      Dümmer gehts nümmer.

    14. neuromat Says:

      @Brun(o)egg

      Da gibt es aber alle Hände voll zu tun.
      Gesetz über Arbeitnehmererfindungen von 1957:
      „Mit Zugang der Erklärung der beschränkten Inanspruchnahme erwirbt der Arbeitgeber nur ein nichtausschließliches Recht zur Benutzung der Diensterfindung. Wird durch das Benutzungsrecht des Arbeitgebers die anderweitige Verwertung der Diensterfindung durch den Arbeitnehmer unbillig erschwert, so kann der Arbeitnehmer verlangen, daß der Arbeitgeber innerhalb von zwei Monaten die Diensterfindung entweder unbeschränkt in Anspruch nimmt oder sie den Arbeitnehmer freigibt.“

    15. DaniDo Says:

      Heute um 13:00 auf Drs1 das Tagesgespräch mit Peter von Matt, dem besten lebenden Schweizer Germanisten zum Thema Hochdeutsch und Schweizerdeutsch!

      …sicher auch bald auf dem Netz.

    16. neuromat Says:

      @ Danido

      hast Du da nicht ein „und“ vergessen, ich meine zwischen dem besten lebenden Schweizer und Germanisten und wer sind denn diese Germanisten und warum treten die wieder in der Ueberzahl an?

      Aber, danke für den Hinweis. Vielleicht kann unser Administrator dann ja einen Link einstellen, vielleicht wird es auch ein anspruchsvolle Blog. Auf der page http://free.pages.at/innuendo/cordoba/index2.htm findet sich eigentlich eine interessante Lösung für das Einstellen von javascript emoticons. Wär des etwas für die Blogwiese?

    17. Schnägge Says:

      Quote neuromat: „Vielleicht kann unser Administrator dann ja einen Link einstellen, vielleicht wird es auch ein anspruchsvolle Blog.“

      Dafür!

      Und es muss natürlich heißen:
      Dem besten lebenden Schweizergermanisten. 🙂

      [Anmerkung Admin: Also gut, hier der gewünschte Link zu Emoticons]

    18. Schnägge Says:

      @Admin: Öhm, Link und Blogbeitrag zum Gespräch mit von Matt meinte ich natürlich. 🙂

    19. Ostwestfale Says:

      >Kennt man übrigens im gesamten deutschen Sprachraum die
      >reflexive Bezeichnung von „verleiden“ (Verb, z.B „Mir ist es verleidet,
      >jedes Jahr noch mehr bezahlen zu müssen.“).

      „mir ist es verleidet“ – das habe ich jetzt zum ersten Mal auf der Blogwiese gelesen, in Deutschland, insbesondere in Westfalen, habe ich es noch nie gehört.
      Ich würde umgangssprachlich wohl eher sagen „Ich habe keine Lust mehr, …“, „Mir ist die Lust gehörig vergangen,…“ oder „Ich habe keinen Bock mehr,…“.

      @DaniDo
      Danke für den Tipp. Ich fand das Gespräch sehr interessant. Ich, als jemand der noch nie in der Schweiz war, habe zwar nicht jedes Wort verstanden, aber vieles erschliesst sich dann ja doch noch aus dem Zusammenhang…
      Hat Peter von Matt eigentlich lupenreine Mundart gesprochen, welche war das überhaupt? Ihn konnte ich irgendwie deutlich besser verstehen als seinen Gesprächspartner. Irgendwie kam es mir aber auch vor, als wäre Herr von Matts Dialekt ein wenig Hochdeutsch eingefärbt.

      [Antwort Admin: Habe es auch im Radio gehört, war sehr interessant. Nein, er hat sich auf Durchschnitt-Züridütsch verständigt, das sagte er selbst im Gespräch, weil sein heimischer Dialekt immer nur Rückfragen provoziert, und er dann nicht über die Sache sondern über die Sprache reden muss]

    20. Chimaera Says:

      @ Phipu.

      Im Süddeutschen Sprachraumist das „reflexive verleiden“ durchaus in Gebrauch. Ist also nicht unbedingt ein Helvetismus

    21. Ostwestfale Says:

      @Admin
      Ahh, danke. Züridütsch, also. Irgendwie muss ich diese Passage überhört haben. Ich werd mir das Gespräch gleich noch mal anhören. 😉

      Bei der Gelegenheit muss ich auch mal ein Lob loswerden, das Internetangebot an Streams ist beim Schweizer Fernsehen wie auch beim Schweizer Hörfunk wirklich enorm. Als Ausländer finde ich es sehr interessant, spannend und unterhaltsam da mitzuschauen und mitzuhören.
      ZDF und ARD können da mit ihrem Angebot nicht mithalten.

    22. Schnägge Says:

      @Ostwestfale: Ja, die Streams sind die sehr praktische Sache, auch weil man da mal eben zurückspulen kann, wenn man einen Satz nicht verstanden hat.

      Ich kann von Matt in vielem zustimmen, vor allem darin, dass Sprache ein lebendiger kultureller Prozess ist, der sich ständig verändert, und dass das nicht zwangsläufig etwas Negatives, Gefährliches bedeutet, sondern, dass sich die Varianten gegenseitig befruchten.