Mit viel Gefühl in den Sündenpfuhl aus „Pfulmen“

November 4th, 2008

(reload vom 7.2.2006)

  • Ein Kuss auf dem Kissen
  • Während einer Autofahrt hörten wir im Schweizer Radio Werbung für ein Matratzen- und Bettenhaus in Zürich. Als besonderes Lockangebot wurde für die (selbstverständlich ausschliesslich deutschen) Schnäppchenjäger versprochen, beim Kauf einer Matratze ein kostenloses „Gsundhiitschüssi“ als Zugabe geschenkt zu bekommen.

    Wir übten den Rest der Fahrt fleissig die Aussprache von „Gsundhiitschüssi“ und fragten uns, wie denn auf Schwiizerdütsch ein „Küsschen auf dem Kissen“ korrekt artikuliert werden müsste:
    äs küssli ufem chüssi“ vielleicht?

  • Pfulmen sind nicht fulminant
  • Wenig später stiessen wir bei einem Bettenausstatter auf das Wort „Pfulmen“. Es kam uns „fulminant“, also blitzartig in den Sinn, dass das sicher was mit „Pflaumen“ zu tun haben muss. Leider völlig verkehrt, denn nicht die Pflaume, sondern der „Flaum“ steckt in diesem weichen Wort, denn es bezeichnet in der Schweiz ein kuscheliges super breites Kopfkissen:

    Pfulmen, der od. das; -s, –
    [alemannische Nebenform von frühneuhochdeutsch ‚pfulwe‘ = Pfühl]
    (südd., schweiz.): breites Kopfkissen.
    (Quelle: Duden)

    Hier eins von moebelverkauf.ch:
    Pfulmen

    Das Wort Pfulmen müssen Sie kennen, wenn Sie in der Schweiz Kissen kaufen wollen. Google-Schweiz bietet 6’300 Fundstellen:

    Unser altes Grimms Wörterbuch kennt nur einen Fisch, der so heisst:

    PFULW,PFULWEN, s. pfühl; FISCHART Garg. 63a;
    (Quelle: Grimms Wörterbuch)

    Das kann es ja wohl nicht sein, denn das Wort kommt aus dem Latein:

    Pfühl, der, auch: das; -[e]s, -e
    [mhd. pfülw(e), ahd. pfulawi von lat. pulvinus] (veraltet):
    großes, weiches [Bett]kissen; weiche Lagerstatt:
    auf einem Pfühl ruhen;
    als ob es (= das Geräusch) auf einem weichen Pfühl glitte (Augustin, Kopf 237).

    Von den Römern haben sie es gelernt, die Schweizer und die Alemannen! Das bequeme „Pulvinus“ wurde zum „Pfulmen“, denn was bequem und praktisch ist, das geben wir ungern wieder her!

    Schaufeln Sie mal den Pflotsch weg — Neus aus der Schweizer Meteofachsprache

    November 3rd, 2008
  • Pikett ohne Lanze
  • In der letzten Oktoberwoche wurde die Schweiz überraschend von massiven Schneefällen zugedeckt. Tags drauf lasen wir dazu die Einzelheiten in unserer Hauspostille für das angewandte Schweizerdeutsch der Gegenwart, dem Tages-Anzeiger:

    Um 4 Uhr früh bot die Stadt alle Pikettleute auf und schickte Schneepflüge statt Wischmaschinen hinaus.
    (Quelle Tages-Anzeiger 31.10.08, S. 15)

    Für Deutsche Leser sei angemerkt, dass diese Wischmaschinen nicht wischen sondern kehren, also eigentlich Kehrmaschinen sind, aber das versteht sowieso kein Mensch, warum „Wischen“ in Deutschland feucht und in der Schweiz trocken durchgeführt wird. Die Bezeichnung „Pikettleute“ stammt noch aus der Zeit, als man mit Hellbarde und Pikett, einer spitzen langen Waffe, spitz wie eine Pickelhaube, Dienst schieben muss, allzeit bereit, darum heisst dieser Dienst auch in Deutschland „Bereitschaftsdienst“, und die „Pikettleute“ wären, wie immer umständlich hochdeutsch, „die Leute vom Bereitschaftsdienst“. Da bleiben wir doch bei „Pikettleute“, ist praktischer.

  • Der Pflotsch und die Grosssalzroute
  • Wir lasen weiter im Tages-Anzeiger:

    Um 6.30 Uhr kämpften 120 Mitarbeiter in bis zu 80 Fahrzeugen gegen den Schnee. Auf Treppen und an Haltestellen schaufelten sie den Pflotsch von Hand weg. Filli: «Dass es jede Frau in Stöckelschuhen trockenen Fusses ins Büro schafft, konnten wir natürlich nicht garantieren. » In Winterthur rückten die Equipen noch früher für die «Grosssalzroute » aus. (…)
    (Quelle Tages-Anzeiger 31.10.08, S. 15)

    Die „Grosssalzroute“ erklärt sich selbst. In der Schweiz wird auf Hauptstrassen nicht mit Salz gespart, da wird gestreut was die Lagerhallen hergeben, im Grossen, nicht im Kleinen. „Schwarzräumen“ nennt man das hierzulande, weil es heimlich und in der Nacht geschieht (vgl. Blogwiese). Darum „Grosssalz“. Ja, und der „Pflotsch“, das ist wirklich eine interessante Schweizer Sprachschöpfung. „Nassschnee“ oder „Schneematsch“ sind lang nicht so poetisch und melodiös wie der platschende Pflotsch. Bei Google-CH konnten wir spontan 1’510 Fundstellen für den “Pflotsch” ausfindig machen.

    Diese Erklärung besagt, dass Pflotsch doch etwas anderes als Schneematsch ist:

    Pflotsch und Schneematsch unterscheiden sich für mich dadurch, dass im Pflotsch sehr viel Wasser steckt, was dann der Fall ist, wenn es in den Schnee hineingeregnet hat. Jeder Abdruck im Schnee wird dann zu einem kleinen Tümpel, was beim Schneematsch nicht unbedingt der Fall sein muss. Der kann auch durch Matschigtreten entstanden sein.
    (Quelle: newsgroup.derkeiler.com) http://newsgroups.derkeiler.com/Archive/De/de.etc.sprache.deutsch/2006-03/msg01996.html

  • Pflotscht es auch wenn es flatscht?
  • Selbst unser Lieblingswörterbuch, das der Gebrüder Grimm, kennt das Wort „Pflotsch“ nicht, wohl aber das Verb „pflotschen“

    PFLOTSCHEN, verb., vgl. flatschen:
    (die frösch) ohn wasser nicht lang leben,
    und müssen stets zu pflotschen han.
    EYERING 2, 271.
    (Quelle: Grimms Wörterbuch)

  • Die Eskimos haben auch viele Wörter für Schneesorten
  • Ein spezielles Fachwort für extrem nassen Schnee zu haben, der massenweise Bäume durch sein hohes Gewicht umbrechen lässt, scheint am ehesten in einer Gegend sinnvoll, wo der Schnee eine wirtschaftliche Rolle spielt. Angeblich haben Eskimos zahlreiche unterschiedliche Wörter für diverse Arten Schnee, so wie die Franzosen beim Wein über das Vokabular zu differenzieren wissen. Und wir Deutschen? Wir haben zig Wörter für diverse Bier- und Brotsorten, nehme ich mal an. Den „Pflotsch“ sollten wir im Vokabular aufnehmen. Könnte auch ein Getränk sein, so wie das klingt. „Mach uns doch nochmal zwei Pflotsch bitte, wir sitzen auf dem Trocknen..“ Muss ich gleich beim nächsten Kneipenbesuch in Deutschland mal ausprobieren. Mal sehen, was dann serviert wird.

    Voll Freud und Wonne — „Wonig“ in Zürich

    Oktober 31st, 2008

    (reload vom 6.2.06)

  • Wohneigentum nur für Schweizer?
  • Wie verhindert man als Anbieter von Wohnungen in Zürich, dass dort missliebige Ausländer, Ticinos oder Welsche alles aufkaufen? Ganz einfach! Man formuliert sein Angebot so sehr auf Schweizerdeutsch, dass es garantiert nur noch von sauberen, ordentlichen und gut betuchten Deutschschweizern verstanden wird:
    Wonnige Wohnung
    (Quelle: Tages-Anzeiger 23.01.06. S. 32)

    „Wotsch ä lässigi Wonig haa?
    Dänn click d Milchbuck aa!“

    Wie sich das Englisch geschriebene „click“ mit „c“ dazwischenmogeln konnte, ist uns ein Rätsel. Wir hätten, wenn schon – denn schon, ein alemannisches „gligg“ erwartet.

    „Nöi! Eigentumswonigä: www.xxx-xxx.ch
    Flug-, Ussäufnahmä, Wonigsplän und vil me, damit weisch, wie chasch huuse.
    Chasch au aalüüte“

    Wollen wir mal sauber auseinander sortieren, wie sich das für einen Deutschen liest:

    „Wotsch“ das kennen wir, das ist eine Uhr, wir haben eine Swotsch-Wotsch am Arm.

    „Nöi!“ = das ist Schwäbisch für „Nein“, denn wir kennen ja alle die Geschichte vom schwäbischen Quizkandidaten, der gefragt wurde: „Wie heisst die Hauptstadt von Vietnam?“ Antwort: „Ha-Noi“, dös woiss ii net!

    Eigentums-wön-i-gä: „Eigentum will ich gern“?

    Flug– = Moment, die ist doch wohl nicht in einer Flugschneise in Kloten gelegen?

    Us-säuf-nahmä“ = Ausser Säufer nehmen … = die nehmen alles ausser Säufer?

    Wonigsplän“ = ein wonniger Plan, jawohl das ist es bestimmt.

    Damit weisch, wie chasch huuse“ = Irre ich mich, oder werden wir hier von wildfremden Leuten geduzt? Obwohl, es ist keine Präposition zu entdecken, nicht ein mal ein klitzekleines „ihr“ ist zu sehen, geschweige denn ein „Du“. Sehr geschickt gemacht, diese Kumpeltour, das müssen wir neidvoll zugeben.

    Chasch au aalüüte“ = Hasch gibt es auch, für alle Leute?
    Nee, da gehen wir nicht hin, das ist sicher so dein Drogenkollektiv mit eigener Cannabis-Zucht im Innenhof und auf den Balkonen.

    Ja, so kann es gehen, wenn eine Anzeige zu freier Interpretation einlädt. Hoffentlich wird die Zielgruppe von Nicht-Säufern und Haschischkonsumenten, die sich nix aus Fluglärm machen, mit diesem Text auch gefunden, wäre ja sonst schade um das fehlinvestierte Geld für die Anzeige im Tages-Anzeiger.
    P.S.: Die Website ist übrigens komplett auf Hochdeutsch gehalten. (Siehe hier). So eine Enttäuschung! Richtig hinters Licht geführt fühlt man sich da. Erst mit Schweizerdeutsch so ködern, und dann mit Hochdeutsch abspeisen. Nicht die feine Art ist das.

    Wenn es brennt, dann muss man löschen, oder? — „Feuer im Dach“

    Oktober 30th, 2008

    (reload vom 31.01.06)
    Wir lasen in Standardwerk für unverfälschte Schweizer Sprichwörter und Redensarten, dem Tages-Anzeiger vom 21.01.06:

    Bei der Walliser Polizei ist Feuer im Dach

    Nun, wenn es brennt, da hilft nur löschen, sollte man meinen. Aber hier brennt es gar nicht, hier wird Brauchtum gepflegt in Form von original Schweizerischen Redewendungen.
    Feuer im Dach

    Wir testen ein wenig, wie häufig es bei Google-Schweiz „Feuer im Dach“ gibt, und kommen auf immerhin 1´200 Fundstellen , von denen kaum eine etwas mit echten heissen Bräuten Bränden zu tun hat.

    Interessant finden wir, dass diese Redewendung im Deutschen Sprachraum nicht überall das Gleiche bedeutet. Das Deutsche Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm interpretiert den Ausdruck „Feuer im Dach“ ganz anders:

    In niedriger sprache für kopf, hirnschädel, da ist gleich feuer im dach er ist ein hitzkopf.
    (Quelle: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm)

    Sind also die Walliser Polizisten alles Hirnschädel und Hitzköpfe? Wir hoffen nicht.
    Im Lauf der Zeit muss sich das Feuer langsam vorgearbeitet haben, denn ursprünglich war nicht „Feuer im Dach“, sondern nur „am Dach“. Solches Feuer kennt auch der Duden, für Österreich und die Schweiz, und bringt ein Zitat aus der NZZ:

    es ist/dann ist Feuer am Dach
    (österr.,schweiz.): dann/es herrscht grosser Aufruhr:
    „Wenn jedoch auch in der so genannten Paradedisziplin des österreichischen Skiwettkampfsports derart enttäuschende Ergebnisse wie jene in Kitzbühel auftreten, dann ist Feuer am Dach, beim Skiverband, aber auch bei der Industrie“
    (NZZ 29.1.1983, 33)
    Quelle: Duden-Band 11 (Redewendungen) S. 203

    Wie gesagt, mittlerweile brennt es wesentlich häufiger „im Dach“ als „am Dach“, denn auch Redewendungen unterliegen offensichtlich physikalischen Gesetzen. Immerhin brennt es hier, und „mottet“ nicht nur. (vgl. Blogwiese)

    Die alte Formulierung „Feuer am Dach“ gibt es bei Google-Schweiz nur noch 69 Mal. Also sind das jeweils keine Hitzköpfe mehr, aber dafür herrscht stets eine grosse Aufruhr. Na dann können wir ja den Feuerlöscher ungebraucht zurück in die „Nasslöschstelle“ bringen
    und warten, bis sich der Rauch im oder am Dach verzogen hat.

  • Im Ruhrpott brennt es nicht, da dampft es
  • Wie würden wir in Deutschland ausdrücken, das „Feuer im Dach“ ist? Nun, da bieten sich einige Redewendungen an. Zum Beispiel: „Dann ist Polen offen“. Laut Duden steht das für:

    „da/dann ist Polen offen (da/dann kann alles Mögliche passieren, kann es Ärger geben)
    (Quelle: Duden)

    In meiner Heimat, dem Ruhrgebiet, also „tief im Westen, wo die Sonne verstaubt„, bevorzugt man etwas drastischere Ausdruckformen. Da es dort die selige Erfindung des Robidog Hundebriefkastens noch nicht gibt, und häufiger mal eine Tretmine auf dem Bürgersteig zu finden ist, würde der typische Ruhrpöttler eine grosse Aufregung so ankündigen:

    „Dann is aber die Kacke sowat von am dampfen, eh“.

    In diesem Sinne… lassen wir es einfach dampfen.

    Machen Sie noch Konkurrenz oder konkurrenzieren Sie?

    Oktober 15th, 2008
  • Es gibt keine Konkurrenz
  • Das erste Wort, das mir beim Einstieg ins Wirtschaftsleben nach langen Studienjahren ins Auge sprang, war „der Mitbewerber“. Ich lernte rasch: Von der „Konkurrenz“ oder einem „Konkurrenten“ wurde nur an der Schule oder Uni gesprochen. Dort war es der werte Kommilitone, auch nicht ohne, an „Miliz“ und und die kleine „Mili-tante“ erinnernd. In der Wirtschaft steht man im Wettbewerb miteinander und schätzt sich über alle Massen, jedenfalls im Angesicht des Kunden. Rede niemals schlecht über die Konkurrenz, das fällt schlecht auf dich zurück! Dies musste der Republikaner John McCain im aktuellen US-Präsidentschaftswahlkampf hautnah erleben, als er zu stark seinen „Mitbewerber“ Barack Obama verunglimpfte.

    Das zweite Wort, das ich dann noch im Wirtschaftsleben lernte, war die „Umstrukturierung“. Ein schönes neutrales Wort, dass immer dann erwähnt wurde, wenn es darum ging, ein paar Leute zu entlassen.

    In der Onlinefassung der Schweizer Wirtschaftzeitung Cash.ch lasen wir

    CASH.ch konkurrenziert

    Der Zug konkurrenziert den Flug
    Mit Sonderangeboten lockt der TGV Lyria noch mehr Paris-Reisende auf den Zug. London und Berlin bleiben dagegen bislang eine Flugdestination. Für nur 25 Franken mit dem TGV Lyria von Zürich nach Paris: Dieses Lockangebot der SBB bis Ende September haben über 23 000 Reisende genutzt. Der Hochgeschwindigkeitszug ist mit einer Auslastung von 80 Prozent auf Erfolgskurs: Sein Marktanteil auf der Strecke Zürich–Paris beträgt 65 Prozent gegenüber Auto und Flugzeug.
    (Quelle: Cash.ch vom 8.10.08 )

    Da macht niemand Konkurrenz, da herrscht kein Wettbewerb, nein, da wird kurz und knapp „konkurrenziert“. Wieso gibt es dieses Wort nicht in der Standardsprache? Der Duden verzeichnet es als Süddeutsche, Österreichische und als Schweizer Variante.

    konkurrenzieren (sw. V.; hat) (südd., österr., schweiz.): jmdm., einer Sache Konkurrenz machen.
    (Quelle: duden.de)

  • Das doktoriert der Redaktor
  • Es ist höchst praktisch und schreit geradezu nach der allgemeinen Einführung im restlichen deutschen Sprachraum. Aber dann wüssten wir morgens beim Lesen des Wirtschaftteil nicht mehr, dass der Redaktor in der Schweiz doktoriert hat und nun hier geschäftet. Auch schön.