Wer ist Germane? Wer ist Schwabe?
März 30th, 2011(reload vom 7.05.07) (und morgen ist heute)
(hier der dritte Teil des Artikels von Ingomar König aus Hanover)
Ihr betitelt Eure nördlichen Nachbarn gerne als Germanen oder Schwaben. Germanen? Die seid Ihr auch. Schwaben? Soweit mir bekannt, hat noch kein Eidgenosse abgestritten, Alemanne zu sein (von der lateinischen Schweiz abgesehen). Ihr wisst selbst, dass „Schwaben“ (lateinisch Suebi) die eigentliche Selbstbezeichnung, „Alemannen“ die Fremdbezeichnung ist. Suebi, id est Alamanni. Was schliessen wir daraus? 90% der Bewohner Deutschlands sind keine Schwaben, Ihr dagegen seid zu 100% Schwaben. Ihr seid diejenigen Sueben/Schwaben/Alemannen, deren Vorfahren sich in Helvetien eingenistet haben.
Nebenbei bemerkt schmückt Ihr Euch mit fremden Federn, indem Ihr den Namen jenes von den Römern und Euren Ahnen ins historische Jenseits beförderte keltische Volk usurpiert habt und zur kanzleilateinischen Bezeichnung Eures Gemeinwesens als Confoederatio Helvetica missbraucht. Dass sich im sogenannten Schwabenkrieg pro-habsburgische Landsknechte vom Nordufer des Hochrheins und des Bodensees („Sauschwaben“) und eidgenössische Reisläufer aus den Waldstätten in Diensten Berns und Zürichs („Kuhschweizer“) einander gegenüberstanden, ändert nichts daran, dass, abgesehen vom Tiroler Anteil, beide Söldnerheere aus „ethnischen“ Schwaben bestanden bzw. die „Kuhschweizer“ ebenfalls „Sauschwaben“ waren.
Als die Gentiloberhäupter der Schwyzer, Urner und Unterwaldner von nid dem Kernwald ihren legendären Eid schworen, wollten sie da aus dem Reich austreten? Nein, sie hatten sich nach alter Germanensitte auf ihrem Thing, einem gerodeten oder „gereuteten“, von ihnen „Gereutlein“ bzw. „Reutlein“, in alemannischer Version „Grütli“ oder „Rütli“ genannten Stückchen Land versammelt, um ihre bornierten Lokalinteressen gegen die Aussenwelt, vertreten durch die aargauischen Habsburger, zu verteidigen. Dies hinderte sie keineswegs daran, sich unter die Fuchtel der Luzerner, Zürcher, Berner, später der Basler und Schaffhäuser Patrizier zu begeben, die ihrerseits die fröhlich-germanische Rauflust der Waldstätter dazu nutzten, eigene Streitigkeiten mit den Habsburgern von den Waldstättern ausfechten zu lassen. Die Romands liegen schon ganz richtig, wenn sie die Waldstätter als „ces Vickings de 1291, „ces bandits“ und „de parfaits crétins“ bezeichnen (Jean-Marc Heuberger in: autre-suisse.ch).
Die Urner, Unterwaldner (und Zuger), die 1495 den Beitritt von Konstanz zur Eidgenossenschaft verhinderten, um den Thurgau von „jüdischer Zinsknechtschaft“ zu erlösen: Demokraten? Gegen wen wurde die Freiheit verteidigt? Gegen den habsburgischen Landvogt, obwohl die Ur-Eidgenossen anschliessend 300 Jahre lang das ennetbirgische Tessin durch Landvögte selbst unterjochten? Gegen die Habsburger, die ihnen 1291 Modernität und Zivilisation gebracht hätten? Gegen die Habsburger, deren Allianz die Sonderbündlinge 556 Jahre später genau in dem Moment suchten, als jene apostolische Dynastie längst abgehalftert und eine Bastion des Mittelalters war? Diese waldstättischen Patriarchen, die sich „im Laufe der Jahrhunderte durch Beknechtung des Geistes und durch ein engherziges Magnatenregiment zu Jesuitenknechten“ erniedrigen ließen, so die NZZ 1847, diese Männer waren „Freiheitskämpfer“? Die Tagsatzung konnte 1847 gar nicht anders, als im Interesse einer modernen, sich industrialisierenden Schweiz kurzen Prozess mit den wirklichen Eidgenossen zu machen und den Rütli-Mythos rücksichtslos zu entzaubern – übrigens zum äussersten Missfallen zeitgenössischer Spiesser in Deutschland.
Bekanntlich gingen die Städte und freien Bauerngemeinschaften im alten deutschen Reich häufig ein Bündnis mit dem römisch-deutschen Kaiser ein, wenn sie dessen Konkurrenz zu den Landesherren ausnutzen konnten. Auch die Luzerner, Berner und Zürcher Patrizier und die bäuerlichen Eidgenossen hatten immer die Stärkung der Zentralgewalt des Reiches im Sinn, weil nur die Zentralgewalt den Patriziern den politischen Rahmen zu wirtschaftlicher Entfaltung bot, den waldstättischen Sippenpatriarchen die Möglichkeit, ihre störrische germanisch-christliche Rückständigkeit zu pflegen. Als jedoch die Habsburger die Kaiserkrone erlangt hatten und Eure Territorien als Teil ihrer Hausmacht reklamierten, als die Habsburger Reichszentralgewalt und Landesherr in Personalunion geworden waren, war für Patrizier und Eidgenossen der Bock zum Gärtner gemacht. Dialektik der Geschichte: Gerade weil das alte Deutsche Reich von Schweizern (im heutigen Sinn) beherrscht wurde, blieb der Schweiz (im heutigen Sinn) nichts anderes übrig, als – gegen ihren eigentlichen Willen – die „Exemtion“ vom Reich durchzusetzen.
Folgerichtig bezeichneten sich die Unterzeichner des Friedens zu Basel weiterhin als die „Gemeinen Eidgenossen von Städten und Ländern des alten Bundes oberdeutscher Lande“, in dessen französischer Fassung der Bund als „Oberdeutschland“ bezeichnet wird (la vieille ligue de la Haut-Allemagne) – genauer gesagt handelte es sich natürlich nur um einen Teil von Oberdeutschland. Auch der Basler Schultheiss Johann Rudolf Wettstein, der die endgültige Freistellung vom Reich durchsetzte, fungierte in den Verhandlungen zum Westfälischen Frieden als Vertreter der „13 Orte des alten Grossen Bundes Oberdeutscher Lande“ – auch wenn nicht alle Orte hinter ihm standen.
Die „oberdeutschen“ Bündnispartner dachten doch nicht im Traum daran, wegen der umständehalber gebotenen Sezession keine Deutschen mehr im Sinne von Sprache, Kultur, Handelsverbindungen, Mentalität, Sitten und Gebräuchen sein zu wollen; sie dachten nicht im Traum daran, sich vom Rest des Reiches oder gar von ihren alemannischen Stammesbrüdern jenseits von Hochrhein und Rheintal sprachlich, mental oder wie auch immer „unterscheiden“ oder „abgrenzen“ zu wollen; allein die habsburgische Staatsmacht war Objekt ihrer Opposition, doch nicht „das Reich an sich“. Nie hatten sie sich als „Kolonie“ des Reiches gesehen, gegen das ein Kampf für „nationale“ Unabhängigkeit hätte geführt werden müssen.
(Vierter und wirklich letzter Teil morgen: Die Schweizer sind Deutsche)