Kleine Typologie der deutschfreundlichen Schweizer

Januar 29th, 2010

(reload vom 21.11.06)

  • Die aus dem „grossen Kanton“
  • Wir haben auf der Blogwiese viel über die versteckten und von den Deutschen zum Grossteil nicht wahrgenommenen Aversionen mancher Schweizer gegenüber den zugezogenen Einwohnern aus dem nördlichen Nachbarland berichtet. Schon die Umschreibung „die aus dem grossen Kanton“ zeigt uns eine Dichotomie auf, welche die uns bekannten Schweizer in zwei Gruppen teilt. Wir nennen sie die „Integrierer“ und die „Abgrenzer“. Wer von Deutschland als vom „grossen Kanton“ spricht, ist ganz offensichtlich ein Integrierer, denn hier wurde ganz Deutschland bereits zum Teil der Schweiz erklärt, natürlich nur im Spass, oder sollten wir ein Referendum „Beitritt Deutschland als 27. Kanton der Eidgenossenschaft“ ins Leben rufen? Warum nicht gleich alle Länder der EU? „Confoederatio Europae“ oder CE, mit Sitz in Bern, wo sonst, wäre doch kein schlechtes Staatenmodell für die Zukunft, oder?
    Aber es gibt noch mehr als nur diese beiden Grundtypen. Darum heute eine kleine Typologie der deutschfreundlichen Schweizer und wie Sie sie erkennen können.

  • Fragen Sie: „Soll ich Schweizerdeutsch lernen?“
  • Diese einfache Frage müssen Sie Ihren Schweizer Nachbarn, Kollegen, Freunden oder Bekannten stellen, um sie schnell und einfach in unsere kleine „Typologie der deutschfreundlichen Schweizer“ einordnen zu können:

  • Der Abgrenzer
  • „Ach nee, lass das lieber. Das tönt sowieso ganz furchtbar, wenn ein Deutscher versucht Schweizerdeutsch zu lernen. Bleib Du bei Deinem Heimatdialekt.“ Und im stillen denkt er sich noch: „… und lass uns den unsrigen, denn den geben wir nicht her, den wollen wir nicht teilen. Wenn wir den nicht hätten, wie sollten wir uns dann noch von Euch unterscheiden?“
    Abgrenzen, unterschieden, eine klare Trennlinie ziehen, dass ist die Vorgehensweise des „Abgrenzers“. Die Angst vor der Ähnlichkeit mit dem anderen, vor dem Verlust der eigenen Identität, die vielleicht nur auf die Sprache begründet ist, das mag hier die tiefenpsychologische Grundlage für die Denkweise des Ausgrenzers sein.

  • Der Integrierer
  • Na klar, lerne so schnell wie möglich Schweizerdeutsch! Aber geh erst in die Öffentlichkeit damit, wenn Du es perfekt kannst..“ Dann wirst Du so wie wir, einer von uns, kaum mehr zu unterscheiden.
    Der Integrierer hat erkannt, dass die Schweiz sowieso eine permanente Durchmischung und Vermischung von Dialekten erlebt, wie es im Begriff „Bahnhofbüffet-Olten-Dialekt“ zum Ausdruck kommt. Vielleicht hat er selbst schon mehrfach den Kanton gewechselt in jungen Jahren und stets wieder von vorn begonnen mit dem Dialektlernen. Das prägt fürs Leben.

  • Der Ungeduldige
  • Wie, Sie sind schon zwei Jahre hier und haben immer noch nicht den Schweizerpass beantragt? Wann lernen Sie endlich Dütsch sprechen so wie alle hier?“ . Auch solchen Menschen kann man in der Schweiz begegnen. In der Regel sind diese Menschen entweder nie aus der Schweiz herausgekommen, oder sie kamen selbst als Secondos hierher, und sind nun glühende Verteidiger der neuen Heimat. Alle Nachzügler müssen es ihnen gleich tun.

  • Der Ungläubige
  • Die Deutschen sind sowieso nicht in der Lage, überhaupt irgendeine Fremdsprache zu lernen. Manche der jüngeren können Englisch, aber auf Mallorca bestellen Sie ihren Kaffee Haag mit Eisbein und Sauerkraut immer noch ausschliesslich auf Deutsch.“
    Der Ungläubige kennt die Deutschen gut, denn er gucke ja immer deutsches Fernsehen, da weiss man bald alles über das Land und die Menschen. Vor allem über das Schulsystem und die erste und zweite Fremdsprache dort. Die Filme sind seiner Meinung nach in Deutschland immer in der Originalfassung zu sehen, weil niemand dort Englisch oder Französisch kann.

  • Der Tolerante
  • Ach, du kannst reden wie Du willst. Soll ich auch Hochdeutsch reden oder kommst Du klar, wenn ich Schweizerdeutsch spreche?“. Der Tolerante hat unter Garantie selbst Jahre im Ausland verlebt, vielleicht seine Ehefrau von dort mitgebracht, und spricht 3-4 Sprachen fliessend.

  • Der Germanophile (aus der Westschweiz)
  • Oh, sprich doch bitte weiterhin Hochdeutsch mit mir! Es klingt so schön. Endlich kann ich reden, wie ich es jahrelang in der Schule gelernt habe. Hier in Zürich sprechen alle sofort Französisch mit mir, wenn ich nur den hochdeutschen Mund aufmache, dabei will ich doch mein Deutsch nicht verlernen. Ich werde wohl doch so einen Kurs bei der Migros-Klubschule besuchen müssen, wenn ich noch länger hier leben und arbeiten möchte.“

  • Und was meint der Wissenschaftler dazu?
  • Werner Koller ist Zürcher, Sprachwissenschaftler und hat die sprachsoziologische Untersuchung «Deutsche in der Deutschschweiz» veröffentlicht.
    Werner Koller auf seiner Homepage
    (Quelle Foto: hf.uib.no)
    In einem Interview mit dem Bund wurde er zu der Situation der Deutschen in der Schweiz befragt:

    «bund»: Manche Deutschen, die schon lange in der Schweiz leben, fühlen sich immer noch nicht heimisch – wie kommt das?
    Werner Koller: Deutsche haben beste Voraussetzungen für das «Heimisch-Werden» in der Schweiz: Sie unterscheiden sich weder vom Aussehen noch vom kulturellen Hintergrund stark von den Schweizern. Paradox ist: Gerade wegen der Ähnlichkeiten werden die Unterschiede umso stärkerer wahrgenommen. Es gibt viele Deutsche, die die ersten Jahre als problematisch, ja belastend empfinden. Sie erleben die Situation in der Schweiz verschiedener, als sie es erwartet haben. Das betrifft Mentalität und Charakter, die Art und Weise, wie Schweizer miteinander umgehen, und vor allem die Stärke der Vorurteile, die sie gegenüber Deutschen haben. Die Unterschiede müssen nicht gross sein, damit man in der Schweiz als Ausländer behandelt wird.
    (Quelle: Der Bund vom 17.06.06, auch alle weiteren Zitate dort)

    Streng nach der alten Devise: Jeder ist fast überall auf der Welt ein Ausländer. Wir erinnern noch einmal an die Bekannten aus Ostdeutschland, die hier in der Schweiz alles sehr schön fanden, „bis auf die schrecklich vielen Ausländer“. Kein Witz, bittere Realität ohne Selbsterkenntnis.

    Auf die Frage, ob die Deutschen Schweizerdeutsch lernen sollen, meint Werner Koller:

    Natürlich kann man Schweizerdeutsch, wie jede andere Sprache, lernen. Es gibt viele in der Schweiz wohnhafte Deutsche, die Schweizerdeutsch sehr gut sprechen. Bei einigen denken Schweizer höchstens, dass sie «aus einem anderen Kanton» stammen. Das Problem liegt nicht beim Können, sondern bei der Motivation: Man kann sich in der Deutschschweiz mit Hochdeutsch verständigen.

    Richtig. Ein Deutscher muss hierfür einsehen, was es bedeutet, in der Schweiz den nicht einfachen Lokaldialekt tatsächlich lernen zu wollen. Die wochenlangen Reportagen einer Deutschen bei Blick haben die Leser nicht nur amüsiert, sondern auch aufgezeigt, wie schwierig es ist, nicht verschriftete Sprachen systematisch zu lehren und zu lernen.
    Katia Murmann bei Mundart-Kurs
    (Quelle Foto: Blick.ch 02.10.06)

    Sprache ist mehr als ein Kommunikationsmittel. Werner Koller meint:

    Sprache markiert Identität, meine Sprache und ich – wir gehören zusammen. Zur sozialen Identität gehört auch die Zugehörigkeit zu einer Region, einem Dorf – und die Sprache verrät, «woher man kommt». Wenn Deutsche, die hauptsächlich Hochdeutsch sprechen, die Grussformeln Grüezi, Uf Widerluege verwenden, signalisieren sie die Bereitschaft, an den sprachlichen Ritualen teilzunehmen, sich den Gewohnheiten der Schweizer anzupassen.

    Warum kann beim Versuch, Deutsch zu lernen, auch das Gegenteil bei den Schweizern auslösen?

    (bund): Deutsche, die Schweizerdeutsch sprechen, kommen nicht gut an . . .
    (W. Koller) Das kann man so allgemein nicht sagen. Tatsächlich werden Deutsche mit zwei Haltungen konfrontiert. Einerseits geben Schweizer zu erkennen, dass sie durchaus sprachliche Anpassung erwarten. Andererseits hören Deutsche auch, sie sollten «bei ihrer Sprache bleiben». Die Abwehrreflexe kommen in Aussagen zum Ausdruck wie: Deutsche sollen ihre Identität bewahren und sich nicht «ins Schweizerische drängen». Deutsche sollen nicht Dialekt reden, weil der Dialekt der Abgrenzung gegenüber «dem grossen Bruder im Norden» dient.

    Da wären wir bei unserem Lieblingstypen, dem Abgrenzer. Es ist nicht leicht zu wissen, wie man mit all diesen verschieden Typen umgehen sollte, es gibt auch kein Patentrezept, denn nicht jedem fällt das Sprachenlernen leicht. Ich persönlich habe beschlossen, als nächstes mindestens zwei rätoromanische Sprachen zu lernen, um so mitzuhelfen, diese Varianten vor dem Aussterben zu bewahren. Mal sehen wie weit ich dann in Zürich komme, wenn ich auf Rumantsch nach dem Weg frage.

    Schlötterlinge können nicht weinen — Hängen Sie auch manchmal einen Schlötterling an?

    Januar 28th, 2010

    (reload vom 20.11.06)

  • Neues aus der Schweizer Dichtung
  • Wir wurden von einer Übersetzerin gefragt, was denn bitte schön ein „Schlötterling“ sei. Wir waren sprachlos. Ob das eine fantasievolle Wortkreuzung aus Schlottern und „Schmetterling“ sein kann?

    Sie hatte das Wort aus einem Werk des Schweizer Dichters Jürg Amann:

    „Da wir schon einmal bei den Frauen waren, ging ich einen Schritt weiter, durchaus in der Erwartung (…) eines Walserschen Donnerwetters oder Schlötterlings, und fragte (…)“
    (Quelle: Amann, Verirren 116)

    Es muss etwas Unangenehmes sein. Und wirklich, die Erklärung findet sich in Kurt Meyers Schweizer Wörterbuch:

    Schlötterling, der; -s, -e (mundartnah) eine anzügliche Bemerkung, ein derbes Spottwort.

    Sogar ein Zitat aus der NZZ wird dort genannt:

    Will man unter Demokratie das Recht verstehen, jedem Beliebigen an der Landsgemeinde Schlötterlinge anzuhängen, dann ist das … ein arger Missbrauch (NZZ 1965, Nr. 1804)
    (Quelle: Schweizer Wörterbuch, S. 227)

  • Schlötterlinge in der Poesie
  • Auch in Carl Splitters Gedicht „Olympischer Frühling“ findet sich dieser Ausdruck:

    Und wippten trotzig mit dem Strauß von Haselnuß,
    Denn, ohne wen zu ärgern – nicht wahr? – kein Genuß.
    War niemand, der im Abendrote sich erging,
    Der keinen Anwurf oder Schlötterling empfing.
    (Quelle: Projekt Gutenberg)

  • Schlötterlig ohne n
  • Im gesprochenen Dialekt verliert der Schlötterling leicht sein „n“ und mutiert zum „Schlötterlig„. Wir befragten eine ausgewiesene Kapazität des Schweizerdeutschen zu diesem Wort. Hier die Stellungnahme:

    Är het mer e Schlötterlig aaghänkt!“ heisst frei übersetzt: „Er hat mir ,Brehms Tierleben nachgeworfen‘“ oder „er hat mich mit einem Schimpfwort bedacht“. Meistens wird „Schlötterlig“ mit „anhängen“ benützt. Wenn die Konfrontation lange gedauert hat, „het är mir e ganze Cheib vou Schlötterlige aaghänkt“.„Einen Cheib voll“ = einen Haufen.
    (Quelle: private E-Mail)

    Wir wussten nicht, dass man „Brehms Tierleben“ auch gut werfen kann und werden uns gleich nächstens ein paar Exemplare antiquarisch besorgen um damit Ziel- und Weitwurf zu üben.

  • Schlötterling hat was mit Schnoddernase zu tun
  • Laut unserer Lieblingsquelle „Grimms Wörterbuch“ hat das Wort „Schlötterling“ etwas mit dem Schnupfen an der Nase zu tun:

    SCHLÖTTERLING, m. schweiz. im sinne von herabhängender rotz STALDER 2, 331, vgl. schlemperling sp. 628, schlenkerer, schlenkerling sp. 636; die redensart einem einen schlötterling anhenken (STALDER a. a. o., SCHM. 2, 537) zeigt, dasz schlötterling die bedeutung von schlötterlein annahm; vgl. noch HUNZIKER 224. SEILER 256a.
    (Quelle: Grimms Wörterbuch)

  • Schlötterling on Ice
  • Auf 10 vor 10 wurde sogar der Begriff in einem Beitrag im Zusammenhang mit den Beschimpfungen von Eishockeyspielern auf dem Spielfeld erwähnt:

    Viele Spieler der Schweizer Eishockey-Meisterschaft begeben sich verbal aufs Glatteis. Wie Müll werfen sie dem Gegner wüste Worte an den Kopf, um ihn zu verunsichern. Trashtalk nennt man das im amerikanischen Eishockey. Schlötterling on Ice.
    (Quelle: 10 vor 10 vom 22.03.05)

    Falls wir in Zukunft mal ein Problem haben, werden wir nur noch mit Schlötterlinge um uns werfen bzw. diese anderen anhängen. Denn Sie wissen ja: Schlötterlinge können nicht weinen! Das ist so wahr wie „Dänen lügen nicht“.

    Auch Du kannst ein Waffenhändler werden – Deine Unterschrift und 100 Franken reichen für den Anfang

    Januar 26th, 2010

    (reload vom 17.11.06)

  • Mehr Fun mit der Pumpgun
  • Nun ist es neun Jahre her, als der Amokläufer Friedrich Leibacher im Kantonsrat von Zug nach kaltblütiger Planung 14 Menschen tötete, weitere schwer verletzte und sich selbst am Ende erschoss. Unter den zahlreichen Waffen, die er sich vor seiner Tat legal in diversen Kantonen beschaffen konnte, obwohl er zu diesem Zeitpunkt schon „auffällig“ geworden war, gehörte auch eine Pumpgun. Fünf Jahre lang wurde danach in der Schweiz darüber nachgedacht, ob Handlungsbedarf besteht bei den Bestimmungen zum Waffengesetz. Genützt hat es nicht viel. In Herbst 2006 diskutierte der Schweizer Nationalrat über schärfere Bestimmungen im Waffengesetz:

    Knapp endete die Abstimmung über die Frage, ob Pumpaction-Waffen – so genannte Repetierschrotflinten – gänzlich untersagt werden sollen. Friedrich Leibacher hatte sich kurz vor dem Attentat eine solche Waffe besorgt. Doch die populäre Waffe bleibt legal erhältlich: Die Pumpaction eigne sich zwar bestens für Gangsterfilme, sagte Justizminister Christoph Blocher, doch in der Realität gebe es «derzeit keine Hinweise, dass diese Waffen in der Realität besonders häufig oder mehr als andere Waffen für kriminelle Zwecke missbraucht würden». Die Kommissionsminderheit unterlag im Plenum mit 83 zu 86 Stimmen.
    (Quelle: Tages-Anzeiger vom 28.09.06)

    Leibacher konnte sich gleich in mehreren Kantonen mit Waffen versorgen, da es keine nationale Registrierung der Waffen gibt. Was kann man mit einer Pumpgun eigentlich anfangen? Na, auf dem Schiessplatz einmal garantiert die Zielscheibe treffen, noch dazu mit vielen kleinen Kugeln. Es ist ein super Schrotgewehr. Auch Hasen kann man damit erschiessen, muss allerdings auf den Verzehr verzichten, zuviel Blei im Braten.

  • Einmal wie John Travolta ballern
  • Wo kauft man sich so ein Spielzeug, um mal richtig wie John Travolta in „Pulp Fiction“ auszusehen und das persönliche Sicherheitsgefühl zu erhöhen? Zum Beispiel bei der Online Verkaufsbörse „Gebrauchtwaffen.ch“, da gibt es die Dinger für 400 – 550 Franken.

    Das ist richtig teuer, wenn man bedenkt, das Schweizer Wehrmänner nach ihrer Entlassung aus dem Dienst für wesentlich weniger Geld ihr Hightech „Sturmgewehr 90“ behalten können.

    „Der Bundesrat (…) gibt den Entlassenen die Waffen weiterhin auf Vertrauensbasis mit nach Hause. Sie müssen dazu einzig eine Selbstdeklaration unterzeichnen und 100 Franken für ein Sturmgewehr 90, 60 Franken für das Sturmgewehr 57 und 30 Franken für eine Pistole bezahlen“
    (Quelle: Tages-Anzeiger vom 15.11.06)

  • Was soll ich mit dem Gewehr daheim?
  • Merkwürdiger Weise lässt bei Wehrmännern, die 10 Jahre das Sturmgewehr im Schrank stehen hatten, der Bedarf an persönliche Sicherheit und der Wille zur sofortigen Landesverteidigung noch in Schlafanzughosen erheblich nach.

    „Was soll ich mit dem Gewehr daheim?“, fragt ein 34-jähriger Zürcher und gibt die Antwort gleich selber: „Meiner Meinung nach gehört die Waffe nicht nach Hause.“ Viele seiner Kameraden denken ähnlich. Nein, sie brauchen das Gewehr nicht, zu Hause stehe es sowieso nur herum oder könnte in falsche Hände geraten. (…) Von den rund 300 Personen mit Sturmgewehr haben am gestrigen Entlassungstag 251 die Waffe zurückgegeben. Nur 49 Personen nahmen das Sturmgewehr mit nach Hause“.
    (Quelle: Tages-Anzeiger vom 15.11.06)

    Na das kann ja heiter werden, wenn sich solche Gedanken durchsetzen sollten. Keine sofortige Wehrbereitschaft in akuten Krisensituationen, keine schnelle Terrorabwehr wäre mehr möglich, und das bei der heutigen Bedrohungslage!

  • Auch Du hast das Zeug zum Waffenhändler
  • Und dabei könnte man doch richtig schön Geld verdienen mit dem 100-Stutz-Gewehr.

    „Schliesslich bieten Waffenhändler mehrere Hundert Franken für ein Sturmgewehr 90“.
    (Quelle: Tages-Anzeiger vom 15.11.06)

    Auf „Gebrauchtwaffen.ch“ gibt es die Dinger von 1‘200 – 1‘800 Franken, natürlich nur an „Schweizerbürger“ UND „Menschen mit gutem Leumund“ abzugeben, wobei das „und“ hier als logische Verknüpfung verstanden werden sollte, und „ausschliesslich nach den gesetzlichen Bestimmungen“ die ja zum Glück nicht so wahnsinnig kompliziert sind beim Waffenbesitz in der Schweiz.
    Ein billiger Prügel
    (Quelle Foto: gebrauchtwaffen.ch)

  • Die Staatliche Anschubfinanzierung für den privaten Waffenhandel
  • Auch eine Art der Wirtschaftsförderung: Man gebe den entlassenen Wehrmännern das Sturmgewehr 90 für 100 Franken mit nach Hause und es wird kurz darauf für 1‘200 – 1‘800 Franken auf dem Gebrauchtwaffenmarkt verkauft. Wir getrauen uns nicht zu fragen, wer da kauft, denn jeder unbescholtene Schweizer Mann sollte so ein Ding sowieso schon daheim haben. Oder geht der Trend heutzutage eher zur Zweitwaffe?

  • Kann einfach jeder das Ding mit heim nehmen?
  • Wer bereits 10 Jahr als Wehrmann auf dem Buckel hat, muss nur 100 Franken zahlen und unterschreiben:

    Weder ein Auszug aus dem Strafregister noch ein Waffenerwerbsschein werden verlangt. Der Wehrmann muss bloss ein Formular – eine Selbstdeklaration – unterzeichnen, womit er bestätigt, «dass keine Hinderungsgründe für die Überlassung der Waffe vorliegen», wie das VBS schreibt. Es genügt die Angabe, er erfülle Artikel 8, Absatz 2 des Waffengesetzes: Er sei weder im Strafregister verzeichnet, noch gebe er Anlass zur Sorge, dass er sich selbst oder Dritte mit der Waffe gefährde.
    (Tages-Anzeiger vom 9.11.06)

    Die Schweizer sind da gründlich. Vertrauen ist gut, eine Unterschrift ist besser, dann funktioniert das unter Garantie. Eigentlich sollte man den Strafvollzug auch gleich abschaffen. Jeder Ex-Gewalttäter unterschreibt, dass er in Zukunft keinen Anlass mehr zur Sorge gibt, sich selbst oder Dritte zu gefährden, und schon ist das Problem auf Dauer gelöst. Auf diese einfache aber geniale Idee muss man nur erst kommen. Das mit dem Strafregisterauszug, der nicht vorgelegt werden muss, könnten wir der Einfachheit halber für die Ex-Gewalttäter auch gleich übernehmen. Spart eine Menge Kosten.

    Wir möchten doch an dieser Stelle auch betonen, dass wir gleichfalls weder im Strafregister verzeichnet sind noch Anlass zur Sorge geben, dass wir uns selbst oder Dritte mit der Waffe zu gefährden denken. Kriegen wir jetzt auch eine Waffe beim nächsten Waffenhändler? Wo bitte dürfen wir unterschreiben? Für wen braucht eigentlich der Waffenhändler diese Waffen? Wer kauft sie ihm ab? Keine Ahnung, denn ohne Registrierungspflicht weiss sowieso niemand, wann wohin welche Waffe wechselt (wow!)

    Der Bundesrat verzichtete auf eine strengere Regelung – namentlich auf die Verpflichtung, einen Waffenschein zu erwerben oder einen Strafregisterauszug vorzuweisen. Dies mit der Begründung, dass bei der Abgabe der Waffe zu Beginn der Rekrutenschule auch keine Abklärungen gemacht würden, (…). Den Armeeangehörigen soll laut dem VBS zunächst vertraut werden. Schliesslich hätten sie beim Ausscheiden aus der Dienstpflicht rund zehn Jahre klaglos eine Leihwaffe besessen. Zudem sei die Lösung kostengünstig und werde in den meisten Kantonen bereits so gehandhabt.
    (Quelle: Tages-Anzeiger)

    Kostengünstig? Hightech-Geräte mit einem Marktwert von 1‘200 – 1‘800 Franken für 100 Franken abzugeben ist eine kostengünstige Lösung? Ja, denn so kommt der angehende Privat-Waffenhändler zu kostengünstigen Konditionen an seine erste Waffe, der Grundstock für einen späteren Grosshandel.

    Es herrsche Frieden im Land.

    Gegen ist in jeder Gegend was anderes — Vom Gegenmehr und Gegenbericht

    Januar 25th, 2010

    (reload vom 15.11.06)

  • Was steht „gegen 9000 Leute“
  • Wir haben schon häufiger an dieser Stelle die Wichtigkeit des Satzanfanges in der Schweizer Schriftsprachenvariante erläutert. Zu unseren absoluten Lieblingsformulierungen gehören das immer wieder kehrende „für einmal“, oder die in jedem dritten Artikel des Tages-Anzeigers verwendete „Bereits ist es geschehen“ Formulierung am Satzanfang. Jetzt sind wir über ein weiteres Wörtchen aus dieser Kategorie gestolpert.

  • Was heisst eigentlich „gegen“?
  • Wir lasen im Tages-Anzeiger vom 11.11.06 in einem Artikel von Marlène Schnieper aus Jerusalem:
    Gegen 9000 Leute versammelten sich am Freitag auf dem Campus der Hebräischen Universität in Jerusalem“.

    Gegen 9000 Leute
    (Quelle: Tages-Anzeiger vom 11.11.06.)

    Verunsichert, ob uns hier nicht unser eigenes Sprachgefühl erneut einen Streich spielt und wir einem stinknormales Standardwort aufgesessen sind, befragten wir den Duden:

    gegen: (bei Zahlenangaben) der angegebenen Anzahl od. Menge wahrscheinlich sehr nahe kommend; ungefähr: es waren gegen 100 Leute anwesend.

    Kein „Schweiz.“? Nicht mal ein klitzekleines „südd.“ oder „österr.“? Also schauten wir ins Synonymwörterbuch:

    circa, [in] etwa, rund, um, ungefähr, vielleicht, wohl; (österr.): beiläufig; (bildungsspr.): präterpropter; (ugs.): Pi mal Daumen/Schnauze, schätzungsweise, so, über den Daumen gepeilt, um … herum.

    „Präterpropter“ kannte ich nicht für „Pi mal Daumen“. Klingt proper. Was man auf Latein nicht alles schön umständlich ausdrücken kann. Dort steht auch ein kleines „österr.“! Aber vielleicht hilft uns direkt die Google-Suche weiter. Wir probieren in Google-CH und in Google-DE verschiedene Varianten von „Gegen 1000/2000/3000/4000 Leute“. Und tatsächlich bestätigt sich unser Anfangsverdacht. Alle Spuren der Verwendung von „gegen“ im Sinne von „circa, ungefähr“ führen in die Schweiz. Beispiel „gegen 1000 Leute“ (Google-Schweiz) 1´480 Funde:

    Beispiele:

    Gegen 1000 Leute haben dem Spektakel beigewohnt. Sie haben fantastische Leistungen der Sportler gesehen.
    (Quelle: race-inn.ch)

    Böse Zungen behaupteten, dass sich die Einladung an alle richtete, die ADSL buchstabieren können – so drängten sich denn auch gegen 1000 Leute um die Buffets und Bars.
    (Quelle: Blogg.ch)

    Funde in Deutschland belegen „gegen“ nur im Sinne „als Gegner“. Persönliches würde ich „gegen“ mit Zeitangaben verwenden: „Gegen drei Uhr bin ich bei Dir“, aber bei der Formulierung „gegen 1000 Leute“ doch an ein massives Polizeiaufgebot denken, dass sich da gegen eine Menschenmenge stellt.

    Oder bin ich da zu empfindlich? Ich finde die Formulierung „gegen plus Zahl“ nicht schlecht oder niedlich oder sonst wie komisch. Sie ist mir einfach nur aufgefallen. Aber vielleicht fange ich wirklich langsam an mit ungesunder sprachlicher Haarspalterei, je länger wir in der Schweiz leben.

  • Vom Gegenmehr und vom Gegenbericht
  • Die Schweizer verwenden „Gegen“ sonst noch in Kombination mit dem „Mehr“ als „Gegenmehr“, den „Gegenstimmen in einer offenen Abstimmung“ (Variantenwörterbuch S. 280) und im „Gegenbericht“. Den lernt man in der Schweiz kennen, sobald man seinen ersten Kontoauszug von der Bank zugeschickt bekommt. Denn die freundlichen Menschen von der Bank hätten dann gern so einen „Gegenbericht“. Sie sollten sich dann allerdings hüten, ihrer Bank einen ausführlichen Bericht aus ihrer Gegend zu schicken. Oder ihrerseits berichten, was sie alles so dagegen einzuwenden haben. Es sei denn, es bezieht sich auf die Kontoauszüge. Ein „Gegenbericht“ ist eine „Rückmeldung“:

    „Ohne Ihren umgehenden Gegenbericht werden wir uns erlauben, Ihnen ein ganzes Dutzend zu liefern“ (Rutishauser, Geschäftsbriefe 80)
    (Zitiert nach Variantenwörterbuch S. 280)

  • Lieber rechtzeitig gegenberichten
  • Solche Geschäftspraktiken sind selbstverständlich illegal, passieren aber häufig. Seit Monaten kriege ich eine Zeitschrift, für die ich im Sommer kurz ein Probeabonnement bestellt und bezahlt hatte. Ohne dies aktiv zu verlängern oder mich über die beabsichtigte Verlängerung zu informieren, kamen immer weitere Exemplare der Zeitschrift. Damit nicht demnächst noch eine Rechnung eintrifft, habe ich jetzt „Gegenbericht“ erstattet und die Abonnementsverwaltung darüber informiert, dass es sich hier um einen Irrtum handeln muss, ich nie etwas bestellt habe und darum bitte, die kostenlosen Zusendungen zwecks Kostendämpfung und Minderung meines Papiermüllaufkommens einzustellen. Mal sehen, ob die sich jetzt bei mir bedanken werden. Vielleicht mit einem weiteren Probe-Abo?

    Wo sollte das Schweizer Sturmgewehr aufbewahrt werden? — Neue Ideen für eine effizientere Landesverteidigung

    Januar 21st, 2010

    (reload vom 14.11.06)

  • Das Horrorszenario im Wald bei Kloten
  • Stellen Sie sich doch einmal vor, Sie sind an einem sonnenwarmen Frühlingstag mit Ihrem Kollegen auf einer Mountainbike-Tour rund um den Zürcher Flughafen Kloten im Wald unterwegs. Die Strecke ist seit kurzem übrigens durchgehend asphaltiert und auch für Rollerskates gut befahrbar (Karte hier).
    Velotour um den Flughafen
    An diversen Stellen sollten Sie jedoch einen Kerosinfilter oder eine Sauerstoffmaske dabei haben, wenn Sie in der Nähe der Wartezone der Flugzeuge vorbeifahren.

  • Plötzlich ein Attentäter
  • So fahren sie gemütlich plauschend auf Plauschfahrt (vgl. Blogwiese) durch den Wald, als plötzlich ein terroristischer Selbstmordattentäter vor Ihnen aus dem Gebüsch springt und sich, ohne Ihnen auch nur die geringste Beachtung zu schenken, ganz unbeirrt auf den Weg zu den grossen Treibstoffreservoirs macht, die dort im Wald versteckt sind.

    Was tun Sie jetzt? Wie können Sie als gut ausgebildeter Milizsoldat und jährlich überprüfter Scharfschütze die brisante Situation entschärfen helfen? Sie rufen laut und deutlich „Halt“ oder „Moment“, möglichst auch auf Russisch oder Arabisch, rasen mit ihrem Bike zum nächsten Wanderparkplatz, springen in Ihr Auto, fahren nach Hause, vielleicht auch durch den Gubristtunnel ins Limmattal, schnappen sich dort Ihr Sturmgewehr aus dem Kleiderschrank oder Kellerabteil, wo es gut geölt mitsamt eingepackter Munition auf sie wartet.

    Dann suchen sie noch rasch den Dosenöffner, um die Munitionspackung zu öffnen, denn deren Aufreissmechanismus ist natürlich in der Hektik abgerissen. Sie sollten nun keinesfalls versuchen, die Dose mit der Munition durch heftige Hammerschläge oder gar dem Einsatz einer professionellen Handbohrmaschine zu öffnen. Die wertvolle Füllung könnte beschädigt werden, ihr wertvolles Küchenmobiliar durch die ausgelösten Querschläger ebenfalls.

    Dann sind sie parat, rasen zurück über die staufreie Autobahn (es ist ja Sonntag vormittags, Gott sei Dank greifen Terroristen nicht während des nachmittäglichen Berufsverkehrs an!) zum Klotener Wald, noch ein kleiner Spurt mit dem Bike zurück zum Tanklager. Wie, ihr Bike ist nicht mehr da wo sie es gelassen haben? War es denn nicht abgeschlossen? Oder hat es in der Zwischenzeit die Flughafenpolizei wegen „Falsch Parkierens im Wald“ entfernt und sie müssten es erst gegen Zahlung einer Busse auslösen? Egal, gehen wir einmal davon aus, der Terrorist war so freundlich und hat auf Sie gewartet. Dann kommt jetzt ihre Glanzstunde: Ein wohl platziertert Schuss auf den Sprengstoffgürtel des Attentäters, der bereits am Kerosinlager steht, sollte die Sache beenden. Nein, Sie würden eher auf den Kopf schiessen, so wie einst Tell auf den Apfel, nur ein wenig tiefer? Egal, irgendwie wird die Sache sicherlich mit einem wunderbaren Bumm zuende gehen, weil sie nach dem Kopf gleich auch noch den Kerosintank getroffen haben bei der bekannten Durchschlagkraft ihrer Waffe. Reibungshitze und Aufschlagsenergie tun ein Übriges.

  • Die Waffe gehört immer in die Nähe des Schützen!
  • Sie merken, die Situation hat unendlich viel Zeit gekostet. Zeit, die Sie in einem solchen Verteidigungsfall gegen eine wahrscheinliche terroristische Bedrohung nicht hätten. Stände das World Trade Center in der Schweiz und wären hier die vollgetankten Flugzeuge angeflogen gekommen, die Schweizer Milizsoldaten in den Twin Towers hätten sich zu helfen gewusst. Rasch die Waffe von daheim holen gehen, dann ein oder zwei gezielte Schüsse auf die Piloten in der Kabine, nachdem man die Maschine auf ca. 1’000 Meter hat herankommen lassen, und es wäre zu keinem Zusammenstoss des Flugzeugs mit dem Twin Tower gekommen. Gefahr erkannt, Gefahr gebannt.

    Sturmgewehr und Friedenstuch
    (Quelle Foto: Tages-Anzeiger 5.9.06 Walter Bieri/Keystone)

    Diese Freizeitradler machen es richtig! Immer parat auch in der Freizeit. Keine Tour durch den Wald ohne Sturmgewehr! Wichtig ist das Detail am Lenker des rechten Velocipisten: Damit niemand auf die Idee kommt, die beiden führen hier Böses im Schild, seien auf dem Weg zu einem Banküberfall oder kommen gerade von der Landesverteidigung. Nein, wie Sie deutlich erkennen können, führen sie das vorschriftsmässige weisse Friedenstuch am Lenker bei sich. Alles in Ordnung also. Die friedliche Absicht ist deutlich, die Situation sofort entschärft. Alternativ wäre auch Picassos berühmte Friedenstaube als T-Shirt-Aufdruck statthaft.

  • Besser das Gewehr im Auto immer dabei haben!
  • Für den Individualverkehr empfehlen wir hingegen die gesetzlich vorzuschreibende Einführung dieser praktischen Gewehrhalter für alle Autos mit Platz auf der Rückbank:
    Gewehrhalter im Auto

    Nie wieder lange Umwege nach Hause! Nie wieder die Gefahr eines Staus während einer Verteidigungssituation! Allzeit parat sein, heisst die Devise!

    Auch bei der ein oder anderen Streitigkeit im Strassenverkehr (ich hatte den Vorschuss Vortritt, und nicht Sie!) könnten endlich eine durchschlagende Argumentationshilfe zur Anwendung kommen. Die Schweizer Schützen wissen, welch hohe Verantwortung ihnen ihre Eidgenossenschaft da zumutet. Zu Missbräuchen wird es nicht kommen.

  • Nie wieder ein versäumter Fangschuss
  • Der Vertrauensbeweis des Staates in das Verantwortungsbewusstsein seiner Milizsoldaten stärkt das Staatsvertrauen und die Zugehörigkeit zu einer grossen verteidigungsbereiten Gemeinschaft. Ausserdem kann so auch gleich dem ein oder anderen angefahrenen Wildschwein der waidgerechte Fangschuss verpasst werden, anstatt das Tier auf der Strasse elendig lange leiden zu lassen. Merke: Auch dem Tierschutz wäre gedient!