(reload vom 23.10.06)
Meteo auf Schweizerdeutsch ist in Ordnung
Vor einiger Zeit wurde hier auf der Blogwiese die Diskussion geführt, ob die Sendung METEO im Schweizer Fernsehen auf Schweizerdeutsch oder auf Hochdeutsch gesendet werden sollte. Eine grosse Gruppe sprach sich dafür aus, diese Sendung nicht auf Hochdeutsch sondern im heimischen Idiom hören zu wollen. Die wenigen Tessiner oder Westschweizer Zuschauer könnten ja entweder ihre eigenen Landessender über Kabel sehen, oder wie die ausländischen Touristen einfach nur die grafischen Symbole betrachten.
Landeskarten in welcher Sprache?
Die anregende Diskussion zum Thema „Hochdeutsch im Kindergarten“ zeigte weiterhin, wie emotionsgeladen jeder Bereich verteidigt wird, in dem das Schweizerdeutsche vom Hochdeutschen ersetzt werden soll. Es gibt jedoch einen Bereich in der Schweiz, da empfinden alle einhellig Hochdeutsch als eine ganz prima Sprache, und jede Bestrebung hier Dialekt im grossen Stil einzuführen, stösst auf erbitterten Widerstand. Die Rede ist von der Landeskarten, die Frage der Schreibweise von Flurnamen. So lasen wir in einem Artikel der NZZ vom 24.01.06, S. 13:
[So] legt das Bundesamt für Landeskarten (Swisstopo) einen Entwurf zu neuen Richtlinien für die Schreibweise der Lokalnamen (Flurnamen) vor. Auf 57 Seiten werden wissenschaftliche Grundsätze und Regeln für die Schreibweise von Lokalnamen in der Schweiz, sogenannte «Toponymische Richtlinien», aufgestellt – und das in einer Rigidität, die an die Mundarttümelei der geistigen Landesverteidigung erinnert. So sollen in Zukunft folgende exotische Namen auf den Landeskarten stehen: Wannili, Bidumji, Glettiritza, Ghöcht, Chäästaal, Frooi Uusicht, Höje Laas, Düüheltor, Sundloue ne, Grüobini, Bir Heejen Schirr, Besch Hieti, Totuflieji.
(Quelle: lokalnamen.ch)
Bravo! Wenn schon die Schriftsprache aus dem Alltag verbannen, dann aber auch richtig. Wer braucht denn überhaupt noch Hochdeutsch? Wer „Wulche“ und „Ragge“ versteht, der kommt auch mit diesem Lieblingszitat unserer Schwester im Geiste, Frau Eichenberger-Reichmuth zu Rande:
Deet, wotzunä tuät fürägüxlä, ischäs mäischtsunnig. Ond übrau viumiudr, wenns mitem näbu de nit chewtr wiird. Metem hööätüüf öberde naupä.
(vgl. Blogwiese)
Bei Meteo muss man das ja nicht lesen, sondern nur hören. Und beim Verstehen helfen uns die kleinen hübschen Piktogramme auf der Wetterkarte. Gegen die Schweizerdeutsche Schreibung von Flurnamen hingegen regt sich Widerstand:
Was soll nun der einfache Kartenbenützer, was soll der Tessiner und Westschweizer mit diesen unlesbaren Namen auf den Landeskarten und Plänen anfangen?
Die Geschichte scheint sich zu wiederholen. 1947 entfachte sich ein Streit zwischen dem Linguisten der Landestopografie und Sprachwissenschaftlern und Kartographen. Die Landestopografie entwarf 1947 – ähnlich wie nun 2005 wieder – Richtlinien, wonach auf Landeskarten und Grundbuchplänen die lokalen Namen (Flurnamen) in extremmundartlicher Schreibung erscheinen sollten, das heisst, die Namen sollten so geschrieben werden, wie sie am entsprechenden Ort gesprochen werden.
Sprechen Sie auch extremmundartlich?
Den Ausdruck „extremmundartliche Schreibung“ müssen wir uns merken. Ob es auch eine „extremmundartliche Sprechweise“ gibt? Wir werden demnächst unser Schweizer Gegenüber bitten, weniger „extremmundartlich“ zu sprechen, und drauf aufpassen, wie die extreme Reaktion ausfällt.
Diese starke dialektale Ausprägung des Regionalen hätte aus den Landeskarten sozusagen einen Dialektatlas mit mundartlichen Varianten gemacht. Allein im kleinen Kanton Obwalden wären so oft drei bis vier Schreibweisen (Heu, Häiw, Heuw) auf Karten zu schreiben.
Na und? Endlich wird mal die Vielfalt der Schweizer Dialekte gehörig gewürdigt? Begeben Sie sich am nächsten Herbstsonntag auf eine Wanderung durch den Kanton Obwalden und lernen Sie Dialektologie hautnah und lebensecht kennen! Sie brauchen nur eine dieser aktualisierten Karten.
Gegen ein solch dialektales Experimentierfeld erhoben schon 1947 bedeutende Linguisten und Kartographen Einspruch. So schrieb der bedeutende Kartograph und ETH-Professor Eduard Imhof an den Direktor der Eidgenössischen «Die Meinungsverschiedenheiten beziehen sich auf die Grenzzone zwischen mundartlicher Schreibung und schriftlichem Sprachgebrauch. Man darf sich über gewisse feste, allgemein vertraute Schreibgebräuche und über den Hauptzweck der Pläne und Karten nicht hinwegsetzen. Dieser Hauptzweck ist die Orientierung. Das Haupterfordernis ist möglichst leichte, allgemeine Lesbarkeit, und zwar nicht nur durch Ortsansässige, sondern in erster Linie auch durch Ortsfremde. Die allgemeine Schreibgewohnheit, die leichtere und allgemeine Verständlichkeit muss höher bewertet werden als sprachliche Einheitlichkeit, sprachliche Ästhetik und wissenschaftliche Einsicht.»
Warum diese Erkenntnis sich lediglich auf die Flurnamen und Karten erstreckt, bleibt uns ein Rätsel. Rücksicht auf Ortsfremde, Lesbarkeit, Verständlichkeit — Beim Thema „Förderung der Hochdeutsch-Fähigkeit“ wurden diese Argumente nie angeführt. Da gilt es sich zu integrieren, einen Kurs zu besuchen, und so schnell wie möglich Schwiizertüütsch verstehen zu lernen, alles ganz ausser Frage.
Der Beobachter schreibt:
«Flurnamen leben in und aus dem Dialekt, darum müssen wir sie in der Mundart schreiben», beharrt Sprachwissenschaftler Erich Blatter. Sprichts und schickt sich an, mit neuen Richtlinien und einer Vernehmlassung der 60-jährigen Laissez-faire-Praxis Paroli zu bieten. Harmonisierung heisst das Zauberwort, und «Schreib, wie du hörst und sprichst» lautet das Motto.
So wie wir es von den E-Mails der Schweizer Jugendlichen kennen, aus der SMS-Kommunikation und auch aus immer mehr Blogs.
(…) Hochdeutsch? Spricht keiner. Also weg mit der Teufelsküche, her mit der Tüüfels-Chuchi. Dialektnah, wie es sich gehört. Kein Problem, was die Landeskarten betrifft: Sie werden alle sechs Jahre nachgeführt. «Und die Wanderwegweiser, Bergkarten, Tourismusführer und Interneteinträge», hakt Martin Schlatter abermals ein. «Bis die angepasst sind, dauert es Jahrzehnte und kostet Unsummen.»
Probleme gibt es bei der Verschriftung kaum. Oder doch?
Nicht nur dem Hochdeutschen geht es an den Kragen. Selbst an der regionalen Mundart wird gefeilt. In den Kantonen, in denen Volkes Mund Bärg sagt statt Berg, soll künftig der Bärg auch auf der Karte stehen. Bloss: Wie Volk selber hört, dass es spricht, die Experten ihrerseits aber meinen zu wissen, wie es korrekt sprechen und damit auch schreiben soll – das sind nicht selten zwei Paar Schuhe. (…)
Mehr Harmonie sollen die neuen Richtlinien doch schaffen. Wie bloss, wenn selbst aus dem gewohnten «Hochbüel» ein «Hoochbüül», das «Rifeld» zum «Riifäld» und die «Lehmgrueb» zur «Laagrueb» werden muss? Dann ist es mit der Einsicht der Ortsansässigen in Sachen Erhalt des Kulturguts schnell vorbei.
(Quelle: Beobachter 23/05, zitiert nach lokalnamen.ch)
Das Umstellen der Karten kostet Geld. Die Lesbarkeit und Verwendbarkeit für Ortsfremde sollte das geringere Problem sein. Die könnten ja
1.) endlich mal den lokalen Dialekt anständig lernen, wenn Sie hier schon Urlaub machen wollen und
2.) alle paar Jahre eine neue Karte oder einen neuen Reiseführer kaufen, um die Binnennachfrage zu beleben.
Wer gefunden werden will, soll gefälligst einen Kurs machen
Aber es gibt noch ein drittes Argument, welches gegen die Veränderung der Flurnamen spricht:
Robert Frey ist bei all dem gar nicht zum Lachen. Der Projektkoordinator bei Schutz & Rettung Zürich sieht das neue Regelwerk skeptisch. Der Rettungsdienst stützt sich auf die Namensdatenbank von Swisstopo, die – regelmässig aktualisiert – den neuen Richtlinien folgen soll. «Für uns ist jede Minute kostbar», sagt Frey. «Müssen wir lange nach korrekten Ortsangaben recherchieren, kann das gefährlich sein.» Was aber, wenn sich der Verunfallte erinnert, dass auf dem Wegweiser «Beim Babental» stand, die Datenbank aber nur noch die Form «Boobedel» kennt?
Sollte das wirklich ein so grosse Rolle spielen? Wer mit dem Handy unterwegs den Rettungsdienst alarmiert, der soll gefälligst zuvor den ortstypischen Dialekt gelernt haben, sonst ist es nix mit Rettung. Deswegen nun Hochdeutsch bei Ortsnamen beibehalten? Nein, das braucht es wirklich nicht. Ausserdem sind Handys heutzutage sowieso leicht zu orten.
Wird das wirklich kommen? Aber sicher doch…
Die Sachlage hat sich seit dem Erscheinen der Artikel im Beobachter und in der NZU leicht geändert. Die swisstopo hat die „Toponymischen Richtlinien“ von 2005 im Mai 2006 ersetzt durch den „Leitfaden Toponymie 2006“, welcher zwar etwas weniger schlimm ist wie die „Toponymischen Richtlinien“, „Bärg“ (wo so gesprochen wird) wird immer noch propagiert anstelle immer „Berg“ zu schreiben. Den weiterern Verlauf der spannenden Diskussion kann jeder bei lokalnamen.ch verfolgen. Paul Märki fasst dort am 06.08.06 die momentane Situation so zusammen:
Das Bundesamt stützt sich in diesen Richtlinien (2005 und 2006) ausschliesslich auf sprachwissenschaftliche Überlegungen und blendet nach meiner Meinung die zahlreichen praktischen Probleme aus. Die bisherige Schreibweise hat sich mehr oder weniger bewährt. Es geht nun nach meiner Überzeugung nicht darum abzuwägen, ob die revidierte Schreibweise besser ist als die bisherige. Es geht vielmehr darum zu realisieren, dass die fraglichen Vorteile einer revidierten Schreibweise die klaren Nachteile einer jahrzehntelang dauernden Umstellungsphase nicht rechtfertigen. Die Lokalnamen (Flurnamen) auf der Landeskarte und in der Amtlichen Vermessung sind heute in erster Linie eindeutige Lagebezeichnungen und erst in zweiter Linie ein Spiegel der Mundarten. Darum soll die gegenwärtige Schreibweise der Lokalnamen (Flurnamen) unverändert bleiben.
(Quelle: lokalnamen.ch)
Wo geht es hier zur Randesstroos?
Die Umstellung ist derzeit im vollen Gange. Der Kanton Schaffhausen hat Schleitheim bereits im Kartenwerk umgestellt. 66% aller Namen mussten angepasst werden. Hier die derzeitige Karte von Schleitheim, der Lendenberg heisst noch Lendenberg.
(Quelle: Ortsplan Schleitheim)
So lasen wir zu Schleitheim SH auf der Geometa.info Seite:
Änderungen in der Amtlichen Vermessung in der Gemeinde Schleitheim SH
2002 / 2003 wurden in Schleitheim Kanton Schaffhausen von 315 Lokalnamen deren 209 geändert (66%) vgl. Flurnamenliste. Die Lokalnamen wurden von einer mundartlichen Schreibweise (Weisungen 1948) auf eine lautnahe Mundarschreibweise geändert. Gemäss Leitfaden Toponymie 2006 wäre es wegen der restriktiveren Handhabung von Doppelvokalen möglich, dass sich ca. 30 Lokalnamen weniger ändern würdern (es wären dann insgesamt 179 geänderte Lokalnamen, was 57% aller Namen entspricht)
72 Veränderungen weglassen stummes –n z.B. Brüelgarten > Brüelgaarte (alle Beispiele)
34 Veränderungen Schriftsprache -> Mundart z.B. Altes Schulhaus > Aalts Schuelhus (alle Beispiele)
30 Veränderungen einfacher Vokal -> Doppelvokal z.B. Auhäldeli > Auhääldili (alle Beispiele)
23 Veränderungen e -> ä z.B. Gähweg > Gääwäg (alle Beispiele)
50 Veränderungen Diverses z.B. Ischlag > Iischleg (alle Beispiele)
(Quelle: geometa.info)
Vom Pflägheim zum Alprestorã
Hier die komplette Flurnamenliste der 2003 beschlossenen Namensänderungen als PDF. Sie sollen auf den nächsten Karten gedruckt werden. Der auf der abgebildeten Karte von Schleitheim gezeigt „Lendenberg“ soll also in der nächsten Fassung zu „Lendebärg“ mutieren. Dann muss auch der „Lendenbergsteig“ zum „Lendebärgstiig“ werden, und die „Lendenbergstrasse“ zur „Lendebärgstroos“. „Under em Lendebärg“ gibt es bereits. Underberg auch, ist lecker.
(Quelle neue Flurnamenkarte: museum-schleitheim.ch)
Hübsche Aufträge für die Hersteller von Strassenschilder und eine Reihe von Adressänderungen wären die praktische Folge. Aber es gibt ja sonst nichts zu tun als Flurnamen anzupassen.
Auf der Liste der beschlossenen Änderungen steht, dass aus dem Alters- und Pflegeheim ein „Aalters- und Pflägheim“ wird. Wenn das auf der Karte steht und Sie wollen Ihren „Aalten“ oder die Oma im Altersheim besuchen, dann viel Spass beim Suchen.
Das „Alpenrestaurant Babental“ heisst zukünftig „Alprestorã Boobedel„. Ob da dann noch ein Ausflügler aus dem Schwarzwald hinfindet? Zumindest werden sie endlich begreifen, dass das da ein handfester Nasal am Ende vom „Restorã“ ist. Auf der neuen Karte steht unten links noch „Alprestaurant Babental„, aber es liegt nicht mehr dort im Babental, sondern schon im „Boobedel„, unweit der „Brüggliquäll„, die ganz ungequält dort hervorquellt. Ob der Wirt sich da quergestellt gegen das neue Restorã?
(Quelle neue Flurnamenkarte: museum-schleitheim.ch)
Und ob unser „Bobbele“ Boris Becker vom „Boobeldel“ weiss? Vielleicht tät er ja sonst hierhin umziehen?
Wir machen eine Uusbilding
(Auszug aus der Flurnamenliste, Original siehe hier)
Wir hoffen sehr, dass die Bildung im „Zivilschutzuusbildingszentrum“ nicht leiden muss, so lange sie unter Zivilschutz steht.
Wir können uns nicht sattsehen an dieser fantastischen Karten, müssen unbedingt in nächster Zeit mal eine Wanderung durch diese Gegend einplanen. Zum „Staabruch Harnischbogg“, wo die Stare oder Stars gebrochen werden, zum „Rachistelwääldli“, zum Röötebärg und zum „Randestroossbrunne“, in dem die Randen (Rotebeete in der Schweiz), gewaschen werden? Gelebte Dialektologie an jeder Waldecke, das fängt richtig an Spass zu machen.