Keine Fähre am Sonntag — Kein Zug an Weihnachten

Dezember 23rd, 2009
  • Samstag wieder abreisen oder bis Montag bleiben
  • Im letzten Sommer fuhren wir an die Westküste Schottlands und wollten auf die Äusseren Hebriden übersetzen, auf die Isle of Lewis. Es war kurz vor dem Wochenende an einem Freitag und wir hatten geplant, am Sonntag unsere Reise mit der nächsten Fähre nach Skye fortsetzen. Doch es gab keine. Auf der stark protestantisch geprägten Insel Lewis hatten sonntags alle Geschäfte, Restaurants und Pubs geschlossen, es fuhren keine Busse und auch keine Fähren.

    Isle of Lewis
    (Quelle Foto: privat. Unterwegs zur Isle of Lewis)

    Erst im Juli 2009 wurde diese jahrhunderte alte Regelung abgeschafft und gegen den erheblichen Widerstand der Einheimischen eine Sonntagsfähre im Fahrplan aufgenommen; nur die fuhr nicht nach Skye, sondern zurück zum Festland nach Ullapool, weswegen wir bereits am späten Samstagabend weiterreisten.

    Sandstrand auf der Isle of Lewis
    (Quelle Foto: privat. Sandstrand auf der Isle of Skye)

    Die britische Regierung hatte im Jahr zuvor die Subventionen für die 2.5 Stunden lange Fährüberfahrt erhöht, wodurch sich der Tarif für Mensch und Auto halbierte und die Auslastung der Fähren auf 100 % herauf schnellten. Eine perfekte Massnahme zur Ankurbelung des Insel-Tourismus, darum geriet der Fahrplan im ganzen Sommer aus den Fugen, es kam zu Verspätungen, und die zusätzliche Sonntagsfähre brachte endlich Entlastung. Dabei war es vorher ganz im Sinne der Einheimischen, dass am Sonntag nichts los ist.

    Hafen von Uig mit der Fähre nach Lewis
    (Quelle Foto: privat. Hafen von Uig auf der Isle of Skye, die Fähre nach Tarbert auf Harris, pausiert am Sonntag)

  • Alles dicht am Sonntag
  • Was für eine Ruhe, wenn an einem Tag in der Woche der Verkehr ruht und die Geschäfte geschlossen bleiben! In Schottland beginnt man unwillkürlich, bei jeder geöffneten Tankstelle am Strassenrand kurz den Treibstoffstand zu überprüfen, und lieber einmal mehr als einmal zu wenig zu tanken, denn sonst heisst es „You have to wait for Monday!“ Vor einigen Jahren fuhren auch auf dem Festland von Schottland am Sonntag keine Züge.

  • Schon am am Heiligabend mit dem Zug nach Norden gefahren?
  • Uns erinnerte das daran, dass auch in Deutschland an Silvester und Heiligabend eine ähnliche Situation wie in Schottland am Sonntag herrscht, wenn ab 16:00 Uhr der öffentliche Verkehr langsam zum erliegen kommt. Ich fuhr einmal mit dem ICE von Stuttgart nach Köln am 24. Dezember. Der Zug glich einem Geisterzug. In den zehn Wagons waren vielleicht noch fünf Reisende zu finden, die sich dann alle im Speisewagen trafen, weil es einfach unheimlich ist, allein in so einem leeren Zug zu reisen. Richtung Süden, da ist in den Zügen vor Weihnachten die Hölle los, weil alle noch schnell in die Berge zum Skiurlaub kommen möchten, doch Richtung Norden? Wer nicht bis zum 23. Dezember angekommen ist, der fährt erst nach Weihnachten, weswegen die Deutschen Bahn viele reguläre Züge an diesen Tagen aus dem Fahrplan nimmt. Seit einigen Jahren hat ein Umdenken eingesetzt und Busse und Bahnen werden gerade an Silvester rund um die Uhr im Einsatz gehalten, damit die Partygänger bloss nicht auf die fatale Idee kommen, angetrunken mit dem Privatwagen heimzufahren. Prima Plan! Sollten wir mal den Schotten erzählen.

    Wir wünschen allen Leserinnen und Lesern der Blogwiese ein frohes Weihnachtsfest und einen guten Rutsch ins Jahr 2010!
    Die Blogwiese macht Ferien und meldet sich erst im neuen Jahr zurück.

    Schade, bist Du nicht hiergewesen — Neues von der Schweizer Syntax

    Dezember 21st, 2009

    (reload vom 25.10.06)

  • Schade, bist Du nicht hiergewesen
  • Fällt Ihnen an diesem Satz irgendetwas auf? Würden Sie ihn so verwenden? Oder eher nicht?

    Warum ist der Satz für Deutsche so nicht verwendbar? „Bist Du gewesen“ ist lang und schwerfällig. „Schad‘ dass Du nicht da warst“ würde mir eher gefallen. Zumal da auch noch ein doppelter A-Laut am Ende vorkommt. „Da warst“ klingt bei mir jedoch eher wie „da-waast“.

    Wir entdecken diese Erkenntnis in dem bereits erwähnten Artikel in der Sonntagszeitung vom 24.09.06:

    Bestätigt werden diese Befunde durch eine Internetumfrage zur Alltagssprache im ganzen deutschsprachigen Raum (www.philhist.uni-augsburg.de/ada) sowie eine Befragung von 70 Deutschen und 77 Schweizer Studenten. So gaben 55 Prozent der Schweizer Studenten an, dass sie den Satz «Schade, bist du gestern nicht hier gewesen» verwenden würden. Von den deutschen würden dies nur 6 Prozent tun. Worauf diese eigentümlichen Satzstellungen zurückzuführen sind, ist noch unklar. Zum Teil spielt der Dialekt hinein («Schad, bisch nöd cho.»). Doch das Wort «bereits» existiert in der Mundart gar nicht. Seine prägnante Stellung muss also einen andern Grund haben.

    Nun, wir haben ja jetzt gelernt was „Vorfeldbesetzung“ bedeutet. Ein „Schad“ am Anfang des Satzes ist ein ziemlich gut besetztes Vorfeld. Danach mit einer obligatorischen Inversion weiterzumachen und das finite Verb an die Schluss zu rücken, wer mag das schon? Weil, es ist eben unbequem. Die Sprache sucht sich immer den bequemsten Weg (Gesetz der Ökonomie von Sprache) und da ist „Schad, bisch nöd cho“ einfach schneller und eleganter als „Schade, dass Du nicht hiergewesen bist“. Der letzte Satz ist so penetrant hyperkorrekt, wenn Sie den hören, dann können Sie mal davon ausgehen, dass ihn ein Schweizer ausgesprochen hat. „Schade dass Du nicht da warst“ halte ich für üblich.

  • Der Plan für eine Variantengrammatik
  • Ein spannendes Feld, nun nach den Varianten im Deutschen Wortschatz auch die Varianten in der Grammatik zu bestimmen und zu beschreiben:

    Christa Dürscheid plant nun, analog zum Variantenwörterbuch eine Variantengrammatik zu schreiben. Ein Projekt mit drei Forschergruppen in Deutschland, Österreich und der Schweiz ist angedacht, erste Vorarbeiten liegen vor. Diese Grammatik, so Dürscheid, soll eine Bestandesaufnahme und gleichzeitig ein Nachschlagewerk werden.

    Davon profitieren könnten nicht zuletzt die Schweizer Schüler. Studien haben gezeigt, dass die Lehrer Helvetismen gerne als Fehler anstreichen. «Man bewertet oft mit teutonischem Massstab», sagt Dürscheid. Wenn die schweizerhochdeutschen Varianten in einer Grammatik kodifiziert werden, könnte sich dies ändern. Die Lehrer würden toleranter korrigieren, vermutet Dürscheid. «Und die Schweizer könnten selbstbewusster zu ihrem eigenen Deutsch stehen.»

    Halten wir fest: Wenn es im Buch steht und wissenschaftlich untermauert wurde, dann werden die Lehrer die Verwendung von Schweizer Grammatik und Syntax toleranter korrigieren. Die Frage ist nur, ob sie es jetzt überhaupt korrigieren, weil das voraussetzt, dass sie diese Variante auch wahrnehmen.

  • Ist Triglossie besser als Diglossie?
  • Es ist ein durchaus legitimer und frommer Wunsch, den Schweizern dabei zu helfen, „selbstbewusster zu ihrem eigenen Deutsch zu stehen“. Ist ihnen damit wirklich geholfen? Die bisherige Diglossie, also die Beherrschung der Schweizer Muttersprache PLUS des Standarddeutschen würde dann noch stärker durch eine Triglossie abgelöst: Dialekt PLUS Standarddeutsch PLUS Schweizer Hochdeutsch-Variante, wobei „Hochdeutsch“ hier wirklich mal angemessen wäre, denn wie schon oft erwähnt, ist „Hoch“ eine geographische Komponente, neben Mittel- und Niederdeutsch. Und Höher als die Schweiz liegt kein deutsches Sprachgebiet.

    Wir sind skeptisch, denn in den meisten Fällen passiert die Verwendung dieser Schweizer Grammatikvarianten jetzt schon, auch ohne „kodifiziert“ worden zu sein, aber den wenigsten fällt es auf. Während wir beim „Variantenwörterbuch“ verstehen können, wie wichtig es ist, die Varianten der Standardsprache zu kennen, sind wir uns bei einer „Variantengrammatik“ nicht sicher, ob hier nicht aus der jetzt schon schwierigen Diglossie eine Triglossie gezimmert wird.

    „Die Lehrer würden toleranter korrigieren“, vermutet Christa Dürscheid. Aber ist den Schülern damit geholfen, wenn sie quasi die Verwendung von spezifisch Schweizerischen Grammatikvarianten in der Schriftsprache erlaubt bekommen, und damit später im Berufsleben gewiss keinen leichten Stand haben, wenn es um Kommunikation mit dem restlichen deutschsprachigen Ausland geht.

    Grossmehrheitlich im Lande ohne Meer über Meer

    Dezember 18th, 2009

    (reload vom 24.10.06)

  • Grossmehrheitlich ist nicht kleinminderheitlich
  • Dass die Schweiz nicht am Meer liegt, ausser am südlichen Rand des „Schwäbischen Meers“, hatten wir schon erläutert (vgl. Blogwiese). Der Zufall will es, dass es dennoch manchmal hierzulande ein „Mehr“ gibt. Niemals ein Wattenmeer (auch wenn uns Vermicelles immer noch an Wattwürmer erinnern), nicht selten ein Nebelmeer, aber ab und zu ein „Zufallsmehr“. Ist dieses „Mehr“ besonders gross, dann haben die Schweizer dafür auch ein passendes Adjektiv erfunden, welches ab sofort zu unserem neuen Schweizer Lieblingsausdruck aufgestiegen ist (nach „für einmal“ und „erst noch“). Die Rede ist von „grossmehrheitlich“.

    Dieses fantastische Wörtchen ist von grosser Bedeutung in der Schweiz, und „für einmal“ nur in der Schweiz, denn die Beweislage ist eindeutig: Grossmehrheitlich fand sich bei Google-Schweiz sage und schreibe 42.300 Mal und bei Google-DE nur läppische 3560 Mal , und dann auch fast nur in Artikeln aus oder über die Schweiz.

  • Wer verwendet es grossmehrheitlich?
  • Bei der Verwendung von „grossmehrheitlich“ findet sich leicht alles was Rang und Namen hat im Schweizer Blätterwald. Die alte Tante NZZ ist dabei:

    Vier Fünftel der unter 25-Jährigen haben auch eine separate Kamera, die – wen erstaunt’s – grossmehrheitlich ein digitales System ist.
    (Quelle: nzz.ch)

    Der Tages-Anzeiger selbstverständlich auch:

    Die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit am 25. September wurde laut der Vox-Analyse grossmehrheitlich von den Anhängerschaften der SP, der CVP und der FDP gutgeheissen.
    (Quelle: tagesanzeiger.ch)

    Und unsere Lieblingsquelle, die Homepage der Schweizer IT-Fachleute und Systemadministratoren, „admin.ch“, deren Nachrichtendienst im viersprachigen Helvetien selbstverständlich „news-service“ heisst, wie sonst:

    In seiner heutigen Sitzung hat er von den grossmehrheitlich positiven Reaktionen Kenntnis genommen.
    (Quelle: news-service.admin.ch)

  • Sind grosse Minderheiten immer kleine Mehrheiten
  • Nach soviel „Grossmehrheitlichem“ wollen wir natürlich wissen: Gibt es eigentlich auch kleinmehrheitlich?
    Jawohl, auch das kommt vor. Zwar nicht so häufig, aber wir fanden es doch hoch offiziell in einem Protokoll des Kantonsrats Zürich:

    wenn eine 6-prozentige Steuerfusssenkung und 60 Millionen Franken Einlage in den Strassenfonds beschlossen werden, dann könnten wir uns kleinmehrheitlich diesem Budget anschliessen.
    (Quelle: www.kantonsrat.zh.ch)

    Eigentlich sollte man das „kleinminderheitlich“ ersatzlos streichen und durch „grossminderheitlich“ ersetzten. Klingt irgendwie viel grösser.

    Die „Kleinminderheit“ haben wir grossmehrheitlich nicht in der Schweiz, es reichte nur für ein „Kleinbasel“

  • Was klein ist muss man grösser machen
  • Klein ist auch das „Klein Matterhorn“. Obwohl wir 3883 Meter über Meer eigentlich für gar nicht so schrecklich klein finden. Es soll endlich ein 4000 Meter hoher Berg werden:

    Über 120 Viertausender gibt es in den Alpen, doch das ist den Schweizern nicht genug. Das 3883 Meter hohe Klein Matterhorn soll ab 2007 durch eine Pyramide mit Restaurant und Übernachtungsmöglichkeiten um 120 Meter „aufgestockt“ werden.
    „Dadurch wird der Berg zum Viertausender“, sagte Eva Flatau von Zermatt Tourismus bei einer Präsentation in Hamburg. Auf der Spitze des Berges seien zwei Aussichtsplattformen geplant, die über Lifte erreichbar sind. Schon jetzt befindet sich auf dem Klein Matterhorn die höchste Aussichtsplattform der Alpen. Sie wird jährlich von rund 500.000 Menschen besucht.
    (Quelle: Spiegel.de)

    Klein Mattern (Foto aus Wikipedia)
    (Quelle Foto Klein Matterhorn: Wikipedia)

    Wir lernen vom Klein Matterhorn, welches irgendwann gross sein wird, dass „gross“ und „klein“ immer nur relative Begriffe sind. Ob „grossmehrheitlich“ besser klingt als „mit grosser Mehrheit“? Auf jeden Fall ist letzte Umschreibung umständlicher, und auf gar keinen Fall extremmundartlich genug in unseren Ohren.

    Heu, Häiw, oder Heuw — Bei Ortsnamen bitte kein Schweizerdeutsch

    Dezember 17th, 2009

    (reload vom 23.10.06)

  • Meteo auf Schweizerdeutsch ist in Ordnung
  • Vor einiger Zeit wurde hier auf der Blogwiese die Diskussion geführt, ob die Sendung METEO im Schweizer Fernsehen auf Schweizerdeutsch oder auf Hochdeutsch gesendet werden sollte. Eine grosse Gruppe sprach sich dafür aus, diese Sendung nicht auf Hochdeutsch sondern im heimischen Idiom hören zu wollen. Die wenigen Tessiner oder Westschweizer Zuschauer könnten ja entweder ihre eigenen Landessender über Kabel sehen, oder wie die ausländischen Touristen einfach nur die grafischen Symbole betrachten.

  • Landeskarten in welcher Sprache?
  • Die anregende Diskussion zum Thema „Hochdeutsch im Kindergarten“ zeigte weiterhin, wie emotionsgeladen jeder Bereich verteidigt wird, in dem das Schweizerdeutsche vom Hochdeutschen ersetzt werden soll. Es gibt jedoch einen Bereich in der Schweiz, da empfinden alle einhellig Hochdeutsch als eine ganz prima Sprache, und jede Bestrebung hier Dialekt im grossen Stil einzuführen, stösst auf erbitterten Widerstand. Die Rede ist von der Landeskarten, die Frage der Schreibweise von Flurnamen. So lasen wir in einem Artikel der NZZ vom 24.01.06, S. 13:

    [So] legt das Bundesamt für Landeskarten (Swisstopo) einen Entwurf zu neuen Richtlinien für die Schreibweise der Lokalnamen (Flurnamen) vor. Auf 57 Seiten werden wissenschaftliche Grundsätze und Regeln für die Schreibweise von Lokalnamen in der Schweiz, sogenannte «Toponymische Richtlinien», aufgestellt – und das in einer Rigidität, die an die Mundarttümelei der geistigen Landesverteidigung erinnert. So sollen in Zukunft folgende exotische Namen auf den Landeskarten stehen: Wannili, Bidumji, Glettiritza, Ghöcht, Chäästaal, Frooi Uusicht, Höje Laas, Düüheltor, Sundloue ne, Grüobini, Bir Heejen Schirr, Besch Hieti, Totuflieji.
    (Quelle: lokalnamen.ch)

    Bravo! Wenn schon die Schriftsprache aus dem Alltag verbannen, dann aber auch richtig. Wer braucht denn überhaupt noch Hochdeutsch? Wer „Wulche“ und „Ragge“ versteht, der kommt auch mit diesem Lieblingszitat unserer Schwester im Geiste, Frau Eichenberger-Reichmuth zu Rande:

    Deet, wotzunä tuät fürägüxlä, ischäs mäischtsunnig. Ond übrau viumiudr, wenns mitem näbu de nit chewtr wiird. Metem hööätüüf öberde naupä.
    (vgl. Blogwiese)

    Bei Meteo muss man das ja nicht lesen, sondern nur hören. Und beim Verstehen helfen uns die kleinen hübschen Piktogramme auf der Wetterkarte. Gegen die Schweizerdeutsche Schreibung von Flurnamen hingegen regt sich Widerstand:

    Was soll nun der einfache Kartenbenützer, was soll der Tessiner und Westschweizer mit diesen unlesbaren Namen auf den Landeskarten und Plänen anfangen?
    Die Geschichte scheint sich zu wiederholen. 1947 entfachte sich ein Streit zwischen dem Linguisten der Landestopografie und Sprachwissenschaftlern und Kartographen. Die Landestopografie entwarf 1947 – ähnlich wie nun 2005 wieder – Richtlinien, wonach auf Landeskarten und Grundbuchplänen die lokalen Namen (Flurnamen) in extremmundartlicher Schreibung erscheinen sollten, das heisst, die Namen sollten so geschrieben werden, wie sie am entsprechenden Ort gesprochen werden.

  • Sprechen Sie auch extremmundartlich?
  • Den Ausdruck „extremmundartliche Schreibung“ müssen wir uns merken. Ob es auch eine „extremmundartliche Sprechweise“ gibt? Wir werden demnächst unser Schweizer Gegenüber bitten, weniger „extremmundartlich“ zu sprechen, und drauf aufpassen, wie die extreme Reaktion ausfällt.

    Diese starke dialektale Ausprägung des Regionalen hätte aus den Landeskarten sozusagen einen Dialektatlas mit mundartlichen Varianten gemacht. Allein im kleinen Kanton Obwalden wären so oft drei bis vier Schreibweisen (Heu, Häiw, Heuw) auf Karten zu schreiben.

    Na und? Endlich wird mal die Vielfalt der Schweizer Dialekte gehörig gewürdigt? Begeben Sie sich am nächsten Herbstsonntag auf eine Wanderung durch den Kanton Obwalden und lernen Sie Dialektologie hautnah und lebensecht kennen! Sie brauchen nur eine dieser aktualisierten Karten.

    Gegen ein solch dialektales Experimentierfeld erhoben schon 1947 bedeutende Linguisten und Kartographen Einspruch. So schrieb der bedeutende Kartograph und ETH-Professor Eduard Imhof an den Direktor der Eidgenössischen «Die Meinungsverschiedenheiten beziehen sich auf die Grenzzone zwischen mundartlicher Schreibung und schriftlichem Sprachgebrauch. Man darf sich über gewisse feste, allgemein vertraute Schreibgebräuche und über den Hauptzweck der Pläne und Karten nicht hinwegsetzen. Dieser Hauptzweck ist die Orientierung. Das Haupterfordernis ist möglichst leichte, allgemeine Lesbarkeit, und zwar nicht nur durch Ortsansässige, sondern in erster Linie auch durch Ortsfremde. Die allgemeine Schreibgewohnheit, die leichtere und allgemeine Verständlichkeit muss höher bewertet werden als sprachliche Einheitlichkeit, sprachliche Ästhetik und wissenschaftliche Einsicht.»

    Warum diese Erkenntnis sich lediglich auf die Flurnamen und Karten erstreckt, bleibt uns ein Rätsel. Rücksicht auf Ortsfremde, Lesbarkeit, Verständlichkeit — Beim Thema „Förderung der Hochdeutsch-Fähigkeit“ wurden diese Argumente nie angeführt. Da gilt es sich zu integrieren, einen Kurs zu besuchen, und so schnell wie möglich Schwiizertüütsch verstehen zu lernen, alles ganz ausser Frage.
    Der Beobachter schreibt:

    «Flurnamen leben in und aus dem Dialekt, darum müssen wir sie in der Mundart schreiben», beharrt Sprachwissenschaftler Erich Blatter. Sprichts und schickt sich an, mit neuen Richtlinien und einer Vernehmlassung der 60-jährigen Laissez-faire-Praxis Paroli zu bieten. Harmonisierung heisst das Zauberwort, und «Schreib, wie du hörst und sprichst» lautet das Motto.

    So wie wir es von den E-Mails der Schweizer Jugendlichen kennen, aus der SMS-Kommunikation und auch aus immer mehr Blogs.

    (…) Hochdeutsch? Spricht keiner. Also weg mit der Teufelsküche, her mit der Tüüfels-Chuchi. Dialektnah, wie es sich gehört. Kein Problem, was die Landeskarten betrifft: Sie werden alle sechs Jahre nachgeführt. «Und die Wanderwegweiser, Bergkarten, Tourismusführer und Interneteinträge», hakt Martin Schlatter abermals ein. «Bis die angepasst sind, dauert es Jahrzehnte und kostet Unsummen.»

  • Probleme gibt es bei der Verschriftung kaum. Oder doch?
  • Nicht nur dem Hochdeutschen geht es an den Kragen. Selbst an der regionalen Mundart wird gefeilt. In den Kantonen, in denen Volkes Mund Bärg sagt statt Berg, soll künftig der Bärg auch auf der Karte stehen. Bloss: Wie Volk selber hört, dass es spricht, die Experten ihrerseits aber meinen zu wissen, wie es korrekt sprechen und damit auch schreiben soll – das sind nicht selten zwei Paar Schuhe. (…)
    Mehr Harmonie sollen die neuen Richtlinien doch schaffen. Wie bloss, wenn selbst aus dem gewohnten «Hochbüel» ein «Hoochbüül», das «Rifeld» zum «Riifäld» und die «Lehmgrueb» zur «Laagrueb» werden muss? Dann ist es mit der Einsicht der Ortsansässigen in Sachen Erhalt des Kulturguts schnell vorbei.
    (Quelle: Beobachter 23/05, zitiert nach lokalnamen.ch)

    Das Umstellen der Karten kostet Geld. Die Lesbarkeit und Verwendbarkeit für Ortsfremde sollte das geringere Problem sein. Die könnten ja
    1.) endlich mal den lokalen Dialekt anständig lernen, wenn Sie hier schon Urlaub machen wollen und
    2.) alle paar Jahre eine neue Karte oder einen neuen Reiseführer kaufen, um die Binnennachfrage zu beleben.

  • Wer gefunden werden will, soll gefälligst einen Kurs machen
  • Aber es gibt noch ein drittes Argument, welches gegen die Veränderung der Flurnamen spricht:

    Robert Frey ist bei all dem gar nicht zum Lachen. Der Projektkoordinator bei Schutz & Rettung Zürich sieht das neue Regelwerk skeptisch. Der Rettungsdienst stützt sich auf die Namensdatenbank von Swisstopo, die – regelmässig aktualisiert – den neuen Richtlinien folgen soll. «Für uns ist jede Minute kostbar», sagt Frey. «Müssen wir lange nach korrekten Ortsangaben recherchieren, kann das gefährlich sein.» Was aber, wenn sich der Verunfallte erinnert, dass auf dem Wegweiser «Beim Babental» stand, die Datenbank aber nur noch die Form «Boobedel» kennt?

    Sollte das wirklich ein so grosse Rolle spielen? Wer mit dem Handy unterwegs den Rettungsdienst alarmiert, der soll gefälligst zuvor den ortstypischen Dialekt gelernt haben, sonst ist es nix mit Rettung. Deswegen nun Hochdeutsch bei Ortsnamen beibehalten? Nein, das braucht es wirklich nicht. Ausserdem sind Handys heutzutage sowieso leicht zu orten.

  • Wird das wirklich kommen? Aber sicher doch…
  • Die Sachlage hat sich seit dem Erscheinen der Artikel im Beobachter und in der NZU leicht geändert. Die swisstopo hat die „Toponymischen Richtlinien“ von 2005 im Mai 2006 ersetzt durch den „Leitfaden Toponymie 2006“, welcher zwar etwas weniger schlimm ist wie die „Toponymischen Richtlinien“, „Bärg“ (wo so gesprochen wird) wird immer noch propagiert anstelle immer „Berg“ zu schreiben. Den weiterern Verlauf der spannenden Diskussion kann jeder bei lokalnamen.ch verfolgen. Paul Märki fasst dort am 06.08.06 die momentane Situation so zusammen:

    Das Bundesamt stützt sich in diesen Richtlinien (2005 und 2006) ausschliesslich auf sprachwissenschaftliche Überlegungen und blendet nach meiner Meinung die zahlreichen praktischen Probleme aus. Die bisherige Schreibweise hat sich mehr oder weniger bewährt. Es geht nun nach meiner Überzeugung nicht darum abzuwägen, ob die revidierte Schreibweise besser ist als die bisherige. Es geht vielmehr darum zu realisieren, dass die fraglichen Vorteile einer revidierten Schreibweise die klaren Nachteile einer jahrzehntelang dauernden Umstellungsphase nicht rechtfertigen. Die Lokalnamen (Flurnamen) auf der Landeskarte und in der Amtlichen Vermessung sind heute in erster Linie eindeutige Lagebezeichnungen und erst in zweiter Linie ein Spiegel der Mundarten. Darum soll die gegenwärtige Schreibweise der Lokalnamen (Flurnamen) unverändert bleiben.
    (Quelle: lokalnamen.ch)

  • Wo geht es hier zur Randesstroos?
  • Die Umstellung ist derzeit im vollen Gange. Der Kanton Schaffhausen hat Schleitheim bereits im Kartenwerk umgestellt. 66% aller Namen mussten angepasst werden. Hier die derzeitige Karte von Schleitheim, der Lendenberg heisst noch Lendenberg.
    Schleitheim bei Swisstopo
    (Quelle: Ortsplan Schleitheim)

    So lasen wir zu Schleitheim SH auf der Geometa.info Seite:

    Änderungen in der Amtlichen Vermessung in der Gemeinde Schleitheim SH
    2002 / 2003 wurden in Schleitheim Kanton Schaffhausen von 315 Lokalnamen deren 209 geändert (66%) vgl. Flurnamenliste. Die Lokalnamen wurden von einer mundartlichen Schreibweise (Weisungen 1948) auf eine lautnahe Mundarschreibweise geändert. Gemäss Leitfaden Toponymie 2006 wäre es wegen der restriktiveren Handhabung von Doppelvokalen möglich, dass sich ca. 30 Lokalnamen weniger ändern würdern (es wären dann insgesamt 179 geänderte Lokalnamen, was 57% aller Namen entspricht)
    72 Veränderungen weglassen stummes –n z.B. Brüelgarten > Brüelgaarte (alle Beispiele)
    34 Veränderungen Schriftsprache -> Mundart z.B. Altes Schulhaus > Aalts Schuelhus (alle Beispiele)
    30 Veränderungen einfacher Vokal -> Doppelvokal z.B. Auhäldeli > Auhääldili (alle Beispiele)
    23 Veränderungen e -> ä z.B. Gähweg > Gääwäg (alle Beispiele)
    50 Veränderungen Diverses z.B. Ischlag > Iischleg (alle Beispiele)

    (Quelle: geometa.info)

  • Vom Pflägheim zum Alprestorã
  • Hier die komplette Flurnamenliste der 2003 beschlossenen Namensänderungen als PDF. Sie sollen auf den nächsten Karten gedruckt werden. Der auf der abgebildeten Karte von Schleitheim gezeigt „Lendenberg“ soll also in der nächsten Fassung zu „Lendebärg“ mutieren. Dann muss auch der „Lendenbergsteig“ zum „Lendebärgstiig“ werden, und die „Lendenbergstrasse“ zur „Lendebärgstroos“. „Under em Lendebärg“ gibt es bereits. Underberg auch, ist lecker.
    Aus Lendenberg wird Lendebärg
    (Quelle neue Flurnamenkarte: museum-schleitheim.ch)

    Hübsche Aufträge für die Hersteller von Strassenschilder und eine Reihe von Adressänderungen wären die praktische Folge. Aber es gibt ja sonst nichts zu tun als Flurnamen anzupassen.

    Auf der Liste der beschlossenen Änderungen steht, dass aus dem Alters- und Pflegeheim ein „Aalters- und Pflägheim“ wird. Wenn das auf der Karte steht und Sie wollen Ihren „Aalten“ oder die Oma im Altersheim besuchen, dann viel Spass beim Suchen.

    Das „Alpenrestaurant Babental“ heisst zukünftig „Alprestorã Boobedel„. Ob da dann noch ein Ausflügler aus dem Schwarzwald hinfindet? Zumindest werden sie endlich begreifen, dass das da ein handfester Nasal am Ende vom „Restorã“ ist. Auf der neuen Karte steht unten links noch „Alprestaurant Babental„, aber es liegt nicht mehr dort im Babental, sondern schon im „Boobedel„, unweit der „Brüggliquäll„, die ganz ungequält dort hervorquellt. Ob der Wirt sich da quergestellt gegen das neue Restorã?
    Babental oder Boobeldel
    (Quelle neue Flurnamenkarte: museum-schleitheim.ch)

    Und ob unser „Bobbele“ Boris Becker vom „Boobeldel“ weiss? Vielleicht tät er ja sonst hierhin umziehen?

  • Wir machen eine Uusbilding
  • Zivilschutzuusbildingszentrum
    (Auszug aus der Flurnamenliste, Original siehe hier)

    Wir hoffen sehr, dass die Bildung im „Zivilschutzuusbildingszentrum“ nicht leiden muss, so lange sie unter Zivilschutz steht.

    Wir können uns nicht sattsehen an dieser fantastischen Karten, müssen unbedingt in nächster Zeit mal eine Wanderung durch diese Gegend einplanen. Zum „Staabruch Harnischbogg“, wo die Stare oder Stars gebrochen werden, zum „Rachistelwääldli“, zum Röötebärg und zum „Randestroossbrunne“, in dem die Randen (Rotebeete in der Schweiz), gewaschen werden? Gelebte Dialektologie an jeder Waldecke, das fängt richtig an Spass zu machen.
    Staabruch und Randestrooss

    Weihnachtsmarkt in Birmingham — Fischmarkt in Stuttgart

    Dezember 15th, 2009
  • Ein Weindorf zu Gast in Hamburg
  • Als ich in den Achtzigern zum ersten Mal als Nordwestdeutscher ins württembergische Stuttgart reiste, fand dort gerade ein echtes schwäbisches „Weindorf“ statt. Geschmückte Weinlauben und Verkaufsbuden auf dem Rathausplatz machten Werbung für Weine namens „Trollinger“ oder „Lemberger“. Manche darunter sind so sauer, dass man am liebsten nach dem Genuss mit blossen Fingernägeln einen Mauersims hochkriechen mochte wie ein Krebs, darum werden sie von den Einheimischen auch „Simsekrebsler“ genannt.

  • Fischmarkt in Stuttgart
  • Ein paar Jahre später hatten die findigen Schwaben eine weitere glorreiche Vermarktungsidee für ihre Weine und schickten das Stuttgarter Weindorf mit allen Lauben und Weinflaschen auf Auslandsreise weit über den Weisswurstäquator hinaus nach Hamburg. Zum Tausch hatten die Hanseaten den Stuttgartern ihren originalen „Fischmarkt“ vom Hafen geschickt. So gab es also Makrelen und Bismarckheringe zu essen wo sonst Käsespätzle und Filderkraut auf der Speisekarte standen. Eine Einheimische beschwerte sich lautstark, dass die Hamburger gar keinen eigenen Wein zum Verköstigen mitgebracht hatten, ernsthaft. Wo hätte der den wachsen und gedeihen sollen, an den Hängen der Elbe etwa? Dauert nur noch ein paar Jahre, bei der derzeitigen Klimaerwärmung, dann wird auch das Realität. In Südengland macht der Weinanbau bereits grosse Fortschritte. Ein Fischmarkt aus Hamburg in Stuttgart und ein Weindorf aus Stuttgart in Hamburg, doch das war 1986 nur der Anfang. Der geniesserische Gourmet von heute will essen und haben, was er sonst nicht essen oder haben kann.

  • Christmas market in Birmingham
  • In Birmingham, mitten in England, gibt es seit mehreren Jahren einen deutschen Weihnachtsmarkt (Quelle Spiegel.de), mit Holzspielzeug, Bratwurst, Krippenfiguren und neben Glühwein auch viel Bier. Kein Witz: Es wurde bei diesem Kulturmix einfach das Münchner Oktoberfestbier mit dem traditionellen Weihnachtsmarkt kombiniert. „Frankfurter Christmas Market“ nennt sich das dort. Den Briten schmeckt es, und denen ist sowieso egal, was sie da trinken, Hauptsache sie dürfen es legal und draussen tun, was sonst in England ziemlich verboten ist. Seitdem in den Pubs Rauchverbot herrscht, müssen die Raucher mit dem Bier in Plastikbechern (wegen der Scherben) vor die Tür, wo sie nur exakt die Hälfte des Bürgersteigs belegen dürfen, sonst gibt es eine Busse für den Wirt. Die britischen „German Christmas Markets“ sind ein voller Erfolg im Vereinigten Königreich, und eine Anfrage aus Dublin liegt bereits vor. Von dort kennen wir die irischen Pubs, die es auch schon jeder europäischen Grossstadt gibt.

  • Guinness in Oslo
  • Ist das nun die Zukunft in Europa? Das wir ein schwarzes Guinness von Sizilien bis zum Oslo trinken können und echte Christstollen in Birmingham genauso wie in der zugigen Halle des Zürcher Hauptbahnhofs offeriert wird? Warum eigentlich noch verreisen? Auf diese Idee kam der Gründer des Europaparks, Franz Mack, als er zusammen mit seinem Sohn Roland 1975 das Karussellbaugeschäft seines Vaters zu einem Erlebnispark bei Rust ausbaute. Die Familie Mack aus Waldkirch verkauft Achter- und Wildwasserbahnen und brauchte ein Ausstellungsgelände. Sie begannen im Schlosspark von Rust. Ausserdem stellten sie Kulissen für Filmproduktionen her. 200 Meter Elsässische Strasse, ein bisschen italienische Piazza oder ein griechisches Dorf als Deko, kein Problem, konnten sie alles dort bestellen sauber zerlegt und in Container verpackt beziehen. Auch funktioniert der Park vorzüglich als Ausstellungsraum für potentielle Kulissen-Käufer. Man braucht nicht mehr ins benachbarte Elsass, nach Griechenland oder Italien zu fahren, gibt es alles im Europapark. Auch ein Stück Schweiz ist als Bobbahn vertreten, was die 25% der Besucher, die aus der Schweiz nach Rust anreisen, gar nicht erstaunt.

  • Fasnacht in Zürich
  • Doch jetzt muss ich schliessen, denn bald beginnen das nächste Münchner Oktoberfest in New York, dann die original Zürcher Fasnacht und danach der Christkindelmarkt in Tokio, das sollen wir doch nicht verpassen, oder?