Weihnachtsmarkt in Birmingham — Fischmarkt in Stuttgart
Als ich in den Achtzigern zum ersten Mal als Nordwestdeutscher ins württembergische Stuttgart reiste, fand dort gerade ein echtes schwäbisches „Weindorf“ statt. Geschmückte Weinlauben und Verkaufsbuden auf dem Rathausplatz machten Werbung für Weine namens „Trollinger“ oder „Lemberger“. Manche darunter sind so sauer, dass man am liebsten nach dem Genuss mit blossen Fingernägeln einen Mauersims hochkriechen mochte wie ein Krebs, darum werden sie von den Einheimischen auch „Simsekrebsler“ genannt.
Ein paar Jahre später hatten die findigen Schwaben eine weitere glorreiche Vermarktungsidee für ihre Weine und schickten das Stuttgarter Weindorf mit allen Lauben und Weinflaschen auf Auslandsreise weit über den Weisswurstäquator hinaus nach Hamburg. Zum Tausch hatten die Hanseaten den Stuttgartern ihren originalen „Fischmarkt“ vom Hafen geschickt. So gab es also Makrelen und Bismarckheringe zu essen wo sonst Käsespätzle und Filderkraut auf der Speisekarte standen. Eine Einheimische beschwerte sich lautstark, dass die Hamburger gar keinen eigenen Wein zum Verköstigen mitgebracht hatten, ernsthaft. Wo hätte der den wachsen und gedeihen sollen, an den Hängen der Elbe etwa? Dauert nur noch ein paar Jahre, bei der derzeitigen Klimaerwärmung, dann wird auch das Realität. In Südengland macht der Weinanbau bereits grosse Fortschritte. Ein Fischmarkt aus Hamburg in Stuttgart und ein Weindorf aus Stuttgart in Hamburg, doch das war 1986 nur der Anfang. Der geniesserische Gourmet von heute will essen und haben, was er sonst nicht essen oder haben kann.
In Birmingham, mitten in England, gibt es seit mehreren Jahren einen deutschen Weihnachtsmarkt (Quelle Spiegel.de), mit Holzspielzeug, Bratwurst, Krippenfiguren und neben Glühwein auch viel Bier. Kein Witz: Es wurde bei diesem Kulturmix einfach das Münchner Oktoberfestbier mit dem traditionellen Weihnachtsmarkt kombiniert. „Frankfurter Christmas Market“ nennt sich das dort. Den Briten schmeckt es, und denen ist sowieso egal, was sie da trinken, Hauptsache sie dürfen es legal und draussen tun, was sonst in England ziemlich verboten ist. Seitdem in den Pubs Rauchverbot herrscht, müssen die Raucher mit dem Bier in Plastikbechern (wegen der Scherben) vor die Tür, wo sie nur exakt die Hälfte des Bürgersteigs belegen dürfen, sonst gibt es eine Busse für den Wirt. Die britischen „German Christmas Markets“ sind ein voller Erfolg im Vereinigten Königreich, und eine Anfrage aus Dublin liegt bereits vor. Von dort kennen wir die irischen Pubs, die es auch schon jeder europäischen Grossstadt gibt.
Ist das nun die Zukunft in Europa? Das wir ein schwarzes Guinness von Sizilien bis zum Oslo trinken können und echte Christstollen in Birmingham genauso wie in der zugigen Halle des Zürcher Hauptbahnhofs offeriert wird? Warum eigentlich noch verreisen? Auf diese Idee kam der Gründer des Europaparks, Franz Mack, als er zusammen mit seinem Sohn Roland 1975 das Karussellbaugeschäft seines Vaters zu einem Erlebnispark bei Rust ausbaute. Die Familie Mack aus Waldkirch verkauft Achter- und Wildwasserbahnen und brauchte ein Ausstellungsgelände. Sie begannen im Schlosspark von Rust. Ausserdem stellten sie Kulissen für Filmproduktionen her. 200 Meter Elsässische Strasse, ein bisschen italienische Piazza oder ein griechisches Dorf als Deko, kein Problem, konnten sie alles dort bestellen sauber zerlegt und in Container verpackt beziehen. Auch funktioniert der Park vorzüglich als Ausstellungsraum für potentielle Kulissen-Käufer. Man braucht nicht mehr ins benachbarte Elsass, nach Griechenland oder Italien zu fahren, gibt es alles im Europapark. Auch ein Stück Schweiz ist als Bobbahn vertreten, was die 25% der Besucher, die aus der Schweiz nach Rust anreisen, gar nicht erstaunt.
Doch jetzt muss ich schliessen, denn bald beginnen das nächste Münchner Oktoberfest in New York, dann die original Zürcher Fasnacht und danach der Christkindelmarkt in Tokio, das sollen wir doch nicht verpassen, oder?
Dezember 15th, 2009 at 20:50
Herr Wiese, ich finde „interessant“ dass Sie die regionale schweizerische Beugung des Städtenamens Zürich zu „Zürcher…“ aufgenommen haben, sich aber statthaft weigern von „Kässpatzn“ zu sprechen/schreiben obwohl kein Schwabe „KäsEspatzEn“ kennt und im Zusammenhang mit Baden-Württemberg vom „Weißwurstäquator“ zu sprechen/schreiben halte ich für relativ grotesk. Sie mögen „helvetiphil“ sein, das muss aber nicht heißen dass Sie auch die eindimensionale schweizer Sichtweise auf die Bundesrepublik übernehmen müssen?!
[Antwort Admin: Tatsächlich stand im ersten Entwurf lange „Kässpatzen“, doch das doppelte „s“ schien mir zu hässlich geschrieben. Die genaue Definition des Weisswurstäquators wird im übrigen von Norddeutschen und Bayern unterschiedlich gehandhabt, ich zitierte dazu Wikipedia.de:
(Quelle: Wikipedia.de) ]
Dezember 15th, 2009 at 20:56
Schade, dass es in Zürich keinen richtigen Weihnachtsmarkt gibt. Habe ich doch die nettesten Zürcher am Glühweinstand am Hauptbahnhof kennengelernt. Aus deren Sicht herrscht dringender Missionsbedarf. So ein Glühweinbecher kommt größentechnisch auch nicht an ein Minarett heran.
Dezember 15th, 2009 at 23:10
[…Wo hätte der den wachsen und gedeihen sollen, an den Hängen der Elbe etwa? Dauert nur noch ein paar Jahre, bei der derzeitigen Klimaerwärmung, dann wird auch das Realität…]
Da sollten sich die Hamburger man etwas beeilen. Die Dänen haben 2003 ihren ersten eigenen Wein auf den Markt geworfen: http://www.visitdenmark.de/tyskland/de-de/menu/turist/oplevelser/nydlivet/gastronomi/gastronomie-wein.htm