Leben Sie noch? Sind Sie sicher? — Am besten gleich eine Lebensbestätigung anfordern
September 30th, 2009(reload vom 12.09.06)
Nach unserem Umzug in der Schweiz lernten wir in den ersten Jahren fast wöchentlich völlig unbekannte Wörter oder Wortkombinationen: Die Betreibungsauskunft, die Vernehmlassung, den Güselkübel, die Finken, den Motionär, den Goalie, die Zigi, den arroganten freundlichen Deutschen … Mit der Zeit alles kein Problem und eine praktische Bereicherung unseres Wortschatzes. Doch bei diesem hübschen Formular, das wir auf der Homepage der Gemeinde Schlieren fanden, gerieten wir doch wieder ins Staunen:
(Quelle: schlieren.ch)
Was passiert, wenn man diese Lebensbestätigung beantragt hat, 30 Franken zahlte, sie zugeschickt bekommt und in der Zwischenzeit verstorben ist. Ist sie dann ungültig? Werden dann die 30 Franken zurückerstattet? Diese Lebensbestätigung wirft bei uns unweigerlich die Frage auf, ob wir uns eigentlich auch unseren Tod bestätigen lassen können. Ich weiss, eine rein hypothetische Frage, aber ich stell mir gerade vor, eines Tages wache ich auf und bin tot, und bräuchte das dann dringend irgendwie bestätigt, am besten via Online Schalter.
Eine Todesbestätigung oder Sterbeurkunde kann man sich online nicht bestellen, hingegen gibt es da noch das „Handlungsfähigkeitszeugnis“, welches mit Noten belegt, dass man zu jeder Handlung fähig ist.
Achten Sie hier auch wieder bitte unbedingt auf die beiden „Gentiv-S“ zwischen den Teilwörtern. „Handlungsfähigkeitzeugnis“ wäre falsch, „Handlungsfähigkeitszeugnis“ ist richtig. Habe Sie den Unterschied überhaupt bemerkt? Sonst müssen wir das noch ein bisschen üben. Setzen Sie das Wort doch einfach mal in den richtigen Genitiv. Die „Erteilung eines Handlungsfähigkeitszeugnisses“ zum Beispiel. Und das „s“ immer schön stimmlos zischen. Ja, so ist es prima!
Die Zeugungsfähigkeit wird ja häufiger mal bezeugt, aber die Handlungsfähigkeit? Wieder ein neues Wort gelernt. Im Ruhrgebiet würde man, in entsprechender Umgebung und bei passendem Alkoholgehalt, z. B. in der Südkurve auf Schalke, bei der Frage nach einem „Handlungsfähigkeitszeugnis“ sicher sofort von der Handlungsfähigkeit seines Gegenübers praktisch überzeugt werden, nämlich eins aufs Maul kriegen.
Soviel zum Thema: „Vom korrekten Umgang mit Schweizer-Hochdeutschen Formulierungen im situativen Kontext der kommunikativen Gesprächssituation“. (Linguistisches Seminar Sprechakttheorie II)
Eine „Lebensbestätigung“ bekommen Sie übrigens in vielen Schweizer Gemeinden online, falls mal wieder Zweifel ob ihrer Lebendigkeit aufkommen. Siehe die 1’800 Fundstellen von Google-Schweiz. Handlungsfähigkeitszeugnisse sind noch beliebter. Es fanden sich 43’500 Stellen dazu bei Google-Schweiz.
Das wahre Geheimnis der Gemeinde Schlieren versteckt sich in ihrem Adjektiv. Es heisst nicht „schlierener“ sondern „schlieremer„, mit einem „m“ wie Martha oder wie in „Schlei-m“. Auf der Homepage wird das 41 Mal erwähnt: Schlieremer Wald, Schlieremer Berg, Schlieremer Zentrum. Wann wurde denn da aus dem „n“ ein „m“ und warum? Wollte sie keine Schlieren ziehen auf dem Glas, in der Landschaft oder ganz allgmein? Wer kann mir dieses Geheimnis eines Schweizer Adjektivs erklären? Warum „schlierem“ und nicht „schlieren„, wenn die Gemeinde doch Schlieren heisst?
P.S.: Wir sind definitiv schon zu lange weg aus Deutschland… eben finde ich eine „Lebensbescheinigung“ auf der Homepage der Stadt Stuttgart. Auch dort leben also bescheinigte Lebende.