Ein Feiertag nur für die Schweizer — Woher kommt der Berchtoldstag

Dezember 30th, 2008

(reload vom 2.1.06)

  • Viele Namen für einen Feiertag
  • Es gibt nur wenige Tage im Jahr, an denen man sich als Deutscher in der Schweiz darüber von Herzen freut, nicht mehr im „grossen Kanton“ zu leben, sondern von den echt Schweizerischen Feiertagen profitieren zu können. Dazu zählen neben dem 1. August (siehe Blogwiese:) natürlich der verlängerte Start ins neue Jahr mit dem „Berchtoldstag“ am 2. Januar.

    Dieser Feiertag hat nicht nur eine Reihe von unterschiedlichen Namen, er findet auch nicht immer am gleichen Tag statt:

    Der Berchtoldstag (Bechtelstag, Bechtle, Bechtelistag) ist ein Feiertag in Gegenden mit alemannischer Bevölkerung, insbesondere im Elsaß und in der Schweiz.
    Er fällt in den verschiedenen Gegenden bald früher, bald später an den Jahresanfang, ist aber jeweils ein unbeweglicher Feiertag. Meist werden an dem Tag nur noch Kinderfeste gefeiert. Es werden Gaben gesammelt und an ärmere Leute vergeben, vielleicht als Erinnerung an das altdeutsche Opferfest im Januar (Bechten, Pechten). (Quelle Wiki:)

    Jedenfalls hat der Tag nichts mit Berthold von Zähringen zu tun, dem Gründer der Zähringer Städte Bern, Freiburg im Breisgau und Fribourg en Suisse.

    Von Frau Holle, Perchta, Berchta und Bertold
    Der Berchtoldstag hat einen heidnischen Ursprung und geht auf die altgermanische Dämonin „Perchta“ hin, die es bis in die Märchen der Gebrüder Grimm als „Frau Holle“ geschafft hat:

    „Bächtele“, „Berchten“ bedeutet „heischen, verkleidet umgehen und schmausen“; es weist hin auf „Perchta“, eine altgermanische Dämonin, die zu Wotans (Odins) „Wildem Heer“ gehört, mit diesem in den „Zwölf Nächten“ oder „Rauhnächten“, den dunkelsten des Jahres, ihr Unwesen treibt und in vielerlei Bräuchen wie z. B. dem Perchtenlauf (…) nachahmend gebannt wird: schrecklich vermummte Gestalten toben durch die Nacht und müssen mit Gaben, die sie einfordern, besänftigt werden. (Auch der bis vor kurzem allgemein lautstark und mit z.T. zerstörerischem Schabernack „gefeierte“ Schulsilvester ist davon ein Abbild).
    (Quelle: zh.ref.ch)

    Der Berchtoldstag findet mitten in den Rauhnächten statt, heisst es. Ob das besonders kalte und raue Nächte sind? Nein, es kommt vom „Rauch“, vom „Weihrauch“, mit dem man im Mittelalter die bösen Geister zu vertreiben suchte. „Den Rauch reinlassen“ sagt man heute noch, wenn man das Böse vertreiben möchte:

    Rauhnacht
    Unter den 12 Rauhnächten verstand man die Zeit zwischen dem 24. Dezember (ursprünglich 21. Dezember: Thomastag) und den 6. Jänner. Sie war charakterisiert durch eine besondere Andacht und Arbeitseinschränkung. Die Zeit galt als besonders heilig, gleichzeitig war es eine Zeit, in der vermehrt Bräuche stattfanden. Man glaubte, daß in den Rauhnächten die Percht, eine Sagengestalt, durch die Gegend schleicht. Deshalb stellte man für sie Milch und Brot vor die Tür. (…)
    Der Begriff „Rauhnacht“ leitet sich vom „Ausräuchern des Hauses“ ursprünglich wahrscheinlich durch einen Priester ab. Durch diese Segnung glaubte man im Spätmittelalter, Geister und Dämonen abzuwehren. (Quelle:)

  • Das kleine Rauchopfer
  • Heute wird nur noch ein „kleines Rauchopfer“ gefeiert, wie es der Chinese im Roman „Briefe in die Chinesischen Vergangenheit“ von Herbert Rosendörfer bezeichnet. Gemeint hat er damit das Abbrennen von Zigaretten.

  • Am Berchtoldstag nach Aldi
  • In der Not setzen sich viele Schweizer an diesem Feiertag ins Auto um in das benachbarte Ausland zum Einkaufen zu fahren, denn dort sind alle Geschäfte geöffnet. So trifft man sich dann bei Aldi in Jestetten, in der Not, denn sonst würde man ja nie auf die Idee kommen, hier hin zu fahren, von wegen der schlechten Qualität der Lebensmittel und so…

    Frohe Weihnachten — Blogwiese macht Pause

    Dezember 24th, 2008

    Die Blogwiese wünscht allen Leserinnen und Lesern, Kommentarschreiberinnen und Kommentarschreibern, eine frohe und geruhsame Weihnacht und einen guten Rutsch ins neue Jahr! Wir machen Pause und lesen uns wieder ab dem 5. Januar 2009.

    Gisplig, gispelig und Dizzy Gillespie

    Dezember 23rd, 2008

    (reload vom 5.3.06)

  • Gisplig oder gispelig?
  • Am 16.02.06 lasen wir im Tages-Anzeiger den schönen Satz:

    „Er begrüsste nicht die zwanzig Medienleute, die die Szene völlig beherrschen. Nein, dieser laute, gisplige Medienpulk ist im 1000-Seelen-Dorf Aesch fehl am Platz.“

    Der Gisplige Medienpulk
    Jetzt wird es schwierig. Wie lässt sich rausfinden, was „gisplig“ bedeutet? Im Duden ist es nicht zu finden, nur Google bringt ein paar Belege, die Teils mit e wie „gispelig“, Teils ohne e wie „gisplig“ geschrieben werden.
    Nur im Wörterbuch der Brüder Grimm findet sich ein Eintrag.
    Der Gispel:

    GISPEL, m., süd- und westmitteldt. wort, vgl. gispel ‚kind, das mit füszen und händen nie ruhig ist‘ MARTIN-LIENHART 1, 240a, ‚unruhiger mensch mit fast fieberhaft lebhaften bewegungen‘ STAUB-TOBLER 2, 482; anders, vielleicht in mischung mit gimpel, ‚halbnärrischer, dummer mensch, einfaltspinsel‘ UNGER-KHULL steir. 293b, ‚eitler …, geistig minderwertiger mensch‘ rhein. wb. 2, 1245; so auch seit dem 17. jh. literarisch belegt bei obd. autoren im sinne von ’narr, dummkopf‘, meist mit gutmütig-jovialem unterton: ein einfältiger gispel thäte sich mit einer schönen, doch verruften und beschreiten dirn … in eheverlöbnis ABELE V. LILIENBERG gerichtshändel 2 (1658) 78; du unbesunnener gispel ABR. A S. CLARA Judas 1 (1686) 222; ja, sag ich zu mir, bist ein schöner gischpel, willst andern leuthen ein vollgschancktes tintenfassl verehrn und kanst selber itze ninx schreybn J. J. SCHWABE tintenfässl (1745) A 3b; potzblitz! … sieht er nicht, gispel, dasz wir unserer sieben sind? L.
    (Quelle: Grimms Wörterbuch)

    Es muss also „nervös“ und „unruhig“ bedeuten, und wie wir bei Grimm lesen, dies bereits seit dem 17. Jh. und noch länger.
    Ob die unruhige Spielart von Dizzy Gillespie auch etwas mit diesem „Gispel“ zu tun hat? Aber da stehen die Ls ja vorn und nicht hinten, also sicher keine Verwandschaft.

    Der Tolgen im Reinheft — Sie haben einen Fleck da!

    Dezember 22nd, 2008

    (reload vom 4.3.06)

  • Der Tolgen im Reinheft
  • Nein, nicht der „Fänger im Roggen“, der ist von J. D. Salinger. Der Tolgen im Reinheft ist eine typische Schweizer Angelegenheit. Niemand kann so richtig klären, woher das Wort „Tolgen“ stammt und was es eigentlich bedeutet. Aber lesen können Sie den Satz häufig. Beispiel:

    Dass sich die Genossenschaften mit den Löhnen der Verkäuferinnen einen Schnitzer erlaubten ist leider ein grossen Tolgen im Reinheft.
    (Quelle: symlink.ch )

    In der Schreibung mit zwei „g“ als „Tolggen“ finde er sich gar noch häufiger bei Google, nämlich 231 Mal.

    Ich wehre mich für Pratteln, das bereits den grössten Ausländeranteil hat und wir brauchen keinen weiteren „Tolgen im Reinheft“.
    (Quelle: pratteln.ch)

    Es ist ein schwarzer Fleck, von dem hier gesprochen wird, ein „Schandfleck“, eine dunkle Stelle. Das „Reinheft“ ist das Schreibheft, in dem die Schweizer Primarschüler die Schönschrift üben. Mit französischen Schreibschrift-Z zum Beispiel. Ein Tolgen ist ein hässlicher Tintenfleck. Der Ausdruck heisst also soviel wie „einen Schandfleck haben“, oder „einen Fleck auf der weissen Weste haben“.

  • Sie haben einen Fleck da
  • Kennen wir ja alle noch von Asterix bei den Schweizern: „Sie haben einen Fleck da“. Diese Sprüche aus dem Asterix-Band haben es weit in das kollektive Bewusstsein zum Thema „Schweiz“ gebracht. Dazu gehört die berühmte Fondue-Strafenfolge (1. Der Stock, 2. die Peitsche, 3. Mit einem Gewicht an den Füssen in den See) genauso wo Obelix Antwort, wie er denn die Schweiz fand: „Flach!„.

  • Asterix war nie bei den Germanen
  • Als Kind hatte ich in Deutschland alle verfügbaren Asterix-Bände verschlungen und immer darauf gewartet, dass endlich mal „Asterix bei den Germanen“ erscheint. Den Band „Bei den Goten“ hatte ich zwar gelesen, aber absolut nicht verstanden, dass hier auf die Deutschen angespielt wurde (Ost-Goten vs. West-Goten, der Zweite Gotische Krieg etc.). So ist das mit der Selbstwahrnehmung als Deutscher. Einfach nicht vorhanden.

    Beim Ausstich der Kandidierenden

    Dezember 19th, 2008

    (reload vom 3.3.06)

  • Ausstich in Aesch
  • Wir lasen im Tages-Anzeiger vom 16.02.06 über die Gemeinderatswahl in Aesch:

    „Gemeindepräsident Jakob Hofstetter begrüsst die rund vierzig anwesenden Aescherinnen und Aescher und die zum Ausstich erschienenen Kandidierenden Ruth Hofstetter (parteilos) und Roland Helfenberger (SVP), die bei den Gemeinderatswahlen dieselbe Stimmenzahl erreichten.“

    Das aus Aesch nur Aescherinnen und Aescher kommen, klingt logisch und nachvollziehbar, aber was ein „Ausstich“ ist, da müssen wir erst scharf drüber nachdenken.

  • Was ist ein „Ausstich“?
  • In München auf dem Oktoberfest gibt es den „Anstich“, wenn der Bürgermeister das Oktoberfest mit einem lauten „Oozapft iis“ eröffnet. Im Sommer essen wir gern frischen „Bienenstich“, ohne uns dabei von Bienen stechen zu lassen, die sich beim Konditor gern in die süsse Auslage verirren. Beim Skatspielen versucht jeder Spieler einen „Stich zu machen“, und so hiess auch ein Tennisspieler aus Deutschland, Michael Stich, der es 1991 im Wimbledonfinale nicht gegen Boris Becker schaffte, zu einer Zeit, als Roger Federer sich noch nicht einmal richtig für diese Sportart entschieden hatte und lieber Fussball spielte (siehe hier).

    Beim Sport hingegen kann es auch zu einem „Stechen“ kommen, wenn in einem Wettkampf nur noch zwei übrig sind. Ob das Stechen in der Schweiz ein „Ausstich“ ist? Oder ob wir dabei an eifrige Kinder denken müssen, die mit „Ausstecherle“ der Mutti beim Plätzchenbacken helfen wollen?

    Der Duden klärt uns auf:

    Aus|stich, der; -s, -e [zu ausstechen (3)]:
    a) (schweiz.) sportlicher Entscheidungskampf:
    hat der Sieger dieses „Ausstichs“ gleich fünf Begegnungen … auszutragen (NZZ 29. 4. 83, 37); zu einem Ausstich antreten;
    Übertragung: Für die zweite Linie kam es auf dem Parteitag zu einem Ausstich, den der … Gewerbetreibende Ulrich Beutel (57) für sich gewann (NZZ 19. 1. 83, 28);
    b) (bes. schweiz.) das Beste, Schönste seiner Art:
    dieser Wein ist der Ausstich

    Ehrlich gesagt: Die zweite Bedeutung klingt irgendwie verlockender. Bring mir doch noch ne Flasche Ausstich von der Migros mit! Aber das hatten wir ja schon..

  • Kandiert oder kandidierend?
  • In Aesch waren es auch zwei, die da gegeneinander antraten. Wohl mit Puderzucker oder besser Kandiszucker verfeinerte kandierte Früchte, die zwei „Kandidierenden“. Warum die da nicht einfach „Kandidaten“ zu sagen, ist uns schleierhaft.
    Kandieren ist laut Duden:

    kan|die|ren (sw. V.; hat) [frz. candir = einzuckern < ital. candire, zu: candi, Kandis]: mit einer Zuckerlösung überziehen u. dadurch haltbar machen: Zitronenscheiben kandieren; kandierte Früchte.

    und

    kan|di|die|ren (sw. V.; hat):
    sich um etw. bewerben, sich zur Wahl stellen:

    Was hat das alles mit einem Kandidaten zu tun?
    Ganz einfach: candidus heisst „weiss“, wie der weisse Zucker. Und so sah einst auch ein Kandidat aus:

    Kan|di|dat, der; -en, -en [lat. candidatus = weiß Gekleideter (Amtsbewerber, der sich dem Volk in der toga candida, der glänzend weißen Toga, vorstellte), zu: candidus = glänzend, weiß]:

    Dann wurde er mit Fragen bombardiert, manchmal auch mit anderen Sachen, bis die weisse Weste nicht mehr weiss war. Bis ein „Tolgen im Reinheft“ gefunden wurde.

    Was das nun wieder Schönes ist, das klären wir morgen!