English is easy — Ja, aber welches Englisch?

Juli 6th, 2007
  • Am besten auf Englisch, das verstehen alle
  • Häufig lasen wir bei der Diskussion, ob in der Schweiz eher Hochdeutsch oder Französisch als erste Fremdsprache intensiv gelehrt und gelernt werden sollte, das Argument, man möge doch gleich ganz auf die Einheitssprache Englisch umschalten, die würden doch jetzt schon Westschweizer aus der Romandie, Tessiner und Deutschschweizer als gemeinsame „Lingua Franca“ in allen relevanten Diskussionen bevorzugen. Die Frage bleibt jedoch unbeantwortet, „welches Englisch“, also welche Variante dieser wunderbaren Weltsprache von allen gesprochen und verstanden wird.

  • Der Held von Glasgow
  • Natürlich ist uns das Vorhandensein von Dialekten auch in Grossbritannien bekannt. Die Beatles und ihr „Liverpool-Englisch“ hat jeder schon irgendwann gehört. Ein besonders hübsches Beispiel für gesprochenes Schottisch ist nun wegen der Terror-Attacke im Juli 2007 auf den Flughafen von Glasgow bei YouTube zu betrachten. Ein jeder möge selbst hören und entscheiden, wieviel er oder sie von den Ausführungen des schottischen Kofferträgers John Smeaton versteht, der durch sein beherztes Eingreifen und seiner Beteiligung an der Verhaftung des Autobomben-Attentäters über Nacht zum Volkshelden wurde:

  • Varianten auch im Englischen
  • Das für nicht Deutsch sprechende schwer zu erklärende Verhältnis zwischen Schweizerdeutsch und Hochdeutsch ist hier übertragen einfach zu veranschaulichen. Die Unterschiede zwischen Standard- und Schottisch-Englisch zeigen einem Amerikaner deutlich, was eine „Sprachvariante“ ist. So fühlt sich ein Deutscher, wenn er in die Schweiz kommt. Irgendwie eine bekannte Sprache, aber doch ganz anders.

    Ist die Rüebli-RS eine militärische Ausbildung im Aargau?

    Juli 5th, 2007
  • Was haben Rekruten mit Rüben zu tun?
  • Sprachliche Zeichen haben Bedeutung. Sie geben die „aussersprachliche Wirklichkeit“ wieder. Wer das sprachliche Zeichen nicht nur lesen sondern auch verstehen will, muss die dazu passende aussersprachliche Wirklichkeit kennen. Sonst versteht er nichts. Diese Erfahrung machten wir bei der Lektüre des Tages-Anzeigers vom 03.07.07, S. 1:

    Wieder Rüebli-RS für Mittelschüler
    Zürich. – Die populäre dreiwöchige Rüebli-RS für Mittelschüler wird im Kanton Zürich wieder eingeführt. Mit 112:34 Stimmen hob der Kantonsrat gestern einen Sparbeschluss des Regierungsrates auf, der die Haushaltskurse abgeschafft hatte. Auslöser für den Entscheid war die Volksinitiative «Ja zur Husi». Das Kantonsparlament hat dem Begehren überraschend zugestimmt. Da es sich bei der Initiative um einen ausformulierten Gesetzesentwurf handelt, wird er ohne Urnenabstimmung in Kraft gesetzt. So sieht es die neue Kantonsverfassung vor. Möglich ist aber, dass in den nächsten sechzig Tagen das Referendum ergriffen wird. Die FDP prüft dies. Dass sie einen Volksentscheid erzwingt, ist aber eher unwahrscheinlich
    (Quelle: Tages-Anzeiger)

  • Nicht im Aargau, wo gibt es denn sonst noch Rüebli?
  • Wir haben in der Zwischenzeit gelernt, dass mit „Rüebli“ ein landwirtschaftliches Produkt gemeint sind, die „gelben Rüben“ aka Karotten aka Mohrrüben oder Möhrchen. Die wachsen vor allem im Kanton Aargau, weswegen dieser für seine Rüeblitorte bekannt ist und auch den Decknamen „Rüebliland“ führt.

    RS“ hingegen, auch das haben wir begriffen, steht für „Rekruten-Schule“ und ist eine streng geheime militärische Abkürzung, ähnlich wie „WK“ – Wander-Klassenreise oder Wahl-Kreis. Doch das ist noch lange nicht alles Unerklärliche in diesem Artikel. Es geht dann noch um die „Husi“, von der wir meinen zu wissen, dass es nicht die „Hausaufgaben“ sein können, denn das sind ja schon die „Ufzgi“ oder „Uffszgi“die sich nicht „Auf Ski“ durch den Wintern bewegen (vgl. Blogwiese). „Husi“ müsste laut Kontext ein „Haushaltskurs“ sein. Kein Re-Kurs, kein Abendkurs oder Sprachkurs, nein, ein „Haushaltskurs“. In Deutschland auch bekannt unter dem längeren Formulierung „Einführung in die Hauswirtschaftslehre“.

  • Gemüse rüsten in der RS
  • Doch zurück zur Rüebli-RS. Was hat Hauswirtschaften mit Karotten und der Rekrutenschule zu tun? Der Zusammenhang ist einfach als gedacht, doch ich musste erst den freundlichen Nachbarn aus der S-Bahn fragen, der es mir dann plausibel erklärte: Was macht man mit „Rüebli“ bevor man sie kochen kann? Putzen, genau, in der Schweiz wird das allerdings militärisch ausgedrückt: „rüsten“. Nicht auf- oder abrüsten, sondern Gemüse wird gerüstet, ohne Entrüstung.

    Es geht um Kochkurse für Mittelschüler, die eidgenössisch organisiert lernen sollen, wie man Gemüse putzt, und zwar zwangsweise, dazu verdonnert wie die Rekruten in der Rekrutenschule. Daher die hübsche Bezeichnung „Rüebli-RS“. Nicht ganz billig, diese Wiedereinführung der abgeschafften Kochkurse, wie wir im Tagesanzeiger lesen:

    Die Wiedereinführung der «Husi» ist teuer. Laut Berechnungen der Bildungsdirektion ist mit einmaligen Kosten von rund 11 Millionen Franken zu rechnen. In den Kurszentren müssen beispielsweise bereits verkaufte Geräte und Materialien wieder beschafft werden. Dazu sind die Zentren in Bülach und Weesen noch vermietet und müssen gekündigt werden. Zudem müssen die eingesparten jährlichen Betriebskosten von 4,2 Millionen Franken wieder budgetiert werden. Wann die ersten Mittelschüler in die Rüebli-RS einrücken können, ist noch offen.
    (Quelle: Tages-Anzeiger)

  • Pilatus zu Pfannen — Ent-rüstet das Gemüse!
  • 11 Millionen plus 4,2 Millionen, das sind 15,2 Millionen Franken. Was kostet eigentlich eine Pilatus PC-21? Das neue Flugzeug der Schweizer Luftwaffe wird mit einem Preis von 115 Millionen Franken für 6 Maschinen angegeben, also ein zum Stückpreis von ca. 19 Millionen (Quelle Wikipedia). Reicht für ein paar Rüebli-RS, würde ich sagen. Und hat ja, wie dargelegt, auch mit „rüsten“ zu tun. Aus den Aluminium-Bauteilen lassen sich sicher klasse Kochtöpfe herstellen, und eine feste Teflonschicht für die Pfannenböden findet sich bestimmt irgendwo beim Düsenantrieb.

    Pilatus ist ein Berg bei Luzern
    (Quelle Foto: switzerland-tours.ch)

  • Wie der Pilatus zu seinem Namen kam
  • Pilatus ist, für nicht in der Schweiz Wohnende, der bekannte Ort, zu dem man läuft, wenn man von „Pontius zu Pilatus“ unterwegs ist. Hübsch ist die Geschichte, wie der heutige Berg bei Luzern zu seinem Namen kam:

    Er verdankt diesen Namen dem Statthalter Roms in Jerusalem, Pontius Pilatus, der sich bekanntlich sehr zwielichtig für die Unschuld Jesu (in der christl. Überlieferung) eingesetzt habe. Der Sage nach fand er im inzwischen verlandeten Gipfelsee (dem Pilatussee bei der Oberalp) seine letzte Ruhestätte. Überall, wo man seine Leiche zuvor bestatten wollte, traten heftige Stürme auf. Deshalb wurde ein hoher Berg wie der Frakmont ausgewählt, auf dem ohnehin fortwährend Unwetter toben. An jedem Karfreitag soll der römische Statthalter von Judäa aus seinem nassen Grab steigen und in vollem Ornat zu Gericht sitzen. Bis ins 16. Jahrhundert hatte der Stadtrat von Luzern das Besteigen des Berges unter Androhung von Strafen verboten. Pilatus sollte im Gipfelsee nicht gestört – und keine Unwetter heraufbeschworen – werden. Aber wehe, wenn es jemand wagte, etwa durch den Wurf eines Steines in das stille Wässerchen, den Pilatusgeist zu erzürnen. Dann habe es furchtbare Unwetterschläge mit schweren Verwüstungen bis nach Kriens hinunter abgesetzt.
    (Quelle: Wikipedia)

    Sie müssen jetzt nicht meinen, die Pilatus PC-21 Flugzeuge fliegen nur bei Unwetter. Sie stürzen auch nicht so häufig ab wie ihre Namensvetter. Genauer gesagt ist erst eins von den Dingern durch menschliches Versagen abgestürzt, was man von PCs nicht behaupten kann. Die Flugzeuge heissen so, weil sie von einer echten urschweizerischen Firma mit dem innerschweizer Namen „Pilatus Aircraft“ gebaut werden.

    Ein Trockengedeck ist kein Trockenfisch im Trockendock — Neue Schweizer Lieblingswörter

    Juli 4th, 2007
  • Eine trockene Angelegenheit beim Essen
  • Wir erhielten Post von einem Deutschen:

    Sehr geehrter Herr Wiese,
    mit großem Vergnügen las ich in Ihrem Blog. Wahrscheinlich fehlt noch ein Wort (denn alle Beiträge habe ich natürlich nicht gelesen), das mir letztes Jahr begegnet ist: das „Trockengedeck„. Als ich vom Kanton Thurgau die Einladung zu einem Mittagessen erhielt, musste ich als Deutscher rätseln, was das wohl bedeutete. Das Wort hört sich nicht gerade nach genussvollem Essen an.

    Warum nicht? Trockenfisch schmeckt doch auch lecker. Er wird auch „Stockfisch“ genannt, weil die Trocknung auf Stockgestellen erfolgt (vgl. Wikipedia)

  • Das Trockendock gab es schon in der Antike
  • Das „Trockendock“ kennen die Hamburger recht gut. Es dient dazu, Schiffe trocken zu legen um sie zu reparieren. Eine Technik, die schon aus der Antike bekannt, wie man bei Wikipedia nachlesen kann. Aber ein „Trockengedeck“? Man bekommt ja schon einen trockenen Mund, wenn man das Wort nur liest. Die Elektropost berichtet weiter:

    Nun, es war so, dass wir zum Essen eingeladen waren und das Trockengedeck spendiert bekamen. Der Kanton Thurgau lud zum Essen ein, die Getränke sollte man selbst bezahlen. Zwischen der Einladung und dem Mittagessen kamen jedoch die neuesten Bilanzen herein, so dass sich die Verantwortlichen des Kantons großzügig zeigten und auch noch die Getränke bezahlten.

    Und wirklich, das praktische und knochentrockene Wort lässt sich nur in der Schweiz nachweisen, weder unser Duden, noch Der Wortschatz der Uni-Leipzig oder Grimms Wörterbuch wissen etwas darüber. Hier die Fundstellen von Google-CH.

    Blick auf den Walensee von Filzbach
    (Quelle Foto: seeblick-filzbach.ch)

  • Steinsuppe als Trockengedeck?
  • Besonders lecker fein als „Trockengedeck“ stellen wir uns die berühmte „Steinsuppe“ vor. Die Geschichte dazu geht so:

    Es war einmal vor langer Zeit, als die Menschen noch an Märchen glaubten, da klopfte ein Landstreicher an die Tür des Seeblick in Filzbach und bat um ein wenig heisses Wasser. Das wurde im gewährt. Der Landstreicher setzte seine Gamelle mit dem Wasser auf’s Feuer, zog einen Kieselstein aus der Tasche und tat ihn dazu. Dann rührte er das heisser werdende Wasser mehrmals um, schmeckte ab, leckte sich geniesserisch die Lippen. Auf die Frage, was er da mache, antwortete er: Ich koche mir eine Steinsuppe. Ob sie gut schmecke ? Vorzüglich. Aber ehrlich – etwas Salz könnte ihr nicht schaden; sagte der Landstreicher. Das Salz wurde ihm ebenfalls bewilligt.

    Wie die Suppe jetzt schmecke ? Immer besser. Allerdings mit etwas Zwiebeln, Knoblauch und einer Handvoll Griess wäre sie ein Genuss. Auch diese Zutaten wurden ihm gereicht. Mit der Zeit erbat sich der Besucher weitere Zutaten, wie einen Fisch vom Walensee, Kräuter vom Garten, am Ende gar noch weissen Wein und geriebenen Käse. Die Suppe schmeckte wirklich herrlich. Als alle von dieser vorzüglichen Steinsuppe gegessen hatten, wusch der Landstreicher den Stein sorgfältig ab und steckte ihn in die Tasche. Aber der Wirt vom Seeblick liess nicht locker und gab solange keine Ruhe, bis der Suppenkoch ihm den Stein für teures Geld verkaufte.
    (Quelle: Homepage Restaurant Seeblick in Filzbach, Schweiz)

  • Keine alte Kamelle aber eine Gamelle
  • Die in der Geschichte erwähnte „Gamelle“ ist übrigens auch ein Schweizer Spezialwort, welches Deutsche nicht kennen dürften. Es findet sich wie vieles aus der Schweiz im Duden erklärt:

    Gamẹlle die; -, -n aus gleichbed. fr. gamelle, dies über it. gamella „Essnapf“ aus lat. camella „Schale“:
    (schweiz.) Koch- u. Essgeschirr der Soldaten
    (Quelle: duden.de)

    Eine „Kamelle“ ist hingegen etwas Süsses, nämlich ein Karamelbonbon, dass im rheinischen Karneval zur Gaudi der Zuschauer von den Umzugswagen ins Publikum geworfen wird.

    Glotzen Sie Sexy? — Hörverständnistraining beim Radio „für uns“

    Juli 3rd, 2007
  • Spracherwerb per Radio
  • In den ersten Monaten nach unserem Umzug in die Schweiz war das tägliche Hörverständnistraining beim Radiohören eine wichtiger Faktor für den ständigen Spracherwerb im passiven Schweizerdeutsch. Auch nach sechs Jahren hat dieses Medium noch nicht nachgelassen, uns zu überraschen. So am Samstagvormittag, als wir um. 10:35 Uhr auf DRS4 den Satz vernahmen:

  • Glotzen Sie Sexy?
  • SiiGlotzeSiiSexy“. Er wurde mehrfach wiederholt und ist hier laienhaft verschriftet wiedergegeben. Es schien unserer Meinung nach wohl um eine neue TV-Sendung zu gehen, mit Namen „Sexy“, und die Zuhörer wurden gefragt, ob sie diese Sendung glotzen. So wie einst „Tutti-Frutti„, das kunterbunte Eissorten-Raten mit Hugo Egon oder Egon Hugo Balder, in den Anfangszeiten von RTL via Antenne.

  • Glotzen und nicht luegen?
  • Irgendwie wunderten wir uns, dass „glotzen“ im Schweizerdeutschen verwendet wurde, und nicht wie sonst „luege“. Die Sendung „Sexy“ kannten wir nicht. Kein Wunder, wer nicht täglich das Gerät anschaltet, dem entgeht so manches. Sicher ein neues Format, mit Veronika Feldbusch Pooth als Moderatorin. Alles schonmal dargewesen, nannte sich „Peep!“, nichts Neues unter dieser Sonne. Der gehörte Satz war eine Mischung zwischen „siiglotzensexy?“ und „glotzesiisexy“. Doch dann kristallisiert sich plötzlich heraus, um welches Thema es wirklich ging in dieser Hörerbefragung: „Sind Glatzen sexy“, der neue Bruce Willis Film „Die Hard 4.0“ wurde diskutiert. Peinlich, peinlich.

    Die Haard ist ein Gebiet bei Recklinghausen
    Wer glotzt denn da das?

    Der Schwestersender von DRS3 nennt sich auch „Radio Virus“, wobei wir hinter diesem Titel ein clever gemachtes Wortspiel vermuten. Es geht nicht um Grippe oder Computerschädlinge, sondern um „für uns“ auf breitem Züridütsch ausgesprochen, oder ist auch dies ein Hörverständnisfehler? „Für uns“ wäre auf Alemannisch „für Eus„, so wie die rheinische Kreisstadt „Euskirchchen“ = „unsere Kirche“ ist?
    Wikipedia erklärt uns, was ein „Schwestersender“ ist:

    Virus ist das jüngste Programm von Schweizer Radio DRS, das die Hörer unter 25 ansprechen soll. Es ist 1999 gestartet und war ursprünglich als DRS 4 projektiert. Mit dem Schwestersender DRS 3 werden unter anderem die Sendung Hitparade geteilt. Das Programm ist nicht über UKW zu empfangen, sondern nur über Kabel, DAB in der Deutschschweiz, europaweit über Satellit und weltweit als Livestream Internetradio.
    (Quelle: Wikipedia)

    Nicht über UKW zu empfangen? Ganz schön gewagt für ein Radio.

  • Grüne Schrift und Fortschrittsbalken
  • Wir hatten den Film über das Waldgebirge bei Recklinghausen, nördlich des Ruhrgebiets, „Die Hard„, übrigens schon gesehen und mit Resignation feststellen müssen, dass auch im Jahr 2007 die Schrift am Computer fast immer grün ist, sich zeilenweise aufbaut, beim Download Zahlenkolonnen von oben nach unten durch den Bildschirm flitzen und wenn es richtig spannend wird, dann muss der „Fortschrittsbalken“ als Spannungsmoment herhalten, wie in allen Computer-Hollywoodfilmen seit 1987. Fehlte nur die metallisch klingende Maschinenstimme. Aber immerhin können moderne Jagdflieger der US Air Force jetzt auch auf der Stelle fliegen und als Surfboard zweckentfremdet werden. Alles wie gehabt und hier beschrieben.

    Essen fremde Fötzel besonders gern Fotzelschnitten? — Hübsche Wörter aus dem Schweizer Sprachalltag

    Juli 2nd, 2007
  • Eine Fotze ist eine Gosche ist eine Schnorre ist ein Latz ist ein Sabbel
  • Auch nach sechs Jahren in der Schweiz geraten wir noch in Erstaunen über besonders hübsche und drastische Wortfunde, die im Schweizer Sprachalltag zwar selten aber doch lässig und unbedarft Verwendung finden. Die Rede ist von den Varianten rund um das derbe Wörtchen „Fotze“. Im Gemeindeutschen ist dies ein vulgäres Wort für das innere weibliche Geschlechtsorgan, laut Variantenwörterbuch im Süden in dieser Bedeutung jedoch seltener, mehr noch, es gilt in Österreich und Süddeutschland als Variante für „Mund“, neben weiteren Ausdrücken wie:

    Pappen A, Gosche A D-süd, Schnorre A-west CH, Latz CH, Klappe CH D-nord/mittel, Fresse D-nord/mittel, Sabbel D-nord/mittel, Schnauze D (ohne südost), Schnute D
    (Quelle: Variantenwörterbuch S. 258)

    Da fehlt nur noch die „Klappe“ in der Liste, bzw. der „Rand“. Beides kann man halten in Deutschland.

  • Eine Fotze kann auch weh tun
  • Ausser für zwei Körperöffnungen gilt das Wort in Österreich und Deutschland auch als Synonym für eine gemeindeutsche „Ohrfeige“. Dieser schmerzhafte Vorgang bringt es ebenfalls auf eine Vielzahl von Varianten, in der Schweiz z. B. als „Chlapf“:

    Dachtel A D-südost, Watsche A D-südost, Chlapf CH, Backpfeife D-nord/mittelwest, Schelle D-nordost/südost
    (Quelle: Variantenwörterbuch S. 258)

  • Und die Fotzelschnitte?
  • Sie ist tatsächlich essbar und hat mit den oben erwähnten Körperöffnungen ganz und gar nicht zu tun. Sie ist eng verwandt mit dem „Fötzel“, der sich sogar im Duden findet:

    Fötzel, der; -s, – [wohl zu alemann. Fotz = Zotte, Fetzen, H. u.] (schweiz.): Lump, Taugenichts.
    (Quelle Duden.de)

    Besonders in der Kombination mit „fremd“ als „fremder Fötzel“ erfreut sich dieses Wort grosser Beliebtheit in der Schweiz, 214 Fundstellen bei Google-CH mögen als Beleg genügen:
    So im Zürcher Unterländer:

    «Fremde Fötzel» mussten weichen
    (Quelle: zuonline.ch)

    Oder im Velojournal.ch:

    Geniale Scheidegg und fremde Fötzel
    (Quelle: velojournal.ch)

    Doch was hat der „Dahergelaufene; Fremde“ mit einer essbaren Schnitte gemein? Die „Fotzelschnitte“, so erfahren wir aus dem Variantenwörterbuch, ist ein

    „Gericht aus in Milch eingeweichten, in Ei gewendeten, gezuckerten und in Butter gebratenen Brotstücken“.
    (Quelle Variantenwörterbuch S. 258)

    Fotzelschnitte
    (Quelle Foto: luckymagenta.spaces.live.com)

    Ein Gericht also, dass man in Österreich als „Pafese“ kennt und in Deutschland als „arme Ritter“, in der Schweiz auch als „verlorenes Brot“ oder „Goldschnitte“ serviert. Ein einfaches Gericht für arme Leute, diese „Fotzelschnitte“, nur nicht mit Rittern zubereitet sondern mit „Dahergelaufenen“, bzw. „Fremden“.

  • Ein Fötzel ist ein Fetzen Papier?
  • Ein „Fötzel“ an sich hat in der Schweiz zwei Bedeutungen. Zum einen ist es:

    Fötzel, der; -s, – (mundartnah) — Lump, Taugenichts.
    (Quelle: Schweizer Wörterbuch von Kurt Meyer S. 123)

    Zum anderen ist es aber auch ein Fetzen Papier:

    „Die Bürokratie verlangt für jede dritte Nacht die schriftliche Bestätigung eines Hotels. Reist man mit Fahrrad und Zelt, ist es nicht verwunderlich, dass die Papier unvollständig sind, also muss man sich die erforderlichen Fötzel mit etlichem Schmiergeld bei Hotels ergaunern
    (Quelle: Velojournal 1/2002, 19; zitiert nach Variantenwörterbuch S. 258)

    Man achte auf die Finesse, dass im „Velojournal“ vom „Fahrrad“ die Rede ist!

    Aus diesem „Fetzen Papier“ leitet sich dann noch die beliebte Tätigkeit „fötzeln“ selbst ab, was nichts anderes bedeutet wie das Aufsammeln solcher Papierfetzen bzw. sonstiger Abfälle:

    Asylbewerber «fötzeln» für ein Taschengeld
    (Quelle: zuonline.ch)

    fötzele
    Mir göi go „fötzeln“ in Kappeln
    (Quelle: schulekappel.ch)

    Besonders bemerkenswert finden wir an dieser Überschrift der Kappeler Schulzeitung, dass das Tätigkeitswort „fötzeln“ mit deutlichen Anführungszeichen als „nicht schriftfähig“ gekennzeichnet wurde. Richtig so! Wir sind uns eben schon deutlich bewusst, dass hier ausnahmsweise mal ein Dialektwort verschriftet wurde!

  • Frotzeln ist nicht fötzeln
  • Nicht verwechseln sollte man die umweltfreundliche und gemeinnützige Tätigkeit des „Fötzelns“ hingegen mit dem Gemeindeutschen „frotzeln“:

    frọtzeln (sw). V.; hat› [H. u., viell. zu: Fratzen ‹Pl.›, Fratze] (ugs.): a) mit spöttischen od. anzüglichen Bemerkungen necken: jmdn. [wegen etw.] f.; b) spöttische od. anzügliche Bemerkungen machen: sie frotzelten gern über ihn.
    (Quelle: duden.de)

    oder mit dem derben Wort für „ohrfeigen“:

    fotzen (sw) . V.; hat> [zu →Fotze] (bayr., österr. derb): ohrfeigen.

    Fazit: Wir hören auf zu frotzeln, gehen am Wochenende im Wald fleissig fötzeln und laden alle fremden Fötzel ein zu einer Fotzelschnitte. Genial!