Essen fremde Fötzel besonders gern Fotzelschnitten? — Hübsche Wörter aus dem Schweizer Sprachalltag
Auch nach sechs Jahren in der Schweiz geraten wir noch in Erstaunen über besonders hübsche und drastische Wortfunde, die im Schweizer Sprachalltag zwar selten aber doch lässig und unbedarft Verwendung finden. Die Rede ist von den Varianten rund um das derbe Wörtchen „Fotze“. Im Gemeindeutschen ist dies ein vulgäres Wort für das innere weibliche Geschlechtsorgan, laut Variantenwörterbuch im Süden in dieser Bedeutung jedoch seltener, mehr noch, es gilt in Österreich und Süddeutschland als Variante für „Mund“, neben weiteren Ausdrücken wie:
Pappen A, Gosche A D-süd, Schnorre A-west CH, Latz CH, Klappe CH D-nord/mittel, Fresse D-nord/mittel, Sabbel D-nord/mittel, Schnauze D (ohne südost), Schnute D
(Quelle: Variantenwörterbuch S. 258)
Da fehlt nur noch die „Klappe“ in der Liste, bzw. der „Rand“. Beides kann man halten in Deutschland.
Ausser für zwei Körperöffnungen gilt das Wort in Österreich und Deutschland auch als Synonym für eine gemeindeutsche „Ohrfeige“. Dieser schmerzhafte Vorgang bringt es ebenfalls auf eine Vielzahl von Varianten, in der Schweiz z. B. als „Chlapf“:
Dachtel A D-südost, Watsche A D-südost, Chlapf CH, Backpfeife D-nord/mittelwest, Schelle D-nordost/südost
(Quelle: Variantenwörterbuch S. 258)
Sie ist tatsächlich essbar und hat mit den oben erwähnten Körperöffnungen ganz und gar nicht zu tun. Sie ist eng verwandt mit dem „Fötzel“, der sich sogar im Duden findet:
Fötzel, der; -s, – [wohl zu alemann. Fotz = Zotte, Fetzen, H. u.] (schweiz.): Lump, Taugenichts.
(Quelle Duden.de)
Besonders in der Kombination mit „fremd“ als „fremder Fötzel“ erfreut sich dieses Wort grosser Beliebtheit in der Schweiz, 214 Fundstellen bei Google-CH mögen als Beleg genügen:
So im Zürcher Unterländer:
«Fremde Fötzel» mussten weichen
(Quelle: zuonline.ch)
Oder im Velojournal.ch:
Geniale Scheidegg und fremde Fötzel
(Quelle: velojournal.ch)
Doch was hat der „Dahergelaufene; Fremde“ mit einer essbaren Schnitte gemein? Die „Fotzelschnitte“, so erfahren wir aus dem Variantenwörterbuch, ist ein
„Gericht aus in Milch eingeweichten, in Ei gewendeten, gezuckerten und in Butter gebratenen Brotstücken“.
(Quelle Variantenwörterbuch S. 258)
(Quelle Foto: luckymagenta.spaces.live.com)
Ein Gericht also, dass man in Österreich als „Pafese“ kennt und in Deutschland als „arme Ritter“, in der Schweiz auch als „verlorenes Brot“ oder „Goldschnitte“ serviert. Ein einfaches Gericht für arme Leute, diese „Fotzelschnitte“, nur nicht mit Rittern zubereitet sondern mit „Dahergelaufenen“, bzw. „Fremden“.
Ein „Fötzel“ an sich hat in der Schweiz zwei Bedeutungen. Zum einen ist es:
Fötzel, der; -s, – (mundartnah) — Lump, Taugenichts.
(Quelle: Schweizer Wörterbuch von Kurt Meyer S. 123)
Zum anderen ist es aber auch ein Fetzen Papier:
„Die Bürokratie verlangt für jede dritte Nacht die schriftliche Bestätigung eines Hotels. Reist man mit Fahrrad und Zelt, ist es nicht verwunderlich, dass die Papier unvollständig sind, also muss man sich die erforderlichen Fötzel mit etlichem Schmiergeld bei Hotels ergaunern
(Quelle: Velojournal 1/2002, 19; zitiert nach Variantenwörterbuch S. 258)
Man achte auf die Finesse, dass im „Velojournal“ vom „Fahrrad“ die Rede ist!
Aus diesem „Fetzen Papier“ leitet sich dann noch die beliebte Tätigkeit „fötzeln“ selbst ab, was nichts anderes bedeutet wie das Aufsammeln solcher Papierfetzen bzw. sonstiger Abfälle:
Asylbewerber «fötzeln» für ein Taschengeld
(Quelle: zuonline.ch)
Mir göi go „fötzeln“ in Kappeln
(Quelle: schulekappel.ch)
Besonders bemerkenswert finden wir an dieser Überschrift der Kappeler Schulzeitung, dass das Tätigkeitswort „fötzeln“ mit deutlichen Anführungszeichen als „nicht schriftfähig“ gekennzeichnet wurde. Richtig so! Wir sind uns eben schon deutlich bewusst, dass hier ausnahmsweise mal ein Dialektwort verschriftet wurde!
Nicht verwechseln sollte man die umweltfreundliche und gemeinnützige Tätigkeit des „Fötzelns“ hingegen mit dem Gemeindeutschen „frotzeln“:
frọtzeln (sw). V.; hat› [H. u., viell. zu: Fratzen ‹Pl.›, Fratze] (ugs.): a) mit spöttischen od. anzüglichen Bemerkungen necken: jmdn. [wegen etw.] f.; b) spöttische od. anzügliche Bemerkungen machen: sie frotzelten gern über ihn.
(Quelle: duden.de)
oder mit dem derben Wort für „ohrfeigen“:
fotzen (sw) . V.; hat> [zu →Fotze] (bayr., österr. derb): ohrfeigen.
Fazit: Wir hören auf zu frotzeln, gehen am Wochenende im Wald fleissig fötzeln und laden alle fremden Fötzel ein zu einer Fotzelschnitte. Genial!
Juli 2nd, 2007 at 1:40
Ich gebs zu, nachts um halb zwei erkenn ich ich jetzt nicht sauber, ob das jetzt ein Hauch von Ironie sein soll, oder ob das „Richtig so! Wir sind uns eben schon deutlich bewusst, dass hier ausnahmsweise mal ein Dialektwort verschriftet wurde!“ tatsächlich ernst gemeint ist. Falls letzteres, wollt ich nur einwenden, dass der ganze Titel Dialekt ist. Und fötzele wohl nur drum in “ “ steht, weil er als Abkürzung für das Schriftdeutsche ‚wir gehen mal eben auf diesem grossen Gelände alle kleinen Zettelchen und achtlos weggeworfene Kippen sowie sonstigen Müll von Hand beseitigen“ steht. Aber ich denke, es ist ironisch gemeint. Das derbe F-Wort habe ich im übrigen noch nie als Synonym für Mund gehört, allerdings schon des öfteren als Synonym für das weibliche Geschlecht.
[Anmerkung Admin: Auch ich fand es tatsächlich merkwürdig, dass plötzlich in einer auf Dialekt geschriebenen Überschrift ein einziges Wort in Gänsefüsschen als „nicht schriftfähig“ gekennzeichnet wurde, und damit implizit der Rest sehr wohl schriftfähig zu sein scheint. ]
Juli 2nd, 2007 at 7:06
Bei uns gab’s auch das Verb „umefötzle“ im Sinn von „herumzigeunern“, „ruhelos irgendwohin gehen“.
Und „es Gfotz“ ist ein schlecht ge- und verarbeitetes Gerät.
Juli 2nd, 2007 at 9:04
Will man kurz etwas notieren oder aufskizzieren, verlangt man eben mit ‚hesch mer schnäu e Fötzu‘ einen ‚Schmierzettel‘.
Meistens sind das dann die Rückseiten von reziklierten Druckerzeignissen aus dem Altpapierbehälter neben dem Schreibtisch.
Geläufig ist auch der ‚Frässzedu‘ (Fresszettel), was jetzt aber nichts mit hauchdünnen ‚Fotzelschnitten‘ gemein hat, sondern eher ein nicht geschäftstaugliches Stück Notizpapier, wie z.B. eine Papierserviette o.ä. bezeichnet.
Juli 2nd, 2007 at 9:18
fötzle oder fötzele wird in der Ostschweiz immer gleichbedeutend wie fätzele (Fetzen zusammenlesen) verstanden, ohne jede Ironie oder Anspielung.
Noch eine Ergänzung zu den Fotzelschnitten:
Das ist ja ein sehr verbreitetes (Ferien-)Lageressen. Zum Dessert gibt es dann oft „Götterspeise“ und da wäre jeder Deutsche sehr verblüfft, was ihm unter diesem Titel vorgesetzt wird (Vanillesauce mit Zwieback).
Juli 2nd, 2007 at 11:00
Es choge Gfotz = Ä schlechti „Büez“. Anführungszeichen nach Schule Kappeln 😉
Juli 2nd, 2007 at 12:03
‚Gfotz‘ wird doch auch generell für etwas von Minderwertiger Qualität gebraucht. Zum Beispiel ein 3.- Euro Zelt im Aldi ist sicher es huere Gfotz.
@Georges: kein Zimt in deiner Götterspeise?
Juli 2nd, 2007 at 12:05
herrlich Jens 🙂
erst durch deine geschichten wird mir immer wieder bewusst, wie unsere ausdrücke für „än frömdä fötzel“ 😉 klingen müssen.
es entlockt mir immer wieder ein herzhaftes lachen 🙂
übrigens: der name „frömde fötzel“ ist heute nicht mehr als taugenichts gemeint, es ist mehr scherzhaft (weil alt) für jemand fremden gemeint.
heute sagt man eher “ er isch kein hiäsigä“ = nicht von hier.
Juli 2nd, 2007 at 14:02
Als im 17. oder 18. Jahrhundert in Ernen (Wallis) ein schöner, solider Galgen (die steinernen Fundamente sind noch zu sehen) errichtet wurde, war der erste Delinquent, der daran hängen sollte, ein Luzerner. Das führte zu Widerstand, die Ernener waren der Meinung:“Der Galgen ist für uns und unsere Kinder und nicht für fremde Fötzel!“.
Juli 2nd, 2007 at 20:16
Eine Ohrfeige (also eine Fotze) kann auch mal zu einer blauen Möse (also einem blauen Fleck) führen…
Juli 6th, 2007 at 9:33
Einfach herrlich diese Ausdrücke hier in der Schweiz und auch erstaunlich wie schnell man sich daran gewöhnt und sie selbst verwendet.
Sehr gut ist auch der Begriff für Unordnung oder Durcheinander.
Musste mir auch schon anhören dass ich einen ziemlichen Puff auf dem Schreibtisch habe 😉
[Anmerkung Admin: „das Puff“ im Unterschied zu „der Puff“ ist hier beschrieben http://www.blogwiese.ch/archives/70 ]
Juli 8th, 2007 at 11:19
Kleine Korrektur:
Die Schule ist in der Gemeinde Kappel (ohne Schluss-n) im Kanton Solothurn. Die Diealektüberschrift ist übrigens in typisch Olten-üblichem Dialekt geschreiben: „Mer göi go…“. in Zürich wäre das „Mer gönd ga …“ oder sogar „Mer gönd goge …“ mit Doppel- oder Tripel-gehen, wie hier schon beschrieben: http://www.blogwiese.ch/archives/56
Weshalb das Dialektwort „fötzele“ in einem Dialekttext noch in Anführungszeichen steht, darüber kann nur spekuliert werden. Meine Vermutung ist, dass dieses Wort nicht nur im sprachlichen Sinne, sondern auch von der damit verbundenen Tätigkeit her leider viel zu vielen Zeitgenossen überhaupt erst erklären muss. Alle, die ihren Dreck (Zigarettenstummel, Ess- und Trinkverpackungen etc., nicht nur Papier-„fetzen“) einfach gedankenlos zu Boden werfen, sollten einmal mit einem Tag unbezahltem „fötzele“ bestraft werden. Vielleicht sähe es dann auf unseren Böden wieder so sauber aus, wie das Klischee der Schweiz es eigentlich vorgibt.
Zu diesem Thema:
http://www.blogwiese.ch/archives/166
Übrigens, ein berndeutscher „Fotzuhung“ (Fötzel-Hund = etwa „Dreckslump“) kann auch jemand sein, der zwar weiss, wie man seinen Abfall entsorgt, aber für einen anderen miesen Charakterzug mit diesem Titel bedacht wird.
Das hier in den Kommentaren bereits erwähnte „es Gfotz“ (Ware, die nichts Wert ist), habe ich im Bairischen auch schon als „a Glump“ (Gelumpe, von Lumpen) gehört.
August 10th, 2010 at 14:37
Ich schreibe den langenText nicht nochmals, dieses hinterfotzige Timeout ist Scheisse
August 10th, 2010 at 14:38
Ich war des Lobes voll. Zu allem moderierst Du die Kommentare sogar noch, da sieht man nicht mal, was man geschrieben hat. Löschen könntest Du auch später.