Der 1. August in der Schweiz und der 3. Oktober in Deutschland
Juli 31st, 2007(reload vom 29.09.05)
Von 1954 bis 1989 feierten die Deutschen ihren „Tag der Deutschen Einheit“ immer am 17. Juni, in Gedenken an den Volksaufstand von 1953 in der DDR. Wie lief das ab? Tagsüber ein Ausflug ins Grüne, dann ab in den Biergarten, denn es war ja Sommer und selbst die Pfarrer hatten dienstfrei. Abends dann wurden Kerzen ins Fenster gestellt, zum Gedenken an die „Brüder und Schwestern im Osten“. In der Schule wurde uns immer vom tragisch-dramatische Anlass für diesen Feiertag erzählt, aber am 17. Juni selbst interessierte das niemanden mehr, solange der Himmel blau und die Luft lau war.
Dann kam die Wende, und kurz darauf gewann Deutschland die Fussballweltmeisterschaft von 1990. Das war die wahre Wiedervereinigung, denn in Ost und West strömte alles zum Autokorso auf die Strassen, um zu feiern. Die Brasilianer in Zürich taten dies nach dem Sieg über Deutschland beim WM-Endspiel 2002 gegen Deutschland ebenfalls.
Was wäre passiert, wenn 2002 auch Deutschland gewonnen hätte? Wären die 16.000 Deutschen in Zürich auf die Strasse gegangen und hätten einen Autokorso veranstaltet? Ich glaube kaum. Wir sind ein höfliches und äusserst bescheidenes Volk und halten uns lieber zurück im Ausland. „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“, das ist nur noch verstaubte Nazi-Propaganda. Ausser wenn es um die Plätze am Hotel-Swimmingpool auf Mallorca geht. Da gilt es, jeden Quadratzentimeter vor den Briten zu verteidigen. Wer zuerst kommt, der legt’s Handtuch zuerst. So einfach ist das mit dem Raumgewinn.
Zumal die Schweizer im Sommer 2002 zu Brasilien hielten, und nicht für die „Sprachbrüder“ im Norden waren, ist doch selbstverständlich. Unsere Tochter war schockiert, als ihr plötzlich der unverhohlene Anti-Deutsche-Wind in ihrer schweizer Primarschulklasse ins Gesicht wehte und sie als einzige vor dem Match gegen Brasilien den deutschen Spielern die Daumen drückte.
Im Jahr 1990 wurde der deutsche Nationalfeiertag zweimal begangen: Am 17. Juni und am 3. Oktober. Wir zogen, wie bei der gewonnenen Weltmeisterschaft gelernt, wiederum kurz vor Mitternacht in die Innenstadt von Freiburg im Breisgau und warteten auf das grosse Event, wenn Deutschland endlich „ein einig Vaterland“ wird. Doch nichts geschah. Koitus interruptus. Kein Autokorso, kein Gesang, nicht mal eine klitzekleine Parteiveranstaltung der örtlichen CDU. Die Post ging einzig in Berlin am Brandenburger Tor ab, mit Sylvesterfeuerwerk und Menschenmassen auf den Resten der damals noch existierenden Mauer.
Mittlerweile wird in Deutschland darüber nachgedacht, diesen Feiertag wieder abzuschaffen, zum einen aus Kostengründen, und zum anderen ist es eh meist zu kalt für den Biergarten. Neben dem 1. Mai ist das der einzige Feiertag, über den der Bundestag bestimmen kann. Alle anderen Feiertage sind Ländersache.
Wir haben ihn auch in Deutschland, den berühmten „Kantönligeist“ der Schweizer. Bei uns heisst das: „Näheres regelt ein Ländergesetz„. Als der Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl zu Beginn des Internetbooms einmal gefragt wurde, wie er sich denn den Ausbau der Datenautobahnen vorstelle, antwortete er lakonisch: „Autobahnbau ist Ländersache„, also nicht Angelegenheit eines Bundeskanzlers.
Der 1. August ist ein nationaler Feiertag, allerdings haben die Schweizer nur etwas davon, wenn er auf einen Wochentag fällt, sonst fällt er aus. Viele Jahrzehnte war es nur ein halber Feiertag, d. h. bis zum Mittag wurde gearbeitet. Bei der 700-Jahrfeier 1991 haben sich dann die Schweizer den zweiten halben Feiertag gegönnt. Geplant ist, diese Grosszügigkeit im Jahre 2291 bei der Tausend-Jahr-Feier mit einem weiteren halben Feiertag mächtig auszuweiten.
Zum 1. August gehört das Absingen der Schweizer Hymne. Damit da nix schiefgeht, wird sie ein paar Tage vorher jedem Haushalt per Postwurfsendung zugeschickt, natürlich in den vier Landessprachen. „Bitte zur Feier mitbringen“ steht auf dem Papier. Wir lernen die Schweizer Hymne (d. h. wir brummen so wie alle irgend etwas mit. Den ganzen Text kann hier niemand richtig) und kaufen Fähnchen mit Kreuz darauf. Alles ist mit Fähnchen geschmückt. Es gibt in der Schweiz kaum einen Gegenstand, den man nicht mit einem Schweizerkreuz verziert käuflich erwerben kann: Trinkbecher, T-Shirts, Socken, nur Toilettenpapier habe ich noch keins entdeckt. Wer würde auch sowas kaufen wollen?
Vor der Migros gibt es Raketen und Böller wie in Deutschland an Sylvester zu kaufen, und zwar schon ein paar Tage davor. Was dazu führt, dass man von Ende Juli bis Mitte August gelegentlich ein Böller in der Nachbarschaft hochgehen hört und unser Hund ernsthaft davon überzeugt ist, dass der Krieg wieder ausgebrochen ist und wir nicht ganz bei Trost sein können, bei solch einer Schiesserei auch noch spazieren gehen zu wollen. Er verkriecht sich dann lieber unters Bett.
Die Schweizer feiern diesen Tag daheim, ein jeder macht sein Privatfeuerwerk. Wir feiern mit den Nachbarn ein rauschendes Fest im Garten, mit selbstgebastelten Krachern und Raketen vom Nachbarsjungen „Da-Benny“. Die Kinder haben einen Riesenspass. Manch eine selbstgebaute Rakete startet in der Waagerechten, was die Aufregung der Zuschauer noch steigert.
Tagsüber machen wir einen Ausflug an den Vierwaldstättersee. Warum sind die Strassen so leer? Warum sind die Parkplätze an den Bergbahnen so voll? Die Schweizer sind schon oben, sie hocken auf den Gipfeln und warten auf den Sonnenuntergang. Dann gibt es grosse Feuer auf allen Gipfeln, die Höhenfeuer, und am Mythen wird ein überdimensionales Schweizer-Kreuz aus Strohfackeln in Brand gesetzt.
Oberhalb vom Vierwaldstättersee entrollen mutige Bergsteiger eine Schweizerkreuz-Fahne in 20 x 20 m Grösse an einer Felswand. Die Aufhäng-Action wird live im TV übertragen.
Zu jedem 1. August in der Schweiz gehört auch das Ritual, zur Rütliwiese zu fahren und sich dort von an anwesenden Rechtsradikalen tüchtig die Laune verderben zu lassen. Jedes Jahr werden es mehr, und jedes Jahr herrscht grosse Empörung darüber, wie das Nazi-Gegröle und der Hitlergruss doch als störend empfunden werden. Verboten werden diese Aufmärsche dort nicht, denn das Rütli ist das nationale Heiligtum der Schweiz, und da darf jeder hin.
In den letzten Jahren wurde nun ein System eingeführt, dass nur noch Besucher mit gültiger Eintrittskarte zur Wiese durchgelassen werden. So versucht man schon im Vorfeld, unliebsame Besucher fernzuhalten. Leider kosten die notwendigen Kontrollen und Sicherheitsmassnahmen Geld. Und weil niemand, weder der Bund noch die Kantone oder Gemeinden, bereit dazu waren, dieses Geld zu bezahlen, wäre die Feier 2007 fast ausgefallen, bis sich dann doch noch ein paar Sponsoren fanden.