Ist Rüdiger ein Luzerner? — rüüdig, rüüdiger am rüüdigschte
Wir lasen Ende Juni im Tages-Anzeiger:
Die Stadt Luzern hat am Wochenende das erfolgreichste eidgenössische Jodlerfest aller Zeiten erlebt. 360 000 Besucherinnen und Besucher nahmen während drei Tagen am Grossanlass rund um das Seebecken teil und feierten wie von den Organisatoren versprochen «es rüüdigs Fäscht». Die SBB bauten ihr Transportangebot für die Festbesucher kurzfristig aus, und auch der Nachschub mit Essen und Getränken musste verstärkt werden. Bundesrat Hans-Rudolf Merz rief am Sonntag dazu auf, auch in der Politik wieder den «guten Ton» zu pflegen und daran zu denken, dass «unser Land stets dann am besten gefahren ist, wenn Mehrstimmiges in Text und Refrain zusammengeklungen hat». Höhepunkt des Fests bildete gestern ein Umzug mit über 50 Sujets aus der ganzen Schweiz. Eine besondere Attraktion war auch das Nachtspektakel am Freitag und Samstag unter dem Motto «Das Seebecken jodelt».
(Quelle: Tages-Anzeiger 30.06.08, S. 3)
Das Wort „rüüdig“ war uns bislang noch nicht untergekommen. Vielleicht sollten wir öfters mal nach Luzern fahren? Hingegen kennen wir den Vornamen „Rüdiger“. Ist der eine Steigerung von „rüdig“? Oder doch was anderes. Bei Wikipedia steht:
Rüdiger ist ein alter deutscher Vorname, der sich aus germanisch hroth / hruod „Ruhm, Ehre“ und althochdeutsch ger „Ger, Speer“ zusammensetzt und soviel bedeutet wie ruhmvoller Speerkämpfer.
(Quelle: Wikipedia)
Germanisch, althochdeutsch. Klingt wenig nach Eidgenossen.
Doch dann gibt es da noch einen Held im Nibelungenlied:
Der Name war vor allem durch den Held des Nibelungenliedes, Markgraf Rudeger von Bechelaren, bekannt geworden und bis ins 15. Jahrhundert beliebt, kam dann jedoch, abgesehen von einigen Adelsfamilien wie den Starhembergs außer Gebrauch. Erst mit der Wiederbelebung germanischer und altdeutscher Personennamen im 19. Jahrhundert erlebte Rüdiger vor allem in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Renaissance. Bekannt ist auch die Kurzform Roger, die sich über die Normannen ebenso im Englischen, Katalanischen wie Französischen als beliebter Vorname etabliert hat.
In der Fachsprache der Funker lernten wir „Alles Roger“ als Synonym für „OK“ bzw. „allright“ kennen. Doch zurück zum rüüdigen Rüdiger in Luzern. Auch der findet sich bei Wikipedia erklärt, genauer gesagt im „Wiktionary“:
rüüdig (Deutsch)
Adverb, Gradpartikel
Positiv Komparativ Superlativ
rüüdig rüüdiger am rüüdigschte
Bedeutungen:
[1] schweizerdeutsch: analog zu sehr (das im Schweizerdeutschen eigentlich nicht verwendet wird), aber stärker, d.h.
[a] Steigerung von Adjektiven
[b] Steigerung von Verben
[c] auch allein als Adjektiv im Sinn von „Sehr gut“, „sehr schön“ u.ä.Herkunft:
Das Wort rüüdig stammt aus dem Luzern-Deutschen (Unterart des Schweizerdeutsch). Es ist das Wort mit dessen Gebrauch sich ein Sprecher unmittelbar als Bewohner der Region rund um die Stadt Luzern verrät. Wahrscheinlich von Standarddeutsch räudig als zunächst ironische Bedeutungsumkehr. Vgl. mordsmäßig.
Zitat aus wikionary.org
Mit einem anderer Rüdiger, der auch unter Schweizern sehr beliebt ist, haben wir so unsere Schwierigkeiten: Rüdiger Hoffmann. Aber Humor ist bekanntlich wenn man trotzdem lacht, auch wenn einem das Lachen bei diesem drögen und extrem trockenen Stammgast der RTL-Samstagnacht Show leicht vergehen kann.
(Quelle Foto: ruedigerhoffmann.com )
Geboren wurde Rüdiger Hoffmann übrigens im tiefsten, dunkelsten Westfalen, in Paderborn. Eine bekannte Steigerung in dieser Gegend lautet: „Schwarz, Münster, Paderborn“ (weil dort der Sitz des Erzbistums ist).
Hier der klassische Sketch von ihm: „Die 8 Kostbarkeiten“. Er verkörpert darin den lockeren Spiesser, der dann alles sehr genau nimmt, auch wenn ihm das „sowas von egal“ ist. Muss man mögen. Brutaler kann Ausländerfeindlichkeit nicht getarnt werden. Uns geht er mit der Nummer ziemlich auf den Keks, aber urteilen Sie selbst:
September 15th, 2008 at 13:14
Ich war mir sicher, „rüdig“ kommt irgendwo in einem Kommentar vor. Indirekt findet man das auch: http://www.google.ch/search?hl=de&q=blogwiese+r%C3%BCdig+henne+w%C3%A4uts+mega&btnG=Suche&meta=cr%3DcountryCH
Nur, die „page 78“ ist jeden Tag eine andere, und so verliert sich dann die Spur, wenn man mal auf die vermeintlich richtige Seite klickt. Das hat man nun von der Datenschutzparanoia; Google bewahrt die Daten nicht einmal mehr lange genug für meine persönlichen Bedürfnisse auf!
Ich hätte da eine Idee zur Abhilfe: Jetzt, nach über drei Jahren Blogwiese sollte Jens die Suchmaschine auch auf die Kommentare ausweiten, sonst werden einige Spuren für immer aus dem Netz verschwinden.
Aber heute ist wohl nicht der geeignete Tag für solche Ansprüche, wenn schon der Hausserver Einträge wegfrisst!
Nun ist „rüdig/rüüdig“ eines der Wörter, das eine augenblickliche Dialektzuordnung erlaubt, auch wenn man andere Feinheiten des Luzernischen nicht kennt. Es wird daher aus anderen Dialektregionen auch zum Parodieren der Luzerner verwendet (siehe obiges Zitat aus einer Zürcher Zeitung). Heute setzt sich zunehmend das globalere Wort „mega“ durch, um „unglaublich, unwahrscheinlich, wahnsinnig“ auszudrücken. Ausserdem waren solche Ausdrücke immer schon den sprachlichen Modeströmungen unterworfen. „Rüdig“ könnte meiner Ansicht nach durchaus von der Krankheit „Räude“ abstammen. Solche Wörter steigern sich ja gern in Übertreibungen.
Ob der Rüdiger (Vorname, der in der Schweiz zum Parodieren Deutscher verwendet wird, da dieser Name hier sehr unüblich ist) auch dem gleichen Wortstamm entspringt, oder ob der Nachname Rüdisühli (s.a. hier: http://www.blogwiese.ch/archives/899 ) auch damit zusammenhängt, entzieht sich meiner Kenntnis.
Hier noch ein paar Wörter, die in anderen Dialekten anstelle des „rüdig“ gebraucht werden, und somit teilweise zum dialektalen Eingrenzen dienen:
„wäuts“ (Welt-/Welten-…), Kt. Solothurn
„henne/uhenne“ (Henne[?]), Kt. Bern, Raum Thun
„ghoga/ughoga“ (Chog = Cheib s.a.: http://www.blogwiese.ch/archives/846 ) Kt. Graubünden
„huere/uhuere“ (Huren- / ungeheuerlich, s.a.: http://www.blogwiese.ch/archives/15 ) in praktisch allen Dialekten
September 15th, 2008 at 16:03
Nach der harmlosen Kunden-Jagd folgt nun die unerbittliche Wörter-Hatz auf der Blogwiese. Der Jens treibt die Bloger mit seinem „rüüdigen“ Ding in die „rüden“ Lachmuskeln vom Rüdiger Hoffmann, dem Rüden! Das „Ding“ ( wohl ein „rüdes“ Hundehaar ) hier zu zerlegen müsste man eigentlich zum CERN in Genf abgeben, um durch energiereiche Pulverisierung zum möglichen Ursprungs-Kern zu gelangen.
Wenn „Rüdiger“ über „Roger“ sich lt. Wiki bis zum germ. „hroth, hruod“ zurückverfolgen lässt, dann ist dies jedenfalls nicht das Ende der Entwicklung. Die Ableitung ist „Ruhm, Ehre“.
Dies ist logisch, aber sicherlich auch nicht die Sinnquelle. Was ist denn an einem „ruhm- und ehrenreichen Speerkämpfer“ so etwas besonderes? Nur weil er Speere wirf, in der Zeit wo jeder Speerkämpfer jeden anderen Gegner durch Speere tötet.
Der Gegner muss eigentlich ein besonders mächtiger, großer, kräftiger und gefährlicher Gegner sein, wie solches öfters bei griech. und röm. Kämpferstatuetten dargestellt wurde. Denn die Rüstungsteile, Waffen, Orden- und Ehrenzeichen dieses besiegten Gegners sowie auch die abgetrennten Feindesköpfe sind öfters etwas größer im Maßstab als der Siegreiche selbst dargestellt. Und hier liegt m. E. auch ein realistischer Lösungsansatz für „rüüdig“.
Die vermutete Quelle von „rüüdig“ lässt sich im GWB auf das gesamtgerm. „rüde“ zurückführen. Aber nicht auf das „rohe und grobe“ Verhalten und als Bezeichnung für den männlichen Hund, welches anscheinend ab dem 16./17 JH gemeint ist, sondern auf das ältere „rüde / rüden / rüdig“ der Tiergattung „Canis / Molosser“ ( z.B. Dogge, Mastiff, Boxer, schw. Sennenhund ) aus der vorrömischen / grieh.-röm. Zeit.
Dieses „rüde“ drückte ursprünglich die Eigenschaften von „mächtig im Körperbau, groß im Wuchs, kräftig in der Muskulatur und gefährlich durch dessen Kampfgeist“ aus. Es ist als eine Beschreibung von einem etwas besonderen, außergewöhnlichen und auffälligem Tier und / oder Ereignis / Ergebnis / Vorgang.
Also eine wunderbare Basis für Ruhm und Ehre. Für den natürlich, der hierbei als Sieger überlebt!
Der ältere Begriff “rüde“ wird auch oft aus der mögl. Benennung von „rothaarigen“ Hunden abgeleitet, was natürlich auch Sinn macht, da diese Hunde / Molosser als althergebrachte Wach- und Kampfhunde entwicklungsgeschichtlich etwas älter sind als die nordeurop. Hunde. Diese ursprüngl. Hunde / Molosser waren bedingt durch die natürliche und später durch menschl. Selektion im wüstenartiger Umgebung (Balkan, Orient bis Mittelasien) sicherlich überwiegen anfänglich mit einem feh-rotfarbigen Fell ausgestattet, wie z.B. die verwilderten „Dingos“ in Australien.
Die Körpergröße war mindest. doppeltes und / oder mehrfaches von den nordeurop. Hunden! Also sehr mächtige Hunde. Der Begriff „rüde“ wurde z. B. auch für eine große Menge von Fell am Hund verwendet, also für etwas außergewöhnliche Sachen und Vorgänge.
Es ist also glaubhaft und möglich: In einem Bereich der Eidgenossenschaft hat sich diese ältere ehem. gesamtgerm. Verwendung „rüde, rüdig“ für etwas Großes, Besonderes und Außergewöhnliches erhalten und ist noch als „rüüdig“ in aktiver Verwendung, hier als Ausdruck für ein Superlativ.
Womit man auf der Blogwiese mit diesem Thema auf den Hund gekommen ist.
September 15th, 2008 at 16:49
@ phipu:
Ich erinnere mich, dass wir als Kinder mit Ostschweizer Dialekt einander mit «wää, du bisch rüüdig» bzw. «du rüüdige Siech» (Letzteres wäre immerhin eine relativ logische Begriffsbildung) zu beleidigen pflegten und uns die Erwachsenen dann zurechtwiesen. So etwas sage man nicht; «rüüdig» seien schmutzige, kranke Tiere. Anscheinend hat mich das geprägt, denn wenn ich heute einen Luzerner dieses Wort verwenden höre, gefällts mir gar nicht.
Das Adverb «huere» (wers grossschreiben möchte, nenne es meinetwegen Substantiv…), das Deutsche und Österreicher jeweils so schockierend finden, versuchte man mir ebenfalls auszutreiben. – Äääh, hmm, es rutscht mir heute noch ab und zu heraus…
«Choge» war und ist seltsamerweise halbwegs salonfähig. Dabei wäre es mindestens gleich schlimm; denn es bezeichnet gemäss den Grimms (Kog, Koge) Aas oder – wie die Räude – eine ansteckende Krankheit.
Zum Familiennamen Rüdisüli: Ich vermute, dass er aus den Vornamen Rüedi und Üeli entstanden ist und einen Ulrich bezeichnete, dessen Vater Rudolf hiess. Ein Beispiel für eine der seltenen Situationen, in denen auch Hochalemannen einen echten Genitiv gebrauchen: Formulierungen wie «s Ruedis Ueli» (des Rudolfs Ulrich) sind in vielen Deutschschweizer Dialekten durchaus üblich.
September 15th, 2008 at 18:41
Das mit dem Rüdisühli klingt durchaus logisch, zumindest da mir die Generationen übergreifende Vornamenverbindung auch bekannt ist (siehe in den Kommentaren zu http://www.blogwiese.ch/archives/135 * ).
* So, jetzt habe ich wieder mal eine Spur zu alten Kommentaren gelegt, so finde ich es dann in vielen Jahren eher wieder, möglicherweise ohne Google. Ähm, Jens, wie lange willst du eigentlich noch neue Kommentare generieren? Möchtest du nicht so langsam dein Buch vermarkten?
September 15th, 2008 at 19:01
In den letzten zwei Jahrzehnten des 20. Jhd. im Kanton Luzern wohnhaft, habe ich als Nichtluzernerin festgestellt, dass das „rüüdig“, an dem man die Luzerner früher zuverlässig erkannte, in dieser Zeitspanne immer seltener wurde. Abgelöst wurde es durch „huere“, oft auch bei Leuten, die eigentlich sonst eine gepflegte Sprache anwenden, durch „huere verreckt“ bei den etwas Gröberen.
In verschiedenen Deutschweizer Gegenden braucht man – um Phipus Aufzählung zu vervollständigen – auch nur gerade das „uuu“ („das isch uuuguet!“, „das isch uuuschön!“). Ich vermute, es ist eine Abschwächung von „uhuere“/“uuhuere“ (guet, schön, riich, blööd, lääss etc.), ähnlich wie beim Fluchen („Gopfrid Stutz“, etwas gröber „Gopferteli“, abgeschwächt von „Gopfertami“ (Gott verdamme mich).
September 20th, 2008 at 0:50
Lass die Schweizer ihre „räudigen“ Feste feiern, wie sie fallen… *g*