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Fahren Sie Sie gern Auto-Scooter, Putschibahn, Box-Autos oder den Selbstfahrer? — Neues aus dem Reich der Varianten

  • Es leben die Varianten!
  • Dass die Deutsche Alltagssprache nicht nur einen Standard besitzt, sondern als plurizentrische Sprache bei einer Vielzahl von Begriffen und Ausdrücken geradezu verschwenderisch mit Varianten um sich wirft, hatten wir schon am Beispiel des Brotanschnittes (=Knust, Kanten, Aahau, Gupf, Riebele) festgestellt. Jetzt wurde wir auf das Projekt „Atlas zur deutschen Alltagssprache“ der Phil-Hist. Fakultät der Uni Augsburg hingewiesen. Bereits in der vierten Runde wird von Sprachwissenschaftlern mit Hilfe eines Fragebogens erhoben, wie die Menschen im deutschen Sprachraum, von der Nordseeküste bis ins tiefste Wallis, von der Westgrenze Luxemburgs bis in die östlichste Ecke Österreichs, zu den Dingen sagen. Jeder ist aufgefordert, den Fragebogen hier ehrlich und genau zu beantworten.

    Autoscooter
    (Quelle Foto: ig-schoenenwerd.ch)

  • Vom Puff-Auto zum Selbstfahrer
  • Sehr hübsch z. B. die Erkenntnisse zu den „Auto-Scootern“, die die Schwaben „Box-Autos“ nennen und die Südtiroler „Puff-Autos“. Da stösst ganz schön was zusammen. Laut Erhebung schwanken die Schweizer zwischen Tätschäutele, Tütschibahn und Potzautos. In Westfalen und am Niederrhein hat man das „Auto“ mit „Selbst“ übersetzt und den Begriff „Selbstfahrer“ geprägt.

    Box-Autos oder Potzautos
    (Quelle Karte: philhist.uni-augsburg.de)

    Wir lesen auf der Webseite:

    In Baden-Württemberg und in der Pfalz sagt man tatsächlich Box-Auto, aus dem Moselgebiet wurde eine weitere Variante, nämlich Knupp-Auto, gemeldet. Die Karte zeigt sehr schön, dass es in den anderen deutschsprachigen Ländern jeweils eigene Varianten gibt: In Österreich fährt man, wie im Wörterbuch angegeben, Autodrom; dies kann aber auch eine ‘(ovale) Rennstrecke für Motorradveranstaltungen’ bezeichnen. Im Wörterbuch bisher nicht verzeichnet ist die Südtiroler Variante Puff-Auto. Aus der Schweiz wurde uns Putschauto gemeldet. Die Bezeichnung Putschi-Auto ist nach Auskunft unserer Gewährsleute etwa in Luzern, Küssnacht, Kerns gebräuchlich, Putschi-Bahn in Zürich, Zug, Staufen, Schwyz. Lautähnlich sind weitere Schweizer und Vorarlberger Varianten wie Tütschibahn und Tätsch-Äutele.
    (Quelle: phihist.uni-augsburg.de)

    Vielleicht ist ja dann der „Tätschmeister“ eine Michael Schumacher der Kirmes, Verzeihung, „Chilbi„?

    Das Wort „Auto-Scooter“ wird neben über 200 weiteren Begriffe und ihren Varianten auf der Webseite erläutert. Da kann unser Variantenwörterbuch einpacken. Das liefert zwar schöne Originalzitat, aber nicht so hübsche Karten wie diese Webseite aus Augsburg.

  • Estrich, Dachboden und Bühne sind nur ein Teil der Wahrheit
  • Endlich erfahren wir, dass die häufig zitierten Varianten für den Dachboden, der von den Schweizern „Estrich“ genannt wird und bei den Schwaben „die Bühne“, im Wallis und in Südtirol auch als „Unterdach“ bekannt ist, und am Niederrhein als „Söller“ aus der Mode kam.

    Dachboden, Bühne, Estrich oder Söller
    (Quelle: Karte Dachboden)

    Viel Spass beim Schmökern im Register und Danke für den Tipp an Schnägge!

    

    18 Responses to “Fahren Sie Sie gern Auto-Scooter, Putschibahn, Box-Autos oder den Selbstfahrer? — Neues aus dem Reich der Varianten”

    1. solar Says:

      Der Dachboden heisst
      – im nördlichen Kanton Zürich „Schütti“. Dort, unter dem Dach, wurden die Kornvorräte ausgeschüttet bzw. offen gelagert (der trockenste Ort).

      – meines Wissens im ganzen restlichen Kanton Zürich „Winde“.
      – in vielen Kantonen, v.a. in und entlang der Alpen „Tili“ (Diele). Dort gibts auch noch den Begriff „Ruess-Tili“, der wohl immer mehr verschwindet, seit es keine offenen Rauchküchen mehr gibt. Wurden in der Ruess-Tili Fleisch und Würste geräuchert?

    2. sylv Says:

      @solar
      auch ‚Wöschdili‘ oder ‚Tröchnidili‘ ist bekannt im Kanton Bern,da dort oben oftmals die Wäsche ‚am schärme‘ getrocknet wurde.
      Grüessli
      sylv

    3. urseli Says:

      …bei uns heisst es „Winde“ also für Estrich…!

    4. neuromat Says:

      @ sylv

      es gibt ja auch den Spruch „zum Lachen in den Keller gehen“. Der „Tröchni“ ist berndeutsch für einen trockenen, wortkargen, eher etwas mürrisch phantasielosen Menschen, der geht dann wohl aufs „Tröchnidili“
      😉

    5. mare Says:

      Und als man noch selten Wäsche gewaschen hat (so dreimal im Jahr), hat man auf der Tröchnidili nicht nur Wäsche getrocknet, sondern auch die schmutzige Wäsche („die bschissni Wösch“) dort an luftiger Stelle über Stangen gehängt, damit sie nicht schimmelte, bis dann endlich Waschtag war.

      [Anmerkung Admin: Kein Wunder hatte die Schweiz eine gut gehende Textilindustrie, wenn jeder Schweizer zu dieser Zeit 90 Unterhosen Minimum brauchte, um 3 Monate bis zum nächsten Waschtag in der gemeinschaftlichen Waschküche frische Wäsche zu haben. Oder habe ich jetzt was falsch verstanden?]

    6. Schnägge Says:

      Mein Lieblings-Beispiel dafür, dass es auch in Deutschland keine einheitliche Standardsprache gibt, die überall geläufig ist, ist das hier:
      http://www.philhist.uni-augsburg.de/lehrstuehle/germanistik/sprachwissenschaft/ada/dritte_runde/f09b/

      Hier:
      http://www.philhist.uni-augsburg.de/lehrstuehle/germanistik/sprachwissenschaft/ada/register_varianten/
      gibts alle bisher aufgeführten Varianten nochmal alphabetisch.

      Es wäre schön, wenn möglichst viele Blogleser bei der neuesten Umfrage
      http://www.philhist.uni-augsburg.de/lehrstuehle/germanistik/sprachwissenschaft/ada/vierte_runde/
      mitmachen und auch eigene Vorschläge, Anmerkungen und Varianten beisteuern. Je mehr Menschen mitmachen, desto besser und genauer werden ja die Karten.

    7. Marischi Says:

      Tili (Diele) kenne ich als Appenzeller Wort für Zimmerdecke. „Ha de Grend a de Tili aagschlage“ käme als Erklärung, warum man so laut aufgejault hat. Da im Appenzellischen die Tili immer sehr niedrig ist, passiert das öfter…

    8. Brun(o)egg Says:

      @mare

      Du versaust unser Imitsch als Sauber Nation total, goppel! Kann mich nicht erinnern, dass meine Grosseltern gestunken hätten.

      Zu der Estrich-, Winde-, Speicher-, Soller-, usw. Karte. Da sieht man’s wieder mal: Wir werden einfach eingemeindet von den Deutschen. Jawoll. Gottseidank gibts den Rhein, sonst wär die Orientierung unmöglich, smile.

    9. Schwarzbueb Says:

      Auch in Teilen des Schwarzbubenlandes ist der Estrich bzw. der Dachboden
      „d Schütti“.
      Das mit dem dreimal jährlich stattfindenden Waschtag muss schon sehr lange her sein.

    10. Selma Says:

      Ich kann mich Marischi anschliessen – kenne das Wort „Tili/Dili“ auch für Zimmerdecke. Leider weiss ich nicht, in welchem meiner bisherigen Wohnorte ich das aufgelesen habe; denn „Decki“ ist mir genauso geläufig für „Decke“.

      Die Umfrage der Uni Augsburg ist zwar toll, aber schon sehr deutschlandlastig, oder? Z.B. die Frage, wie man 15 nennt: fünfzehn, fuchzehn, fufzehn. Na keins von allem, sondern füfzäh….

    11. Kiki Says:

      Das ist doch mal ein interessantes Projekt, bei dem ich gerne mitmache! 🙂

      Danke für die Vorstellung, Jens!

    12. mare Says:

      Ich beziehe mich ja auch auf die Zeit von Gotthelf, da kann man’s in verschiedenen Werken nachlesen, und das mit der grossen Aussteuer stimmt auch (ebenfalls dort nachzulesen, was zu einem „Trossel“ gehörte). Übrigens gibt’s in Biel das Museum Neuhaus, ein Teil davon ist Wohnmuseum, da sieht man die ganze Waschanlage noch (oder hat’s mindestens vor zwei jahren gesehen).

    13. mare Says:

      Gestunken hat man übrigens tatsächlich stark bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Ich glaube, wir hätten Mühe, wenn wir in eine Zeitmaschine kämen!

    14. Brun(o)egg Says:

      @selma

      „d’Dili“ ist die Diele. Aber nicht der Hauseingang, sondern die Diele als langes Brett, die oben die Decke begrenzt.
      Eine Diele ist lang und/oder ein Brett.

    15. frankk Says:

      hehe. mal was zum thema auto scooter… bei uns in ostfriesland haben wir in einer clique von damals 5 jährigen immer „rammstossautos“ gesagt… ja nu wie friesenjungs halt nun mal so sind nich.

    16. Pesche Says:

      Im Bernbiet heisst der Brotanschnitt Mürggu, der Estrich heiss Eschterig und die Zimmerdecke heisst Tili.
      Auf dem Jahrmarkt fährt man in den Putschautos

    17. DaWoidda Says:

      Oiso bei uns hot des Bodna u Bumbsauto ghoassn.
      DaWoidda vo Mingga

      Und für unsere heißgeliebten deutschen Nachbarn:
      Bei uns hieß das Boden und Bummsauto.
      Walter aus München

    18. Curt Says:

      Immer wieder besuche ich diese Seite gerne und kann dabei viele Parallelen und Bestätigungen finden (natürlich nur solche, die ich auch mag ;-))
      Einen weiteren Begriff für die Boxautos. Im solothurnischen habe ich auch schon öfters den Begriff Punchauto (pönschauto) gehört. Es scheint so ziemlich alle Generationen von Jahrmarkt/ Chilbi-Besuchern in den Bann zu ziehen.
      Gibt es noch weitere ausdrücke für Chilbi?

      Curt aus Olten

      [Anmerkung Admin: Kirmes kann heisse (laut Wikipedia)
      * Kirmes (aus „Kirchmesse“),
      * Kerb, Kirb, Kermes (in Hessen, im Spessart, Rheinhessen Nordpfalz und Saarland)
      * Kier (in Oberndorf (Jossgrund) in Hessen)
      * Kemmes (in Nassau)
      * Kirbe oder Kerwe, Kärwe (in der Pfalz, der Kurpfalz und Teilen Baden-Württembergs),
      * Kerwa bzw. Kärwa (in Franken),
      * Kerm (speziell in Unterfranken),
      * Kirwa (in der westlichen, mittleren und nördlichen Oberpfalz und im östlichen Teil Frankens),
      * Käada und Kiada (in der südlichen Oberpfalz),
      * Kerms, Kermst, Kärms oder Kärmst (Sachsen und Thüringen)
      * Kirda, Kirtåg bzw. Kiritåg oder ganz offiziell Kirtag (aus „Kirchtag“) in Österreich
      * Kirda, Kirta in Altbayern.
      * Kilwi oder Kilbi in Baden.
      * Kirwe im Vogtland. ]