Red Buuredütsch! — Hochdeutsch im Interview unerwünscht
Neulich lernte ich einen aus Deutschland stammenden Redakteur eines Schweizer Wirtschaftsmagazins kennen. Als er in die Schweiz zog, wurde er zum „Redaktor“, doch so einfach, wie die Berufsbezeichnung konnte er seine Sprache freilich nicht umstellen. Wenn er für seine Sendung unterwegs ist und Interviews mit Schweizer macht, stellt er seine Fragen in seiner Muttersprache, eine nordwestdeutsche Ruhrpott-Hochdeutsch-Variante. Sofort antworten die Gesprächspartner aus der Schweizer Wirtschaft ebenfalls auf Hochdeutsch, aus Höflichkeit und weil es schwierig ist, gegen eine Dialektvariante anzuschwätzen. Doch gesendet werden sollen solche Interviews auf Mundart, wobei die hochdeutsche Frage zuvor im OFF synchronisiert wird.
Das geht so lange, bis sich der Schweizer Kameraman im Team einmischt und laut dazwischen brüllt: „Red Buuredütsch“, was als Signal zu verstehen ist, wieder auf die gewohnte Mundart umzuschalten. Wie gesagt, für viele Gesprächspartner ist das nicht so einfach, denn mit einer Kamera vor der Nase und einem Nord-Westdeutschen Fragesteller daneben, da vergisst man schnell seine Herkunft bzw. bemüht sich den Standard einzuhalten. Irgendwer hat im Schweizer Fernsehen die Regel aufgestellt: Nachrichten immer auf Hochdeutsch, Gespräche und Interviews auf Mundart. Kann man bei 10 vor 10 fast jeden Abend erleben.
Sucht man „Buuredütsch“ bei Google, wird man gefragt, ob man vielleicht „Bundesdeutsch“ gemeint hat. Hoch droben im Schwarzwald erzählten mir Gymnasiasten, dass sie nur noch Hochdeutsch reden, seit sie zum Gymnasium gehen, ausser es käme jemand aus den hintersten Tälern, der würde dann noch „Buuredütsch“ sprechen. Der Begriff hat eine negative Konnotation: „So sprechen wie die Bauern“, wer will das schon wenn er grad im Fernsehen ist?
Ein Landrat aus dem süddeutschen Waldshut wurde vom Schweizer Fernsehen auf Alemannisch interviewt und hatte grosse Schwierigkeiten, in dieser offiziellen Gesprächssituation im Dialekt zu bleiben. Hitzfeld kann das besser:
(Interview vom 7. Oktober 2009 nach der Niederlage der Schweizer Nati gegen Luxemburg)
Welche drei Wahrheiten lernen wir aus dem Interview mit Hitzfeld?
1. Alle Deutschen sprechen sowieso immer nur Hochdeutsch
2. Hitzfeld ist ein Wahlbayer, deswegen gilt er als Ausnahme.
November 27th, 2009 at 9:17
Bure ist eine alte Form von „Bauer“. Sie sollten also Bauerndeutsch reden 😉 Wörtlich zumindest.
November 27th, 2009 at 12:48
Ist Hitzfeld nicht Lörracher?
[Anmerkung: Bravo, das war die dritte Wahrheit. Deutscher, Wahlbayer und Lörracher. Fehlt noch was?]
November 27th, 2009 at 13:00
Herr Zürcher: selbst Josef Ackermann, Chef der Deutschen Bank spricht ein gepflegtes Schrift-Deutsch und keinen Dialekt. Das wäre in Germany bloss eine Lachnummer.
November 27th, 2009 at 13:56
Eben Herr Ackermann kann sich anpassen im Ausland umgekehrt sollen wir uns hier noch den Ausländern anpassen. Geht es eigentlich noch. Hier wird schweizerdeutsch gesprochen. Punkt aus. Akzeptiert das endlich.
Und ob ihr das als Sprache Dialekt oder buredeutsch bezeichnet ist mir egal. Und die Lachnummer sind die Deutschen die sich für ihren Dialekt schämen.
November 27th, 2009 at 16:00
an sgerber
Besser kann mans wohl kaum aufn Punkt bringen. Ganz deiner Meinung…
November 27th, 2009 at 16:24
@ sgerber
«Eben Herr Ackermann kann sich anpassen im Ausland…»
Genau! Der Puuremann hat sein Ackerdeutsch abgelegt und drückt sich zwecks Anpassung in Deutschland konsequent z.B. auf Plattdeutsch oder in sächsischer Mundart aus. Mir ist das allerdings bisher entgangen. Aber vermutlich hörst du genauer zu, wenn er am Fernsehen wieder mal etwas «brösmelet».
November 27th, 2009 at 17:36
@sgerber
Immer schön locker bleiben, es hat doch keiner das Gegenteil behauptet. Oder haben sie den Artikel (bzw die Kommentare) gar nicht gelesen? Das Problem war doch das gerade NICHT schweizerdeutsch gesprochen wurde, wo es doch gewünscht war. Der Ausdruck Bauerndeutsch kam doch vom schweizer Kameramann.
November 27th, 2009 at 20:06
@Jens
Logo, der Hitzfeld is auch so’n Lehrer!
November 27th, 2009 at 20:20
Es fehlt hier noch die Verlinkung zu der schon in der Blogwiese vorhandenen Einträgen zum „Bauerndeutsch“. Die sind aber eben in den Kommentaren versteckt und verlangen deshalb etwas Such- und Lesearbeit:
http://www.blogwiese.ch/archives/95#comment-1077
http://www.blogwiese.ch/archives/531#comment-33905
http://www.blogwiese.ch/archives/730#comment-197547
http://www.blogwiese.ch/archives/347/#comment-7155
http://www.blogwiese.ch/archives/407#comment-9998
November 27th, 2009 at 23:35
@sgerber:
Das war schon eine schiere Notwendigkeit. „Deutschland“ gibt es nicht als Nation. So wie die Schweiz aus vielen kleinräumigen Gebieten zusammengewürfelt wurde, teilweise ja mit gänzlich verschiedenen Sprachen (Französisch etc.) so ist das mit „Deutschland“ erst recht – nur in viel größerem Maße. Das war bis in’s 19. Jahrhundert wirklich ein babylonisches Sprachengewirr wie alte Reiseberichte belegen. Teilweise hat man die Leute schon 20 km entfernt, wenn zB ein breiter Fluß durch die Landschaft floß und dort topographisch geteilt hat, nicht mehr verstehen können. Das war auch der Grund warum es solange gedauert hat bis es überhaupt sowas wie „Standarddeutsch“ gab, man wusste ja gar nicht welchen Dialekt man zu diesem Standard machen sollte. Das hat dann Luther übernommen, der „Mischmasch“ in den er die lateinische Bibel übersetzt hat ist quasi noch heute das was wir „Hochdeutsch“ nennen. Und da die Bibel über Jahrhunderte das einzige Buch war was der Normalbürger besaß hat sich dieses Hochdeutsch so stark durchgesetzt – dies ist übrigens auch der Grund warum im katholischeren Süden bis heute mehr Dialekte vorherrschen, dort war es natürlich nicht schicklich die „Lutherbibel“ der Protestanten – die im Norden vorherrschen waren – zu lesen.
Naja klar, später kam dann noch mancher deutschnationale Wahn dazu durch den, in drei Wellen, alles regionalen Eigenheiten ausgemerzt werden sollten. Unter Bismarck war die sog. „Kleinstaaterei“ das Feinbild No 1, dann unter den Nazis gab es ohnehin penibelste Vorstellungen darüber was „deutschsein“ zu bedeuten hat, dann nochmal in den Nachkriegsjahrzehnten als Dialekt gemeinsam mit „röhrendem Hirsch“ und „Butzenscheibenromantik“ verpönt war und gar als „rechts“ – mindestens aber als gestrig und ungebildet – galt. In Deutschland ist nichts simpel, alles komplitziert und das meiste sehr neurotisch 😉 „Schämen“ wäre eine zu einfache Erklärung für die Dialektphobie vieler Deutscher. Wobei da wieder das Paradoxum wäre dass viele Schweizer „die Deutschen“ für arrogant halten wobei „die Deutschen“ ja hart daran arbeiten so „undeutsch“ wie nur möglich zu sein/werden. Toskana und so.
November 28th, 2009 at 10:21
Ich mag mich noch gut erinnern, als mit 10vor10 das erste Mal Interviews in Schweizerdeutsch aufkamen. Vorher (und auch heute noch bei der Tagesschau) war das sehr verpönt. Damals kamen auch gleich Diskussionen auf, ob das unserem Fernsehen anstehe, da es ja auch von Tessinern und Welschen angeschaut werde.
@Ein Zürcher: die ehemaligen «feinen Herren» in Bern hätten sich des Dialekts geschämt, deshalb sprachen sie ja die Weltsprache Français 😉
November 28th, 2009 at 11:14
richtig sgerber. deshalb schwätze ich auch schwyzerdütsch in meiner heimat bamberg, je länger ich dort bleibe, je mehr versteht man mich. alles nur gewohnheitssache ;-). ois klar? schönen ersten advent, muss jetzt zur ikea, obschon es samstag ist, ich weiss….
grüess wolfi
November 28th, 2009 at 13:35
Wieso sagt der Hitzfeld „bärestark“ und nicht „sackstark“? Vielleicht ist er ja solidarisch mit Finn.
@sgerber: Was ist dann mit Deutschen, die keinen Dialekt haben? Wofür sollen die sich schämen?
In Deutschland müssen alle, die beruflich im Rundfunk oder Fernsehen tätig sind, eine Sprecherausbildung absolvieren. Jedenfalls dann, wenn sie im Radio oder vor der Kamera sprechen. Bei einer öffentlich-rechtlichen Anstalt mussten mal eine Praktikantin und ein Redakteur den Hut nehmen, weil die Praktikantin einen Sportbeitrag auf Schwäbisch kommentiert hat.
In Deutschland wird im öffentlichen Leben bzw. im Business folgende Kommunikationsregel gelebt: Es kommt nicht darauf an, was gesagt wird, sondern auf das, was verstanden wird. Hochdeutsch ist dort also das Mittel gegen Informationsverlust.
November 28th, 2009 at 18:58
@Simone:
Das stimmt nicht. Im Privatfernsehen schonmal von vorneherein nicht, da werden bevorzugt Norddeutsche oder Rheinländer als Moderatoren eingestellt das stimmt schon aber die haben keine große Sprachausbildung (wie man deutlich an starken Akzenteinschlägen hören kann). Und zumindest beim BR ist sog. „Lokalkolorit“ durchaus auch eine Qualifikation und bestimmt kein Entlassgrund. Darüber hinaus ist die klassische Sprechausbildung offenbar auch im restlichen öffentlich-rechtlichen Rundfunk abgeflacht, denn zum siebschen Bühnendeutsch würde ja auch ein deutlich akzentuiertes „r“ gehören, während das auch bei vermeintlich Hochdeutsch sprechenden im auf ARD und ZDF immer zum üblichen norddeutschen „a“ wird („Jäga“ statt Jäger“). Ausnahmen sind ältere Nachrichtensprecher/Moderatoren aber die gibt es aufgrund des Jugendwahn ohnehin nur vereinzelt oder auf Phoenix zu sehen/hören. Beim ORF und BR ist übrigens noch anders, dort hört man noch flächendeckend siebsches Bühnendeutsch. Vom SF weiss ich’s nicht, schau ich nie.
November 29th, 2009 at 17:19
@Ric:
Ich dachte an die öffentlich rechtlichen Anstalten. Privatfernsehen schaue ich eher selten und betrachte es auch eher als Zeitvertreib für Dauerarbeitslose in der 4. Generation. Zu meiner Zeit bei den öffentlich rechtlichen herrschte da noch Zucht und Ordnung. Das war in den 90er Jahren.
Ich habe das Sprecher-R übrigens noch gelernt.
November 30th, 2009 at 15:58
Meine Antwort bezog sich auf den Beitrag von Ernst. Er hat den Ackermann und seine mögliche Lächerlichkeit zum Besten gegeben. Immer schön im Zusammenhang lesen, gell
August 10th, 2010 at 2:17
Ihr habt recht. O. Hitzfeld wurde in Lörrach geboren, und da sprechen die Einheimischen ALEMANNISCH.
(Ich hoffe, keiner kommt auf die Idee, Hitzfeld spräche Schweizerdeutsch im Interviewvideo oben??)
Nein. Mein Kollege aus meiner Ausbildungsklasse sprach so (W-Tiengen ebenfalls), hat auch immer die „durch“, „nicht“ und „wichtig“ wie „ch“ in „Bach“ gesprochen.