Die fünf Fettnäpfe, in die Sie als Deutscher in der Schweiz nicht hineintappen sollten
April 30th, 2009(reload vom 10.5.06)
Falls Sie als Deutscher neu in die Schweiz kommen, gibt es eine paar Fettnäpfchen, vor denen Sie sich in acht nehmen sollten, damit Sie da nicht gleich hinein tappen. Sagte ich „Fettnäpfchen“? Schon falsch: In der Schweiz würde man eher von einem „faux pas“ sprechen, denn Sie begehen können. Einen „falsus passus“ oder falschen Schritt, wie der lateinversierte Frankreichkenner sagen würde. Die Deutschschweizer lieben ihre Landsleute von der anderen Seite des Röschtigrabens so sehr, dass sie bei jeder Gelegenheit deren Sprache üben und pflegen. Sie werden sich noch umschauen, wieviel Französisch Sie hier in kürzester Zeit automatisch lernen können. Beim „Merci vielmals“ geht es los, bei „excusez“ geht es weiter und bei der Frage nach der Plastiktüte, die in der Schweiz grundsätzlich als „sac“ im Idiom der Westschweiz bezeichnet wird, hört es noch lange nicht auf. Le „sac-à-dos“ ist darum auch kein Fluch, wie „Heilands-sak-rament“ in Oberschwaben, sondern einfach nur ein Rucksack in der Westschweiz. Et ceci n’est pas un Witz. Auch die Ostschweiz färbt sprachlich ab in der Westschweiz.
Falls Sie mit einem Schweizer telefonieren, excusez, wir meinten natürlich: „Falls Ihnen ein Schweizer ein Telefon gibt“, dann sollten Sie dieses nicht „fortrühren“, unter langsamen Kreisbewegungen in den Abguss, sondern beantworten. So wie sie auch den „Beantworter“ benutzen, falls Ihr Schweizer „Kollege“, also Freund und nicht Arbeitskollege, nicht daheim ist und Sie ihm auf selbigen sprechen müssen. Ist er jedoch daheim und geht kurz weg vom Telefon, dann wird er Sie bei seiner Rückkehr fragen: „Bist Du noch da?“, und dann wäre es ganz falsch zu antworten: „Nein, ich bin geplatzt“, oder „das weiss ich gar nicht, Moment, ich schaue kurz nach. Kannst Du schnell warten?“. Da wären wir schon mitten drin im Dilemma: Sie warten so schnell Sie können, und es ist immer einfach nicht schnell genug für die Schweiz.
Sprechen Sie niemals vom Züricher See oder Züricher Geschnetzelten. Das ist verboten und wird mit vielsagendem Schweigen bestraft. Nur Gottfried Kellers Verleger durfte seine Novellensammlung die „Züricher Novellen“ nennen. Heute würde der bekannteste aller Schweizer Dichter glatt des Landes verwiesen für diesen Fehler. „Glatt“ verwiesen passt „in dem Fall“ extrem gut, denn dort an „der Glatt“ wuchs er einst auf, der Gottfried Keller, bei seinem Onkel in „Glattfelden“. Eine glatte Sache, nicht wahr?
Erwähnen Sie niemals in Anwesenheit von Schweizern, dass Sie deren Schwiizertütsch recht gut verstehen während die Schweizer die ganze Zeit nur auf ihrem bestens hochpolierten Hochdeutsch mit Ihnen gesprochen haben. Passiert jedem Deutschen, der neu in die Schweiz kommt, am Anfang.
Ganz schlechtes Verhalten. Gehen Sie durch eine Tür, dann schauen Sie sich bitte drei mal um ob auch wirklich niemand naht, der auch durch diese Tür möchte, bevor Sie diese Tür hinter sich zufallen lassen. Besonders schwierig ist das bei einer Drehtür. Halten Sie die doch einfach offen für den nächsten Schweizer, der Ihnen auf dem Fusse folgt!
Vergessen Sie alles, was man ihnen je über Mundarten und Dialekte erzählt hat. Es stimmt nicht, bezogen auf die Sprache der Schweizer. Die Schweizer sprechen eine Sprache, mehr noch, eine eigene Sprache, mehr noch, eine „richtige“ eigene Sprache. Sie haben nur noch keine eigene Bezeichnung dafür. Die Bezeichnung „Schweizerdeutsch“ erinnert ja schon wieder ganz fatal an diese andere Sprache, die die Schweizer eben nicht sprechen, sondern nur schreiben, denn sie reden ja „ihre“ Sprache, die eine Sprache und auf gar keinen Fall, unter keinen Umständen, auch nicht in der grössten Not als „Dialekt“ bezeichnet werden darf. Haben Sie das verstanden? Begreifen Sie es auch?
Ja, schon, aber jetzt sind sie „sprachlos“. Woran erkennt man, dass eine Sprache richtig und eigen ist? Ganz einfach: An den für sie vorhandenen Lehrwerken und Grammatiken. Davon gibt es einige für das Schwiizertüütsche. Folglich ist es eine richtige Sprache. Ein Wörterbuch für die Sprache der Schweizer gibt es auch, es gehört hier zur wichtigsten Grundausstattung jedes Deutschen in der Schweiz. Nehmen Sie also am besten gleich einen Kredit auf, kaufen sie sich eine Schubkarre oder einen Leiterwagen, gehen Sie in die nächste Buchhandlung und erstehen Sie das Schweizer „Idiotikon“. Sie brauchen sich nicht wie ein Idiot fühlen, wenn sie danach fragen. Idiotisch ist das Ding ganz bestimmt nicht, sondern eher schwer. Ziemlich schwer, weil bedeutungsgeladen und verantwortungsschwer:
Ein Idiotikon (griech. Idio, Eigenes; Ausdruck, Begriff, Mundart) ist ein Wörterbuch, das mundartliche, dialektale, soziolektale oder fachsprachliche Ausdrücke erläutert. (auch Regionalismenwörterbuch)
(Quelle: Wiki)
Die Schweizer versuchen seit 1862, dieses Wörterbuch zu erstellen. Denn was man aufschreibt, vergisst man nicht:
Am Ursprung des Idiotikons stand die Angst vor dem Sprachverlust. Friedrich Staub, der erste Chefredaktor des Idiotikons, befürchtete 1862, die schweizerdeutsche Mundart würde vom Hochdeutschen verdrängt. Die Korrespondenten begannen damals, „unter Beihülfe aus allen Kreisen des Schweizervolkes“, Mundartausdrücke aus Stadt, Land und Bergtälern zusammenzutragen. Systematisch wurden auch die Mundartliteratur bereits vorhandener Dialektwörterbücher, Chroniken, Rechtsprotokolle, Arznei- und Rezeptbücher und religiöse Schriften im Idiotikon erfasst.
(Quelle: swissinfo.org)
Ich vergass zu erwähnen, dass Sie zuvor noch eine Zeitmaschine kaufen sollten um in die Zukunft zu reisen. Denn momentan ist das Idiotikon leider noch nicht lieferbar. Der aktuelle Stand sind 15 Bände. Bei gleichbleibender echt schweizerisch-gründlichen Herausgabegeschwindigkeit von 9.6 Jahren pro Band müssten Sie im Jahr 2026 die Gesamtausgabe erwerben können. Sie können also ruhig schon mal anfangen mit sparen.
Mit 15 Bänden und über 130’000 Stichwörtern ist das Schweizerdeutsche Wörterbuch schon vor seinem Abschluss das umfangreichste Regionalwörterbuch im deutschen Sprachraum. Es dokumentiert die deutsche Sprache in der Schweiz vom Spätmittelalter bis ins 21. Jahrhundert, die älteren Sprachstufen genauso wie die lebendige Mundart. Da der Grundstock des Mundartmaterials in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dank der Mitarbeit von gegen 400 Korrespondenten zusammengekommen ist, kann das Werk sonst kaum beschriebene und heute weitgehend verschwundene Bereiche der sprachlichen, geistigen und materiellen Kultur dieser Zeit besonders gut dokumentieren.
(Quelle: sagw.ch)
Vielleicht erleben Sie ja tatsächlich noch die Fertigstellung dieses Werkes ? Gut Ding will Weile haben.
P.S.: Wir haben zwar schon die fünf Fettnäpfchen erläutert, ein sechstes wollen wir daber dennoch hinzufügen: Erwähnen Sie unter gar keinen Umständen, dass irgendetwas in Deutschland auch nicht schlecht ist. Das kommt gar nicht gut an. Sie sind hier im Land der besten Waschmaschinen, der besten Schokolade, der besten Demokratie, der besten Taschenmesser, der besten Käsesorten, der besten Biochemie, der besten Fussballer… na, Sie wissen jetzt sicherlich schon selbst weiter, einfach immer „der besten …“ davor setzen.