Sind Schweizer in Deutschland arrogant, wenn sie Hochdeutsch sprechen?
August 31st, 2006Als Deutsche in der Schweiz erfuhren wir oft, wie lässig elegant die Schweizer zwischen ihrer heimischen Mundart, die wir auch gern als „Idiom“ oder „Idiolekt“ durchgehen lassen, zur Standardsprache, dem Neuhochdeutschen, zu wechseln vermögen. Die Frage: „Verstehen Sie Schweizerdeutsch“ hörten wir in den letzten Jahren zugleich immer seltener, entweder es wurde bei uns diese Fähigkeit vorausgesetzt, oder unser Schweizer Gesprächspartner wechselte automatisch zur Standardsprache, kaum hatten wir unsererseits einen Satz von uns gegeben.
Schweizer, die permanent in Deutschland leben, stehen da vor einem ganz anderen Dilemma. Sollen Sie sich sprachlich anpassen und damit ihre eigene sprachliche Identität verleugnen, in dem sie so Hochdeutsch sprechen wie die Deutschen? Oder käme das einem Verrat an der eigenen Herkunft, der eigenen sprachlichen Identität gleich?
Wir erhielten Mails von Schweizern, denen die „Schweizer Hochdeutschaussprache“ in der Schule regelrecht beigebracht wurde, mit der Betonung auf der ersten Silbe, um sich vom deutschen Hochdeutsch zu unterscheiden. Deutsch zu sprechen wie die Deutschen war nur in den seltensten Fällen offizielles Lernziel.
Die Schweizerin Sarah schreibt in ihrem Blog „Zueri-Berlin“ über diese Problematik:
Sage ich Velo oder Fahrrad? Betone ich CD und WM auf der ersten oder der zweiten Silbe? Darf es mich wunder nehmen, oder soll ich mich besser fragen? Benütze ich beim Schreiben das mysteriöse ß? Darf ich meinen Akzent dem in Berlin üblichen Tonfall anpassen oder soll ich „schweizerisch selbstbewusst“ tönen (oder doch eher klingen?)?
Was die Frage mit dem scharfen „ß“ angeht, da sind wir gottfroh, in der Schweiz zu leben und diesen Buchstaben auf unserer Tastatur nicht mehr zu finden. Das Leben wird dadurch um einiges einfacher.
Sarah schreibt weiter:
Das Dilemma zwischen Schweizer Hochdeutsch und deutschem Hochdeutsch ist omnipräsent. Manchmal schäme ich mich für meine für Schweizer Verhältnisse sehr angepasste Aussprache und Redeweise, weil ich weiss, dass sie für viele Schweizer Ohren arrogant klingen würden. Andererseits reden ja die Schwaben und Bayerinnen in Berlin meist auch nicht schwäbisch oder bayrisch, sondern Standardsprache. Sogar Berlinerisch wird in formelleren Situationen und Kreisen tunlichst vermieden.
(Quelle der Zitate von Sarah hier)
Da war es wieder, das Zauberwort „arrogant“. Hochdeutsch klingt arrogant, wie oft mussten wir das schon lesen. Wie kann eine Sprache „überheblich“ sein? Französisch klingt „sexy“, will uns die Werbung suggerieren, Schweizerdeutsch kling „niedlich“, und Hochdeutsch eben „arrogant“, zumindest in den Ohren der Schweizer.
Warum sollte ich dann, wenn schon nicht richtiges Schweizerdeutsch, nicht gerade so sprechen, damit es möglichst wenig zu erklären gibt? Zum Beispiel was Trottoir und Lavabo bedeuten, dass wir in der Schweiz Nadine und Nathalie wie auch Café und Milchkaffee anders betonen.
Da geht sie los, die Identitätskrise. Nimmt Sarah die Sprache ihres Gastlandes an wie ein Chamäleon die Farbe seiner Umgebung, würde sie nicht mehr als Schweizerin erkannt. Ist das so schlimm? Die meisten Deutschen haben in der Schweiz nicht die Wahl, sich hinter einer perfekten Schweizerdeutschen Aussprache zu verstecken, obwohl es mehr gelungene Beispiele dafür gibt, als die Schweizer vermuten. Der oft von Schweizern geäusserte Wunsch: „Liebe Deutsche, bitte versucht nicht Schweizerdeutsch zu sprechen, es tönt so grusig“ übersieht, dass dies bereits mehr Deutsche in der Schweiz tun, als die Schweizer auch nur ahnen.
Einige unserer Landsleute haben uns erzählt, wie sie ihre Schweizer Umgebung damit schockierten, wenn sie sich plötzlich auf Hochdeutsch als Deutsche outeten. Keine Sprachvariante ist unlernbar, und selbst ein bekannter Vertreter eines Idioms, wie der „Walliser“ Patrick Rohr, hat seinen Dialekt erst mit 14 gelernt.
Sarah meint schliesslich:
Gibt es nicht ohnehin schon genügend interkulturelle Verständigungsprobleme? Zudem möchte man vielleicht auch einfach nicht immer „süüüß“ sein, sobald man die Schweizer Lippen auseinanderbewegt.
Wir glauben, dass diese ewige Reaktion „ach ist das süss“ die meisten Schweizer dazu veranlasst, ihre schweizerische Aussprache unter Deutschen auf Dauer zu Grabe zu tragen, denn es nervt, immer dieses „Wie süss!“ Attribut angeheftet zu bekommen. Vielleicht entwickeln diese Schweizer in Deutschland dann auch ein Gefühl dafür, wie es nerven kann, ständig das „Ist das arrogant!“ Argument zu hören.
Ach und der letzte Satz war nicht „weinerlich“ gemeint, dass ist nämlich das zweite Attribut, was wir als Deutsche in der Schweiz langsam leid sind. Egal was wir hier äussert, es ist stets und immer „weinerlich“. Drum greif ich mir nun ein Taschentuch um meine leicht geröteten Augen abzutupfen und ziehe mich still und traurig in mein Kämmerchen zurück, und übe dort weiter fleissig, wie man korrekt Bärndütsch ausspricht. Wäre doch gelacht, wenn das nicht klappt.
Wir werden uns tarnen, wir werden uns anpassen, wir werden nicht mehr wiederzuerkennen sein, wenn wir es erst mal können. Wie war das noch gleich?:
„Heit Der scho einisch probiert, e chli Bärndütsch z verstah oder z läse?“
(Quelle: edimuster.ch )
Aber immer doch!
Bchym di!
Batzechlemmer!
I ha di unerchannt gärn.
I wetti di ärfele.
(Quelle: edimuster.ch)
Kriegen wir alles noch hin.