Eintritt statt Aufnahme und Austritt statt Entlassung — Neues aus dem Schweizersprachalltag
Vor kurzem hatte ich erneut das Vergnügen, die Schweizer Spitalwelt von innen kennenzulernen. Eine Spätfolge des Unfalls vom Januar 2007 wurde behandelt und dazu war ein mehrtägiger Spitalaufenthalt notwendig. Sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz wird man von seinem Hausarzt dorthin „überwiesen“, doch dann trennen sich die sprachlichen Gepflogenheiten.
In Deutschland erfolgt eine „Aufnahme“, so wie bei einer Tonaufnahme oder bei der „Aufnahme von Verhandlungen“. In der Schweiz hingegen spricht man von „Eintritt“. Schon bekannt aus der „Eintretensdebatte“, was im Deutschen Bundestags mühsam als „Diskussion der Tagesordnung“ umschrieben werden könnte.
Will man das Schweizer Krankenhaus, das sich stets „Spital“ nennt, wieder verlassen, erfolgt ebenfalls ein Tritt, aber diesmal ein „Austritt“. „Austreten“ kann man in Deutschland natürlich auch, z. B. aus einer Partei, oder wenn man höflich ein dringendes Bedürfnis sprachlich umschreiben möchte mit „ich muss mal austreten“.
„Ich bin ausgetreten“ sagt sonst nur der Katholik oder Protestant wenn er ausdrücken möchte, dass er keiner Kirche mehr angehört. Aus deutschen Krankenhäuern hingegen erfolgt die „Entlassung“, was uns gleich an Jobverlust oder das Ende einer abgesessenen Gefängnisstrafe denken lässt. Ach wie wunderbar variantenreich ist doch unsere gemeinsame deutsche Sprache!
„Der Austritt erfolgte am …“ stand in meinem Arztbrief. Deutsche denken dann gleich an einen „Parteiaustritt“ oder „Kirchenaustritt“, aber mit den Jahren in der Schweiz verschwindet diese gedankliche Verbindung. Schweizer würden in Deutschland bei „Entlassung“ an den Verlust der Arbeitsstelle denken. Engländer pflegen dieses hässliche Wort „Entlassung“ übrigens höflich und euphemistisch mit „redundancies“ = Redundanzen zu umschreiben. Das klingt fast so schön wie die in Deutschland üblichen „Umstrukturierungen“, die anstehen und nichts anderes als „Massenentlassungen“ bedeuten.
Juli 3rd, 2008 at 10:41
Unkrauttoleranz (weg von Geranien – the natural look in window boxes is in)
Amsterdamisierung (von ZH)
Juli 3rd, 2008 at 10:43
Und wie wär’s mit „einnivellieren“ ?? Was soll das bedeuten?
Juli 3rd, 2008 at 11:39
Mir persönlich gefällt Austritt bedeutend besser als Entlassung. Bei Austritt wird eine aktive Handlung beschrieben, während Entlassung für mich eher nach Willkür klingt.
Wenn die Ärzte im Spital noch ein Bett bezahlt haben möchten, dann bleibst Du noch eine weitere Nacht, Du wirst noch nicht entlassen.
Es hat für mich auch etwas mit Sprachhygiene zu tun, und wie es im Gefühl „verstanden“ wird. Die nonverbalen Botschaften hinter Worten sind für mich auch sehr ausschlaggebend.
[Anmerkung Admin: Ist doch interessant, wie die Konnotationen bei diesem Wort auseinander gehen. Mich erinnert „Austritt“ mehr an einen Tritt von einem Pferd, das neben mir steht. „Vorsicht, das tritt aus“… 🙂 ]
Juli 3rd, 2008 at 11:49
Zitat Admin: Ist doch interessant, wie die Konnotationen bei diesem Wort auseinander gehen. Mich erinnert “Austritt” mehr an einen Tritt von einem Pferd, das neben mir steht. “Vorsicht, das tritt aus”… 🙂
Möglicherweise ist dies auch wieder eine Frage des Nord-Süd-Gefälles innerhalb Deutschlands. Mir ist schon des Öfteren aufgefallen, dass es da deutliche Unterschiede im Sprachverständnis gibt.
Juli 3rd, 2008 at 12:41
Eigentlich ist Austritt zunehmend falsch. Im Gegensatz zu Entlassung impliziert es einen aktiven Schritt. Doch heutzutage werden Patienten aus Kostengründen immer häufiger gegen ihre Interessen sehr früh aus der pflegerischen Obhut entlassen und müssen schauen, wie sie sich in ihrem geschwächten Zustand allein (wer hat denn in der Familie noch jemanden zu Hause, die (seltener der) rund um die Uhr die Pflege übernehmen kann?) und mit ein bisschen Spitex über die Runden bringen. Manchmal müsste man statt von Austritt von Rausschmiss sprechen.
Juli 3rd, 2008 at 13:02
@Jens:
Ich glaube, Du verwechselst einen Austritt mit einem Ausritt.
Juli 3rd, 2008 at 14:09
@ solanna
Du solltest da unterscheiden. Privatpatienten behalten sie gerne ein bisschen länger. Gutes Geschäft. Allgemein Verischerte „dürfen“ nur länger bleiben wenn’s genügend Betten frei hat. Dann bringen sogar die noch Geld.
Aber für beide gilT. Wenn ich gehen will dann geh ich. Muss dannaber, wenns gegen den Willen des Arztes steht, unterschreiben. Trauen muss man sich ahlt dürfen.
Juli 3rd, 2008 at 14:11
@ solanna
Hab noch etwas vergessen: Problem ist halt schon, dass es massig Leute Leute gibt die gerne noch ein bisschen länger liegen bleiben. ist ja alles bezahlt nicht wahr?! Und das Gehalt laüft auch weiter.
Juli 3rd, 2008 at 16:44
Der Administrator Jens hat natürlich den „Abtritt“ unterschlagen. Bis etwa Mitte / Ende des 19. JH gab es den Beruf des Abtrittanbieter / in.
Heutzutage könnte man diesen Abtritter in unseren Hauptstädten sicherlich wieder gebrauchen.
Siehe auch: http://de.wikipedia.org/wiki/Abtrittanbieter
http://www.jenanews.de/content_news.php?id=953
Juli 3rd, 2008 at 17:28
Das mit dem Eintritt hat gar nichts mit der Eintretensdebatte zu tun, die Eintretensdebatte dreht sich ums eintreten.
Dagegen ist natürlich der Eintritt geschuldet, wenn man ins Kino geht. Ausser es ist so, wie es Erich Kästner mal beobachtet hat: Eintritt frei, Kinder die Hälfte!:-)
Juli 3rd, 2008 at 23:09
@AnFra
das mit dem „Vorsitzenden“ gefällt mir auch gut, wäre amüsant mal nachzufragen, ob die betreffenden um diese herkunft wissen. 🙂
Juli 4th, 2008 at 9:35
Eigentlich gefällt mir der helvetisch/bayrische Begriff „Spital“ besser als „Krankenhaus“. Er ist begriffsneutraler, denn im Umfang der Dienstleistungen eines Spitals stehen nicht nur ärztliche und pflegerische Hilfeleistungen, die Krankheiten, Leiden oder körperliche Schäden feststellen und heilen. Auch die Geburtshilfe und die Sterbebegleitung gehören zu den Aufgaben eines Spitals/Krankenhauses.
Und wer würde die Geburt schon als Krankheit bezeichnen?
Noch besser finde ich „Gesundheitszentrum“.
.: Krank, verletzt, prägnant eintreten.
.: Gesund, geheilt, zu zweit wieder austreten.
Aprospos: Im WK der schweiz. Armee wird auch ausgetreten, allerdings nur 7,5 Minuten oder eine Zigarettenlänge, ausser mann/frau tritt für immer aus, dafür tritt man bei der GSOA dann wieder ein. Oder ist es da eher ein Beitreten?
Obwohl, wenn ich einem „eis as Bei trätte“, dann will ich ihn auf einen Fehler aufmerksam machen, ausser im Fussball, da gehört diese Art des „Tacklings“ zum Spiel, was den Spielern dann nicht selten einen Aufenthalt im Spital beschert.
Juli 4th, 2008 at 10:01
@Nessi
Beim Info aus Jena muss eine kleiner Verbesserung eingebaut werden, denn die Abtrittsfrau trägt keine eigentliche Maske, sondern einen vergrößerten Nasenaufsatz.
Dieser Nasenaufsatz war mit Tampons ausgestopft, in welche dann eine ätherisch-ölige Essens (Zitronen, Orangen, Rosen, Bergamotte) eingetropft wurde. Diese Essenz sollte einerseits vor „Miasma“, (krankmachenden Dämpfen aus dem Erduntergrund) und vor den natürlicherweise üblen Gerüchen der Kundenprodukte schützen.
Diese Schutztechnik wurde von den Pestärzten übernommen. Man kennt noch Bildnisse von solchen Pestärzten bis in die 1830-Jahre mit solcherart von Geruchsmasken.
Interessanter Aspekt:
Die ganzen historischen Fasnachtsfiguren der „Hänsele“ (eigentl. Hans hier die lustihe Verkleinerungsform, Hein, Jochan= Synonym im dt. Sprachraum, Henry= im engl. Spr.Raum für den Tod!) im schäb.-allm. Bereich mit ihren Masken mit den auffälligen Nasenansetzen (eigentlicher Geruchsschutz), Plätzleanzügen, Karbatschen (Peitschen), Klappern, Ratschen, Besen, Saublasen, Klappscheren uam. sind historisch und funktionell ehem. Arbeitsutensilien von mittelalterlichen Pestärzten und deren Gehilfen.
Grund:
Der Pesttod ist überwunden, man kann sich wieder über ihn lustig machen und die Ausstattung wandelt sich zur heimeligen Folklore (Brauchtum)!!!
Das Problem:
Sag mal nen eingefleischten Fasnachtlern in Süddeutschland: Deine Sache ist nicht uralt, sondern kommt frühestens aus dem 16./eigentl. 17. JH und entstammt einem problematischen und üblen Beruf.
Da muss man aber dann halt heftig Fersengeld geben.
Juli 7th, 2008 at 14:03
Jens,
Erst durch Jens‘ Vergleich mit dem Pferd (Antwort an Sonne) wird mir mit meinem alemannisch geprägten Sprachempfinden wieder bewusst, wie man hinter „treten – Tritt“ immer nur „schutte – stopfe – gingge“ sehen kann. Für ein Pferd hätte ich in meinem vermeintlichen Hochdeutsch „ausschlagen“ gesagt. Ein „Tritt“ umschreibt für unsereins nie etwas Gewaltsames (vermutlich ähnlich wie bei „stossen“). Eine Spinne auf dem Badzimmerboden kann man gewaltsam „vertrampe“ (zertreten), ohne „trätte“ zu müssen und ein Trittbrett ist hier kein Übungsgerät für Kickboxer. Aber um wieder zum Eintreten/Austreten zurück zu kommen: Bevor Überlegungen zur Rollstuhlgängikeit in die Architektur einflossen, mussten alle Patienten das Spital über den harmlosen „Stägetritt“ (die Treppenstufe) betreten und verlassen. Komplett genesene Patienten können (je nach Alter) danach wieder „richtig“ und friedfertig „träte“; z.B. auf dem Velo, Pedalo (Tretboot) oder Trottinett (Tretroller).
An AnFra
Meine Grussmutter ging nie aufs WC oder auf die Toilette. Sie ging immer „an ein Örtchen“, auf den „Abort“ oder den „Abtritt“, oder den davon abgekürzten „AB“. Mit deinem Beispiel hast du mir dieses heute sonst nicht mehr gehörte Wort „Abtritt“ wieder in Erinnerung gerufen. Hier lohnt sich wieder einmal die Erwähnung, dass Deutschschweizer auf dem AB eher diskrete intime Tätigkeiten erledigen. Deutsche sprechen darauf: http://www.blogwiese.ch/archives/19