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Allfällige Umtriebe treiben uns um — Von Triebtätern, Triebwagen und Betreibungen

(reload vom 8.11.05)

  • Was treiben die Umtriebe
  • Triebe können so manches in Bewegung halten. Zum Beispiel einen Triebtäter. Auch der Triebwagen bei der Eisenbahn treibt so einiges vor sich her. „Treiben“ heisst auf Englisch übrigens „to drive„, darum ist „the driver“ = „der Treiber„, und wir müssen immer an den kleinen Kuhjungen (= cowboy) denken, der mit einer Weidenrute bewaffnet, die Kühe vor sich her auf die Weide „treibt„. Später sitzt er auf dem Kutschbock des Ochsenkarrens und treibt die Ochsen an, „he is driving„, und so wurde ein Fahrer draus.

  • Allfällige Umtriebe
  • In der Schweiz gibt es die Umtriebe. Die sind immer unangenehm, und für die muss man sich entschuldigen. Meistens in Kombination mit allfällig. „Allfällige Umtriebe“ findet sich bei Google 9.840 Mal.

    „Für allfällige Umtriebe bitten wir Sie um Entschuldigung“. So tönte (es tönen die Lieder…) es aus dem Lautsprecher der S-Bahnlinie 5, als im Oktober 2000 kurz vor dem Bahnhof Bülach die Strecke Zürich-Schaffhausen durch einen Erdrutsch unterbrochen war. Bauarbeiten an Bülachs neuem Postverteilzentrum genau neben den Bahndamm hatten den Erdrutsch ausgelöst. Die Schweizer sprachen dann vom „Unterbruch“ der Strecke, nicht von der Unterbrechung. Wir Deutsche denken bei „Unterbruch“ an den berühmten Professor Sauerbruch oder an „Schwangerschaftsunterbruch“. Vier Wochen lang mussten die Fahrgäste dieser Strecke die Unannehmlichkeit in Kauf nehmen und zwischen Niederglatt und Bülach auf Einsatzbusse (die ohne Strafzettel) ausweichen. Oh wie war das der SBB unangenehm, oh wie wurde sich da für die Umtriebe entschuldigt. Als die Strecke endlich wieder befahren werden konnte, gab es am Morgen Gipfeli und heissen Kaffee zum Mitnehmen für alle, umsonst und als Wiedergutmachung gedacht für das erlittene Ungemach.

    Verkehrsunterbrüche (ist das tatsächlich die Mehrzahl von „Unterbruch“, klingt ja wie „Einbrüche“) werden im Netz des Zürcher Verkehrsverbunds ZVV über Funk an alle Busse und Trams weitergegeben. So kann man im Bus von Oerlikon nach Wallisellen mithören, dass mal wieder am Bellevue ein Tram (die Strassenbahn ist sächlich in der Schweiz!) mit einem Auto einen Verkehrsunfall hat, genauer gesagt: „verunfallt ist„. Das passiert in Zürich fast täglich, denn die Trams fahren oberirdisch.

  • Warum fährt das Tram in Zürich nicht unter der Erde?
  • Hätte sie ja mal sollen, es gab diese Idee, doch dann hat man dazu das Volk, den Souverän, gefragt, und das Volk fand diese Idee nicht gut. Zu teuer und zu unbequem.

    2001 hat der Stadtrat eine neue Mobilitätsstrategie verabschiedet. Zentral ist das Wohl des langsamen Verkehrs – zu Fuss Gehende sollen wieder Teil des Verkehrs werden und nicht mehr wie in den 70er Jahren oft unter die Erde verbannt sein. (Quelle)

  • Und wie lief das im Ruhrgebiet?
  • Im Ruhrgebiet wurde in den 80er Jahren das Volk nicht gefragt, ob es damit einverstanden sei, die Strassenbahnlinien tief unter die Erde zu legen. Viele Jahre wurde gebuddelt und gegraben, für Millionen, die die Kommunen eigentlich gar nicht hatten. Nun kann man von Bochum nach Gelsenkirchen oder nach Wanne-Eickel weite Strecken unter der Erde fahren. Die wenigsten Menschen im Ruhrgebeit nutzen diese schnellen Verbindungen, sondern setzen sich lieber ans eigene Steuer um in einem Dschungel von Autobahnen, die den Kohlenpott von Ost nach West und von Nord nach Süd durchziehen, den Überlebenskampf aufzunehmen.

    Öffentliche Verkehrsmittel benutzen? Das ist etwas für Rentner, Schüler, Studenten und Minderbemittelte, die sich kein Auto leisten können. Das erste, was man in der Autometropole Essen sieht, wenn man den Bahnhof verlässt, ist eine Stadtautobahn. So müssen sich die Menschen in Los Angeles fühlen. Essen bekam 1991 vom ADFC, dem Fahrradclub Deutschlands, die Rostige Speiche verliehen für die fahrradunfreundlichste Stadt Deutschlands.

    Und in Zürich? Da verlassen Sie den Bahnhof um zur Fussgängerzone der Bahnhofsstrasse vorzudringen, doch eh Sie sich versehen, sind Sie schon von einem Tram überfahren worden, den die kommen hier von allen Seiten.
    Nun, es wäre ja auch möglich gewesen, unterirdisch durch die Shop Ville (wo ein Wille ist, ist auch ein Shop) zur Bahnhofsstrasse zu gelangen.

  • Wie soll man mit Umtrieben umgehen?
  • Am besten immer dafür entschuldigen, und zwar schon im Vorfeld, bevor sie überhaupt auftreten. So las ich in einer Einladung zu einer Hauseigentümerversammlung den Satz:

    Sollte der Termin aus noch nicht bekannten Gründen nicht zustande kommen können, bitte wir Sie jetzt schon um Entschuldigung für die allfälligen Umtriebe…

    Wohlgemerkt: Es war noch gar nichts Schlimmes passiert! Aber es hätte ja etwas passieren können.

    

    9 Responses to “Allfällige Umtriebe treiben uns um — Von Triebtätern, Triebwagen und Betreibungen”

    1. Schnägge Says:

      Passt irgendwie hierzu: Der Schweizer unter Sibylle Bergs Bett:
      http://www.readers-edition.de/2007/09/28/unter-des-menschen-bett/

      (Die deutsche Schweizer Züricher Autorin ist übrigens gerade auf Lesereise in CH und D. Lohnt sich.)

    2. neuromat Says:

      @ schnägge

      meint Frau Berg das ernst – das wäre ja peinlich. Ist doch ironisch, oder?

    3. Schnägge Says:

      @neuromat: Ich glaube, du bist tatsächlich schon zu assimiliert. 🙂

    4. Phipu Says:

      An Schnägge:
      Woher kommt die Frau Berg? Ist irgendwie nicht ganz klar. (Ich habe es unterdessen dank deinem Link gelesen.) Achtung, du könntest für neuen Zündstoff sorgen: http://www.blogwiese.ch/archives/119 , http://www.blogwiese.ch/archives/682 , etc.

      An Neuromat
      Da kommt es nur noch darauf an, ob das Zielpublikum dieser Schriftstellerin Schweizer oder Deutsche sind. Die einen verstehen nämlich Ironie: http://www.blogwiese.ch/archives/482

    5. Neuromat Says:

      @ Phipu

      da ich kein Schweizer bin lag ich noch nie bei einer Sybille unterm Bett. Nur wo Schweizer draufsteht ist auch wirklich einer drin, da reichen meine T-Shirts mit dem weissen Kreuz auf rotem Grund nicht aus. Wie fühlt sich so ein Schweizer, wenn er sich so unter Frau Bergs Bett wiederfindet.

      Wie schrieb uns Otto vor einigen Tagen „Kenner eines Landes, der Fremde der bleibt“ – vielleicht auch „die Fremde, die schreibt“. Und in diesem thematischen Zusammenhang und nach allen den tausend Postings: In diesem Fall kann nur der Schweizer das Zielpublikum sein. Ich bin nämlich keiner und es fällt mir drum auch nicht schwer, Distanz zu meinem roten T-Shirt mit weissem Kreuz zu haben. Und ich trage sie nicht in mir – diese rauhe, kalte Schweiz, in der Menschen denken, lieber freundlich geheuchelt als geradeheraus die Wahrheit gesagt. Wenn in dieser Welt der Zuverlässigkeit, Ordnung und Pünktlichkeit der Zug nicht weiterfährt, dann liegt der technische Defekt nicht an der Technik, dann liegt etwas auf den Gleisen, was nur noch wenig Ähnlichkeit mit dem hat, was gerade noch bei Sybille unterm Bett gelegen war.

      Mag sein ich bin denen doch schon zu nah, mit ihrer Dauerangst vor der Entdeckung, dass auf der eigenen Schweiz nicht draufsteht, was drin ist – aber ein ironisches Lächeln über nur wieder eine Marotte eines kleinen Bergvolkes, das unter Betten und in Tälern lebt will sich bei mir nicht einstellen. Es ist als schaust Du auf jemanden, der mit einem Nagel im Fuss umherläuft und diesen nicht sehen kann und je mehr er sich auf seinen Fuss stützt um so grösser wird der Schmerz.. Und es fängt an im eigen Fuss zu schmerzen, obwohl da gar kein Nagel drin ist.

    6. Schnägge Says:

      @Phipu: Die Frau Berg kommt aus Weimar, lebt seit vielen Jahren in Zürich (ohne den entsprechenden Flughafen richtig zu buchstabieren, siehe Link), und ist, wenn ich recht informiert bin, mit einem Schweizer verheiratet, der vermutlich sogar ab und zu mit ins Bett darf.
      Das Zielpublikum ist sowohl als auch, und die beschriebenen Vorurteile für beide Seiten entlarvend…

    7. Gery us büüli. Says:

      àhm nur so mal am Rande. DAS Shop-ville ist ja ein Einkaufszentrum, also sächlich und nicht DIE Shop-ville (weiblich) wie die Stadt. (Ville) Meist genügt es nicht den Fremdsprachigen Artikel zu übersetzen, weil im Schweizerdeutschen eine andere Bedeutung vorherrscht.

      Triebwagen gibt es übrigens auch bei der DB. Meines Wissens werden die auch bei der DB so benannt. Den Überbegriff aller Lok’s und Triebwagen etc wären dann die Triebfahrzeuge. Auch diesen Begriff gibt es beiderseits des Rheins.

      So wieder mal genug geschulmeistert.. hihihihi…..

    8. Schnägge Says:

      @ Neuromat: Unter meinem Bett liegen übrigens auch keine Schweizer.
      Nur daneben.
      Derzeit sind das Markus Werner, Hugo Loetscher und Iso Camartin.

      Aber apropos peinlich. Dashier war peinlich
      http://www.zdf.de/ZDFde/inhalt/27/0,1872,2002747,00.html
      Megapeinlich.
      Da wurde wirklich keins der unsäglichen Schweizklischees ausgelassen, vom Jodeln über Kuhglocken, hochdeutschkommunikationsgehemmten Eingeborenen bis zu Altherrenwitzen zum Butterfass und Paola und Kurt Felix. Gruselig. Und völlig ironiefrei.

    9. Jan Says:

      Zum Thema Unterbruch: Ich glaube, es heißt nur in der Schweiz Unterbruch, der geneigte (Nord-)Deutsche sagt „Unterbrechung“ -> Unterbrechnungen.