Ein Stück Heimat, schon ab Werk — Das Schweizer Heimatwerk
Wir entdeckten mehrfach in der Schweiz Zweigstellen einer rätselhaften Organisation, oder ist es vielleicht doch eine Firma? Das „Schweizer Heimatwerk“. Was sich dahinter verbirgt? Wir werden nicht ganz schlau daraus. Ist das nun eine öffentlich-rechtliche Einrichtung oder ein Unternehmen der Privatwirtschaft? Ist da Heidi Heimat am Werk?
Wir lesen auf der Webseite www.heimatwerk.ch:
Das Schweizer Heimatwerk
1930 gegründet, hat sich zu einem bestandenen Label entwickelt. Es steht für zeitgenössisches Schweizer Kunsthandwerk von höchster Qualität, Funktionalität und ausgezeichnetem Design. Einzig in der Art, mit der Geschenkevielfalt «Made in Switzerland» Das sehr persönliche Geschenkhaus für alle, die sich selbst oder andere mit auserlesenen Geschenkideen aus der Schweiz überraschen möchten.
(Quelle: heimatwerk.ch)
Was heisst hier „bestandenes Label„? Bestand es früher schon, das Label, oder ist es auferstanden. Oder war es ein bestehendes Label? Manchmal haben wir Schwierigkeiten, unsere bestehende Sprache im Bestand zu verstehen.
Es hilft uns wie so oft der Duden:
bestanden:
(…)
b) (schweiz.) in vorgerücktem Alter:
Ist doch jeder Straffall mit einer menschlichen Tragik verbunden, die auch einen bestandenen Richter nicht unberührt lässt (NZZ 23. 12. 86, 34).
(Quelle: duden.de)
Das Gründungsdatum des Schweizer Heimatwerks liegt jedenfalls noch vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten, vor dem Beginn des Zweiten Weltkriegs. Kleine Randbemerkung dazu: Ich fragte einmal ein paar jüngere Schweizer Kolleginnen und Kollegen in meiner Umgebung, wann eigentlich der 2. Weltkrieg endete. Antworten wie „1968?“, „1982?“ liessen bei mir Zweifel an der Qualität des Schweizer Geschichtsunterrichts aufkommen. Keine repräsentative Umfrage, sicherlich, hätte mir in einer deutschen Fussgängerzone bei jungen Befragten genauso passieren können. Aber dennoch sehr aufschlussreich. Sollten Sie heute am Arbeitsplatz gleich mal mit ein paar Kollegen ausprobieren. (Zum Nachlesen Der Zweite Weltkriegs)
Wobei „craft“ nichts mit „Kraft durch Freude“ zu tun hat, sondern schlichtweg „Handwerk, Gewerk, Geschicklichkeit und Kunstfertigkeit“ bedeutet.
Betrachten wir diese handgetöpferten Vasen und Schalen im Schaufenster, wissen wir nicht genau, ob es sich hier um die Dauerausstellung einer „Beschützenden Einrichtung“ (Neudeutsch für Behindertenwerkstatt) oder um die Exponate einer untergegangen Pfahlbauten-Kultur des Zürcher Sees handelt. Denn der ist nicht weit von der Stelle, an der dieses Foto aufgenommen wurde. Dieses „Kunsthandwerk“ scheint genug abzuwerfen, um ein Ladengeschäft in exquisiter Lage an der Zürcher Bahnhofstrasse, kurz vor dem Bürkliplatz, zu finanzieren.
Oder liesse sich tatsächlich mit kleinen Modellhäusern, Kuhglocken, bestickten Taschentüchern oder T-Shirts mit Schweizerkreuz drauf Umätze in Höhe einer Parfümerie oder Edleboutique machen?
Die Verkaufsklassiker sind laut Eigenwerbung „Taschenuhren, Ohrstecker im Edelweiss-Look, Taschentücher, Glocken, Trachtenbluse“, aber auch exquisites Spezialzubehör für jeden Feierabendspass wie Gurte und Hundehalsbänder, „das Folklore-Accessoire für ihren Hund“. Ob das nur für Bernhardiner ist oder auch vom Deutschen Schäferhund getragen werden darf?
Ein „Eile mit Weile / Mühle“ Spiel (in Deutschland unter dem Decknamen „Mensch ärgere Dich nicht“ erhältlich, vgl. Blogwiese) gibt es ebenfalls dort. Und hier finden wir auch die Erklärung, wie die horrende Ladenmiete an der Bahnhofstrasse mit einem Brettspiel finanziert werden kann, denn es kostet die lächerliche Kleinigkeit von nur 134.00 Franken.
Auch in anderen Ländern südlich von Deutschland gibt es Heimatwerke:
Das Salzburger Heimatwerk, das Oberösterreichische Heimatwerk, das Kärntner Heimatwerk, das Heimatwerk Niederösterreichs:
Heimatwerk, selbständige, öffentlich-rechtliche Einrichtungen in den einzelnen Bundesländern, deren Zielsetzung die Pflege „überlieferter Volkskunst, traditioneller Erzeugnisse des Handwerks und der Volkstracht“ (Satzung) ist. In allen Landeshauptstädten werden die teils selbstgemachten, teils in Kleinbetrieben erzeugten Waren (zum Beispiel ländliches Hafnergeschirr, Holzgebinde, Trachten, Wohndekor, Stickereien) angeboten. Nach schwedischem und Schweizer Vorbild gründete V. Geramb 1933/34 in der Steiermark das 1. österreichische Heimatwerk
(Quelle: aeiou.at)
In Deutschland sind sie verschwunden, die Heimatwerke, und firmieren höchstens noch als Name für eine Wohnungsgenossenschaft, wie beim „Heimatwerk Hannover“.
Monika Ständecke schreibt in ihrer Dissertation „Das Deutsche Heimatwerk – Idee, Ideologie und Kommerzialisierung“:
Die GmbH DEUTSCHES HEIMATWERK war ein Nationalsozialistisch geprägtes Instrument zur Verbreitung von Erzeugnissen, die der traditioneller Volkskunst und dem bäuerlichen Hausrat zugerechnet wurden.
(Quelle:)
Sie geht in ihrer Arbeit der Frage nach, „warum Deutschland keine derartige Einrichtung hat“:
Von 1933 bis 1945 existierte die GmbH „Deutsches Heimatwerk“ als Gesellschaft des „Reichsnährstandes“ zur Förderung von „Volkskunst“ und „bäuerlicher Handwerkskultur“ mit Niederlassung in sechs Städten: Berlin, Breslau, Salzburg, Strassburg, München, Weimar.
Nach dem Kriege kam es nur noch in der Privatwirtschaft zur Bildung ähnlicher Heimatwerkläden. „Warenangebote, die in ein bestimmtes Bild von ‚Heimat’ passen, haben also weiterhin eine gewisse Attraktivität.“
Fazit: Seit dieser historischen Erfahrung haben die Deutschen so ihre Probleme mit der kommerziellen Verwertung der „Heimat“. Der Begriff ist genauso „verbrannt“ und nicht mehr ohne Hintergedanken gebräuchlich, genauso wie „Führer“ und „Arbeitslager“ (vgl. Blogwiese „Führer ohne Ausweis„). Aber jetzt sollten wir aufhören, diese Worte zu häufig und zu dicht beieinander zu verwenden, sonst wird das hier rasch zum Google-Magnet für ewig Gestrige.
Juli 27th, 2006 at 0:33
Hier noch der korrekte Link zum Wikipedia-Eintrag für den zweiten Weltkrieg:
http://de.wikipedia.org/wiki/Zweiter_Weltkrieg
Unser Geschichtsunterricht in der Aargauer Bezirksschule begann irgendwo in der Frühzeit und endete mit der letzten Stunde… da waren wir allerdings auch erst mitten im ersten Weltkrieg angelangt…
Vielleicht hätte unserem Lehrer ein Microsoft Project für die Terminplanung geholfen 😉 ?
Das Heimatwerk hat noch schöne, massive Holzspielsachen… Mir ist es leid, Plastikspielzeug einzukaufen und dann noch jedes Mal lange zu überlegen, ob die Ware einigermassen „anständig“ (Kinderarbeit, Arbeitsbedingungen etc) in den neuen Boomländern produziert wurde. Aber nicht jeder kann sich Waren aus dem Heimatwerk leisten.
Juli 27th, 2006 at 7:47
„bestanden“ ist ein Euphemismus für „älter“. Den Ausdruck „bestandener Mann“ trifft man häufig an.
[Anmerkung Admin: Danke für den Hinweis, habe es gleich eingebaut!]
Juli 27th, 2006 at 9:32
„bestanden“ verstehe ich hier so: das Heimatwerk hat die vielen Jahre gut überstanden, hat sich bewährt.
Juli 27th, 2006 at 11:01
hat zwar mit diesem blogeintrag nichts zu tun, aber es fällt mir immer wieder auf, dass deutsche den Zürichsee oft fälschlicherweise Zürcher See (oder Züricher See) nennen…
[Anmerkung Admin: Das Problem ist bekannt und wurde hier ausführlich diskutiert „Z wie Zürich — Sagen Sie bloss nie Züricher zu den Zürchern„]
Juli 27th, 2006 at 11:25
Schweizer Heimatwerk Laden = „The House of Craft“??? Meiner Meinung nach, ist das ein „calque“ i.e. an expression consisting of TL (Target Language) words but it is not TL idiomatic, as the translation is based on an SL expression. A better translation would be „The Swiss House of Arts and Crafts“, imo.
P.S. Aus dem Heimatwerk Laden in Zug habe drei Chnüblibuechli. Uebrigens, wer weiss was ein „Chnüblibuechli“ ist?
Zudem habe ich einen Scherenschnitt von Nelli Naef „Unter unserm Himmel“ 1990 – zum Preis von Fr. 735 – beim Heimatwerk in Zürich gekauft. Das Thema is Arbeit auf einem Bauernhof, zu sehen sind verschiedene Mitgleider der Familie bei der Arbeit zudem
verschiedene Tieren, Blumen, Bäume, und ganz unten das Bauernhaus (Typ Kt. Bern). Ein Meisterstück!
Juli 27th, 2006 at 12:24
an Fiona
deine Antwort kannst du hier unten oder hier: http://www.blogwiese.ch/archives/280
ergänzen. Davon war ja auch schon die Rede. Vielleicht hatte ich über all die Monate falsch geraten.
Juli 27th, 2006 at 13:30
2. WK: Manchmal frage ich mich auch ob heute überhaupt noch Allgemeinwissen in der Schule vermittelt wird.
@Fiona: Chnüblibüechli würde ich als Rätselheft interpretieren. „Handy“ dürfte auch ein calque sein.
Juli 27th, 2006 at 13:41
auso,Mühlespiel heisst hier auch ‚ds Nüni zieh‘:) und wir ( well my family) sagen ‚ e gstandne Ma‘ .
( seinen Mann stehen???)
Heimatwerk ist ja schon gut und recht aber völlig überteuert, für das was sie dort anbieten,es gibt verschiedene billigere Alternativen die auch in der Schweiz hergestellt werden/wurden…..
Juli 27th, 2006 at 13:49
Naja, dafür nehmen die 12 Jahre von 1933 bis 1945 z.B. in Großbritannien dafür mehr als die Hälfte des gesamten Geschichtsunterrichts in der Schule ein. Wurde mir zumindest von einer englischen Freundin so gesagt.
Wir können uns also nicht Beschweren, dass deutsche Geschichte im Ausland unterrepräsentiert wäre.
Und dass Schweizer das Ende des WKII nicht genau datieren können, ist doch eigentlich auch nur halb so tragisch, wenn man bedenkt, dass die Schweiz nicht beteiligt war. Ich meine, welcher Deutsche weiss denn z.B. wann der Rütlichschwur stattgefunden haben soll? Oder wann die Schlacht am Morgarten war?
Juli 27th, 2006 at 14:20
Wir haben Garantie dafür, dass Ware die im Heimatwerk angeboten werden, wirklich mit echtem Kunsthandwerk zu tun hat und dies nicht einfach gebastelte und zusammengebröselte Sachen sind.
Handwerker und deren Arbeiten, die beim schweizerischen Heimatwerk aufgenommen werden, sind auf Herz und Niere überprüft. Nur bestandene Ware – um beim Wortspiel zu bleiben – wird im Heimatwerk angeboten.
Gegründet wurde „Heimatwerk“ um Menschen aus vorwiegend ländlichen Gebieten, in der Krisenzeit vor dem Krieg, Verdienst zu bringen. In qualitativ und gestalterisch hochstehenden Geschenk- und Souvenirartikel für Touristen, entdeckten die ‚Heimatwerkler’ eine Marktlücke. ‚Kampf dem Kitsch’ hat sich bewährt und wie man sieht bis heute Bestand. 😉
Ein Geschenk darf etwas Wert sein – Qualität war noch nie billig.
Übrigens, wenn ich etwas zum Verschenken im Heimatwerk finde, bereitet mir das Weitergeben doppelt soviel Freude.
Juli 27th, 2006 at 14:30
Hier noch die Erklärung zu „bestandener Mensch/bestandene Ware“ aus Grimms Wörterbuch:
http://germazope.uni-trier.de/Projects/WBB/woerterbuecher/dwb/wbgui?lemid=GB05541
Juli 27th, 2006 at 14:45
P.S. Re: Mein Beitrag heute morgen.
Habe vergessen zu erwähnen, dass „SL“ = Source Language.
@ Michael: „Mobile“ (E= mobile phone) dürfte auch ein calque sein.
P.P.S. Der 1. August steht bevor. Ich habe 23 Abzeichen in meiner kleinen Sammlung (in einer Suchard Milka Dose aufbewahrt). Wer hat mehr?
Juli 27th, 2006 at 16:45
@Fiona: Perron ist auch ein calque. Ist in Frankreich ein erhöhter Hauseingang.
Juli 28th, 2006 at 9:24
@ Lapsus
Das betrifft dann wieder den schweizerischen Sprachraum und entspricht dem „gestanden“ in D.