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Wenn Kinder gross und satt werden wollen wie Grossätti — Neue alte Verwandtschaftsnamen in der Schweiz

  • Grosi und Grosätti mit einem „s“
  • Wir lasen im Fachblatt für das angewandte Leben in der Schweiz, der „Schweizer Illustrierten“ Nr. 9 vom 27.02.06 auf S. 62:

    Die Familie lebt! Und zwar altbewährt und topmodern. Für die Kinder immer noch wichtig: das Grosi und der Grosätti. Gemanagt wird die Familie nach wie vor von der Frau: Mutter ist die Beste, sie ist der Boss. Die Kinder haben alles, Handy, Compi und Klamotten – und sind damit doch ganz zufrieden.

    Grossi und Grossätti in der Schweizer Familie

    Offensichtlich wieder eine Verwandtschaftsbezeichnung, die uns in den letzten fünf Jahren in der Schweiz einfach unterschlagen wurde. Hatten wir im Süddeutschen Raum schon häufig von „Göttis“ (vgl. Blogwiese ) sprechen hören, so mussten wir uns bei den Grosseltern immer mit„Oma und Opa“ begnügen.

  • Grosi, Oma oder Nana
  • In der Schweiz sagt man zur Oma „Grosi“ oder „Grossmami“, natürlich sächlich, wie „das Mami“. Unser Variantenwörterbuch des Deutschen kennt sie alle, diese Bezeichnungen für die Verwandtschaft, und es weiss sogar, dass man die Oma in Liechtenstein „Nana“ nennt. Das kommt uns allerdings merkwürdig vor, denn im Französischen Sprachraum ist „Nana“ seit dem berühmten gleichnamigen Roman von Emile ZOLA ein Synonym für „Mädchen, Mädel, Tussi“, wie konnte das bei den Liechtensteinern nur zu einer Grossmutter mutiere? Vielleicht analog zum Begriff für Grossvater der dort „Neni“ genannt wird? Das „riecht“ nach italienischem Einfluss, denn dort heissen die Grosseltern „nonno“ und „nonna“.

  • Neni, Ähne, Ehni oder Ehnel
  • Auf was haben wir uns da eingelassen. Wie kamen wir bisher in der Standardsprache nur mit dem simplen „Opa“ oder „Opi“ aus, der sich so wunderbar für Reime eignete?

    Schade auch, dass heute kaum noch jemand Ingo Insterburg & Co. kennt, die hatten nämlich schon in den siebziger Jahren mit einem Reim vor den Folgen des Drogenmissbrauchs gewarnt:
    Gibst Du dem Opi Opium, bringt Opium den Opi um.
    (Quelle rheine.de)

    „Ähne“ dürften selbst viele Schweizer nicht kennen, denn das kommt aus Vorarlberg und wird dort neben „Ahnl“ oder „Ehnel“ in Todesanzeigen verwendet. Ganz nebenbei lernen wird, dass die Bezeichnung „Vorarlberg“ immer ohne Artikel auskommt, also niemals aus „dem“ Vorarlberg schrieben wird.

  • Immer gross und satt
  • Doch am besten gefällt uns der „Grossätti“, denn der klingt für Kinderohren nach „ziemlich gross“ und „satt“. Google-Schweiz findet für Grossätti 545 Einträge:
    169 Belege immerhin noch für die Version mit einem S wie Grosätti. In Google Deutschland finden wir gerade mal 27 Belege, zumeist sind das Liedtitel von Dialekt-CDs:

    Thun: Dr Grossätti uf em Tanzbode;
    (Quelle: musik-outletters.de)

    Das ist hier ein Lied aus der Stadt „Thun“, gelegen am Thunersee, die bekannt ist für den von dort kommenden delikaten Fisch, und es geht hier nicht um einen promovierten Mediziner namens „Grossätti“ sondern um einen tanzenden Opa. Alles klar? Weil die Thuner es nicht leiden können, mit dem Fisch verwechselt zu werden, haben sie in der Eidgenossenschaft durchgesetzt, dass man diese leckere Speise „Thon“ nennt, mit einem „o“ wie in „Ton-Figur“ oder „Ton-Leiter“.

    Hier noch ein paar Beispiele für die Verwendung von „Grossätti“ in der Schweiz:

    «Grossätti besass ein Handörgeli. Abends spielte er oft zum Tanz auf». Seine Eltern emigrierten in jungen Jahren ins Welschland und seine Wiege stand auch in Le Bouveret am Genfersee. Weil dort das Leben recht karg war, kehrte die Familie zurück nach Wengen und Grossätti erlernte den Zimmermanns-Beruf.
    (Quelle: jungfrau-zeitung.ch)

    Oder hier auf einer Homepage über die freiwirtschaftliche Bewegung im Baselbiet der Dreissigerjahre:

    „I wäiss scho, hüttigtags wäi die Junge au afe läbe, wie die in de Stett, im Aesse wie in de Chläidere, niem isch meh z’friede, und das isch euser Eländ; […] Vo Sigaretli und halbfränkige Sigare het me au no nütt gwüsst, der Grossätti hätt se äim usim Muul gschlage; aber jetz set afe der Grossätti dene Grossgrinde folge und se förchte. So witt si mer cho mit de neue Schuele und ohni Religion.“
    (Quelle: baselland.ch)

    Was „Grossgrinde“ hier bedeutet, konnten wir nicht herausfinden. Vermutlich „Grosskinde“ = Enkelkind.

    Unser Duden hingegen schweigt zu Grossätti. Auch das sonst so ergiebige Online-Wörterbuch von Leo kennt diese Bezeichnung nicht.
    Die Konkurrenz von Duden, der grosse „Wahrig“ kennt es ebenfalls nicht, aber schlägt dafür einfach „Grossaktionär“ vor. Na klar, hat ja mindestens sieben gemeinsame Buchstaben wie „Grossätti“.

    Und dabei liesse sich mit all diesen Bezeichnungen so wunderbare Kalauer schreiben, die mir Neni einfallen würden, weil ich Ähni auf diese Wörter gekommen wäre. Aber wahrscheinlich sehen Kinder das irgendwie anders, weil sie klein sind.

    

    20 Responses to “Wenn Kinder gross und satt werden wollen wie Grossätti — Neue alte Verwandtschaftsnamen in der Schweiz”

    1. peter Says:

      „Grossgrinde“ hat vermutlich nichts mit „Gross-Chinde“ (Enkel) zu tun – sondern ist wohl eher eine Bezeichnung für sowas wie „Halbstarke“. Junge Leute eben, die das Alter nicht ehren und meinen, sie hätten die Weisheit mit Löffeln gefressen… 😉

    2. Markus M. Says:

      Schweizer Medien in deutscher Hand, weshalb wohl werden die Sozialdemokratischen Partei (SP) ständig vor dem Wahlen ins rechte Licht gerückt – und über die SVP wird negativ berichtet.

      Die Schweiz ist billig, sprich Swiss (Air), oder gar kostenlos, sprich Swiss Dönerkebab, und mit der Schweizerdeutschen werden wir auch, früher oder später, fertig werden.

      Also, liebe Berner, wählt die SP.
      Markus M.

    3. A Says:

      „Grinde“ kann die Mehrzahl fuer „Grind“ sein. Entsprechend koennte dies „Grosskoepfe“ heissen. Aber vielleicht ist es nur ein Vertipper und muesste tatsaechlich „Grosschinder“ heissen.

    4. peter Says:

      Nachtrag: „Grind“ ist ein Dialekt-Ausdruck für „Kopf“ (ein nicht sehr höflicher, allerdings).

    5. Dänu Says:

      Hallo Jens

      Bestimmt finden sich einige Grossaktionäre unter den Schweizer Grossättis. Der Blick ins schlaue Buch der Gebrüder Grimm zeigt aber rasch, dass da kein allgemeiner Zusammenhang besteht. Wie der Grossvater in der Ahnenfolge über dem Vater steht, so findet sich auch der Grossätti über dem Ätti. Letztere findet man übrigens im Bernbiet recht häufig. Beim Nachschlagen unter Ätti wird auf die Verwandtschaft zu atta (gothisch), atto (althochdeutsch) un atte (mittelhochdeutsch) hingewiesen. Ob nun die Goten einfach den Lateinern das p von pater geklaut haben, lässt sich damit aber wohl nicht schlüssig sagen…

      Was die „Grossgrinde“ angeht, kann man auch die Nähe zum französischen „Grosse-tête“ (wörtlich: Gross-Kopf) sehen, womit eine eitle, arrogante Person betitelt wird.

      Liebe Grüsse
      Dänu

    6. Simu Says:

      Dazu (zum Grind) gibt’s noch einen kleinen Spruch: Die Berner sind die einzigen Menschen, die keine Beine, keine Hände und keinen Kopf haben, denn sie haben „Scheiche“, „Taupe“ und einen „Gring“ 😉

    7. räulfi Says:

      Mhh, noch interessanter ist wohl der Ursprung des ‚Ättis‘ (was bei uns Vater heisst). Der Ausdruck soll nämlich vom türkischen ‚Atta‘ (ebenfalls Vater) kommen. Sarazenen waren sicher mal in der Schweiz, von den Türken weiss ichs jetzt nicht genau…
      http://www.islam.ch/typo3/index.php?id=67&no_cache=1&tx_articlecpl_pi1%5BshowUid%5D=27

    8. Simu Says:

      @räulfi
      Atta ist im althochdeutsch bzw. gotischen das Wort für Vater gewesen. Das gotische Vaterunser aus dem 4. Jahrhundert beginnt mit „Atta unsar thu in himinam“ http://www.heiligenlexikon.de/start.html?Literatur/Vaterunser_Wulfila.html

      Auch der Name des Hunnenkönigs Attila hat einen gotischen Ursprung, die von ihm unterworfenen Ostgoten nannten ihn Attila = Väterchen.

      Von daher hat sich im Schweizerdeutschen offenbar noch ein altes Relikt aus dem Althochdeutschen erhalten. Wenn ich mich nicht täusche, ist der Ätti in den Berggebieten verbreiteter als im Mittelland / Unterland.

      Eine türkische Herkunft wäre ja interessant, es könnte sein, dass Atta / Ata (Atatürk) und andere Formen aus einer alten gemeinsamen Sprache herkommt. Viele indoeuropäische Sprachen kennen ähnlich lautende Wörter für Vater, mir kommt hier das russische otez (ausgesprochen ‚atjez‘) in den Sinn.

    9. Phipu Says:

      Jetzt wird es etwas weniger sprachwissenschaftlicher. Hier bloss meine eigenen Feststellungen:

      Die Ausdrücke „ da Neni“ und „d‘Nana“ kenne ich nicht aus dem Liechtenstein, sondern aus dem Bündner Dialekt. GR und FL liegen ja recht nahe beieinander. Allerdings hätte ich die Wurzel im romanischen vermutet (italienisch „il nonno“ und „la nonna“, da mir Latein- und Romanisch-Kenntnisse fehlen). Aber so etwas habe ich ja schon mal geschrieben bei: http://www.blogwiese.ch/archives/162

      Ein alter Mann ist in Graubündner-Dialekt „a Tatt“. Auch hier ist eine Verwandtschaft zu „Tattergreis“, bzw. in diesem Sinne „Vater“ nicht ausgeschlossen. Siehe Grimms Wörterbuch:
      http://germazope.uni-trier.de/Projects/WBB/woerterbuecher/dwb/wbgui?lemid=GT01274

      „Alte Ätti“, „alte Grätti“ oder „e Gritti“ (findet sich sogar in Google) sind ebenfalls ähnlichlautende Bezeichnungen für alte Männer (muss nicht eigener Vater oder Grossvater sein); manchmal in Verbindung mit breitbeinig. http://germazope.uni-trier.de/Projects/WBB/woerterbuecher/dwb/wbgui?lemid=GG23755 . Aber auch das kennen wir aus de Blogwiese unter „Grittibänz/Grättimaa“ http://www.blogwiese.ch/archives/110

      Bald werden alle Referenzen in der Blogwiese stehen. Dann werden Duden, Variantenwörterbuch, Grimm etc. überflüssig.

    10. Jürgen Says:

      Zum Thema Liechtenstein möchte ich noch anmerkten, dass man dort nicht überall „Neni“ und „Nana“ sagt, sondern teilweise auch „Ehne“ und „Ahna“ (in Balzers Beispielsweise).

    11. Administrator Says:

      @Jürgen
      Ehne und Ahne ist fast wie Ähne und Ehni in Vorarlberg.. liegt doch alles ziemlich dicht beieinander.
      Gruss, Jens

    12. räulfi Says:

      @Phipu
      Ja, ein gemeinsames (indogermanisches) Ursprungswort liegt sicher vor. Warum aber jetzt Gotisch dem Althochdeutschen entsprechen, und wieso Gotisch seine Spuren im Schweizerdeutsch hinterlassen haben soll, sehe ich jetzt nicht ganz. Nicht nur, dass beide aus unterschiedlichen Jahrhunderten ’stammen‘, sondern auch, weil die Goten wohl nur durch die Schweiz durchgezogen sein dürften. Kenne mich in diesem Gebiet allerdings zu wenig aus.

    13. HalbCH/HalbD Says:

      @räulfi
      Ich vermute, nicht das Gotisch seine Spuren hinterlassen haben, sondern das Althochdeutsch (später das Mittelhochdeutsch), was, wie wir wissen, nicht ungewöhnlich ist. Wie aber Gotisch und Althochdeutsch zusammenhängen kann ich nicht sagen, mit den Goten kenne ich mich nicht wirklich aus.

    14. Simu Says:

      Ich habe Gotisch als „Beleg“ gebracht, weil es m.W.n. die älteste schriftlich überlieferte germanische Sprache ist. Wegen der frühen Schriftlichkeit kann man am Gotischen ablesen, wie die germanischen Sprachen vor der Herausbildung des Althochdeutschen ausgesehen haben könnten.

      Also gibt es schon einen Zusammenhang zwischen Deutsch und Gotisch, selbst wenn wir selber nicht direkt von ihnen abstammen! 😉

      Genug der Sprachwissenschafterei, es ist halt leider ein Steckenpferd von mir… 😉 Wer mehr wissen will, dem sei als Ausgangspunkt Wikipedia ans Herz gelegt…

    15. räulfi Says:

      …und dem sei auch gleich mit auf den Weg gegeben, dass Wikipedia (leider) keine!! zuverlässige Quelle ist… Im schlimmsten Fall ist alles was dort steht schlichtweg erfunden. Sage das nur, weil man je länger je öfter ‚Wikipedia‘ als Quellenangabe sieht, oder die Leute Wiki gar als ‚Beweis‘ zitieren… 😉 Als erste grobe Info ist Wiki sicherlich nicht schlecht, aber das wars auch schon!

    16. Administrator Says:

      @räulfi
      Bei Wiki lesen viele mit, die korrigierend eingreifen können, und dies auch oft genug tun. Sag uns doch mal ein ganz konkretes Beispiel, bei Wiki „schlichtweg erfundenes“ Zeug bringt. Tät mich sehr interessieren. Wie dient ja auch nicht als „Beweis“, sondern als Beleg für eine These. Die Wahrheit zu wissen, dass überlassen wir mal lieber dem lieben Gott.
      Gruss, Jens

    17. räulfi Says:

      @Jens
      Mir ist schon klar, dass sich bei Wiki nach ihrer funktionsweise Fehler selber ausmerzen sollten. Habe selber auch schon Fehler und Ungenauigkeiten korrigiert. Allerdings kann ich aus eigener Erfahrung sagen, dass Wiki z.B. in wissenschaftlichen Arbeiten nicht zitiert werden kann. Habe das selber einmal 3x getan: zum ersten, zum einzigen und zum letzten Mal:-)
      Als Informationsquelle finde ich Wiki sehr gut. Man findet vieles, dass man nirgends sonst findet. Aber es kann sich nicht mit z.B. einem Brockhaus vergleichen lassen, wo ich von der Richtigkeit der Aussagen ausgehen darf und diese unüberprüft übernehmen kann. Deshalb meine Aussage, dass man Wiki nicht per se glauben kann. Es hat einfach nicht den Stellenwert anderer Lexika, die nicht von jedermann ‚beliebig‘ abgeändert werden können. Man sieht immer öfter den Hinweis auf Wiki, um eine Aussage zu untermauern oder zu beweisen, was ich aus eben genannten Gründen problematisch finde (Stichwort Manipulation), deshalb mein Hinweis.
      Gruss:-)

    18. Peter Gloor Says:

      Simu!
      Ätti ginge ja noch. Die Haslitaler haben aus „dr Ätti“ sogar ein „Drätti“ gemacht.
      Schade, dass unsere Dialekte, vor allem die urigen, immer mehr vor die Hunde gehen. Unsere Jungen kennen oft nur noch die hochdeutschen oder sogar englischen Ausdrücke.
      Wer weiss schon noch, was ein Gigu ist?

    19. joel Says:

      @Simu!
      Ich weiss noch was ein Gigu ist, obwohl ich erst 25Lenze zähle. Auf gut Berndeutsch heisst das sowas wie Idiot oder so. Dazu ein lustiger Beispielsatz: Du bisch sone Gigu bruuch mou di Gring! Was für alle nicht Bernner übersetzt werden kann mit: Du bist so ein Idiot gebrauche deinen Kopf/Verstand!

    20. Aetti Says:

      bei der ganzen Ätti-Diskussion möcht ich noch anfügen dass Attila im Gebiet zwischen Vorarlberg und Davos vergiftet wurde… seine 184 Söhne bestimmt zig Nachkommen hinterlassen haben…

      Attila soviel wie Väterchen heisst, Ata ist der Vater.

      Als Nomadenvolk sind Mongolen oder besser gesagt die Gök-Türkvölker zwar „nur durchgezogen“, jedoch nicht ohne die Länder nachhaltig geprägt zu haben. Dass wird heute sowenig darüber wissen ist u.a der Inquisition zu verdanken welche alle durch dieses Eroberungen erhaltenen Errungenschaften als Europäisches Kulturgut in Anspruch nehmen und die gök-türkischen Spuren gezielt vernichtet haben.

      Für Tattergreis findet man in http://germazope.uni-trier.de/Projects/WBB/woerterbuecher/dwb/wbgui?word=tatter folgenden Hinweis:

      TATTER, siehe Tatar

      …womit wir zwar nicht beim Ata sind, jedoch auch wieder bei der selben Ursprungssprache…