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Beim Siegen immer die Rechenmaschine mitbringen — Stängelis in der Schweiz

(reload vom 11.10.06)

  • Stängelis kann man nicht nur schlecken, sondern auch zum Zählen verwenden
  • Die Schweizer sind für ihr wohlorganisiertes Finanzwesen und ihre Banken bekannt. Rechnen können gehört zu den wichtigsten Grund-Disziplinen, definitiv höher bewertet als Ausdrucksfähigkeit im Hochdeutschen. Damit das mit dem Rechnen auch nie schief geht, pflegt man in der Schweiz noch den Umgang mit dem Abakus:
    Stängeli Rechenmaschine

    Hier kommt es darauf an, eine Stange mit 10 Holzperlen richtig zu bedienen. Werden mehr als 10 Dinge gezählt, ist eine Stange voll. Nun, eigentlich ist es eine recht kleine Stange, als im Schweizer Diminutiv ein „Stängeli“. Gerade im Sport ist es von grosser Bedeutung, diese Rechentafel stets dabei zu haben, denn hier wird lebhaft gezählt, wenn Tore fallen. Zum Beispiel neulich beim Spiel der Deutschen Nationalmannschaft gegen San Marino (ein Spiel, was natürlich niemand geguckt hat). Da reichte ein Stängeli nicht aus zum Tore zählen, da mussten 14 Holzperlen verschoben werden:
    Stängeli für Deutschland
    (Quelle: news.ch vom 6.09.06)

    Solche „Stängelis“ bezeichnen im Sport besonders hohe Siege. Unser Variantenwörterbuch hat das aber nicht so ganz begriffen, denn es kehrt die Sichtweise um und meint dazu:

    Stängeli: „Hohe Niederlage mit 10 oder mehr Gegentoren: Debakel“

    Verkehrt verkehrt, nicht die eigenen Tore werden gezählt, sondern die der siegreichen Mannschaft! Einen hohen Verlust, wie ihn das Variantenwörterbuch bezeichnet, darf man in Deutschland übrigens auch „eine Packung“ nennen. Die Österreicher haben noch die Begriffe „einen Schraufen“ oder „ein Tragerl“ für hohe Niederlagen. Was eine „Schraube“ und ein „Traggestell“ mit einem Verlust im Sport zu tun hat, müssen sie uns allerdings selbst erklären. Dazu schweigt sich unser Variantenwörterbuch aus.

    Zurück zu den Stängeln in der Schweiz. Die finden sich überall, Sie müssen nur die Augen aufsperren:
    Da geht Kloten knapp am Stängeli vorbei:

    Stängeli für Kloten
    (Quelle: blick.ch)

    Aber auch Davos hatte sein Stängeli:

    Davoser Stängeli
    (Quelle: news.ch)

    und schliessloch noch Biel:

    Biel mit Stängeli
    (Quelle: nachrichten.ch)

    Überhaupt wird die Rechenmaschine und ihre Stängeli beim Eishockey wesentlich öfter gebraucht als beim Fussball, scheint es. Wie soll man denn auch nur mit den dicken Handschuhen die Kügelchen auf dem Stängeli verschieben?

    Ist Ihnen eigentlich auch aufgefallen, dass die „Stängeli“ stets vorsichtig in Anführungszeichen, den sogenannten „Gänsefüsschen“ gesetzt werden? So wie einst die „DDR“ vom Springerverlag auch nur als „sogenannte DDR“ in Gänsefüsschen gesetzt werden konnte. Traut man diesen Stängelis nicht in der Schweiz, dass sie immer so vorsichtig angefasst und zitiert werden müssen?

    

    9 Responses to “Beim Siegen immer die Rechenmaschine mitbringen — Stängelis in der Schweiz”

    1. Guggeere Says:

      Mal etwas Allgemeines: Der Mundart-Diminutiv -li (wie bei Stängeli, Meitli etc.) entspricht dem Standarddeutschen -lein (Stängelein) bzw. -chen (Mädchen). Wörter mit diesen Verkleinerungsformen haben im Plural allerdings kein s.
      Überhaupt gibts in unseren Mundarten nur sehr selten ein Mehrzahl-s. Dass ein Nichtalemanne eine Pluralform wie «Stängelis» bildet, tut zwar in den Ohren weh, ist aber nachvollzieh- und entschuldbar. Unerträglich wird der Schmerz, wenn in einer Schweizer Dialekt-Radiosendung ein superlässig-lockerer Moderator, dessen Eltern noch im Melch-, Emmen- oder Tösstal sprechen gelernt hatten, Kreationen wie «Autos», «Gipfelis» oder «Skis» von sich gibt. Dann hilft nur noch eines: abschalten.

    2. Lupino Says:

      @Guggeere: als nichalemannische Slavin tut mir auch ‚Gipfelis‘ sehr weh. Aber was fehlt denn den ‚Autos‘?

    3. Brun(o)egg Says:

      grins guggere. so wahr!

    4. Guggeere Says:

      @ Lupino
      «Autos» ist eben nicht Deutschschweizer Mundart, sondern Standarddeutsch (Hochdeutsch). Die normale Mehrzahl für dieses Wort lautet in den Schweizer Dialekten wie die Einzahl. Z.B.: «Wisoo gaffsch uf d Strooss? Zelsch d Auto?»
      Wenn ich umschreiben soll, welchen Wörtern wir trotz allem im Plural ein s anhängen, begebe ich mich auf dünnes Eis (bin kein Wissenschafter): Ich denke vor allem an neue Fremdwörter, die man tel quel aus dem Englischen übernimmt (z.B.: «Si hend en Hufe Gägs proocht.»). Oder an gewisse Eigennamen («Häsch gsee, s Meiers und s Bergers sind au doo.»).
      Das Mehrzahl-s wird übrigens auch im Standardeutschen vor allem bei Fremdwörtern verwendet; halt einfach sehr viel häufiger als in den Schweizer Dialekten.

    5. AnFra Says:

      Stägeli, Stängele, Stangchen, kleine Stange, dünne Stange = die historische Eisen-Stange mit kleinem Querschnitt ist gemeint.

      In der guten alten Germanenzeit wurde das Schmiedeeisen in verschiedenen Konfektionsarten gehandelt, wie z. B. Barren, Stöcken, Knüppeln und diesen besagte „Stangen“. Diese Bezeichnungen sind ursprünglich Ableitungen aus der Holz- und Waldwirtschaft mit verschiedenen Lieferlängen und Querschnitten.
      Beachte: Der Handels-, Tausch- und Umschlagplatz für „Wertpapiere, „Derivate“ und sonstige Märchenpapiere wird in der engl.-sprachlichen Folge „Stock Exchance“ genannt, d. h. es sind die alten Tauschplätze der Eisen-Produkte gemeint, hier eben die Konfektionsart „Stock“! Bemerkung: Das sind noch echte eiserne „Produkte“ gewesen und keine bombastischen Luftnummern der Art „neue Produkte“!

      Das Eisen wurde in runde Querschnitte geschmiedet. Die hier gemeinten „Stangen“ hatten eine übliche Länge von ca. 3 bis 5 Fuß = ca. 0,95 bis 1,55 Meter und den Durchmesser bis ca. 2-3 Zoll, also ca. 5-8 Zentimeter. Aus den „Stangen“ konnten z. B. Pfeilspitzen, Sicheln, Sensen, Nägel, Kurzwaffen und auch Drähte hergestellt werden

      Und hier der Lösungsansatz: Im Mittelalter hat sich die altgerm.-altdt. Bezeichnung „Stange, Stängele, Stängeli“ für die robusten Drähte bei der Rechenmaschine mit den vollen, gesamten 10 Rechenkugeln erhalten. Wenn also die „Stange“ mit 10 Kugeln auf der Additionsseite voll war, war dies die besagte „Stange“ als Synonym für den kompletten „Zehner“.

      Es gibt auch für die volle, gesamte Anzahl dieser 10 Rechenkugeln die Bezeichnung „Packung“, da alle Teile zusammen waren, dicht beisammen aufgereiht waren und dadurch eine komplette „Packeinheit“ bildeten, eben die „Stange“ mit allen 10 Kugeln, die man komplett beisammen hatte und einpacken hätte können.

      Die Sache mit der „Schraufe“, später „Schraube“ genannt und dann nur noch für das Verschraubungselement mit dem Gewinde üblich, welche als weitere alte Bezeichnung für Stangen verwendet wurden, die jedoch an einem oder beiden Enden an / in / mit einer Konstruktion (hier der Rechenrahmen) befestigt (durch Klemmen, Verkeilen, Sichern uam.) werden konnten.

      Analog zur der Bezeichnung „Packung“ haben die Austriaken die Bezeichnung „Tragerl“, also ein Tragegestell, im welchen dann solch eine oben beschriebene „Packung“ getragen hätte werden können. Diese Bezeichnungen gibt’s auch im Bajuwarischem. Da das Österreichische auch nur ein Derivat des Bajuwarischen ist, kann dies auch hier sauber nachvollzogen werden!

      Nachtrag:
      Wer den Börsendeppen und deren Derivatmärchen noch glaubt und noch ne lockere Schrauben in Hirn hat, gehört mit dem eisernen Stängeli erschlagen.

    6. Phipu Says:

      Bravo Guggere.
      Man kann das nicht oft genug sagen/schreiben. Vielleicht fruchtet es dann endlich mal. Wäre schön, wenn auch die betroffenen Radiomoderatoren die Blogwiese läsen. Z.B. auch hier: http://www.blogwiese.ch/archives/722#comment-184971
      http://www.blogwiese.ch/archives/442#comment-13564
      http://www.blogwiese.ch/archives/583#comment-86107

      Lupino:
      Es heisst im Dialekt tatsächlich „eis Auto, zwöi Auto, drü Auto“, etc., und nicht „Autos“. Auf Hochdeutsch und Französisch ist dieses Mehrzahl-S natürlich unverzichtbar. Ich (und hoffentlich auch möglichst viele Dialektsprecher) sage ausserdem auch: „zwe Cär“, (Schweizer Hochdeutsch „zwei Cars“), „zwe Tänk“ (DE: zwei Tanks), auch wenn dies Fremdwörter sind, und man die (halt eben nur) auf Hochdeutsch im Singular und im Plural unverändert aus der Fremdsprache übernimmt.

    7. Hans Says:

      Beim Spiel gegen San Marino mussten aber trotzdem nur 11 Kugeln verschoben werden.

    8. Hans Says:

      Ah, übersehen, dass es um das Spiel 2006 geht. Ok, dann wärens aber auch „nur“ 13 und nicht 14 Kugeln gewesen. Die Nachricht spricht ja schliesslich auch von zwei Spielen die zusammen 14 Tore ergaben.

    9. albi Says:

      Es gibt noch weitere Beispiele, bei welchen Moderatoren (oder auch schon „normale“ Menschen) sich nicht mehr entscheiden können ob sie nun Schriftdeutsch oder Schweizerdeutsch sprechen sollen. Aktuell nerve ich mich über diejenigen, die in einem schweizerdeutschen Satz anstelle von „Schwiigrippa“ „Schweinegrippa“ verwenden.
      Ähnlich verhält es sich mit dieser seltsamen Köchin in einer obskuren Schweizer Kochsendung, die andauernd von „Schweineflaisch“ anstelle von „Schwiiflaisch“ lafert, ähh labert.