Auf die Gleise damit — Sind alle Schweizer Eisenbahner?

August 24th, 2007

(sorry, wieder kein reload heute)

  • Auf Gleisen unterwegs
  • Die Schweizer lieben ihre SBB. Viele besitzen ein GA = Generalabonnement zur freien Benutzung des gesamten Schienennetzes, häufig auch erste Klasse, oder leisten sich zumindest ein Halbtax-Abo, welches der Deutschen Bahncard entspricht aber viel billiger kommt. Die Begeisterung für Züge und Gleise geht aber noch weiter. Besonders gern werden daher Begriffe aus der Eisenbahnwelt für andere Zwecke im täglichen Leben verwendet. „Nicht zum Zug kommen“ mag da herrühren (auch so eine Schweizer Lieblingsbeschäftigung, das „Rühren“), oder „den Anschluss verpasst haben“. Alles nichts Ungewöhnliches. Doch die Gleise, die sind speziell. Denn ständig werden von den Schweizern die ganz unterschiedlichsten Dinge dort abgestellt. „Aufgleisen“ nennt sich diese Tätigkeit, wenn etwas „auf die Gleise“ gebracht wird.

    Nicht ganz auf den Gleisen
    (Quelle Foto: NZZ-Online)

  • Karriere aufgleisen
  • „Aufgleisen“ kann man in der Schweiz ein Projekt, ein Vorhaben, ja sogar seine ganze Karriere. „Uffgliise“ heisst es im Originalwortlaut, in dem es noch häufiger anzutreffen ist, als in der Hochdeutschen Variante, wobei die Anzahl der verwendeten „fs“ und „is“ zu diskutieren wäre. Wir wollen nicht behaupten, dass „aufgleisen“ in Deutschland nicht auch bekannt ist und verwendet wird. Es scheint nur im Vergleich zur Schweiz weitaus weniger häufig der Fall zu sein, dass etwas „aufgegleist“ wird, wie in der Schweiz. Sucht man das Wort bei Google-DE, wird es an den ersten Stellen nur als Wörterbucheintrag erwähnt, später erfolgen Fachtexte aus der Welt der Modelleisenbahnen. An den Schweizer Fundstellen bei Google-CH werden Konzepte aufgegleist, oder Projekte oder sogar eine Umfahrung. Die Kombination „Karriere aufgleisen“ findet sich 126 Mal bei Google-CH, bei Google-DE hingegen gar nicht.

    Bedarf es weiterer Belege für die Vermutung, dass die Schweizer gern mal eine Zug oder Lok in die Hand nehmen und auf die Gleise stellen? „Projekt aufgleisen“ gibt es bei Google-CH 33 Mal, bei Google-DE immerhin zwei Fundstellen. In der Schweiz, in der jeder „zu Wäg“ ist werden schwierige Vorhaben lieber auf die Gleise gestellt, damit sie auch unter Garantie ans Ziel kommen.

    Der Reporter mit dem „der“ davor — Beobachtungen im Schweizer Fernsehen

    August 16th, 2007

    (reload vom 16-10-05)

  • Werbung im Radio
  • Ich trainierte mein Schweizerdeutsches Hörverständnis durch aufmerksames „losen“ = hören (wird kurz gesprochen und klingt dann wie Englisch „listen“) von Radio-Z, „dä Herzschlag vo Züri“, heute nur noch unter dem Namen „Radio Energy Züri“ bekannt. Am liebsten mochte ich die Werbespots. Es wird von einer Geschäftsneueröffnung in Züri berichtet: Live-Stimmen, Eindrücke und Aufzählung der Neuheiten, dann kommt der Sprecher zum krönenden Abschluss: „Sell isch es gsii, von der Neueröffnung des XY-Geschäfts…“ tönt es mit salbungsvoller Stimme aus Lautsprecher.

    Ich stelle fest: Die Schweizer haben das Bedürfnis, eine Gesprächssituation resümierend zu beenden. Bei den Anthroposophen heisst es am Ende des Christengemeinschaft-Gottesdienst: „Die Menschenweihehandlung, DAS war sie!“ Es hat was Kultisches, dieser Abschluss. Einfach nur „Amen“ zu sagen, ist wohl nicht mehr populär.

  • Die Wichtigkeit der Vorsilbe „dr“ in der Schweiz
  • Ist ein Reporter im Schweizer Fernsehen fertig mit seinem Bericht, dann lautet sein Schlusssatz: „Für SFR, der Hans-Peter Meier“ oder „Der Peter Müller berichtete“ oder „Für Tele-Züri, der Beat Frey“. Der bestimmte Artikel wird hierbei wie „dr“ ausgesprochen. Es muss sehr viele Reporter gleichen Namens geben in der Schweiz, oder warum wird sonst stets mit dem bestimmten Artikel unterstrichen, dass es der eine und nicht ein anderer war? Merkwürdig ist auch, dass die Reporter sich selbst so verabschieden. Wäre Ulrich Wickert ein Schweizer, hätte er sich wohl so verabschiedet: „Für die ARD-Tagesthemen, der Ulrich Wickert“

  • „10 vor 10“ contra „heute-journal“
  • Wir geben es zu, als echte TV-Junkies zappten wir 2001 gern wild durch die 50 Kanäle des Kabelanbieters Cablecom (die von Jahr zu Jahr weniger werden). Um 21:45 Uhr ist im deutschen ZDF das seriöse heute-journal dran, doch wenn wir nach 5 Minuten bei der Innenpolitik ins Gähnen kommen, wird flugs rübergezappt zur Schweizer Konkurrenz von 10 vor 10. Hier interessieren uns natürlich am meisten die Interviews. Eben noch verlas Stephan Klapproth nahezu perfekt die Nachrichten auf Hochdeutsch, doch nun schaltet er um auf Züri-Dütsch, um seinen Gesprächspartner zu befragen. Zwei Minuten später ist wieder Hochdeutsch angesagt. Einfach nur bewundernswert, diese Zweisprachigkeit der Schweizer. Für unsere welschen Freunde hingegen ist es ein Grund, diese Sendung nicht anzuschauen. Sie verstehen im Interviewteil kein Wort. Sie haben Hochdeutsch in der Schule gelernt.

  • Am Donnerstag nichts als Musik
  • Rein medienkritisch betrachtet ist die Sendung „heute-journal“ kalter Kaffee im Vergleich zu den flott gemachten journalistischen Beiträgen von „10 vor 10„, oder trübt sich langsam nach 6 Jahren in der Schweiz unsere Wahrnehmung? Wir finden Berichte aus dem „grossen Kanton“ nicht mehr so unglaublich spannend wie einst, und sitzen an Abstimmungstagen sogar vor dem Fernseher um die Ergebnisse zu verfolgen. Zum Glück gibt es dieses Mega-Event 4 Mal pro Jahr, da wird das nie langweilig. Steigern lassen sich diese Abstimmungsberichte nur noch durch den Quotenhit „Donnschtig-Jass„, bei dem zigtausen Zuschauer live zuschauen, wie tüchtig im Schweizer Fernsehen am Donnerstag (der „Donnschtig“) gejazzt werden, dass die Fetzen fliegen. Alle Wiederholungen dieses erfolgreichen Musikformats gibt es hier.

  • Werbung extra für die Schweizer
  • Was die Deutschen Zuschauer von SAT1 nicht wissen: Die Schweizer bekommen in den Werbepausen ihre eigenen Schweizerdeutschen Fassungen der Werbung zu sehen! So bei dem Spott, in dem zwei Jungs beim Spielen in den Matsch fallen und dann der Mutter daheim (auf Hochdeutsch) erzählen, es sei plötzlich ein Ufo gekommen und habe „galaktischen Schleim“ abgeworfen. In der Schweizer Fassung wird daraus „galaktischer Schliim„. Echt schlimm das.

    Ständig wird auf Schweizerdeutsch für Handy-Chats geworben: „Alliin in Uusgang, das muos nit siin. Lern trendige und uffgstellte Lüüt chenne…!.“ (Warnung: Diese Niederschrift nach Gehör wurde durch einen Deutschen angefertigt und enthält mindestens 8 sachliche Fehler!) Unsere Tochter kann diese Spotts schon komplett auswendig nachsprechen und spielen.

  • Was treiben die Schweizer immer im Ausgang?
  • In den Ausgang“ gehen die Schweizer übrigens ausgesprochen gern. Was sie da an der Ausgangstür dann suchen, ob sie hinter dem Ausgang noch weiter laufen oder den ganzen Abend da stehen bleiben, haben wir am Anfang nicht verstanden. Wir kennen „Ausgang haben„, den hatten die Hausmädchen und Küchenhilfen im späten 19. Jahrhundert. Sind die Schweizer immer noch ein Volk von Dienstboten, die Ausgang haben? Später wurde uns klar: Die meinen „ausgehen“ wenn sie „in den Ausgang gehen„. Da gingen uns dann die Worte aus.

    Soll ich Sie aufstellen? — Sind sie denn Fussballtrainer?

    August 9th, 2007

    (reload vom 11.10.05)

    Wir kennen aufreissen (die Tüte Chips, die Tussie in der Disko), aufgeben (das Paket bei der Post, den Wettlauf), aufmachen (die Tür oder die Zeitung mit der Schlagzeile). Der Aufmacher ist eine Zeitungsüberschrift, den Aufsetzer kennt der Mantafahrer, wenn er mit seinem tiefergelegten Liebling mal wieder zu schnell über die Tempo-30-Bodenschwelle gerauscht ist, aber was ist ein Aufsteller?

  • Sie sind ein Aufsteller
  • Mir wurde am gleichen Tag von zwei völlig unterschiedlichen Leuten per Mail mitgeteilt: „Sie sind ein echter Aufsteller“.

    Was glauben die Schweizer eigentlich, wie ein Deutscher diesen Satz interpretiert? Das Wort ist ihm unbekannt. Mein erster Gedanke war: „Die vergleichen Dich doch jetzt nicht etwa mit Viagra„?
    Ein echter Aufsteller
    Für die Deutschen wäre ein Aufsteller allenfalls ein Trainerassistent beim Fussball, der sich um die Mannschaftsaufstellung kümmert.

  • Soll ich sie aufstellen?
  • Die Schweizer lassen sich gern aufstellen. Soll ich sie aufstellen? Gern! Nein, jetzt nicht in einer Fussballmannschaft im Verlaufe eines Turniers, auch nicht als Kandidat für eine Wahl, sondern immer wenn es ihnen schlecht geht, wenn das Leben trist ist, dann haben Sie grossen Bedarf an einem Aufsteller.

  • Aufgestellte Typen in Kontaktanzeigen
  • Das sind darum meist so unglaublich „aufgestellte“ (Schwyzerdütsch: „uffgstellte„) Typen, denen frau immerzu in Kontaktanzeigen begegnet. Ob die sich alle wählen lassen wollen? Oder ob die alle heimlich diese lila Pillen geschluckt haben? Fragen über Fragen.

    Hier noch ein Aufsteller, wie ihn die Deutschen kennen. Kann bei starkem Wind umgepustet werden, dann ist es ein echter Umfaller, und kein Aufsteller mehr:
    Alfred E. Neumann als Aufsteller

    Vorsicht mit dem Wörtchen Sack — Ein Sack ist keine Tüte

    August 8th, 2007

    (reload vom 8.10.05)

  • Was bedeutet „Sack“ für die Deutschen?
  • In Deutschland ist das Wort „Du Sack“ eine grobe Beleidigung. In der Langfassung vor allem in Bayern äusserst beliebt ist der Fluch „Heilandsack“, wobei der nichts mit dem Geschlechtsteil des lieben Herrn Jesus zu tun hat, sondern die verballhornte Abkürzung von „Heilands Sakrament“ ist. Das heilige Sakrament, von kirchenlateinisch „sacramentum„, bedeutet ein religiöses Geheimnis, das auf die unsichtbare Wirklichkeit Gottes hinweist (siehe Wikipedia).

    Die Deutschen haben also ein gespaltenen Verhältnis zum Wort „Sack“: Es ist einerseits ein Schimpfwort, anderseits etwas Heiliges. Kommen sie nun in die Schweiz und hören an der Ladentheke die Frage „Hätten Sie gern einen Sack“, oder schlimmer noch: „Hätten Sie gern ein Säckli„, dann beginnen sie zu grübeln und denken darüber nach, oder ob es vielleicht nicht doch um ihre von der Schweizer Verkäuferin angezweifelte Männlichkeit geht.

  • Das Sackmesser macht Angst
  • Beim Wort „Sackmesser“ sind sie die Deutschen sehr skeptisch und habe genau genommen gleich Kastrationsängste. Man muss ihnen erklären, dass auch der „Hosensack“ oder der „Mantelsack“ keine besonders fiesen Beschimpfungen sind sondern sich immer auf äusserst praktische Kleidungsstücke beziehen.

  • Sackgeld und Knecht Ruprecht

  • Auch über das „Sackgeld“ wundert sich mancher Deutsche: Ist es denn soviel Geld, dass es nur im Sack heimgetragen werden kann? Denn wenn der Deutsche das Wort „Sack“ im eigentlichen Sinne gebraucht, dann meint er damit mindesten die Ausrüstung von Knecht Ruprecht (in der Schweiz besser unter dem Decknamen „Schmutzli“ bekannt).

    Ein echter Sack

    Vielleicht hilft das leise Vorsingen der alten Volksweise „Ich armes welsches Teufli“ (Melodie als Midi-File). Es ist bei pubertierenden deutschen Jugendgruppen, bei Pfadfindern oder auf einer Klassenreise der absolute Brüller, nur wegen der Zeile „aus meinem Mantelsack, Sack, aus meinem Säckelein

    1. Ich armes welches Teufeli,
    Bin müde vom Marschieren, bin müde,
    Bin müde vom Marschieren,

    2. Ich hab verlorn mein Pfeifli
    Aus meinem Mantelsack, sack.
    Aus meinem Mantelsack

    3. Schadt nichts, ich hab’s gefunden,
    Was du verloren hast, hast.
    Was du verloren hast. (Quelle)

    Wie fluchen die Schweizer?

    August 3rd, 2007

    (reload vom 03.10.05)

  • Wer flucht denn hier?
  • Die Schweizer fluchen nicht. Jedenfalls nicht, wenn Deutsche dabei sind.

    Ich habe in den ersten 6 Monaten in der Schweiz keinen Fluch gehört. Vielleicht weil ich Kunde war, und man ausgesprochen nett zu mir sein wollte, vielleicht weil die Schweizer so glücklich sind, dass sie nie fluchen müssen. Wer das nicht glauben will, kann ja mal das Orakel des 21. Jahrhunderts, nämlich Google fragen: Für „Schweizer Flüche“ gibt auch bei Eingrenzung der Suche auf die Schweiz keine verwertbaren Treffer.

    Die einzigen Verweise auf das Thema „Flüche in der Schweiz“ sind offensichtlich Erinnerungen von Schweizern daran, dass es früher mal so was wie Flüche gab:

  • Früher gab es Flüche
  • In einem Interview mit dem Texter André Küttel, der bei der Schweizer Parodie von „Der Herr der Ring“ die entscheidenden Textpassagen mitgestaltet hat, sagt dieser zum Thema Flüche:

    In Ring Thing hat es klassische, Schweizer Flüche, die ich von meiner Jugend her kenne. „Du bisch so en Mongo“ oder „Gorilla Blauarsch„, um mal zwei zu nennen. Woher kommen die?
    (…)
    Und das sind halt wirklich Ausdrücke, die ich von meiner Schulzeit kenne. Und diese Ausdrücke sind halt inzwischen ein bisschen verloren gegangen. Die heutige Jugend flucht auf Englisch und sagt halt „Fuck“ oder so, während wir uns noch anders ausgedrückt haben. (Quelle)

    Und in einer Besprechung des Schweizer Kinohits „Mein Name ist Eugen“ heisst es

    Dass der Film gerade richtig kommt, passt zum Zeitgeist und zum Retro-Trend. In Nostalgie baden liessen mich vor allem die Schimpfworte, die längst aus der Mode sind: «Halbschueh», «Höseler» und Flüche wie «Dammisiech!» sollte man bei Gelegenheit verwenden, um sie am Leben zu erhalten. (Quelle)

  • Fluchfreie Zone Schweiz?
  • Doch jetzt habe ich den wahren Grund gelesen: Die Schweizer würden ja gern fluchen, aber es wurde ihnen verboten:

    Eishockey-Fans wird das Fluchen verboten
    Die ZSC-Fans müssen immer strengere Regeln befolgen. Nach dem rigorosen Durchgreifen gegen das Rauchen im neuen Hallenstadion gilt jetzt auch: «Fluchen verboten!»

    ZSC-Lions-Sportchef Simon Schenk rief die Fans letzte Woche zu sprachlicher Disziplin auf: Das Singen von beispielsweise «Sitz, du Sau», dem langjährigen Schmähruf der Zürcher, sei per sofort verboten. Denn fortan, so will es die Eishockey-Nationalliga, kosten ehrverletzende Worte aus dem Publikum die Klubs 300 Franken plus Schreibgebühren. Als Spitzel werden Verbandsmitglieder eingesetzt.

    Beim ZSC stösst die neue Verordnung auf wenig Gegenliebe: «Wir werden damit vor grosse Probleme gestellt, denn das Einhalten dieser Regel ist schwer umsetzbar», sagt Schenk. Die Stossrichtung sei aber sicher die richtige. Quelle

  • Sitz, du Sau

  • Da ist er, der berühmte Schmähruf der Zürcher. Ein knallharter Fluch, würde ich sagen. Kaum auszuhalten in seiner Krassheit und Direktheit, mit einer hübschen Alliteration (=Stabreim) übrigens. Das gehört natürlich verboten, bzw. abgestraft. Ist doch praktisch, wenn man mit Flüchen auch noch Geld verdienen kann. Die Zürcher sind zu allem fähig.

  • Kampf dem Fluch mit Musik

  • Was der Artikel nicht verrät , ist wie die Geschichte weiterging. Als die Zürcher ZSC-Fans dennoch anfingen ihre Flüche zu skandieren, wurde zur Unterdrückung einfach die Lautsprecher-Musik lautergestellt, so laut, dass normale Zuschauer sich die Ohren zu halten mussten, um keine Gehörschäden davonzutragen.

  • Fluchen auf Schweizerdeutsch ist lernbar

  • Wer gern lernen möchte, wie man auf Züridütsch korrekt flucht, hier ein kurzer Auszug aus einem Sprachkurs Kurs: Fluchen auf Züridütsch (MP3 231Kb)