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Der Reporter mit dem „der“ davor — Beobachtungen im Schweizer Fernsehen

(reload vom 16-10-05)

  • Werbung im Radio
  • Ich trainierte mein Schweizerdeutsches Hörverständnis durch aufmerksames „losen“ = hören (wird kurz gesprochen und klingt dann wie Englisch „listen“) von Radio-Z, „dä Herzschlag vo Züri“, heute nur noch unter dem Namen „Radio Energy Züri“ bekannt. Am liebsten mochte ich die Werbespots. Es wird von einer Geschäftsneueröffnung in Züri berichtet: Live-Stimmen, Eindrücke und Aufzählung der Neuheiten, dann kommt der Sprecher zum krönenden Abschluss: „Sell isch es gsii, von der Neueröffnung des XY-Geschäfts…“ tönt es mit salbungsvoller Stimme aus Lautsprecher.

    Ich stelle fest: Die Schweizer haben das Bedürfnis, eine Gesprächssituation resümierend zu beenden. Bei den Anthroposophen heisst es am Ende des Christengemeinschaft-Gottesdienst: „Die Menschenweihehandlung, DAS war sie!“ Es hat was Kultisches, dieser Abschluss. Einfach nur „Amen“ zu sagen, ist wohl nicht mehr populär.

  • Die Wichtigkeit der Vorsilbe „dr“ in der Schweiz
  • Ist ein Reporter im Schweizer Fernsehen fertig mit seinem Bericht, dann lautet sein Schlusssatz: „Für SFR, der Hans-Peter Meier“ oder „Der Peter Müller berichtete“ oder „Für Tele-Züri, der Beat Frey“. Der bestimmte Artikel wird hierbei wie „dr“ ausgesprochen. Es muss sehr viele Reporter gleichen Namens geben in der Schweiz, oder warum wird sonst stets mit dem bestimmten Artikel unterstrichen, dass es der eine und nicht ein anderer war? Merkwürdig ist auch, dass die Reporter sich selbst so verabschieden. Wäre Ulrich Wickert ein Schweizer, hätte er sich wohl so verabschiedet: „Für die ARD-Tagesthemen, der Ulrich Wickert“

  • „10 vor 10“ contra „heute-journal“
  • Wir geben es zu, als echte TV-Junkies zappten wir 2001 gern wild durch die 50 Kanäle des Kabelanbieters Cablecom (die von Jahr zu Jahr weniger werden). Um 21:45 Uhr ist im deutschen ZDF das seriöse heute-journal dran, doch wenn wir nach 5 Minuten bei der Innenpolitik ins Gähnen kommen, wird flugs rübergezappt zur Schweizer Konkurrenz von 10 vor 10. Hier interessieren uns natürlich am meisten die Interviews. Eben noch verlas Stephan Klapproth nahezu perfekt die Nachrichten auf Hochdeutsch, doch nun schaltet er um auf Züri-Dütsch, um seinen Gesprächspartner zu befragen. Zwei Minuten später ist wieder Hochdeutsch angesagt. Einfach nur bewundernswert, diese Zweisprachigkeit der Schweizer. Für unsere welschen Freunde hingegen ist es ein Grund, diese Sendung nicht anzuschauen. Sie verstehen im Interviewteil kein Wort. Sie haben Hochdeutsch in der Schule gelernt.

  • Am Donnerstag nichts als Musik
  • Rein medienkritisch betrachtet ist die Sendung „heute-journal“ kalter Kaffee im Vergleich zu den flott gemachten journalistischen Beiträgen von „10 vor 10„, oder trübt sich langsam nach 6 Jahren in der Schweiz unsere Wahrnehmung? Wir finden Berichte aus dem „grossen Kanton“ nicht mehr so unglaublich spannend wie einst, und sitzen an Abstimmungstagen sogar vor dem Fernseher um die Ergebnisse zu verfolgen. Zum Glück gibt es dieses Mega-Event 4 Mal pro Jahr, da wird das nie langweilig. Steigern lassen sich diese Abstimmungsberichte nur noch durch den Quotenhit „Donnschtig-Jass„, bei dem zigtausen Zuschauer live zuschauen, wie tüchtig im Schweizer Fernsehen am Donnerstag (der „Donnschtig“) gejazzt werden, dass die Fetzen fliegen. Alle Wiederholungen dieses erfolgreichen Musikformats gibt es hier.

  • Werbung extra für die Schweizer
  • Was die Deutschen Zuschauer von SAT1 nicht wissen: Die Schweizer bekommen in den Werbepausen ihre eigenen Schweizerdeutschen Fassungen der Werbung zu sehen! So bei dem Spott, in dem zwei Jungs beim Spielen in den Matsch fallen und dann der Mutter daheim (auf Hochdeutsch) erzählen, es sei plötzlich ein Ufo gekommen und habe „galaktischen Schleim“ abgeworfen. In der Schweizer Fassung wird daraus „galaktischer Schliim„. Echt schlimm das.

    Ständig wird auf Schweizerdeutsch für Handy-Chats geworben: „Alliin in Uusgang, das muos nit siin. Lern trendige und uffgstellte Lüüt chenne…!.“ (Warnung: Diese Niederschrift nach Gehör wurde durch einen Deutschen angefertigt und enthält mindestens 8 sachliche Fehler!) Unsere Tochter kann diese Spotts schon komplett auswendig nachsprechen und spielen.

  • Was treiben die Schweizer immer im Ausgang?
  • In den Ausgang“ gehen die Schweizer übrigens ausgesprochen gern. Was sie da an der Ausgangstür dann suchen, ob sie hinter dem Ausgang noch weiter laufen oder den ganzen Abend da stehen bleiben, haben wir am Anfang nicht verstanden. Wir kennen „Ausgang haben„, den hatten die Hausmädchen und Küchenhilfen im späten 19. Jahrhundert. Sind die Schweizer immer noch ein Volk von Dienstboten, die Ausgang haben? Später wurde uns klar: Die meinen „ausgehen“ wenn sie „in den Ausgang gehen„. Da gingen uns dann die Worte aus.

    

    12 Responses to “Der Reporter mit dem „der“ davor — Beobachtungen im Schweizer Fernsehen”

    1. mare Says:

      Wenn ich meinen süddeutschen Kollegen so reden höre, höre ich immer wieder, dass er auch „der Reto“, „der Josef“ etc sagt. Im Italienischen gehört der Artikel ohnehin zum Namen: „il Luigi“, „la Marina“.

    2. Graxel Says:

      Was ist das Fazit zum Bericht über Fernsehen und Werbung im Fernsehen? Fernseher abstellen und mal selber denken zwischendurch…

      [Anmerkung Admin: Wir haben TV bei der Billag vor gut 10 Monaten abgemeldet und leben seither ganz glücklich ohne Verblödungslaterne]

    3. Administrator Says:

      Ich glaube sicher, dass der bestimmte Artikel vor Namen in vielen Sprachen und Dialekten vorkommt, nur für Hochdeutsch bzw. Standarddeutsch Sprechenden ist es ungewohnt, weil dort nicht üblich.

      Hübsch finde ich in Deutschland (und anderswo) auch die Antwohnheit, bei der eigenen Ehefrau von „die Frau“ zu sprechen. „Die Frau wird ihnen helfen, die Frau macht das für Sie…“ schon live erlebt am Niederrhein (der Mann sprach über seine Ehefrau).

      Das war „der“ Jens-Rainer Wiese

    4. Barbarella Says:

      *grins*

      Ja, ja – der Ausgang … hat mich auch erstmal in Erstaunen versetzt!

      Ich glaub, irgendwann mach ich mal n Bild von meinem Freund „im Ausgang“ – dann stell ich ihn in so ne Tür, wo drüber n Schild „Ausgang“ ist! *kicher*

    5. Eagle Says:

      Das mit dem Abschluss: „Für xx berichtete, der xy“ kenn ich gar nicht.
      Was mir eher geläufig ist, ist: „Für xx berichtete (oder sonst was) ihr/ihre xy“

      [Anmerkung Admin: Auf Tele-Züri war es besonders deutlich, aber kann sein, dass das jetzt abgenommen hat. Die Reporter mit dem „dr“ davor sind auf DRS aber noch sehr häufig zu hören]

    6. Flaneur Says:

      Gefunden am Hauptbahnhof von Stuttgart, Deutschland:

      http://img524.imageshack.us/my.php?image=dsc01256ao2.jpg

    7. Phipu Says:

      Kürzlich habe ich im Zug gehört, dass sich französisch sprechende Leute mit starkem jurassischem Akzent über andere Personen unterhielten. Die brauchten ebenfalls Artikel zu den Vornamen. Dies ist mir insbesondere aufgefallen, da das im Standardfranzösisch nicht gemacht wird – analog Hochdeutsch. Z.B. « Tu sais ce qui est arrivé à +la+ Francine ? Hier soir j’ai vu +le+ Jacques qui m’a tout racconté. » (Weisst du, was +der+ Fränzi passiert ist? Gestern habe ich +den+ Köbi gesehen, der mir alles erzählt hat.)

      Hier noch eine Anmerkung zum Sprachunterschied: Wie auch in anderen Bereichen dieses Blogs muss klar unterschieden werden, ob man von Dialekt oder Hochdeutsch (welches Helvetismen enthalten kann) spricht. Auf Mundart sagt man ganz einfach die Namen (auch in anderem Umfeld als bei Reportern) immer mit dem bestimmten Artikel. Auf Hochdeutsch wird man das aber auch von Schweizer Radio- und Fernsehstationen (siehe Beispiele im folgenden Abschnitt) nie hören. So sagt man also „ich han s’Gritli gseh“ (Akkusativbeispiel: ich habe +das+ Margaretchen gesehen) oder „Mer rüefed em Bello“ (Dialekt Dativbeispiel: „wir rufen +den+ Waldi“ [Hund] siehe dazu auch http://www.blogwiese.ch/archives/584) oder „Dörf ich eu no vorschtele? Das isch de Urs und d’Lisbeth“ (Nominativbeispiel: Darf ich euch noch bekanntmachen? Das sind +der+ Björn und +die+ Elisabeth) oder „Das isch em Mäieli sis Bläischtift“ (Genitivbeispiel. Da es Genitiv nicht gibt, mit Dativform umschrieben: das ist +der+ Maya ihr Bleistift = das ist +der+ Mayas Bleistift“)

      Andererseits kennt ja der Dialekt bekanntlich keine Imperfekt-Zeitform. Es heisst also immer „Us Nöioorkk hät de Peeter Muschter brichtet“. Im Echo der Zeit (Abend-Informationssendung auf Radio DRS http://www.drs.ch/newsecho.html , konsequent auf Hochdeutsch) fällt mir jedoch auf, dass dort sogar auf Hochdeutsch im Perfekt abgemeldet wird: „Aus Noioaggh hat Peter Muster berichtet“. Ich selbst würde mich jedoch für den Imperfekt (Aus New York berichtete Peter Muster) entschieden, besonders da die Sendung täglich mit den Worten „Das war der Bericht von … aus …, und das war auch das heutige Echo der Zeit“, also im Imperfekt, endet.

      Aber dass ich hier, und nicht gegenüber Radio DRS davon spreche, hat etwa die Wirkung eines Leserbriefs, in dem es vor allem darum geht, etwas loszuwerden, und nicht eine Antwort oder Verbesserung der betroffenen Stelle zu erhalten. Sonst würde man ja direkt dorthin schreiben.

    8. Tellerrand Says:

      @ admin

      Wer den ganzen Tag vor dem Flattscreen sitzt, sollte nicht mit Steinen auf Leute werfen, die sich von einem ganz ähnlichen Ausgabegerät mitunter hervorragend unterhalten und manchmal sogar bilden lassen 😉

      [Antwort Admin: Den habe ich jetzt nicht verstanden. Wo werfe ich denn mit Steinen? Wir haben viele gelernt durch die Glotze in der Schweiz, und uns auch gut unterhalten. Doch mit der Zeit nimmt der Reiz des Neuen irgendwie ab. Leben ohne TV ist auch ganz unterhaltsam, jeder wie er es gern mag. Mit Steinen wird nicht geworfen, schon gar nicht auf Flattscreens. ]

    9. Tellerrand Says:

      @ admin

      Verblödungslaterne klingt nicht gerade nach ausgeprägter Wertschätzung für die Television. War nicht ganz ernst gemeint…

      [Antwort Admin: Oh sorry, das Wort ist nicht so ernst gemeint. Das ist bei uns familieninterner Jargon für die Kiste, ist einfach hängen geblieben. Natürlich gibt es auch sehr lehrreiche Sendungen im Fernsehen. Aber ohne ist das leben entspannter. ]

    10. Dä David Says:

      Das ist halt Schweizerdeutsche Grammatik, ohne Artikel tönt es falsch. Da kommen mir diese Live-Übertragungen von Schweizer Fussballspielen auf SAT 1 in den Sinn. Man glaubte, die Spiele auf Schweizerdeutsch kommentieren zu müssen. Wenn der Reporter den Namen des Spielers sagte, der grad am Ball war, liess er jeweils den bestimmten Artikel weg. Das war seeehr befremdlich. Vor allem, wenn er dann spontan doch noch einen Satz dranghängte. «Spycher… dringt in Strafruum ii» – wuä, da rollt es einem die Zehennägel auf.

    11. chuncho Says:

      klapproth? züri-dütsch??? niemals!!

      auf den scheiterhaufen mit dem admin!!!

    12. Gery us büüli. Says:

      hmm also ich muss das mit dem Ausgang nochmal aufgreifen.

      in uusgang gah bedeutet ja in D ausgehen.

      und ausgehen (uusgah) bedeutet das etwas ausgeht. z.b. das Mehl, Zucker, Milch. „du, d’milch gaht mer uus. Hesch nöii poschtet? “

      So gesehen sollte doch in jeder Schweizer Küche die Riesenmega Party steigen. Oder seh ich da wieder was falsch? 🙂